Archive for Juli, 2011

Kein Oscar für Sarrazin-Film


29 Jul
Thilo Sarrazin/Wikimedia

Für die geplante Dokumentation des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) über die Diskussion um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ wird es keinen „Oscar“ geben. Und das hat einen ganz einfachen Grund: Der rbb hat die Produktion abgeblasen. Ursprünglich war die Produktionsfirma „Lona Media“ damit beauftragt, die Folgen der Publikation in einem 455-minütigen Film darzustellen. Die Co-Autorin, Güner Balci, hat allerdings in der Zwischenzeit mit einem anderen Stückchen Fernsehjournalismus auf sich aufmerksam gemacht: Für die ZDF-Kultursendung „aspekte“ zog sie mit eben dem Buch-Autor und Ex-SPD-Politiker Sarrazin durch das Ausländerviertel Berlin-Kreuzberg, wo Sarrazin ein Döner Kebap verweigert wurde. Dies war sogar der Bildzeitung eine Schlagzeile wert: „Sarrazin von Türken aus Lokal verjagt“. rbb-Sprecher Justus Demme: „Mit der Ausstrahlung des ZDF-Stücks war der Stoff für uns verbrannt“. ‚Verbrannt‘ kann in diesem Zusammenhang als passende Metapher angesehen werden.

Räuberpistole in Hollywood-Manier

Was dann weiters geschah, war allerdings schon hollywoodesk: Die Produktionsfirma wollte sich den, womöglich lukrativen, Auftrag nicht entwischen lassen. Sie zog Balci von dem Projekt ab. Da die Autorin in dem bereits produzierten Material allerdings häufig im Bild auftauchte, mussten einige Einstellungen neu gedreht werden. Unter anderem ein Inteview mit FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Der stellt die erneute Kontaktaufnahme in seiner Zeitung so dar: „Es sei eine Katastrophe passiert. In der Firma sei eingebrochen worden, die Sarrazin-Bänder alle gestohlen“. Dies stellte sich aber ziemlich schnell als Notlüge heraus. „Lona Media“-Geschäftsführerin Nicola Graef wollte sich zu der Geschichte nicht äußern.

Medien in Deutschland nicht jugendfrei


26 Jul

Nach einer Meldung des Branchendienstes Meedia hat die Kommission für Jugendschutz (KJM) die deutschen Medien stark gerüffelt:

Eine ganze Reihe an Verstößen in Rundfunk und Internet hat die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) im zweiten Quartal 2011 festgestellt. Allein auf das RTL II-Format „X Diaries“ entfielen 31 der insgesamt 47 Fälle. Die Scripted-Reality-Produktion sei wegen ihrer aufdringlichen Darstellung von Sex und Alkohol und der derb-zotigen Sprachwahl für Jugendliche unter 16 Jahren als entwicklungsbeeinträchtigend zu bewerten. Zudem rüffelte die KJM die Live-Berichterstattung von N24 über das Geiseldrama in Manila.

Den ganzen Bericht der KJM kann man hier lesen.

Attentate in Norwegen: Wo bleiben die Islamisten?


25 Jul

Was ist nur mit den islamistischen Terroristen los? Jetzt überlassen sie das Feld schon nordischen Rechtsextremisten. Dabei hätten sie doch nur auf die deutsche Presse und das deutsche Fernsehen hören müssen, dann hätten sie gewusst, was zu tun ist. Der Branchendienst Meedia kommentiert:

Da können Journalisten noch so häufig über die Notwendigkeit der sorgfältigen Recherche sprechen – wenn es schnell gehen muss oder soll, brechen oft alle Dämme. Am vergangenen Freitagabend war es wieder so weit. In den ersten Stunden nach den Anschlägen in Oslo dominierten Experten und Kommentatoren die mediale Öffentlichkeit, die Panik vor einem islamistischen Anschlag schürten. Vorn mit dabei war auch die Nachrichtenagentur dapd.

Medienjournalist Stefan Niggemeier in seinem Beitrag „Wer solche Experten kennt, braucht keine Laien“ für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung spricht von „offensivem Nichtwissertum“ und fügt an:

Eine Explosion und ihre Interpreten: Die Fernsehberichterstattung
erwies sich einmal mehr als verheerende Kombination aus dem Zwang,
Inhalte zu produzieren, und dem Wunsch des Publikums nach unmittelbaren
Antworten.

Die Fuldaer Zeitung schrieb gar in einem Kommentar über „feiges Terrorpack“ und stellte den Beitrag später offline. Die Entschuldigung, die das Blatt dann nachschob, machte es allerdings nicht besser, sondern noch schlimmer:

Lange Zeit hat am Freitagabend Vieles darauf hingedeutet, dass die
beiden Anschläge in Norwegen von islamistischen Terrorristen begangen
worden sein könnten.

Nein, nichts hat auf „Anschläge in Norwegen von islamistischen Terrorristen“ (sic!) hingewiesen. Außer man meint, dass jede Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen automatisch auf islamistische Terroristen hinweist. Dann möchte man aber wissen, was die Fuldaer Zeitung nach der kommenden Sylvesternacht schreiben wird.

Der Papst und der Sexshop


25 Jul

Die „Zeit“ berichtet diese Woche darüber, dass der Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch im September im Berliner Problem-Stadtteil Neu-Kölln nächtigen wird. Illustriert wird der Artikel mit folgendem Bild:

Bildunterschrift: „Vor der Haustür beginnt der unkatholische Kiez“. Mal ganz ketzerisch gefragt: Was ist denn an einem Sex-Shop unkatholisch? Ist er nicht die katholischste Einrichtung, die man sich vorstellen kann?

Eine Krähe (Bild) hackt der anderen (RTL) doch ein Auge aus


24 Jul

Foto/Montage: RTL/Bild

Sitzen im Glashaus und werfen jetzt doch mit Steinen: Die Bildzeitung liegt im Clinch mit RTL. Und das wegen der Sendung „Mietprellern auf der Spur“ mit der Moderatorin Vera Int-Veen. O-Ton Bildzeitung:

Vor einer Woche zeigte RTL in der Sendung „Mietprellern auf der Spur“ die völlig verdreckte Wohnung von Familie J. aus Kalefeld. Vorwurf der Vermieterin: Die Familie soll die Wohnung beim Auszug in einem völlig verwahrlosten und verdreckten Zustand verlassen haben. Filmaufnahmen zeigen überall Dreck, Müll und Fäkalien. Mittendrin: Vera Int-Veen und Familie J., die von der Produktionsfirma in die alte Wohnung gelockt worden war.

Jetzt behaupten die ehemaligen Mieter: „Wir haben die Wohnung sauber hinterlassen. Die Produktionsfirma hat den Müll und Dreck in unsere alte Wohnung geschafft. Dafür gibt es sogar Zeugen.“ Einem Nachbarn sei sogar Geld geboten worden, damit er den Müll in die Wohnung schafft.

Eine Fernsehproduktion soll sich die Welt so gemacht haben, widde widde wie sie ihr gefällt? Das wäre ja das allerneueste. Sollte hier wirklich das Fernsehen sich die Produktionsmethoden abgeschaut haben, mit denen die Bildzeitung selbst seit Jahrzehnten auf Leser- und Bauernfang geht? Da muss das Boulevardblatt natürlich Paroli bieten, schon aus Urheberschutz-Gründen. Und dann hat Bild auch noch das heraus bekommen:

Nach der Ausstrahlung der Sendung traute sich Frau J. kaum noch auf die Straße: „Als ich die Sendung sah, wollte ich nicht mehr leben. Unser Ruf ist ruiniert.“

Dieserlei Sätze sollten Bildreportern allerdings bekannt vorkommen. Sie haben schließlich schon mehr als ein Menschenleben auf dem Gewissen. Sich darüber nun zu mokieren, hat schon fast etwas Ironisches. Eine Krähe hackt der anderen eben doch manchmal ein Auge aus.

Grammatik ficht dpa nicht an


18 Jul

Die Nachrichtenagentur dpa ist ja in jüngerer Zeit des öfteren durch peinliche Pannen aufgefallen. Nicht nur inhaltlich, auch sprachlich langt dpa gerne daneben, wie in dieser aktuellen Meldung:

Berlin. Die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin fechtet die Aberkennung ihres Doktortitels an.

Wenn hier jemanden etwas nicht anficht, dann dpa die deutsche Grammatik. Die Geschichte der dpa-Irrtümer ist übrigens lang, wie dieser ältere Spiegel-Artikel zeigt. Allerdings: „Lustig“, wie dieser Online-Artikel bei n-tv.de nahelegt, sind diese Fehler nicht, bedenkend, dass über 95 Prozent der deutschen Tageszeitungen ihr Nachrichtenmaterial von dieser Agentur bezieht.

Umfrage: Was ist schlechter Journalismus?


16 Jul

Benutzerin Nephilia81 hat vor einiger Zeit auf der Online-Umfrageseite woobby.de eine Umfrage lanciert, was unter schlechtem Journalismus zu verstehen sei. Das Umfragedesign folgt sicherlich nicht den Maßgaben der Medienforschung, die Antworten folgen nicht etwaigen Leitfragenvorgaben, sondern können frei formuliert werden. Gerade dadurch hat das Ergebnis, an dem sich 335 Leute beteiligt haben, etwas Erfrischendes:

1.
31,7% Wenn man man überall die
Pressemeldung liest anstelle eines selbst recherchierten Artikels

2.
16,6% Wenn nicht richtig recherchiert
wurde

3.
10,9% Wenn Journalisten unethisch
handeln wie damals bei der Geiselnahme von Gladbeck

4.
10,6% Wenn der Artikel in einer Zeitung mit rotem Logo erscheint.

5.
7,5% Wenn die eigene Meinung des Journalisten glasklar durchscheint

6.
6,8% Seriositätsheuchler,die Kaiserschmarrn zusammenschmieren.

7.
4,1% Wenn die Artikel sich eher wie Werbung lesen

8.
3,1% Wenn die Zitate falsch sind

9.
3,0% Dem Zeitgeist folgende Artikel.

10.
2,9% Wenn der Schreiberling offensichtlich noch blöder ist als seine Leser es
je werden können.

 

 

Fäkale Routenplanung: Von Dortmund nach „Scheiße“


15 Jul
Screenshot: Google Maps

Ich kann mich gar nicht entscheiden, ob es tiefere Einblicke ins Seelenleben Dortmunder Fußballfans oder ins Programmieruniversum der Fa. Google preisgibt: Wer im Internet-Routenplaner Google Maps „von Dortmund nach Scheiße“ eingibt, bekommt stante pede die 36,1 Kilometer lange Strecke vom Dortmunder Stadtzentrum zur Geschäftsstelle von Schalke 04 (Ernst-Kuzorra-Weg 1, 45891 Gelsenkirchen) angezeigt. Offenbar hat, wie der Branchendienst Meedia mutmaßt, ein BvB-Fan den Google-Dienst manipuliert. Sportbild hat bei Fa. Google nachgefragt, wie ein solcher Streich eigentlich möglich sei, und eine eher verwirrende Antwort erhalten:

„Wir machen eine Vielzahl an öffentlichen Quellen über Google Maps zugänglich. Im vorliegenden Fall haben wir die spezifische Quelle bereits identifiziert und arbeiten daran, diese in Google Maps zu entfernen.“

Während die Internetgemeinde dieses Suchergebnis scheinbar eher lustig findet, könnte es ja auch Anlass zu gewissen Sorgen geben: Wie leicht sind eigentlich Suchergebnisse beim weltweit größten Internet-Suchmaschinen-Anbieter manipulierbar? Wer muss noch befürchten, sich demnächst im Internet fäkalisiert zu finden? Und was haben BvB-Fans eigentlich so im Hirn? Ach ja, auf Letzteres findet man ja Antwort bei Google Maps …

Riesen-Busen steht gutem Journalismus im Weg


14 Jul

Der Busen ist, neben dem Penis, das beliebteste Körperteil desjenigen Journalismus, dessen Hauptaugenmerk auf der Herabsenkung journalistischer Qualitätsmaßstäbe unter die Gürtellinie liegt. Es verwundert darum nicht, welche Geschichte uns die Münchner „tz“ da oberweit auftischen will:

Das internationale rumänische Nachrichtenportal romaniantimes.at berichtet, dass ihr großer Busen eine  Frau erst kürzlich vor dem Ertrinken bewahrte. Die junge Österreicherin war gerade auf dem Heimweg nach einer durchtanzten Nacht in der kroatischen Partylocation Pula. Nachdem sie etwas zu tief ins Glas geschaut hatte, beschloss die 30-Jährige, sich noch einmal abzukühlen. Sie entledigte sich ihres Bikinioberteils und hüpfte ins Meer. An und für sich wäre das ja keine schlechte Idee.

Keine schlechte Idee auch, die fehlende eigene journalistische Kragenweite durch anderer  Leute Oberweite auszudehnen. Aber lesen wir weiter:

 „Erst nachdem ich schon gesprungen war, habe ich bemerkt, dass ich eigentlich viel zu betrunken und müde zum Schwimmen bin. Ich war kaum noch in der Lage Arme und Beine zu bewegen, geschweige denn noch einmal aus dem Wasser herauszukommen.“ Durch einen Geniestreich hielt sie sich über Wasser. Sie drehte sich um und ließ sich bis zum nächsten Morgen von der Auftriebskraft ihrer Brüste die Küste entlang treiben. Tapfer hielt sie durch und wurde von verdutzten Beamten der Küstenwache geborgen. Auch diese gehen fest davon aus, dass ihre großen Brüste die junge Dame gerettet haben.

Oberwasser durch Oberweite? Auch wenn der Artikel — wie in einem Anflug verschärfter redaktioneller Transparenz unumwunden zugegeben wird — komplett aus der Rumanian Times abgeschrieben ist: Selbst Eigenrecherche hätte ihn nicht besser gemacht. Hier wäre eher etwas weniger Schulschwänzen zu Zeiten des Physikunterrichts ratsam gewesen. Denn dass ein Frauenkörper in Wasser nicht untergeht, hat nichts mit den Brüsten zu tun, sondern mit seinem spezifischen Gewicht. Da der Körper zu überwiegendem Teil aus Wasser besteht, aber durch seine Ausdehnung ein geringeres Verhältnis von Gewicht zu Volumen hat (die sog. Wichte), schwimmt er so oder so an der Wasseroberfläche. Im Meerwasser mit seinem hohen Salzanteil geht das sogar noch einfacher. Und Frauen schwimmen eher oben als Männer wegen ihres anteilig höheren Fettanteils. Ein Busen spielt nur in der Phantasie von Boulevardjournalisten, nicht aber in der Physik dabei eine übergeordnete Rolle.

Münchner „tz“ fehlt ein Zacken in der Krone


13 Jul

Für die Monarchisten unter uns (und davon soll es ja insbesondere in Bayern noch eine erkleckliche Anzahl geben) war es ein trauriges Ereignis, viele andere haben es vielleicht eher emotionslos zur Kenntnis genommen: Otto von Habsburg, der Sohn des letzten österreichischen Kaisers, verstarb vor einigen Tagen und wird nun in einer sehr zweigeteilten Form beigesetzt — in der berühmten Kapuzinergruft in Wien, sein Herz allerdings, von einem Spezialisten fachgerecht entnommen (übrigens nach dem Dahinscheiden) in Ungarn. Was aber macht die Münchner Boulevardzeitung tz daraus?

Ausschnitt: tz München

Ausschnitt: tz München

Otto v. Habsburg war alles Mögliche, er war CSU-Politiker und Europaabgeordneter, er hat auch gewisse Verdienste um die europäische Einigung, aber eins war er mit Sicherheit nicht: „gekrönt“. Und darum kann auch keine „gekrönte Liebe“ wieder vereint werden, wie die tz mutmaßt. Dazu fehlte dem letzten Kaisersohn der Habsburger schlicht der ein oder andere Zacken in der Krone …

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter