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Spiegel: Bizarrerien einer Edelfeder


07 Mrz

Matthias_Matussek_Mm_5_1Warum haben nur die beiden großen deutschen Wochenblätter solches Pech ausgerechnet mit ihren Kulturchefs? Der Feuilletonchef der Zeit gilt in Kollegenkreisen als “der schlechteste Kulturchef aller Zeiten”. Und der Spiegel musste seinem Kulturchef Matthias Matussek sogar den Stuhl vor die Tür setzen, maßgeblich weil, wie die Tageszeitung Die Welt kolportierte, “seine unangemessenen Umgangsformen und sein Hang zur Cholerik” nicht mehr akzeptabel waren. Nun hat Matussek es wieder getan, nämlich die Contenance verloren. Kurz nach Amtsantritt des neuen Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich wollte selbiger gerne auf sich aufmerksam machen. Das geht in CDU/CSU nach wie vor bestens mit integrationskritischen, vulgo: ausländerfeindlichen, Äußerungen. Und so erklärte der Minister:

Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt.

Das war wohl nach dem Geschmack des Jesuitenschülers Matussek, der nebenbei gerne auch den Zölibat verteidigt, und auf Spiegel Online schrieb er:

Natürlich hat Innenminister Hans-Peter Friedrich recht, wenn er sagt, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört. Es deckt sich mit dem, was der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen in Deutschland lebenden türkischen Landsleuten vor wenigen Tagen mahnend zugerufen hat, als er sie erneut vor der Assimilation warnte. Erdogan appelliert an die, die nicht dazugehören, nicht dazugehören wollen, und von denen gibt es einige.

Allein Matusseks letzte Formulierung zeigt, dass er selbst es mit Fakten auch nicht allzu genau nimmt. Der Hinweis auf sogenannte Integrationsunwillige bezieht sich auf Äußerungen eines anderen Innenministers, nämlich Friedrichs Amtsvorgänger Thomas de Maizière. Der hatte im Herbst vergangenen Jahres von 10 bis 15 Prozent “integrationsunwilligen” Ausländern in Deutschland gesprochen. Wo de Maizière diese Zahl herhatte, wollte er nicht sagen. Er gab an, es gehe ihm um solche Mitbürger ausländischer Herkunft, die nicht zu Integrationskursen gingen oder diese vorzeitig abbrachen. Die Süddeutsche Zeitung hatte nachrecherchiert und kam zu einem ganz anderen Ergebnis:

Wie eine Umfrage der SZ unter den Bundesländern zeigt, gelten Integrationsverweigerer jedoch kaum als Problem. Hamburg etwa erklärte, es handle sich "nur um wenige Personen", Schleswig-Holstein registrierte im vergangenen Jahr 40 Schwänzer (bei 1531 Kursabsolventen), Sachsen einen einzigen (fast 2300 Absolventen), und im Saarland blieb niemand unentschuldigt den Kursen fern. Die höchsten Zahlen verzeichnete Hessen, das bei fast 6200 Absolventen 102 Schwänzer feststellte und 23 Bußgeldverfahren einleitete. Doch auch das sind deutlich weniger als zehn Prozent.

Dass Matusseks Einlassungen reine Polemik sind, zeigt der Umstand, dass er für sich selbst die Maßstäbe nicht gelten lässt, die er an andere anlegt. Stattdessen geht er in den Sarrazin-Modus über, wittert “Skandale” und “Erpressung”:

Die Reaktionen auf den Innenminister dagegen verlassen sich auf das vertraute Gemisch aus lautstarker Empörung und politischer Erpressung, statt zur Sache zu reden. Und das ist der wahre Skandal.

Redet denn Matussek zur Sache? Ob nun der neue Bundesinnenminister mit seiner nicht sehr originellen Provokation recht hat, hängt sehr stark davon ab, wie man den Ausdruck “zu Deutschland gehören” definiert. Und ob das die “Historie” hergibt, ist wiederum abhängig vom Geschichtsbild. Wer dies allerdings tatsächlich verneint, der sollte umgehend aufhören, arabische Ziffern zu benutzen. Denn die stellen tatsächlich ein historisches Erbe des Islam in der europäischen Kultur dar. Und nebenbei: Ob Astronomie oder Mathematik, Theologie oder Architektur – der Einfluss der islamischen Kultur in ihrer Blüteperiode ist wohl kaum hoch genug einzuschätzen. Und das zu einer Zeit, als die Vorfahren von Friedrich und Matussek buchstäblich hinterm Wald lebten. Wer’s nachlesen möchte, dem sei Sigrid Hunkes Standardwerk Allahs Sonne über dem Abendland. Unser arabisches Erbe (Frankfurt/Main 1990) anempfohlen. Und wer nun dagegenhält, das sei aber doch alles mächtig lange her, dem kann man zwar nur recht geben. Aber dann sollte man eben nicht mit der “Historie” argumentieren.

Unterm Strich bleiben die Äußerungen Friedrichs und Matusseks das, als was auch die Kritiker sie identifiziert haben: Ausländerfeindliches Ressentiment ohne Bodenhaftung. Wie unsinnig letztlich die Frage ist, ob jemand historisch oder sonstwie “zu Deutschland gehört”, offenbart sich, wenn man eine kleine Ersetzungsprobe macht und versuchsweise das Wort “Islam” in Friedrichs Äußerung ersetzt: Gehören Rothaarige zu Deutschland? Gehören Pommes-Frites zu Deutschland? Auf solche Fragen findet jeder seine eigene Antwort nach Belieben. Was so erzeugt wird, sind aber keine Tatsachenbehauptungen, sondern Stimmungen. Und zwar von Stimmungsmachern. Wen wundert’s, dass Matusseks Polemik auf einschlägigen Websites entsprechend gefeiert wird:

Sein aktueller Kommentar zur Debatte um Innenminister Hans-Peter Friedrichs Aussage, der Islam gehöre historisch nicht zu Deutschland, liest sich wie ein Sammelsurium politisch inkorrekter Argumente und ist angesichts dessen, was dem Leser im Spiegel sonst üblicherweise serviert wird – eine wahre Sternstunde!

Mögen sich Friedrich, Matussek und Consorten zu Retten des Abendlands aufschwingen. Abendland, das ist, wenn man Gute Nacht sagt.

Islam-Debatte: Warum der Minister recht hat – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik

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