Archive for Januar, 2011

Wenn Multitasking tödlich endet


28 Jan

Es gab Zeiten, da konnten Computer nur eine einzige Aufgabe gleichzeitig. Wollte man beispielsweise vom Schreibprogramm in die Tabellenkalkulation wechseln, musste man erst das eine Programm schließen, um das andere zu öffnen. Dann kam „Multitasking“, und es wurde zum Schlagwort für ein ganzes Zeitalter. Heutet müssen Arbeiten, Prozesse, Kommunikation und sogar die Freizeitgestaltung gleichzeitig ablaufen, die totale Multitaskisierung des gesellschaftlichen Lebens. Dabei sind wir für Multitasking gar nicht geschaffen, und das kann Folgen haben. Sogar tödliche:

Im Hightech-Krieg sorgt die rapide anwachsende Flut von Information und Kommunikation für Stress. Das ist kein akademisches Problem, wie aktuelle US-Untersuchungen zeigen: In einem konkreten Fall verlor eine Drohnen-Crew den Überblick – und 23 afghanische Zivilisten mussten sterben.

Bei Spiegel Online ist nachzulesen, wie es zu dem Desaster kommen konnte:

Februar 2010, eine Airforce-Base im US-Bundesstaat Nevada: Ein Drohnen-Steuermann und sein Team beobachten eine Menschenansammlung in Afghanistan. Sind es feindliche Kräfte? Oder Zivilisten? Die Mannschaft wertet die Bilder aus, der Stress nimmt zu. Der Mann und sein Team stehen unter kommunikativem Feuer: Neben der Evaluierung der Videobilder arbeiten sie eine Fülle von Instant-Messenger-Nachrichten, Funksprüchen und Anrufen ab – von Vorgesetzten, von Bodentruppen vor Ort, angeblich auch private Nachrichten, möglicherweise sogar von ihren Kindern. Gleichzeitig treffen sie ihre Entscheidung. Nach bisherigem Kenntnisstand ist es eine Fehleinschätzung, die 23 Zivilisten ihr Leben kostete. Der Fall wird noch untersucht und könnte zu einem Militärgerichtsverfahren führen.

In einem bemerkenswerten Artikel der New York Times ist nachzulesen, dass der „data overload“ gerade im militärischen Bereich überaus fatale Entwicklungen genommen hat. Allein die Datenfülle, die durch elektronische Spähtechnik in jedem Augenblick zusammengetragen wird, seei um 1600 Prozent gestiegen. Parallel dazu wachse mit der immer besseren kommunikativen Vernetzung auch das Kommunikationsaufkommen. Problematisch daran: Ausgewertet wird diese Datenfülle am Ende von Menschen, die darauf basierend Entscheidungen zu treffen haben, die Menschenleben kosten können. Und dabei, berichtet die Times, könne es zu fatalen Fehleinschätzungen kommen.

Dass der Mensch und sein Gehirn für Multitasking gar nicht geschaffen sind, darüber ist sich die psychologische Forschung einig. Experimente an der RWTH Aachen haben ergeben, dass Gleichzeitigkeit für das Gehirn ein Fremdwort ist. Der zuständige Wissenschaftler, Prof. Iring Koch sagt dazu in einem Interview der Deutschen Welle:

„Es ist tatsächlich so, dass man eigentlich die Dinge nicht gleichzeitig macht. Wir reden hier über zeitliche Abschnitte von hundert Millisekunden oder noch weniger, so dass man eigentlich immer zwischen den einzelnen Aufgaben, zwischen den kognitiven Prozessen, den Denkprozessen hin und her wechselt. Man kann eigentlich nicht zwei Reaktionen oder zwei Entscheidungen gleichzeitig fällen, sondern erst die eine und dann die andere, nacheinander.“

Auch mit dem Vorurteil, dass Frauen eher zu Multitasking befähigt seien als Männer, muss aufgeräumt werden. Auf Geschlechterstudien.de ist dazu zu lesen:

Die Neurobiologin Kirsten Jordan hat sich mit diesem Thema auseinander gesetzt und festgestellt, dass es für die Behauptung, Frauen seien Multitaskingbegabter, absolut keine Beweise gibt. Entgegen vieler Behauptungen gibt es nämlich tatsächlich keine Studien aus denen eine solche Aussage hervorgeht.

Untersuchungen zeigen, dass wir bei der Ausübung einer vielschichtigen Tätigkeit Routine entwickeln können, so dass uns auch bei Multitasking-Tätigkeiten die Dinge schneller von der Hand gehen.

Bei neuen Aufgaben stehen Männer wie Frauen jedoch gleichermaßen unbeholfen da. Sie müssen erst mit den Abläufen vertraut werden, bevor sie zwischen verschiedenen Tätigkeiten zügig hin und her springen können.

US-Militär: Tod durch Multitasking – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Netzwelt

10 Fakten über das World Wide Web


27 Jan

Die B.Z. hat heute eine kleine Liste mit Fakten über das WWW veröffentlicht:

► 107 Billionen E-Mails wurden 2010 weltweit verschickt – 15.440 Mails für jeden Menschen auf der Erde. Das ergibt 293 Milliarden Mails pro Tag, oder 3,4 Millionen pro Sekunde.

► 89,1 Prozent aller Mails sind automatisiert verschickter Spam.

► 7,8 Millionen Follower hat Popstar Lady Gaga bei Twitter – damit ist sie die Nummer eins im Nachrichten-Netzwerk.

► 80 Prozent aller Fotos, die im Internet kursieren, zeigen nackte Frauen.

► 1,97 Milliarden Menschen nutzen das Internet – 28,4 Prozent der Weltbevölkerung.

► 25 Milliarden Nachrichten wurden 2010 weltweit auf Twitter geschrieben – 68 Millionen am Tag, 793 pro Sekunde.

► 600 Millionen Mitglieder hatte Facebook Ende 2010 – das sind 8,6 Prozent der Weltbevölkerung. Knapp jeder dritte Internetnutzer weltweit ist somit bei Facebook angemeldet.

► 30 Milliarden Einträge, also Texte, Kommentare oder Fotos, landen jeden Monat auf Facebook.

► 2 Milliarden Videos werden täglich auf YouTube angeschaut – mehr als 23.000 pro Sekunde. Heißt: Jeder Internetnutzer sieht statistisch etwa ein YouTube-Video am Tag.

► 35 Stunden Videos werden jede Minute auf YouTube hochgeladen.

Internet-Fakten: 10 Fakten über das World Wide Web – B.Z. Berlin – World Wide Web , Internet, Statistik, Lady Gaga, Facebook, Twitter

Facebook als Scheidungsgrund


27 Jan

Wie die Berliner Zeitung heute zu berichten weiß, soll jede fünfte Ehescheidung in den USA mittlerweile auf Facebook zurückgehen. So berichtet Emma Patel, Familienanwältin und Chefin einer Kanzlei, dass allein in ihrem Büro in den vergangenen neun Monaten dreißig Scheidungsfälle in Verbindung mit dem Internetdienst gebracht wurden:

Bei einigen war plötzlich der Beziehungsstatus des Partners im Netz auf Single umgestellt worden, bei manchen waren zweideutige Fotos mit anderen Menschen zu sehen gewesen – Grund genug zur Trennung.

Die ganz große Neuigkeit (und das auch noch auf der Titelseite!) ist das allerdings nicht. Die Süddeutsche Zeitung berichtete über den selben Umstand bereits im Dezember letzten Jahres:

Immer mehr Ehepartner finden dort den Beweis, dass sie hintergangen werden. In Form von anzüglichen Fotos beispielsweise. Oder zweideutigen Nachrichten. Die „American Academy of Matrimonial Lawyers“ (AAML), eine 1962 gegründete Vereinigung von rund 1600 US-Scheidungsanwälten fand nun heraus: Jede fünfte Scheidung in Amerika geht auf Facebook zurück.

Und auch das war schon nur minder originell. Denn fast die gleiche Geschichte war bereits ein Jahr zuvor im Stern zu lesen. Da spielte sie noch in Großbritannien, war aber ansonsten nahezu deckungsgleich:

Der Boom von Online-Netzwerken wie Facebook treibt laut Medienberichten die britische Scheidungsrate in die Höhe. Anwälte hätten demnach deutlich mehr Aufträge von Eheleuten erhalten, die auf solchen Internetseiten eine Affäre ihres Partners aufgedeckt haben. In jeder fünften Ehetrennung werde ein ausufernder Facebook- Flirt gegenwärtig als Scheidungsgrund angegeben – Tendenz steigend, sagte ein Sprecher einer Anwaltskanzlei dem „Daily Telegraph“.

Immerhin, der SZ-Artikel bietet die unter Umständen tröstliche Einsicht, dass nicht jede Ehekrise in Technologiekritik münden muss. Denn:

Der Eheberater Terry Real glaubt, dass einige Nutzer von Facebook dort ein Fantasieleben kreieren um ihrem Alltag zu entrinnen. „Das Problem ist aber nicht Facebook“, zitiert ihn die Daily Mail. „Sondern der Verlust der Liebe in der Ehe.“

Fremdgehen in sozialen Netzwerken – Scheidungsgrund: Facebook – Leben & Stil – sueddeutsche.de

Kölner Stadt-Anzeiger: Der Sieger ist Opposition


25 Jan

Wie kann das denn eigentlich sein? In Portugal wird der Präsident Anibal Silva wiedergewählt, und der Kölner Stadtanzeiger weiß zu vermelden:

Der Politiker der rechtsliberalen oppositionellen Sozialdemokratischen Partei PSD errang im ersten Gang der Präsidentenwahlen nach amtlichen Hochrechnungen einen haushohen Sieg.

Bisher ging man doch davon aus, dass der Verlierer Opposition ist. Beim Stadtanzeiger ist es manchmal eben auch der Gewinner.

Präsident Cavaco Silva in Portugal wiedergewählt – Kölner Stadt-Anzeiger

Der "Spiegel" fleischlos


21 Jan

Bei all dem Dioxin und anderen Schweinereien im Hühnerfleisch und sonst in der Nahrungskette darf es nicht überraschen, dass auch die Nachrichtenkette nicht bruchlos durchgehalten werden kann. Jedenfalls nicht beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Im verlagseigenen Windows-Nachrichten-Widget wird als „Topmeldung“ verkündet:

Spiegel_fleischlos

Doch folgt man diesem Link, erscheint: gar nichts. Selbst die Suche auf der Spiegel-Internetseite ergibt keinen Fund:

Spiegel_fleischlos2

Wenn der Spiegel erneut zu Tische bittet, muss man hoffen, nicht wieder vor leeren Tellern zu sitzen.

Suche – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten

Kölner Stadt-Anzeiger: Nachtragshaushalt gesperrt


20 Jan

Ich beantrage hiermit vor dem NRW-Verfassungsgericht, dem deutschen Presserat und der Versammlung aller gutmeinenden und halbwegs intelligenten Zeitungsleser, dem Kölner Stadtanzeiger den Nachtragshaushalt für das laufende Veröffentlichungsjahr 2011 zu sperren. Bis zur Offenlegung aller Fakten möge der Kölner Stadtanzeiger seine Publikationstätigkeit ruhen lassen oder solchen Leuten überlassen, die etwas davon verstehen.

Denn das ist nun doch ein Bubenstreich! Da sperrt ein Landesverfassungsgericht auf Antrag der parlamentarischen Opposition den Haushalt des Landes NRW. Und da berichtet der Kölner Stadtanzeiger in seiner Ausgabe vom 19.01.2011 auf der Titelseite sowie als „Tagesthema“ auf Seite 2 und 3 über den Kasus. Und da schafft es dieses Blatt, auf nahezu drei großen Zeitungsseiten, ihren Lesern nicht mitzuteilen, in was eigentlich der Antrag der Landtagsopposition bestand und mit was das Gericht seine Entscheidung begründet! Das ist nicht Schlampigkeit oder Schludrigkeit, das ist Desinformation in Reinkultur. obwohl: Kultur?

KStA_Haushalt

Auf der Internetseite dieser Zeitung wird sogar die „Anordnung zum Nachtragshaushalt 2010“ des Gerichts zitiert und der Kölner Stadtanzeiger schafft es zielgenau, gerade solche Zitate heruaszupicken, die garantiert keinen Aussagewert haben und wirklich rein gar nichts über eine Begründung oder die Ziele der Antragsteller verraten. Haushalte können vor Gericht gestellt werden. Zeitungen nicht. Obwohl es manchmal Gründe gäbe.

Nachtragshaushalt in NRW untersagt – Kölner Stadt-Anzeiger

So dolle sind E-Mails nämlich vielleicht gar nicht


18 Jan

Elektronische Post ist vielleicht gar kein Kommunikationsmittel, sondern ein Anti-Kommunikationsmittel. Forscher raten beispielsweise, in Konfliktfällen keinesfalls nur Email zu greifen, wie der österreichische Standard vermeldet:

Gerade für Teams sind E-Mails nur bedingt geeignet. Wissenschaftliche Untersuchungen sind zu dem Schluss gekommen, dass wir in E-Mails schneller sarkastisch und für das Team unter dem Strich unproduktive Äußerungen tätigen. Konflikte zwischen Teammitgliedern sollten daher unter keinen Umständen via E-Mail ausgetragen werden. Denn in vielen Fällen kommt es zu Missverständnissen und emotionalen Kränkungen, die häufig in Eskalationen enden. Zur Klärung raten Fachleute auch aus zeitsparenden Gründen, lieber miteinander zu sprechen.

Nach einer Studie des britischen Henley Management College wird wertvolle Arbeitszeit durch unproduktives Herumstöbern in seinem Emailpostfach vernichtet, berichtet der Spiegel:

40 Minuten hochbezahlte Arbeitszeit werden tagein, tagaus durch E-Mails unproduktiv vernichtet, so eine europaweite Befragung des britischen Henley Management College unter 180 Führungskräften. Manager vergeuden im Lauf ihres Berufslebens also im Schnitt drei wertvolle Lebensjahre mit dem Sichten von überflüssiger, unnützer Post.

Man muss seine Emails noch nicht einmal lesen, um seine Zeit zu verschwenden. Es reicht, dass neue elektronische Post da sein könnte:

Auch das verführerische Computersignal "Sie haben Post!" ist der reinste Zeitfresser. Karen Renaud untersuchte dieses Phänomen näher. Die Befragten sagten, sie schauten allenfalls jede Stunde nach. Tatsächlich aber gingen sie ihre Mails alle fünf Minuten durch. Dabei sind die ständigen Unterbrechungen schädlich für den geistigen "Flow". Glaubt man einer Studie der Universität Cardiff und einer Studie von Thomas Jackson, dann brauchen wir schon für eine fünfsekündige Unterbrechung, ausgelöst etwa durch E-Mails, jedes Mal durchschnittlich 64 Sekunden, um uns wieder auf die alte Aufgabe zu konzentrieren.

107 Billionen Emails sind im Jahr 2010 verschickt worden, eine Zahl mit zwölf Nullen, wie der Internetdienst pingdom.com herausgefunden hat. Allerdings heißt das nicht, dass die Menschheit ungeheuer kommunikativ geworden sei. Denn ebenfalls laut pingdom.com sind 89 Prozent aller versendeten Emails Spam, also digitaler Werbemüll.

E-Mails vernichten täglich 40 Minuten Arbeitszeit – Netzpolitik – derStandard.at › Web

Wikipedia: Geburtstag eines Kuriositätenkabinetts


15 Jan

Das Wochenblatt Die Zeit in gewohnter Bescheidenheit bezeichnete die Onlineenzyklopädie als nicht weniger als “das größte gemeinsam geschaffene Werk der Menschheit”. Andere bewerten die Mitmachenzyklopädie, die nun ihren 10. Geburtstag feiern darf, deutlich kritischer: Die Süddeutsche Zeitung spricht vom “Brockhaus des Halbwissens” (14.08.2004) und sogar Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales bezeichnet einige Artikel als nahezu “unlesbaren Mist”. Das Wissenschaftsmagazin Nature hatte die Onlineenzyklopädie in einem Vergleichstest evaluiert:

Das Magazin unterzog die Wikipedia einem exemplarischen Review: 42 Artikel aus der Wikipedia und der Encyclopaedia Britannica zu verschiedenen Wissenschaftsbereichen wurden von Experten geprüft. Das Ergebnis: In beiden Quellen wurden jeweils vier schwerwiegende Fehler entdeckt – ein überraschender Gleichstand.

Dass das Referenzwerk ebenfalls Fehler aufweist, erlaubt allerdings nicht den Umkehrschluss auf die Qualität von Wikipedia. Zumal der Test auch ergab:

In der B-Note, den Faktenfehlern, Auslassungen und missverständlichen Formulierungen, musste sich das knapp fünf Jahre alte Online-Projekt dem altehrwürdigen Konkurrenten geschlagen geben: 162 solcher Fehler fanden sich bei Wikipedia und 123 bei der Encyclopaedia Britannica.

Auch die Hymne vom kooperativen Werk, die nicht nur von der Zeit angestimmt wird, zählt mehr zur Selbstapotheose von Wikipedia. Tatsächlich ist der Zahl der aktiven Mitwirkenden, wie Telepolis nachgerechnet hat, relativ klein:

Der Anteil der Nutzer, der tatsächlich an der Wikipedia mitarbeitet, ist jedoch verschwindend gering – lediglich 1.000 Nutzer schreiben und editieren regelmäßig aktiv Artikel. Der technokratische Nukleus der deutschen Wikipedia besteht sogar aus gerade einmal 300 Nutzern, die sich Administratoren nennen dürfen. Noch nie entschieden so wenige über das Wissen so vieler. Für 82 Millionen Deutsche stellt die Wikipedia eine Instanz des Wissens dar. Waren die Stalin-Noten ernst gemeint? Wie sicher ist Atomkraft? Was ist eigentlich Soziale Marktwirtschaft? In all diesen Fragen ist die Wikipedia für viele Deutsche die erste Anlaufstelle. Sie verwaltet nicht nur Wissen, sie entscheidet auch, welches Wissen relevant ist, was zitierfähig ist und was nicht. Doch wer ist "die Wikipedia"? Wenn es um Entscheidungen geht, zählen nicht die Leser, sondern die Administratoren – vom Ideal einer Mitmachenzyklopädie ist die Wikipedia weiter entfernt denn je.

Und auch über den Typus Mensch, der sich da zum Verwalter des Wissens vom Schlage Wikipedia aufschwingt, hat Telepolis spekuliert:

Die Herren der Wikipedia sind größtenteils jung, männlich und technikaffin – kurz "nerdig". Für einen solchen Nerd ist jede Nebenfigur in Star Wars relevant, während andere Themen in seinem Paralleluniversum gar nicht vorkommen. Ein Admin muss auch keine Qualifikation nachweisen, er verlässt sich – eine Web-2.0-Unsitte – auf Quellen, die möglichst offen im Netz verfügbar sind. So kann es vorkommen, dass ein junger Informatiker einem Geschichtsprofessor kurz und schmissig erklärt, dass dessen mühevoll eingestellter Beitrag irrelevant sei. Der Kern der Wikipedia gleicht vielmehr einem technokratischen System. Wenn sich solche Systeme etablieren, kristallisiert sich immer der gleiche Menschentypus heraus, der sich an die Spitze dieser Systeme stellt. In den erlauchten Kreis der Administratoren wird man natürlich nur aufgenommen, wenn man immer brav im systemischen Mainstream schwimmt und sich nicht durch kontroverse Kritik hervortut.

Lösch-Schlachten rund um umstrittene oder einfach unliebsame Artikel werden regelmäßig aufgrund fragwürdiger selbstgesetzter “Relevanzkriterien” geführt. “Relevanz oder Firlefanz” fragte nicht nur die Netzeitung, als der Streit darum eskalierte, welche Einträge eigentlich in Wikipedia erscheinen dürfen und welche nicht. Eine reale Existenz scheint jedenfalls kein Kriterium für Relevanz zu sein:

Die (…) zur Löschung vorgeschlagenen superschweren Elemente Ununennium, Unbinilium, Unbibium, Unbipentium, Untrinilium undsoweiter haben allesamt ihre Löschanträge überlebt. Obwohl es sie noch gar nicht gibt, da sie erst durch Kernfusion synthetisiert werden müssten, was jedoch noch nicht geschehen ist.

Eine große Zahl gelöschter Artikel ist übrigens dennoch für die Netzwelt nicht verloren. Die Website deletionpedia.com hat mehr als 60.000 gelöschte Artikel versammelt. Andererseits mutet es nicht nur dem unbefangenen Leser oder User, sondern offenbar auch den Wikipedia-Machern selbst zum Teil kurios an, was sich alles an fabulösen Einträgen in der Online-Enzyklopädie findet. Man hat ein eigenes Kuriositätenkabinett geschaffen, das die eigenartigsten – und so ist anzufügen: fragwürdigsten – Lemmata versammelt. Verwundert reibt man sich die Augen, wenn man etwa einen Eintrag wie den über das Stichwort “Absurdistan” liest: Wie in rekursiver Selbstanwendung würde der Artikel selbst in sich aufgenommen gehören. Für den Literaturwissenschaftler ist beispielsweise auch der Eintrag über Günter Grass’ epochalen Roman Die Blechtrommel äußerst schmerzhaft. Dort liest sich, auf dem sprachlichen Niveau eines Realschüleraufsatzes jüngeren Jahrgangs, folgender inhaltlicher wie philologischer wie sprachlicher Unsinn:

Der Wahrheitsgehalt von Oskars Geschichten erscheint oft zweifelhaft. Zunächst ist er zum Zeitpunkt, an dem sein Bericht 1952 beginnt, Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt und als solcher möglicherweise verrückt und demnach nicht sehr vertrauenswürdig.

Und so lautete der vollständige (!) Artikel zum Stichwort “Nordsee” auf Wikipedia.de im Jahr 2001:

Die Nordsee ist ein Mehr, ein teil der Atlant, zwischen Grossbritannien, Skandinavien, und Friesland. Siehe auch Kattegatt, die Niederlanden, Deutschland.

Kurios ist übrigens nicht nur den Inhalt von Wikipedia, sondern auch der Ursprung des Weblexikons. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales betrieb den Onlinedienst bomis.com, der insbesondere für seine pornographischen Inhalte bekannt war. Mit dem dort verdienten Geld und den Webressourcen von bomis gründete Wales erst die Nupedia, aus der später die Wikipedia hervorging. Die Geburt des Wissens aus dem Geiste der Pornographie: Auch die Mär von der angeblichen Werbefreiheit von Wikipedia hält einer Überprüfung nicht unbedingt stand. Der Webdienst wikipedia-watch weist daraufhin, dass die Inhalte von Wikipedia sehr häufig auf Websites zu finden sind, die insbesondere Googles Advertising unterliegen: Die größte Onlineenzyklopädie könnte auf diese Weise zum größten Produzenten von Web- und Werbemüll, kurz: “spam”, werden. Happy birthday!

Wikipedia:Kuriositätenkabinett – Wikipedia

Apropos Facebook


11 Jan

Im Eintrag über den Onlinedienst Facebook bei Wikipedia fand ich unter „Sonstiges“ folgenden Eintrag:

Wie andere soziale Netzwerke steht auch Facebook im Verdacht, von Arbeitgebern verwendet zu werden, um Angestellte zu überwachen. Bestätigt werden diese Eindrücke durch einen Fall im November 2008 aus der Schweiz, wo eine krankgeschriebene Versicherungsangestellte ihre Stelle verlor, weil der Arbeitgeber ihre Aktivität auf Facebook verfolgen konnte, während der Frau offiziell Bettruhe verordnet war.[84] Fälle, in denen Arbeitnehmer die Stelle verloren, weil sie sich auf Facebook abschätzig über ihre Arbeitgeber geäußert haben, sind aus Australien bekannt.[85] Im März 2010 wurde ein Fall aus der Region Manchester publik, in dem einer Aushilfskellnerin eines Cafés gekündigt wurde, indem der Arbeitgeber die Kündigung unter Angabe des Kündigungsgrundes auf der Pinnwand der 16-Jährigen veröffentlichte.[86]

Unter der Adresse quitfacebookday.com sollen sich übrigens schon mehr als 38.000 Unterzeichner gefunden haben, die wegen der Verstöße gegen Persönlichkeitsrechte gemeinsam die Internetplatform verlassen wollen.

Facebook – Wikipedia

Kölner Stadtanzeiger und die Geschichte des Internet


10 Jan

Was meint eigentlich der Autor, wenn er im Magazin des Kölner Stadtanzeigers anlässlich einer Filmkritik zu Tarantinos Erstlingswerk Reservoir Dogs schreibt:

„1992, als die Internet-Propaganda noch nicht ihr heutiges Level erreicht hatte und Facebook ein unbekanntes Doppelwort war …“

1992 konnte das Internet noch gar kein Propaganda-Level erreichen, denn 1992 gab es das Internet, jedenfalls in seiner heute bekannten Art als Massenmedium, noch gar nicht. Der erste populäre Web-Browser, Mosaic, kam erst 1993 auf den Markt und läutete den Siegeszug des neuen Mediums ein. Aber beim Kölner Stadtanzeiger gehen die Uhren eben anders.

Internet – Wikipedia, the free encyclopedia

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter