Archive for November, 2010

Abschalten ist nicht Gaga


30 Nov

Es geht doch. Man kann abschalten. Und man kann auf den ganzen Zirkus, der sich heute Web 2.0 nennt, auch einfach mal verzichten. Selbst, wenn man selbst als „Queen der sozialen Netze“ gilt. Sprich: Lady Gaga nimmt Abschied aus dem Internet. Und tut damit in mehrfacher Hinsicht Gutes:

Lady Gaga, lebende Rekordhalterin an Facebook- und Twitter-Fans, will ihre Profile bei den sozialen Netzwerken ab dem 1. Dezember, dem Welt-Aids-Tag, nicht mehr updaten. Damit folgt die US-Sängerin einem Vorschlag ihrer Kollegin Alicia Keys, so lange offline zu bleiben, bis eine Million US-Dollar an Spenden für die Hilfsorganisation „Keep a Child alive“ zusammengekommen sind. Die Kampagne wird auch von Justin Timberlake, Jennifer Hudson und Usher unterstützt.

Meedia: Der digitale Scheintod von Lady Gaga

"Furz-App"s: Keine Radiostationen mehr bei Apple


29 Nov

So deutlich hätten sie es vermutlich nicht wissen wollen: Apple-Chef Steve Jobs nennt die kleinen Programme fürs Iphone, die lediglich dazu da sind, ein bestimmtes Radioprogramm auf dem smarten Handy abzuspielen, als „Furz-App“s. Sie seien nichts anderes als „Spam“ im Apple-eigenen Appstore:

“…single station app are the same as a FART app and represent spam in the iTunes store… [Apple] … will no longer approve any more radio station apps unless there are hundreds of stations on the same app.”

Die neue Apple-Direktive ist durchaus intrikat und auch für die Computerfirma aus Cupertino sehr zweischneidig. Einerseits ist durchaus zu fragen, welchen Mehrwert zusätzliche Radioprogramme haben, die alle den gleichen computergenerierten Musikmix mit dem „Besten der 80er und 90er Jahre und von heute“ bieten, sprich: nicht sehr viel. Andererseits, wie ein hellsichtiger Kommentar auf macnotes.de formuliert, ficht Apple hier mit den Geistern, die die Firma selbst rief:

Apple erntet gerade schlicht, was selbst gesät wurde – die Versuche aller Medien- und Contentanbieter, auch als Icon auf dem iDevice der Wahl präsent zu sein, sind die logische Konsequenz aus der von Apple betriebenen “Appisierung des Internet”, mit der zum einen die eigenen Produkte gepusht, zum anderen die Medienpartner mit möglicherweise lukrativen und im Unterschied zur WWW-Site auch kostenpflichtigen Angeboten ins Boot zu holen.

Mit einem hat Steve Jobs allerdings recht, und er spricht vermutlich vielen Radiohörern aus der Seele: die meisten, gerade kommerziellen Radioangebote sind tatsächlich nicht viel mehr als, naja: ein Furz.

www.satnews.de – Willkommen

Herrliche Fernsehzukunft in der ARD


24 Nov

„Es gilt das gesprochene Wort“: Der Hinweis, gerne fällig, wenn Redner frei von ihrem Manuskript abweichen, hat im Ersten Deutschen Fernsehen zwar auch seine Berechtigung, aber es ist eine wichtige Einschränkung zu machen. Das gesprochene Wort herrscht künftig in der ARD, aber mit Gültigkeit hat das nichts zu tun. Das Wort, wie es in den flutartig über uns hereinstürzenden Talkshows der ARD herrscht, ist das moderne Äquivalent zum Palaver. Gültiges wird hier gerade vermieden, Hauptsache, die Sendezeit wird gefüllt, und das heißt: verschwendet.

Jauch am Sonntag, Plasberg Montag, Maischberger Dienstag, Will Mittwoch, Beckmann Donnerstag: So stellt sich ARD-Programmdirektor Volker Herres nach Informationen des Tagesspiegel die Talk-Zukunft im „Ersten“ vor. Die Intendanten beraten noch, ein Opfer scheint sicher: Dokumentationen werden keinen prominenten Platz mehr haben.

Was wir hier künftig vorfinden, ist nichts anderes als die Austreibung des Sehens aus dem Fernsehen. Eine Kamera ist für solcherlei Programm eigentlich gar nicht nötig. Es handelt sich um Hörfunk mit Mattscheibenpflege, und was da gepflegt wird, sind die immergleichen Gesichter mit den, meist, immergleichen Phrasen. Haben solche Programmentscheidungen womöglich damit zu tun, dass in den Redaktionen und Hierarchieebenen der ARD immer mehr Fernsehmenschen das Sagen haben, die selbst vom Fernsehmachen schon weit sich entfernt haben? Dass die eigentlichen Programmmacher, all die Freien Mitarbeiter, Freien Regisseure und Freien Kameramänner, zwar ihr Handwerk verstehen, aber von der Programmgestaltung und damit so weitreichenden Programmentscheidungen weit entfernt sind? Da wünscht man sich doch ein Autorenfernsehen, so wie es Autorenverlage und Musikerlabel gibt: Mit Programmen für Liebhaber, die was fürs Auge bieten wollen und nicht nur den Zuschauern auf die Ohren geben.

Meedia: Harte Zeiten für Anne Will

Baumsterben durch Wi-Fi?


23 Nov

Wie die englisch-sprachige PC-World berichtet, können Drahtlosnetzwerke Bäume und Grünpflanzen schädigen. Praktisch alle Bäume “in der westlichen Welt” seien betroffen. Sie wiesen deutliche Veränderungen in Wachstum und Aussehen auf. Dies haben Forscher der niederländischen Universität Wageningen herausgefunden . Die Stadt Alphen aan den Rijn hatte schon vor fünf Jahren die Studie in Auftrag gegeben, nachdem Bäume eigenartige Veränderungen aufgewiesen hatten, die nicht auf eine virale oder bakterielle Erkrankungen zurückzuführen gewesen seien.

The study exposed 20 ash trees to various radiation sources for a period of three months. Trees placed closest to the Wi-Fi radio demonstrated a "lead-like shine" on their leaves that was caused by the dying of the upper and lower epidermis of the leaves. This would eventually result in the death of parts of the leaves. The study also found that Wi-Fi radiation could inhibit the growth of corn cobs.

Wi-Fi Makes Trees Sick, Study Says – PCWorld Business Center

Müssen Bücher bunt sein?


15 Nov

Der Suhrkamp-Verlag stellt auf seiner Facebook-Seite Buchumschläge zur Abstimmung. Ich frage mich: Muss das überhaupt sein?

Ach nein, früher unterschied sich der deutsche Buchmarkt so wohltuend besonders vom englischsprachigen: gingst Du in England oder USA in den Buchladen, war alles schreiend bunt, und bei uns: diese herrliche, fast schon barocke Schlichtheit. Jetzt ist auch Suhrkamp im visuellen Zeitalter angekommen, aber ich bleibe dabei: Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder. Nun bleiben wohl nur noch die italienischen Buchläden, und selbst die Italiener pimpen mittlerweile immer häufiger ihre Umschläge vierfarbig auf. Schutzumschläge jedenfalls landen bei mir nur äußerst selten im Bücherregal, eher in der Versenkung. Also bitte: Mehr Schwarz-Weiß-Malerei! Gegen bunte Bücher!

Facebook (2) | Suhrkamp Verlag

Restaurantkritik aktuell: Trinken oder Schreiben?


11 Nov

Dass man angeschmiert sein kann, wenn man Journalisten zu viel auftischt, dafür gibt es nun ein bizarres Beispiel mehr.  Ein Gastronom fühlt sich von der Zeitschrift „Feinschmecker“ falsch dargestellt — und zieht dagegen vor Gericht. Der Branchendienst Meedia stellt den Streitfall so dar:

Nachdem das Restaurant „Brogsitter’s Sanct Peter“ vom Feinschmecker in die Pfanne gehauen wurde, klagte Hans-Joachim Brogsitter – und verlor. Jetzt legt der Gastronom nach und schenkt der Kritikerin richtig ein: „Von den sechs bestellten Gängen probierte sie nur drei.“ Den Alkohol dagegen „verzehrte sie gern, vollständig und reichlich“. Feinschmecker-Chefredakteurin Madeleine Jakits widerspricht.

Dass Journalisten bei ihrer Tätigkeit gerne mal einen trinken, ist nicht völlig unbekannt. Zu alten Bonner Regierungszeiten kannte ich Journalisten und Kameraleute, die ihren gesamten Tagesablauf danach ausrichteten, in welcher Landesvertretung oder Botschaft gerade Empfänge, Buffets oder andere Gelage geboten wurden. Und die Donnerstags-Pressekonferenz von Bayer 04 Leverkusen ist auch deswegen bei Journalisten so beliebt, weil anschließend ins Stadionrestaurant eingeladen wird. Dass man anschließend darüber schreibt, ist allerdings eher unüblich in der Branche. Man kann andererseits der Feinschmeckerin nicht vorwerfen, hier dem geschenkten Gaul ins Maul geschaut zu haben. Denn sie hat, wie Meedia dokumentiert, ihre Rechnung selbst beglichen: Stattliche 135,75 Euro.

Meedia: Wie viel trank die Feinschmecker-Testerin?

Fernsehen tötet: Kind erschlagen


10 Nov

Nicht nur das Programm kann tödlich sein, auch die Endgeräte haben ihre ganz eigene todbringende Wirkung. Überhaupt kein Witz, was sich gestern im Kölner Stadtteil Bocklemünd ereignet hat:

Ein drei Jahre alter Junge ist am Dienstagvormittag in Bocklemünd von einem Fernseher erschlagen worden. Nach Informationen der Rundschau spielte der Junge zusammen mit seiner sechsjährigen Schwester vor dem Fernseher, als das schwere Röhrengerät auf ihn fiel. Ersten Erkenntnissen zufolge könnte eines der Kinder auf den Fernsehtisch geklettert sein. Wie aus Ermittlerkreisen zu erfahren war, hielt sich während des Unfalls auch die Mutter der Kinder in der Wohnung auf. Sie rief den Notarzt, der erfolglos versuchte, den Dreijährigen wiederzubeleben. Auch ein Rettungshubschrauber war in der Zwischenzeit in Bocklemünd eingetroffen. Die Kriminalpolizei sperrte die Wohnung für weitere Ermittlungen ab.

Das ist übrigens, wie es in der Presse so gerne heißt, „kein Einzelfall“:

Zu tödlichen Unfällen mit Fernsehern kommt es immer wieder: Erst im Mai war ein drei Jahre altes Mädchen in Weiden von einem herabstürzenden Fernseher erschlagen worden. In Österreich starb im September ein fünf Monate altes Mädchen, nachdem es von einem Fernsehgerät getroffen worden war. Auch in Duisburg und Bielefeld kamen in den vergangenen Jahren Kleinkinder durch herabfallende Fernseher ums Leben.

Der offenbar allzu enge Kontakt zwischen Kind und Fernsehen kommt vermutlich auch daher, dass das Fernsehgerät heute gerne als Erziehungsersatz benutzt wird, wie auch die Kölnische Rundschau weiß:

Fast jedes fünfte Kind sucht Trost beim Fernsehen oder Computerspiel. Vor allem wer sich in der Familie weniger wohlfühlt oder in der Schule nicht so gut zurechtkommt, greift öfter zur Fernbedienung oder Computermaus.

Eine Frage, die ebenfalls laut Kölnischer Rundschau Kinder gerne stellen, dürfte für eines von ihnen nun beantwortet sein, nämlich ob es im Himmel auch Fernseher gibt.

Dreijähriger von Fernseher erschlagen – Kölnische Rundschau

"Geo" fälscht Artikel


09 Nov

Was der freie Autor Christian Jungblut mit der Redaktion der Zeitschrift „Geo“ erlebt hat, ist an und für sich schon ein Skandal. Die Redaktion hatte einen Artikel Jungbluts über den Deichbau in Holland so stark geändert, dass der Autor sich selbst und seine „Schreibe“ darin nicht mehr wiedererkannt und darum die Veröffentlichung untersagt hat. Doch „Geo“ und Chefredakteur Peter-Matthias Gaede interessierte das offenbar wenig, und man veröffentlichte den Beitrag unter dem Namen des Autors trotzdem. Der Autor klagte daraufhin vor dem Landgericht Hamburg und — bekam Recht.

Schon die Begründung für die Textänderungen ist haarsträubend, und Blogger Stefan Niggemeier fasst sie sarkastisch so zusammen:

Christian Jungblut hätte dankbar sein sollen, dass sein Text von der „Geo”-Redaktion überarbeitet und in so vielen Details geändert wurde, dass von seinem Schreibstil nichts übrig geblieben war. Der Anwalt von Gruner + Jahr teilte dem freien Journalisten mit, dass sein Manuskript von niemand geringerem als „einer Preisträgerin des 1. Preises beim Henri-Nannen-Preis 2008 — bekanntlich dem Nachfolger des Kisch-Preises — redigiert wurde”. Auch Peter-Matthias Gaede, der Chefredakteur von „Geo”, sei „als ein Preisträger des 1. Preises beim Kisch-Preis 1984 (…) sicherlich über jeden Zweifel erhaben”. Jungblut selbst hingegen hat nur einen 3. Platz beim Kisch-Preis 1986 vorzuweisen.

Doch was mit der Begründung der Hamburger Richter aktenkundig geworden ist, das ist noch ein anderer Umstand. Die Geo-Redaktion hat nämlich offensichtlich nicht nur den Artikel Jungbluts auf entstellende Weise umgedichtet, nein, man hat auch „Zitate geändert“:

Das Landgericht urteilte, dass der Verlag sein Bearbeitungsrecht überschritten hat. In der Begründung listet es akribisch die Veränderungen auf, die die Redaktion vorgenommen hat: „Kaum ein Satz des Klägers wurde wortwörtlich übernommen.” Auch Zitate von Personen und kleinste sprachliche Besonderheiten seien verändert worden. Ohne Zustimmung des Autoren hätte „Geo” diese Bearbeitung nicht veröffentlichen dürfen.

Das bedeutet doch wohl, dass in der betreffenden „Geo“-Ausgabe Menschen mit Worten zitiert wurden, die sie so nie gesagt haben. Und das bedeutet doch wohl, dass „Geo“ die Zitate gefälscht hat. Und das bedeutet doch wiederum, dass „Geo“ nicht nur ein Fall fürs Gericht, sondern auch für den Presserat ist. Und schließlich bedeutet das doch wohl, dass die Leser selbst darüber abstimmen sollten, wie sie das journalistische Verhalten von „Geo“ finden: Indem sie es nicht mehr kaufen und lesen.

Stefan Niggemeier

Revolverblatt ohne Pistoleros


08 Nov

Wie der Kölner Stadtanzeiger mit Rechtsradikalen umgeht

Am vergangenen Donnerstag fand in der Kölner NS-Dokumentationsstelle („El-De-Haus“) eine Veranstaltung über das Wirken der rechtspopulistischen Gruppierung „ProKöln“ statt.  Der ausgewiesene Kommunalexperte Frank Überall und die Journalistin Charlotte Schwalb informierten über das Treiben der Rechtsextremisten. Währenddessen hielten etwa 20 Anhänger von „ProKöln“ eine behördlich genehmigte sogenannte Mahnwache ausgerechnet vor der NS-Dokumentationsstelle ab.  Dem Kölner Stadtanzeiger war die Veranstaltung im Innern des Gebäudes keine Zeile wert. Mutmaßlich war im Blatt einfach nicht genug Platz zwischen Artikeln mit Überschriften wie „Mit abgebrochener Bierflasche beinahe ein Ohr abgetrennt“ und „Tribute zum Jubiläum der Fööss“ (wobei der Plural „Tribute“ in Zweiterer auch noch sträflich falsch ist). Einzig ein paar unlesenswerte Zeilen über die „Mahnwache“ verlor das Blatt:

„Gekommen waren etwa 20 Rechtsextreme, die sich etwa 150 Gegendemonstranten gegenüber sahen, die sich bereits vor dem Gebäude aufgebaut hatten. Die Polizei trennte die beiden Gruppen und verweigerte den Rechten den Zugang zum Gebäude. Nachdem diese sich zurückgezogen hatten, löste sich die Menschenansammlung auf.“

So kann eine Tageszeitung auch Stellung beziehen. Im hauseigenen Videochannel war allerdings eine kleine Dokumentation zu den Ereignissen zu sehen: Videos

rote Liste der aussterbenden Presse


04 Nov

Dass Tageszeitungen eines Tages aussterben, berichten paradoxerweise gerade Tageszeitungen wohl mit einem gewissen wohligen Schauer selbst in großer Regelmäßigkeit. Nun hat ein amerikanischer Futurologe, Ross Dawson, einen Zeitplan für den Todeskampf der Zeitungspresse aufgestellt.

newspaperextinction

In den USA ist der Zeitungstod damit unmittelbar bevorstehend. Deutschland hält sich den Luxus eigener Tageszeitungen noch eine geraume Weile. Schließlich aber, so der Zukunftsforscher, werden nur noch Dritt-Welt-Länder Öffentlichkeit über Tageszeitungen herstellen. Spiegel Online schreibt dazu:

Was der Mann sagt, ist nur, dass der Übergang von der Papier- zur E-Paper-Leseform unmittelbar bevorstehe. Überall da, wo man sich das leisten kann, werde diese vollzogen, sobald E-Paper so dünn, leicht und flexibel sein wird wie Papier. Populär ist diese Botschaft bei den Managern der Medienwelt auch deshalb, weil sie alle bereits Millionen in diese Vision investieren – da nimmt man Bestätigung gern mit.

Dawson geht allerdings von klaren Voraussetzungen aus, deren Einhaltung womöglich seinen Zeitplan etwas durcheinander bringen könnte:

Wenn der E-Reader in aufgerollter Form in der Brusttasche eines Hemdes nicht mehr stört, wenn er trotzdem Hunderte stets aktuelle Seiten vorhält, wenn er zudem nur noch zehn Dollar kostet, wie Dawson prognostiziert, wer würde dann noch Papier nutzen wollen? 2040 wahrscheinlich wirklich niemand mehr.

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter