Archive for Juli, 2009

Immermehrismus stirbt aus


30 Jul

Immer mehr Frauen bleiben kinderlos, ist im Onlineauftritt der Zeit zu lesen. Das lässt einen ja hoffnungsfroh werden, dass der Immermehrismus mit seinen Benutzern irgendwann zur Gänze ausstirbt. Denn wenn immer mehr immer weniger Kinder kriegen, dann bleibt auch für den letzten Blödsinn keiner, der ihn mehr machen kann. Immerhin.

Familien: Immer mehr Frauen in Deutschland kinderlos | ZEIT ONLINE

ARD Tagesschau hält sich selbst für verzichtbar


23 Jul

„Erkenne dich selbst!“ Laut den alten Griechen die Urdisziplin der Philosophie. Und so philosophisch hat auch Dr. Kai Griffke, Chef der ARD-Tagesschau, im Tagesschau-Blog über die Inhalte seiner Sendung meditiert. Anlass für ihn war das sogenannte Sommerloch. Das veranlasst ihn zu folgenden Äußerungen:

Natürlich gab auch heute wieder die Weltlage soviel her, dass man ohne aufzufallen eine Viertelstunde Tagesschau achtbar füllen konnte. Aber wenn wir ehrlich sind, hätte man jedes, ja wirklich jedes unserer heutigen Themen auch lassen können. Alles reine Kann-man-machen-Nummern. Bei unserem kleinen Schleswig-Holstein-Schwerpunkt hatte man ein schweres Déja-vu, in Nachterstedt gab’s auch keinen neuen Stand, Arnie Schwarzeneggers Pleite-Haushalt schon sehr abseitig, so dass Mathe-Olympiade und Sport fast schon die härtesten Brocken in der Sendung waren.

Seinem Berliner Kollegen Ullrich Deppendorf hat dieser Eintrag übrigens gar nicht gut gefallen. Er antwortete in einem Kommentar zu diesem Beitrag, dann hätte doch die Berliner Hauptstadtstudio-Besatzung früher nach Hause gehen können. Auch ihm sei gewünscht: „Erkenne dich selbst!“

Tagesschau-Blog: Streit ums Sommerloch

Welt: Doppelter Wedeking


23 Jul

Was will uns die Tageszeitung “Die Welt” nur mit folgendem Passus sagen:

Nach fast 18 Jahren beim Sportwagenbauer Porsche räumt Wendelin Wiedeking den Posten. Der Abgang wird beiden mit einem goldenen Handschlag versüßt.

Der Abgang wird “beiden” versüßt? Welche beiden? Der Wendelin und der Wedeking? Und gibt es für die beiden dann die doppelte Abfindung? Oder ist geteilte Süße halbe Süße? Manche Tageszeitungen schmerzen nicht erst im Abgang …

Porsche-Chef geht: Zum Abschied erhält Wiedeking Lob vom Gegner – Nachrichten Wirtschaft – WELT ONLINE

Orwell mit Orwell bekämpfen


22 Jul

Ausgerechnet die Romane „Animal Farm“ und „1984“ hat der Online-Buchhändler Amazon aus seinem Sortiment befördert. Erst nachträglich sei dem weltweit größten Internetversender aufgefallen, dass der Verlag, von dem Amazon die Onlinerechte erworben hatte, gar nicht im Besitz ebenderselben gewesen sei. Dass Amazon das eigene Sortiment um zwei besonders einflussreiche Titel verkleinern muss, möchte man noch als hausgemachtes Unglück abtun. Allerdings hat der Onlinehändler mittels der Synchronisationsfunktion bereits verkaufte Online-Versionen seiner Kunden von deren digitalen Lesegeräten, den sog. Kindles, wieder entfernt. Die Süddeutsche kommentiert das:

Neben der Tatsache, dass die Nacht-und-Nebel-Aktion für Amazon extrem peinlich ist und das Unternehmen jetzt geduldig Big-Brother-Witze über Wirklichkeit gewordene Orwell-Utopien und Blog-Hasstiraden über sich ergehen lassen muss, ist die Angelegenheit auch rechtlich bedenklich. Denn eigentlich erwirbt jeder Kunde beim Kauf eines E-Books im Kindle Store ein unbegrenztes Nutzungsrecht. Prekär auch die Frage, warum Amazon offensichtlich nicht überprüft hat, ob der Anbieter der Texte auch die Rechte an ihnen besitzt. Das Vertrauen in die Seriosität des Unternehmens ist beschädigt, denn wer möchte schon, dass sein Buchhändler – und so fühlt es sich an – nachts um drei im Wohnzimmer steht und die gekauften Bücher wieder mitnimmt.

Amazon entfernt George Orwell aus seinem E-Book-Laden – sueddeutsche.de

TV14: Werben ohne Werbung


21 Jul

logo_301x155 tv14  Nah am Verbraucher, das heißt für viele Medienunternehmen, nah an den Geldbörsen jener zu sein, die man selbst schon zur Kasse gebeten hat. Der Medienverbraucher ist ein von Medien Verbrauchter, wie ein gewisser Buchautor mal geschrieben hat. Im Falle der Fernsehprogrammzeitschrift TV14 aus dem Hamburger Bauer-Verlag (“Bravo”, “Neue Revue”) ist der Hang zur Geldbörse schon fast klinisch. In der Ausgabe 15/2009 werden Technik-Tipps und Kaufempfehlungen gegeben (Handys, Laptops etc.), garniert mit den Bewertungen von der unabhängigen Stiftung Warentest. Doch schon in der Vorwoche (Heft 14/2009) wurde den Lesern als Kunden gesagt, wo sie die Produkte kaufen sollten. Dort erschien nämlich ein mit keinem Deut als Werbung gekennzeichneter Artikel über die expert AG, eine Vereinigung von Elektrohändlern. O-Ton:

Sie alle vereint Topberatung, perfekter Service (TV-Geräte werden geliefert, angeschlossen und feinjustiert)sowie absolut günstige Preise.

Vielleicht sollte die Bauer Media Group ihre Einstellung zur journalistischen Ethik mal feinjustieren.

TV14.de – Startseite

Intimrasur messerscharf bei der Zeit teil 2


19 Jul

Alte Soße in der Hose: Da hat die Zeit mal ein Thema, das im Biederbereich hanseatischer Verkorkstheit wohl als provokant gelten soll, da löst es sich auch schon wieder in Luft auf: Statistisch ist die in der Zeit kolportierte Zahl, nach der fast 70 Prozent der Männer intimrasiert seien, nicht haltbar.

Selbst der Leipziger Psychologe Brähler wartete noch im vergangenen November mit Zahlen auf, die um einiges spektakulärer geraten waren als sein jetziges Ergebnis. Damals hieß es, unter Studenten enthaarten sich bereits 88 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer die Intimzone. Die Nachricht geht seither durch die Medien. Freilich wurden damals nur rund 300 Studenten an der Uni-Klinik befragt. Die neue Umfrage dagegen lieferte erstmals repräsentative Resultate von 2512 Testpersonen – und prompt sank bei den jungen Männern die Intimrasur-Quote von knapp 70 auf etwas über 20 Prozent. Wie kann das sein? "Das wissen wir nicht", sagt achselzuckend Brähler, ein vielbeschäftigter Mann, der gerade, wie er sagt, "23 Forschungsprojekte zugleich" laufen hat. Gleichwohl bleiben die alten Zahlen in der Welt.

Man fragt sich: Was ist mit den Männern an der Uniklinik Leipzig los? Finanziert werden solche Studien laut Spiegel Online von Firmen wie Gillette, Philips oder Wilkinson, allesamt messerscharfe Rasiererhersteller, die mit der nackten Scham so viel verdienen, dass sie sich nicht groß schämen werden.

Körperkultur – Spiegel Online

Politik-PR statt Journalismus


19 Jul

Parteitage in Nürnberg haben eine gewisse Tradition, an die jetzt die CSU offenbar sich anschließen will, weswegen sie ihr aktuelles Großtreffen ausgerechnet dort abhält. Politikentleert wie diese Art von Schauveranstaltung ist regelmäßig auch die Berichterstattung darüber. Der Journalismus ist gemeinsam mit der Politik ins postpolitische Zeitalter eingetreten. Dient der Politjournalismus in den sogenannt seriösen Medien noch als Ausweis einer nurmehr homoöpathisch vorhandenen Qualität, sieht er seinem häßlichen Geschwisterkind, der Politik-PR, zum Velwechsern ähnlich. Die Polit-Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verhalten sich ja ohnehin wie jede Eva zu ihrem Adam, da beide das gleiche Feigenblatt sich vor die Scham halten: Nur ein Paradies ist das nicht.

Unversehens blitzt eine überkommene Art von Journalismus nur auf, wenn Parteitagsstrategien und durchschaubare Kommunikationstaktiken plötzlich nicht mehr aufgehen: Wird ein Parteivorsitzender vom blökenden Wahl- und Deligiertenvolk abgestraft, kann selbst das mundzahmste Medium nicht anders, als dem Volk aufs Maul zu schauen und der Politprominenz auf ebenselbes zu hauen. So entsteht auf einmal doch noch politischer Journalismus, auch wenn man das unbedingt vermeiden wollte.

Horst Seehofer: Dämpfer dank Verjüngungskur – Bundestagswahl – FOCUS Online

Die Zeit intimrasiert


12 Jul

Hätte man bis zirka letzte Woche jemanden gefragt, welches im deutschen Blätterwald die schamhafteste Zeitung wäre, die Antwort hätte an Eindeutigkeit nicht zu wünschen übrig gelassen: Spröder und g’schamiger als Die Zeit, das war eigentlich unvorstellbar. Ihre Moralität Marion Gräfin Dönhoff oder die stets so verbissen dreinschauende wie schreibende Iris Radisch vom Feuilleton waren der mageres Fleisch-gewordene Appell für Biederkeit und gegen lose journalistische Sitten. Nu ist aus der Schamhaftigkeit eine Schamhaarigkeit geworden. Das Wissens-Ressort (warum eigentlich „Wissen“?) macht mit einer doppelseitigen Geschichte über Intimrasur auf, garniert mit dem halbseitigen Foto einer intimrasierten Vulva.  Nota bene: In der Internet-Ausgabe desselben Artikel hat man sich dieses Foto gespart. Man wollte wohl der unreifen Internetklientel jene Vorlage vorenthalten, der der reife Zeit-Leser offenbar so dringend bedarf.

„Schönheit unter der Gürtellinie“ ist der Artikel überschrieben: Aber schön ist das nicht …

Intimrasur – Schönheit unter der Gürtellinie | ZEIT ONLINE

Kriegsspiele


12 Jul

Was der Krieg aus Menschen macht, führt Spiegel Online vor:

Der Feind lauert überall, hinter Büschen, Mauern, am Rand der staubigen Piste.

Hier will jemand mit tumber Kriegsprosa den Beweis nicht schuldig bleiben, dass im Kriege erst der Soldat und dann die Sprache stirbt und neben die Kriegsversehrten schnell die Sprachversehrten treten. Und wenn Feinde „überall“ lauern, dann sollten deutsche Soldaten auch „überall“ dabei sein. Schützenhilfe leisten die Heckenschützen des deutschen Journalismus. Zum Totlachen …

Spiegel Online: „Krieg im Kleingedruckten“

Deutschlands letzte Daily-Talkerin


10 Jul

Britt Hagedorn lässt sich als „Deutschlands letzte Daily-Talkerin“ bezeichnen. Sie hat mehr als 1.500 Sendungen eines Formats bestritten, dass täglich den Beweis antritt, dass die Regionen unter der Gürtellinie die am weitesten vom Gehirn entfernten sind. Auch die Mediengeschichte kommt da schon mal etwas durcheinander. Sie sieht nämlich Castingsendungen, Talkshows etc. in einer bereits jahrhunderte währenden Traditionslinie:

Ein Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Geschichten gibt es immer. Der Kern – bei dem es auch in Casting-Shows und anderen Sendungen geht – ist immer der gleiche, nur der mediale Transfer hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert.

Dass für sie und ihre Sendung das Motto gelten könnte: „Der letzte macht das Licht aus“, findet Britt übrigens „lässig“. Das nennt man dann wohl „unverkrampften Umgang mit der Geschichte“.

DWDL.de – Britt Hagedorn, Deutschlands letzte Daily-Talkerin

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter