Archive for Mai 23rd, 2011

Spiegel Online: Wenn aus Edelfedern Zauselkrausel werden


23 Mai

Früher war ja, wer im Feuilleton schreiben durfte, schon von Amts wegen eine edle Feder: Schließlich musste man das Wort Feuilleton richtig aussprechen und korrekt schreiben können, das schuf die nötigen Zugangshürden. Wer heute etwa Romane oder Erzählbände rezensiert, der muss so wenig noch von der Schönheit der Sprache verstehen wie diejenigen, die ebenjene Werke heute schreiben. Zum Beispiel ein Peter Henning bei Spiegel Online, der den Erzählband „Trieb“ des Kölner Journalisten (!) Jochen Rausch besprechen darf:

Rausch, der 2008 mit dem Debütroman „Restlicht“ debütierte …

Wir vermuten, dies war das Rezensionsdebüt des debütierenden Rezensenten. Murksig geht’s weiter im Blätterwald leidender Rezensionsrezensenten:

Nach vollbrachter Lektüre seiner Storys, die sich lesen lassen wie ein lustvolles Blättern im Katalog menschlicher Fehlbarkeit …

Wie liest man denn wohl ein „lustvolles Blättern“? Und ist der „Katalog menschlicher Fehlbarkeit“ etwa so dick wie der Otto-Katalog (der übrigens nicht witzig ist, obwohl er Otto heißt!), auf dass man in ihm überhaupt blättern könne? Und wieviele schmückende Adjektive darf eigentlich ein kritisierender Kritiker benutzen, der beim fatalen Objekt seiner rezensierenden Zuneigung ansonsten trockene „Schnörkellosigkeit“ zum allesüberbietenden Qualitätsmerkmal macht? Vielleicht so viele wie in dem geschätzt 10 Zeilen lang Satz, in dem zwei Protagonisten einer Kurzgeschichte

geradezu schicksalhaft und mit am Ende tödlicher Zwangsläufigkeit aufeinander zustreben, dann hat Rauschs subtiler Trieb-Reigen seinen finster-faszinierenden Höhepunkt erreicht.

Es fehlt dann natürlich, wie bei allen Rezensionsanfängern, das unvermeidbare Name-Dropping nicht, um die eigene Kritikerbelesenheit auch ja zur Schau zu stellen, und auch die furiose Conclusio am Ende darf nicht fehlen. Sie lautet:

Endlich zeigt ein Hiesiger, wie variabel und mitreißend die erzählerische Kurzstrecke sein kann. Er tut es schnörkellos und ohne ein Gramm Fett. Dabei in der Machart fast amerikanisch, und doch mit Blick auf deutsche Verhältnisse. Lesen Sie Jochen Rausch. Es wird Sie umhauen. Versprochen!

Ja, das ist wirklich geschehen! Es hat mich umgehauen! Aber nicht das Buch von Jochen Rausch. Das ist vielleicht sogar ganz gut. Wer weiß?

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter