Archive for September, 2010

Kölner Stadt-Anzeiger denkt im Herbst an den Frühling


09 Sep

Herrlich, wenn man im Herbst schon wieder an den Frühling denken kann. Und das auch noch in der Sportberichterstattung. Nach dem Fußballländerspiel gegen Aserbaidschan wird dort nämlich über den deutschen Stürmer Miroslav Klose gesagt, er durchlebe

eine Art vierten dritten Frühling.

So kann es wirklich nur einer sagen!

Ein unglaublich anderer Podolski – Kölner Stadt-Anzeiger

Österreich: Liaison von Politik und Boulevard


08 Sep

Das Land Österreich steht ja schon seit Karl Kraus‘ Zeiten unter der besonderen Beobachtung von Medienkritikern. Das mag auch an der engen Verbindung liegen, die in der Alpenrepublik Politik und Journalismus einzugehen pflegen. Besonders der momentan regierenden SPÖ werden ganz spezielle Kontakte zur Kronen-Zeitung, dem Boulevard-Pendant zur deutschen Bildzeitung, nachgesagt. Nun veröffentlicht die Tiroler Tageszeitung eine Email, in der Regierungsmitglieder aufgefordert werden, doch direkt komplette Geschichten an das Boulevardblatt zu liefern:

Die „Tiroler Tageszeitung“ veröffentlicht in ihrer morgigen Mittwoch-Ausgabe eine Mail von Kanzler-Sprecherin Angelika Feigl an die Sprecher von SP-geführten Ministerien und die Parteizentrale mit der Bitte: „Liebe Kollegen! Hat jemand ein Thema für die Krone heute?“

Die engen Bande zwischen Regierungspartei und Gossenblatt sollen bis in familiäre Bindungen reichen, wie der Branchendienst Meedia zu berichten weiß:

Die Beziehungen zwischen der Krone und Regierungschef Werner Faymann beschäftigen die Republik schon länger: Faymann war ein treuer Begleiter und Freund des im Juni verstorbenen Krone-Herausgebers Hans Dichand. Der Parteivorsitzende der Sozialdemokraten musste sogar Gerüchte zerstreuen, er habe den 40 Jahre älteren Medienpatriarchen Dichand „Onkel Hans“ genannt; dies sei „Unsinn“. Nach Angaben der konkurrierenden Tiroler Tageszeitung, die sich an der Geschichte erkennbar vergnügt, hat Sprecherin Feigl auch familiäre Beziehungen zur Krone.

Post aus dem Kanzleramt: „Hat jemand ein Thema für die Krone?“ – Oesterreich – Politik – Nachrichten | tt.com – aktuelle News – Nachrichten – Tageszeitung

Causa Kachelmann: Der "Prozess des Jahres"?


07 Sep

Der „Prozess des Jahrhunderts“ — bleibt für mich immer noch der „Process“ von Franz Kafka. Was aber, bitte, ist der „Prozess des Jahres“, den wechselweise alle Sumpfblätter dieser Republik konstatieren?

www.bild.de/BILD/news/2010/09/…/landgericht-mannheim-ticker.html

www.stern.de/…/der-fall-kachelmann-startschuss-fuer-den-prozess-des-jahres-1599969.html

www.bz-berlin.de/…/um-9-uhr-tritt-kachelmann-heute-vor-seinen-richter-article969803.html

Ist der Strafprozess, der Montag in Mannheim gegen einen TV-bekannten Wettermoderator begann, juristisch wegbereitend? Hat er für irgendeinen Menschen außer den Prozessbeteiligten weitergehende Auswirkungen? Gar einen gesellschaftlichen oder politischen Effekt? Wohl kaum. Einzig der Umstand, dass eine bekannte deutsche Frauenrechtlerin ihr Werbeengagement für Deutschlands heruntergekommenstes Blatt mittels einer mutmaßlichen Vergewaltigung ausdehnt, ist notabel. Aber es handelt sich dabei nicht um den Prozess, sondern um die Presseposse des Jahres. Einst hat man mal Skribenten den Prozess gemacht, wenn sie unhinterfragt irgenwelchen Unsinn abschrieben. Dass auch im Unsinn der Sinn steckt, geht in der Gesamtschau boulevardesker Medienerzeugnisse beinahe unter.

Das Pöbliversum der „Bunten“

Titelblatt_Bunte_2010 Wer sich über die boulevardesken Erscheinungen, über die Hirnverbranntheit all der „Brisant!“, „Prominent!“, „Blizz“, „Gala“ etc. echauffiert, der sollte nicht vergessen, dass es auch noch viel schlimmer geht, und dass das Schlimme einen Namen hat: Die „Bunte“. „Leidenschaft für Menschen“ untertitelt sich das Magazin selbst, dabei die Wörter „Leidenschaft“ und „Menschen“ in unerträglicher Art besudelnd. Als hässliches Entlein geboren, hat die Illustrierte auch nach ihrer Umwidmung vom Gossenhauer zum „People-Magazin“ sich nie in einen Schwan verwandelt. Und das englische Wort „People“ kann seine etymologische Verwandtschaft mit dem vulgären „Pöbel“ auch nicht verhehlen, wobei im Bunte-Pöbliversum nicht die Leserschaft, sondern die abgebildete Pseudo-Haute-Volée als solchen sich begreifen darf. Kein herangezoomtes Paparazzi-Foto ist zu schlecht, um nicht für viel Geld in gröbster Körnung in der Pöbelpoblikation pobliziert zu werden. Kein illegal ergattertes Oben-ohne-Foto ist ohne genug, kein tief ausgeschnittener Ausschnitt zu tief, um mit der Niedrigkeit der Beweggründe der „Bunte“-Macher mithalten zu können, die in an Verquastheit kaum zu überbietender moralischer Reziprozität mit jedem hingeschmierten Wort den Bildinhalt zu konterkarieren versuchen:

Salma war noch nie die Stilkönigin unter den Hollywood-Schauspielerinnen, aber dieses Outfit ist nun wirklich der Knaller – es quillt. Sie hätte das Lederjäckchen ruhig drei Nummern größer wählen können!

Wenn die „Bunte“ in der Causa Kachelmann eine vorgebliche „Ex-Geliebte“ nach der anderen einvernimmt, bekennt sie sich nicht so sehr zu ihrer „Leidenschaft für Menschen“, als zu eben jener für den Sudel, der am eigenen Medien-Kotflügel hängen bleibt. Leiden müssen nur die anderen. Zum Beispiel jene Politiker, denen die „Bunte“ von einer Detektivagentur nachstellen und auflauern ließ, um jenen schmierigen Fischzug im Privatleben im nachhinein als „investigativen Journalismus“ auszugeben. Einsicht und Scham ist solchen Leuten, allen voran der aktuellen Chefredakteurin Patricia Riekel, unbekannt. Sie, die ihren eigenen Berusethos mit den Worten „Wir sind ja kein Streichelzoo“ umschreibt, lässt sich zitieren mit:

Wir beschäftigen uns mit den Schicksalen der anderen, weil wir daraus lernen wollen.

Die „Bunte“ als Organ der Volkserziehung? Die Probe aufs Exempel wäre ein journalistischer Pisa-Test, bei dem die „Bunte“-Redaktion mitsamt ihrer Chefredakteurin vermutlich in ähnliche Schieflage geriete wie der gleichnamige Turm. Wer den guten alten Klatsch-Reporter zum „Society-Experten“ geadelt hat, muss selbst einen an der Klatsche haben. Wo man einer Illustrierten wie der „Gala“ in all ihrer Dümmlichkeit noch postpubertären Charme nachsagen kann, dem „Goldenen Blatt“ seine grenzenlos naive Attitüde und selbst die „Bildzeitung“ bei einigen als „surreales Kunstwerk“ (Enzensberger) durchgeht, da bietet die „Bunte“ nur barocke Fülle, nämlich eine Fülle von Trostlosigkeit. Wessen Konterfei einmal in der „Bunten“ auftaucht, der ist dem Untergang geweiht, wenn er nicht ohnehin schon zu den Untoten dieser Republik zählt. So geschah es etwa dem Politiker-Darsteller Rudolf Scharping, der sich erst von der „Bunten“ beim Bade ablichten ließ und dann baden ging. Nein, wessen Foto in der „Bunten“ erscheint, der kann sich gleich erschießen. Oder den Fotografen.

BUNTE.de – Leidenschaft für Menschen

PowerPoint zieht in den Krieg


06 Sep

Über die Zweifelhaftigkeit jener Anwendung, deren Benutzung vor allem in Unternehmensberaterkreisen zum guten Ton gehört und die wahlweise auch als „Bullshit-Bingo“ bezeichnet wurde, ist ja schon häufig und unter anderem auch in diesem Blog hier raisonniert worden. Dass aber auch die höchsten und strategisch wichtigsten Militärs der letzten verbliebenen Supermacht auf Erden nichts besseres zu tun haben, als ihre Zeit mit Powerpoint-Präsentationen zu verbringen, lässt einen an der militärischen Durchschlagskraft dieser Großmacht zweifeln.

Im Januar 2009 fragte die der Army zugehörige Website Company Command Offiziere, die sich im Einsatz im Irak befanden, was sie die meiste Zeit über machen. Die Antwort von Leutnant Sam Nuxoll erregte einige Aufmerksamkeit und auch Spott. Der hatte nämlich gesagt, er mache vor allem PowerPoint-Präsentationen. Das sei kein Witz, erklärte er auf eine Nachfrage. Er müsse Storyboards mit Bildern, Diagrammen und kurzen Texten praktisch über alles machen, was passiert.

Isaf-Kommandeur General Stanley McChrystal bekam im letzten Jahr eine Powerpoint-Präsentation vorgelegt, in der es um Strategien zur Bekämpfung des Widerstands in Afghanistan ging. Der General soll daraufhin geäußert haben: „Wenn wir das verstehen, dann werden wir den Krieg gewonnen haben.“ Die Komplexität dieser Grafik lässt allerdings ahnen, dass in diesem Fall ein baldiger Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan in weite Ferne rückt.

powerpoint_war big

Die Äußerung des US-Generals darf übrigens nicht nur ironisch verstanden werden. Denn auch McCrystal selbst liebte offenbar die Darstellung seiner Planspiele in mehr oder weniger konfusen Grafiken, wie ein USAF-Foto belegt:

Isaf_0001

Dass militärische und wirtschaftliche Ressourcen durch PowerPoint verplempert werden, kritisierte auch T.X. Hammes im Armed Forces Journal. Er stellte fest, dass einerseits erhebliche Mittel für Colleges und Offiziersschulen aufgewendet werden, um Armeeangehörigen das Denken beizubringen, um es ihnen anschließend mit PowerPoint wieder auszutreiben:

Every year, the services spend millions of dollars teaching our people how to think. We invest in everything from war colleges to noncommissioned officer schools. Our senior schools in particular expose our leaders to broad issues and historical insights in an attempt to expose the complex and interactive nature of many of the decisions they will make.

Unfortunately, as soon as they graduate, our people return to a world driven by a tool that is the antithesis of thinking: PowerPoint.

Die schärfste Kritik hat wohl Lawrence Sellin, ein Oberst der U.S.-Reserve-Armee, formuliert und dafür direkt seine Entlassung kassiert. Er habe, wie Telepolis berichtet, in seiner Zeit im Hauptquartier in Afghanistan, wo er seit zwei Monaten arbeite, wenig Produktives gemacht, darauf verstünde man sich hier aber sowieso gut. Er war Teil des Isaf-Stabes mit zahlreichen hohen Offizieren der beteiligten Streitkräfte. Dort habe man sich vor allem mit der Herstellung und Präsentation von PowerPoint-Präsentationen beschäftigt, um den geistig nicht besonders hellen Generälen löffelweise Information einzuflößen:

For headquarters staff, war consists largely of the endless tinkering with PowerPoint slides to conform with the idiosyncrasies of cognitively challenged generals in order to spoon-feed them information. Even one tiny flaw in a slide can halt a general’s thought processes as abruptly as a computer system’s blue screen of death.

Schon vor geraumer Zeit hat Angela R. Garber in Smallbusiness Computing ihre Kritik an PowerPoint mit der griffigen Formulierung „Death by PowerPoint“ zusammengefasst.

When Microsoft Windows crashes, it pops up what techies call „the blue screen of death.“ But there’s another deadly blue screen that businesspeople are even more familiar with. You know the one: The royal blue rectangle that contains bright yellow lines of bulleted text, a pie chart, or sometimes just brightly colored logos. You’ve already seen enough dull PowerPoint slides to last yourself a lifetime. So why, when it’s your turn behind the lectern, do you boot up the same old speech?

Im Zusammenhang mit den Kriegsspielen der U.S.-Militärs bekommt die Formulierung „Death by PowerPoint“ allerdings eine ganz neue intrikate Bedeutung.

TP: Der Krieg und PowerPoint

Gute Nachrichten: Fernsehpause dank Stromausfall


01 Sep

Es bedarf oft nur so kleiner Irrtümer, um die angenehmsten Folgen zu generieren:

Nicht alle Zuschauer, die am Montagabend in Hessen fernsehen wollten, bekamen auch tatsächlich etwas zu sehen. Probleme bei der Energieversorgung am Fernmeldeturm Frankfurt hatten zu wiederholten massiven Empfangsstörungen geführt.
Betroffen waren alle Hörfunkwellen des Hessischen Rundfunks sowie das terrestrische Fernsehen DVB-T. Auch am frühen Dienstagvormittag sei es noch einmal zu Störungen gekommen, teilte der hr am Dienstag mit.

Dass ein solcher Stromausfall übrigens günstigen Einfluss auf die Geburtenrate haben könnte (was Herrn Sarrazin womöglich gefallen würde) ist ein populärer Irrtum: Auch bei dem berühmten Stromausfall in New York 1963 ist neun Monate später die Geburtenrate nicht signifikant gestiegen.

DWDL.de – Stromausfall: Massive Empfangsstörungen in Hessen

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter