Archive for Januar, 2012

Das okaye Zeit-Feuilleton


30 Jan

Man muss nicht jedes Buch rezensieren. Und man muss auch nicht jeden Satz schreiben. Und wenn die geschätzte Zeit-Feuilletonistin Iris Radisch auf den ebenfalls geschätzten Nicholson Baker trifft, weist sich einmal mehr, dass Plus und Plus manchmal eben doch auch Minus ergeben können. Oder wie konnte es sonst zu solchem Satz-Unfall kommen:

Das alles wäre zu verschmerzen, wenn der okaye Anstalts-Sex dieses nur scheinbar wüsten und verwilderten Romans nicht so steril und unaufregend wäre.

Natürlich weiß Iris Radisch, dass die Partikel “okay” nicht deklinierbar ist und auch nicht als attributiv gebrauchtes Adjektiv taugt. Warum benutzt sie sie dann trotzdem so? Soll es lustig sein, der Kotau vor der Jugendsprache, schlicht ein Aussetzer? Vermutlich letzteres.

Tatort-Aus: Warum nur Saarbrücken?


24 Jan

fadenkreuz“Guckt den Film nicht!” forderte der Hauptdarsteller Gregor Weber alias Stefan Deininger des gestrigen Sonntagabendkrimis im Ersten Deutschen Fernsehen, des “Tatorts” aus Saarbrücken, sein Publikum auf. Es handelte sich bei der Aufforderung nicht um die larmoyante Form des Guerillamarketings, um die Einschaltquoten erst recht nach oben zu treiben, sondern um den schauspielerischen Ausdruck der Verärgerung darüber, dass sein Arbeitgeber ARD ihn künftig nicht mehr in der Filmreihe beschäftigen möchte. Dem Schauspieler ist allerdings aus anderem Grunde beizupflichten. In der an Tiefpunkten nicht gerade armen Krimiserie war die Folge des Titels “Verschleppt” das armseligste Beispiel für, wie Film- und Fernsehmacher heute mit Entsetzen Scherz treiben, um im Rennen um ein paar Prozentpunkte der Fernseh-Währung “Einschaltquote” noch die letzten moralischen und ästhetischen Standards zu unterlaufen. Aber lesen wir, was der Film-Kritiker der “tageszeitung” zu dem “Tatort” zu sagen hat:

Der Film und die Schauspieler wachsen weit übers übliche “Tatort”-Niveau hinaus. (…) Weber spielt seinen Deininger hart an der Grenze des Nervenzusammenbruchs. (…) Allein das macht “Verschleppt” absolut sehenswert.

Hier war wohl vor allem der Rezensent am Rande des Nervenzusammenbruchs. Davon abgesehen, dass das “übliche Tatort-Niveau” mit Sicherheit keine Referenzgröße für Qualität im öffentlich-rechtlichen Fernsehen darstellt (woanders erst recht nicht), war diese kolportagehaftige Aneinanderhackstückelung von filmischen Versatzstücken, selbstreferentiellen Zitaten und plump geklauten Einfallslosigkeiten sicher kein Glanzstück, das das Prädikat “absolut sehenswert” verdient hätte. Ein Kinderschänder entführt 14-jährige Mädchen, sperrt sie in ein Kellerverlies ein und quält sie dort mit Kabelbindern und Flüssigkeitsentzug – und das vorgeführt in einer Bildsprache, die sich so unverhohlen wie hilflos aus seinen Vorbildern aus dem Horror- und Splattergenre wie “Hostel” oder “Saw” bedient. Man hat sich ja schon daran gewöhnt (und Kriminologen wie Medienwissenschaftler haben diesen Befund bestätigt), dass die Darstellung von Kriminalität im Fernsehen mit der “echten” Kriminalität hierzulande nichts zu tun hat und dass deswegen das Staatvolk nach Gesetzesverschärfungen ruft, obwohl die Kriminalitätsstatistik seit Jahren und Jahrzehnten rückläufig ist. Ohne (in der Regel: sexuelle) Perversionen, ohne Splatter und Vergewaltigungen, ohne gequälte Mädchen und debile Täter geht gar nichts mehr, auch und gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Für den ahnungslosen taz-Kritiker ist das “sehenswert”, für alle anderen ist das schlicht geschmacklos. Seine Ahnungslosigkeit wird auch körperlich spürbar, wenn man lesen muss:

Die Parallelen zum realen Fall Fritzl/Kampusch sind unübersehbar …

Denn dieser Fall war gar nicht einer, sondern es waren zwei völlig verschiedene: Hier der Fall Kampusch/Priklopil, bei dem in der Tat über Jahre ein Mädchen im Kellerverlies gefangen war (wenn auch nicht mit Kabelbindern gefoltert), dort der Familienvater Fritzl, der die eigene Tochter vergewaltigt. Immerhin konstatiert die “taz”:

Und noch dazu mit einem Thema, dass garantiert nicht zur gemütlichen Sonntagabendunterhaltung taugt.

Hier hat der taz-Kritiker allerdings recht: Dieser “Tatort” taugt weder zur “gemütlichen Sonntagabendunterhaltung”, noch überhaupt zu irgendeiner Art von Unterhaltung an irgendeinem Wochentag. Wer sich von den Sado-Phantasien öffentlich-rechtlicher Drehbuchautoren und –regisseure unterhalten fühlt, der sollte sich mindestens ebenso auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen wie die Verantwortlichen für diesen Film, der zu einer Sendezeit läuft, zu der minderjährige Kinder und Jugendliche im Alter derjenigen, die im Film als Blaupause für die offenbar völlig gestörte Einbildungskraft seiner Macher dienten, noch vor dem Fernsehgerät sitzen. Robert Lemke stellte einst in der guten (?) alten Schwarz-Weiß-Zeit des Fernsehens fest: “Aus dem Kreis der Familie ist ein Halbkreis geworden”. Wer aber heute um 20:15 Uhr in der ARD noch Familienunterhaltung erwartet, der wird mit Brecheisen, Folterwerkzeugen und Dienstpistolen eines besseren belehrt. Als wäre dies nicht alles schon schlimm genug, wird in der “Tatort”-Filmen ein Bild von polizeilicher Arbeit vermittelt, dass dem unvoreingenommenen Betrachter den Eindruck vermitteln muss, als lebten wir in der Bundesrepublik Deutschland in einem faschistoiden Polizeistaat: Prügeleien bei polizeilichen Vernehmungen, Durchsuchungen und Festnahmen ohne Beschluss, Eigenmächtigkeiten und Selbstherrlichkeiten der ermittelnden Kommissare, als wären sie mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet. Es ist schon war, bei fiktionalen Werken muss nicht alles mit den rechten Dingen dokumentarischer Wahrhaftigkeit vonstatten gehen (obwohl: warum eigentlich nicht?). Aber wenn eine Filmreihe sich so dermaßen von der Realität entfernt hat, wie die ARD-“Tatort”-Reihe es getan hat, dann lässt es doch einige Rückschlüsse auf den Wirklichkeitsbezug der ARD-Verantwortlichen zu. Ich jedenfalls werde den Ratschlag des ehemaligen “Tatort”-Kommissarschauspielers beherzigen: Ich werde ein ehemaliger “Tatort”-Zuschauer.

RTL-Dschungelcamp verführt Journalisten zu sprachlichen Höchstleistungen


15 Jan

Wikimedia: DschungelDer Inbegriff des Trash-TV, die RTL-Sendung “Ich bin ein Star, holt mich hier raus”, beschert nicht nur dem ausstrahlenden Sender Traumeinschaltquoten, sondern uns auch journalistische Glanzleistungen in der Kollateralberichterstattung. Von dem Kuchen, den die große Aufmerksamkeitswelle dem Fernsehsender beschert, möchten offenbar auch die schreibenden und druckenden Organe ihr Stückchen abhaben. Eine gegenseitige Befruchtung, die den beiläufigen Effekt hat, die Welle noch weiter zu verstärken. Aber nirgends wird elaborierter übers Müll-Fernsehen geschrieben als auf Spiegel Online mit einer täglichen (!) Kolumne zum Thema. Oberschichten-Jargon fürs Unterschichten-Fernsehen sozusagen:

So unverspachtelt sein Gesicht, so ruhig sein Gemüt. Ein schlichter Typ, der sich selbst genügt. Oder, wie er über sich selbst sagt: "Aílton isse Aílton". Vielleicht nervt’s irgendwann, aber noch klingt dieses Sprechen in der dritten Person unschuldig unbeholfen, also uneitel, das hat was. Seine ganze Physis bis hinauf zur hängenden Unterlippe verrät ein gewisses Phlegma. Es lässt sich die athletische Vergangenheit noch erkennen, die aufgeschwemmte Zukunft bereits erahnen.

Sonja Zieltow mag dazu eine "Dönerrolle am Spieß" einfallen, wir sehen einen Körper auf der Kippe. Und erleben die heitere Tragik eines Mannes, der das genau weiß und damit seinen Frieden gemacht hat.

Dschungelkönig des Tages: Ab auf die Matratze, Aílton – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Kultur

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter