Archive for Mai, 2010

Zeit zu verkaufen


17 Mai

Zeitmagazin_Fuchs  Journalismus und Käuflichkeit, das ist nicht erst seit den Invektiven Kraus’scher Provenienz ein Dauerthema. Aber auch im Krisengebiet journalistischer Selbstverschleuderung sind immer wieder Überraschungen zu erleben. So überwältigt einen das Zeitmagazin, die hirnlose Anhangdrüse der auf ihre Seriosität bedachten Wochenzeitung Die Zeit, schon auf ihrem aktuellen Titelblatt mit einem Doppelausverkauf, der einem die Spucke frommer Denkungsart raubt. In einer nur mit höchster Chuzpe zu bewerkstelligenden Doppelvermarktungsstrategie wird gleichzeitig für einen Hollywood-Puppenfilm und für aktuelle Gutbetuchten-Uhrenmode Werbung gemacht.

Im besten Film des Frühjahrs für Kinder und Erwachsene, „Der fantastische Mr. Fox“, spielen Puppen die Hauptrolle – auch in diesem Uhren- und Schmuckheft.

Schon wenn Journalisten den Superlativ auspacken, ist äußerste Vorsicht geboten, denn es ist der sichere Hinweis darauf, dass hier Geld geflossen ist. Der Urheber dieser Überbewertung, Zeit-Autor Jürgen von Rutenberg, fällt sonst nicht weiter durch Filmkritiken auf, die ihn befleissigen würden, solche Urteile zu fällen: Zumal Anfang Mai, wenn das Frühjahr noch gar nicht recht begonnen hat (das mag natürlich in Los Angeles ganz anders aussehen, das Frühjahr meine ich). Dass die folgenden Bildstrecken (Puppen, die absurde Zusammenstellungen von Uhren und Schmuck zur Schau stellen) das nicht weiter verhohlene Ambiente für Anzeigenkunden vom Schlage TagHeuer, Chronoswiss oder Breitling darstellen und dass es kaum ein Zufall sein wird, wenn eine der Puppen-Uhren-Collagen exakt das Modell präsentiert, mit dem auf der Rückseite des Magazins ganzseitig die Fa. Rolex wirbt, treibt offenbar den Zeitmagazin-Redakteuren die Schamesröte nicht ins Gesicht. Und wenn doch, wird diese leidvolle Erfahrung durch das ein oder andere zeitmäßige Präsent der Uhrenindustrie vermutlich wieder ausgeglichen. Schon schade, wie sehr der sogenannte Qualitätsjournalismus vor die Hunde kommen kann.

Gespräch mit Wes Anderson: Der fantastische Mr. Anderson | Lebensart | ZEIT ONLINE

Der ultimative Fernsehbericht


12 Mai

Die Kollegen der britischen Sendung Newswipe (BBC) haben den ultimativen Beitrag verfasst, den Film, der alles über alles sagt, „unendlicher Spaß“ sozusagen. Er ist auf Youtube im englischen Original mit deutschen Untertiteln zu sehen:

Trigema-Chef: Internet verblödet


10 Mai

Ausgerechnet einem Business-Blog, das sich „innovativ“ nennt, hat der Chef der T-Shirt-Schmiede Trigema, Wolfgang Grupp, ein Interview gegeben, in dem er mit seiner Meinung über das Internet nicht hinterm Berg hält:

Ich bin der Meinung, dass die Welt besser wäre, wenn es das Internet nicht gäbe. Früher hat man Briefe geschrieben, sich persönlich unterhalten und sich für ein Gespräch Zeit genommen. Früher hat man auch Bücher gelesen und sich gebildet. Heute hängen die Menschen stundenlang vor dem PC und verblöden. Die Welt ist anonymer und oberflächlicher geworden.

Er habe, so Grupp weiter, nicht einmal eine eigene Email-Adresse. Wichtige Mails lasse er sich von seiner Sekretärin vorlegen. Auch die sogenannten „sozialen Netzwerke“ findet der schwäbische Schneider bescheiden:

Ich beschäftige mich damit nicht. Twitter ist für mich einfach nur dumm und die Menschen, die das nutzen, sind für mich Idioten. Haben die Menschen eigentlich nichts Besseres zu tun, als über belanglosen Kram zu schreiben? Wen interessiert das?

Insbesondere den E-Commerce findet Grupp katastrophal:

… die Online-Shops machen die Geschäfte kaputt. Die Kunden vergleichen im Internet die Preise und kaufen das billigste Angebot. Inzwischen werden Milliarden Umsätze über das Web gemacht, aber die kleinen Einzelhändler bleiben auf der Strecke. Die guten Geschäfte müssen schließen und unsere Innenstädte bluten aus und verkommen. Viele Einzelhändler und auch Karstadt sind durch das Internet pleite gegangen.

Dass die Fa. Trigema einen eigenen Onlineshop betreibt, scheint Wolfgang Grupp dabei nicht störend zu finden.

innovativ.in – Business Blog » Blog Archiv » Auf den Punkt: Trigema-Chef Wolfgang Grupp zum Web

Informationsfreiheit: Behörden sind voll anti-medien


06 Mai

„Anti-Medien“ mal völlig anders verstanden: Wenn es um die Informationsfreudigkeit geht, sind deutsche Behörden ziemlich contra Öffentlichkeit. Und das, obwohl es in Deutschland seit einigen Jahren ein „Informationsfreiheitsgesetz“ gibt, dass jedem Bürger das Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen von Behörden zugesteht. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz schreibt in seinem Tätigkeitsbericht:

Während der freie Informationszugang gegenüber öffentlichen Stellen in anderen Staaten, insbesondere in Skandinavien und im angelsächsischen Raum, als bedeutsame Flankierung demokratischer Entscheidungsprozesse angesehen wird, sind wir in Deutschland noch weit davon entfernt. Dies liegt zum einen sicherlich an dem immer noch unzureichenden Bekanntheitsgrad des IFG. Zum anderen ermutigt die behördliche Praxis in vielen Fällen, über die hier zu berichten ist, nicht gerade zur Wahrnehmung des Rechts auf Informationszugang.

Eine kritische Bewertung des Tätigkeitsberichts hat Telepolis:

TP: Von Informationsfreiheit noch weit entfernt

Fernsehkonsum von Kleinkindern soll anhaltend das Verhalten prägen


05 Mai

Nach einer Langzeitstudie von kanadischen Wissenschaftlern sind Vielglotzer im Alter von 2 Jahren später körperlich fauler, dicker und schlechter in Mathematik. Auch wenn immer wieder geraten wird, Kinder nicht zu früh fernsehen zu lassen, werden schon auch gerne Kleinkinder vor die Glotze gesetzt. Kanadische Wissenschaftler haben nun versucht, die Langzeitfolgen des frühen Fernsehkonsums zu eruieren und dabei beobachtet, dass die Zeit, die Kinder im Alter von 2 Jahren vor dem Fernseher verbracht haben, Auswirkungen auf die Schulleistungen, den sozialen Umgang und die Gesundheit im Alter von 10 Jahren haben.

Die Studie ist in den Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine erschienen.

Telepolis knews: Fernsehkonsum von Kleinkindern soll anhaltend das Verhalten prägen

Literaturfans bei Facebook: Nietzsche schlägt Schiller


04 Mai

friedrich-nietzsche-540x304 Von wegen, Computer vernichten die Gutenberg-Galaxis! Bei Facebook outen sich Myriaden von Usern nicht als „Nerds“, sondern – als Leser. Das hat in einer netten Glosse für Zeit Online David Hugendick herausgefunden:

Zum Beispiel von Goethe. Der hätte das Soziale Netzwerk vermutlich gerne gemocht. Da hätte er mit Schiller fetzige Xenien auf Pinnwände gedichtet. 23.070 Nutzer sind auf Facebook Anhänger des Geheimrats. Schiller hingegen kommt auf nur 1368. Ach, du lieber Himmel! Hölderlin 1472, Kleist 951, Herder 46, Wieland: gar keine! Hat die Weimarer Klassik das Internet verpasst? Wie steht’s um Thomas Mann? Solide 10.502, immerhin. Hermann Hesse ist besser: 38.203. Bayern München hat weit weniger.

Und da wir schon vergleichen: Nietzsche (148.681) liegt vor Cioran (5425), Sartre (57.033) vor Camus (37.227), Astrid Lindgren (77.291) vor Joanne K. Rowling (30.374), Grass (1848) vor Böll (714), Böll aber vor Handke (324), Enzensberger (251) und Walser, den die Suchmaschine gar nicht findet. Ebenfalls weit abgeschlagen stahlgewittert Ernst Jünger vor 109 Fans. Der Facebook-Nutzer steht also Bullerbü näher als dem Krieg, und das ist – nicht nur für Buchhändler – eine gute Nachricht.

Literaturfans bei Facebook: Nietzsche schlägt Schiller | Kultur | ZEIT ONLINE

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter