Archive for Oktober, 2012

Das „in“-Problem


19 Okt

„In“ zu sein bedarf es wenig/denn wer „in“ ist, der ist König!

So könnte man in unseren „in“-Zeiten trällern. Alles ist „in“, vor allem natürlich der „Insider“. Aber auch die „Indoor“-Sportler, der Innen-Architekt oder das Inntal-Dreieck. Was allerdings nicht „in“, sondern vielmehr ziemlich „out“ ist, das ist „in“ + [Jahreszahl].

Eine Million Strafen in 2012 erwartet

Marktforscher rechnen mit erhöhtem Absatz in 2012

Rolling Stones verkünden Bühnen-Comeback in 2012

Auch wenn findige Sprachforscher Belegstellen deutscher Zunge aus beachtlich weit zurückliegenden Zeitaltern aufgespürt haben, ist doch festzuhalten, dass stets das falsch bleibt, was unnötig ist. Und im Deutschen reicht die Nennung der Jahreszahl ohne Präposition völlig aus. So sieht es im übrigen auch der Duden:

(nicht standardsprachlich; nach englischem Vorbild) in 2009

Besonders fatal wird die pathologische Lust, „in“ zu sein, wenn man den Fehler in Riesenlettern auf Werbeplakaten verbreitet, wie es die Kölner Filiale des ProMarkt getan hat:

Ganz schöne Outsider, diese Insider!

 

ZDF: „Einmal an die Moppel und zweimal an den Arsch“


16 Okt

Die Qualitätsjournalisten des ZDF (Foto: ZDF)

Als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wird das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) für exemplarisch gehalten, was die Anforderungen des Qualitätsjournalismus angeht: Kritische Fragen, intelligente Dialoge, Aufklärungsarbeit at its best — das ist es, was man von einem gebührenfinanzierten öffentlichen Sender erwarten darf. Spiegel Online hat nun dankenswerterweise dokumentiert, wie Dialoge im Zweiten Deutschen Fernsehen, hier im Spartenkanal ZDF neo, sich anhören. Das männliche Moderatorenpaar der Sendung „NeoParadise“ ist unterwegs auf der Internationalen Funkausstellung, aber nicht etwa, um die Innovationen der Medientechnik darzustellen, sondern um sich gegenseitig „Mutproben“ zu stellen. Und das klingt dann so:

Heufer-Umlauf: „Verwickel sie in ein Gespräch, fass sie einmal an die Moppel und zweimal an den Arsch.“
Winterscheidt (sich wegdrehend): „Nein, nein!“
Heufer-Umlauf: „Viel Spaß!“
Winterscheidt: „Das kann ich nicht, wirklich nicht, das geht nicht.“
(Dramatische Musik)
Heufer-Umlauf: „Wie, da ist sie doch…“
Winterscheidt: „Ja, aber…“
Heufer-Umlauf: „Nenenenene, komm. Kannst ja auch sagen: Nein. Dann hast du halt verloren.“
Winterscheidt (entschieden): „Ich mach das jetzt ganz kurz und schmerzlos, ich habe keinen Bock auf große Gespräche.“
Heufer-Umlauf: „Ja, dann hau rein, du. Wenn du nicht auf Vorspiel stehst, mir egal.“
Winterscheidt (nähert sich der Hostess): „Hallo! Das wird jetzt so wahnsinnig unangenehm für beide von uns, ne? Aber es hilft nichts.“
Heufer-Umlauf: „Der Grabscher, ne?“
Winterscheidt: „Hast du diese Sendung gesehen, wo ich in Mexiko gekämpft habe?“
Hostess: „Nee, leider nicht.“
Winterscheidt: „Das war total blöd, weil ich musste da mit ’ner Lucha Libre kämpfen, aber ich musste nicht nur mit ihr kämpfen, sondern ich musste auch noch so und so machen.“
(Bei „So“ und „So“ berührt Winterscheidt die Hostess, dazu werden Hup-Geräusche eingespielt. Dann wird die Szene in Zeitlupe wiederholt.)
Winterscheidt: „Tschüs, tut mir wahnsinnig leid.“
(Winterscheidt verlässt die Szenerie, die Hostess lächelt leicht peinlich berührt.)
Heufer-Umlauf: „Ekelhaft! Der sympathische Biertrinker Winterscheidt!“
Winterscheidt: „Du bist so ein blödes Arschloch, echt!“

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz als Infotainment-Element einer öffentlich-rechtlichen Fernsehsendung? Der Dialog ist noch nicht vorbei. Am Ende der Sequenz macht sich das Moderatorenduo noch lustig über das Opfer dieses „Scherzes“ und damit, wie Spiegel Online impliziert, „über alle Opfer von Übergriffen“:

„Der war das auch so unangenehm, die stand da wirklich und hat sich so richtig entwürdigt gefühlt. Die fährt jetzt gleich nach Hause und dann wird sie schön heulen unter der Dusche. Die steht jetzt sechs Stunden lang unter der Dusche.“

Zum Heulen könnte man allerdings nennen, wie sich das ZDF hier präsentiert. Es kommt einem beinahe schal vor, hier mit Vokabeln wie Kulturverlust, Werteverfall oder Anstandsverlust zu argumentieren. Aber drunter geht es irgendwie auch nicht. Aber noch katastrophaler als dieser jedes Herrenwitzniveau spielend unterschreitende Dialog sind die Redaktionen der Moderatoren und ihres Arbeitgebers. Moderator Klaas Heufer-Umlauf entschuldigt sich lapidar via Twitter. Und die Pressestelle des ZDF veröffentlicht eine an mangelnder Einsichtsfähigkeit kaum zu unterbietende Stellungnahme:

„Die Messehostess wurde von Herrn Winterscheidt nicht angefasst. Die Szene wurde mit ihrem Einverständnis gesendet“.

Wer so argumentiert, hat nun wirklich gar nichts verstanden. Wie schrieb Karl Kraus: „Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben. Man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken“.

 

Außerirdische Intelligenz auf WDR 5


12 Okt

Bild: Gerd Altmann/pixelio.de

Folgende Meldung aus dem Ressort Wissenschaft war heute morgen im Rundfunksender WDR 5 zu höre (wörtlich transkribiert):

Amerikanische Forscher haben einen erdnahen Planeten entdeckt, der vermutlich zu einem Drittel aus Düamant (sic!) besteht. Wie die Wissenschaftler der Universität Yale berichten, ist der Planet etwa doppelt so groß wie die Erde und rund 40 Lichtjahre entfernt. Seine chemische Zusammensetzung ist offenbar reich an Kohlenstoff, die Basis von Diamant. Die Oberfläche des Planeten ist wahrscheinlich mit Graphit und Diamant bedeckt und nicht mit Wasser und Granit.

An dieser Meldung ist so wenig richtig, dass man sie nicht mal mehr falsch nennen kann. Nähe ist natürlich ein relativer Begriff, aber einen Himmelskörper in 40 Lichtjahren Entfernung „erdnah“ zu nennen, ist dann doch verwegen. 40 Lichtjahre bedeutet, wenn man sich konstant mit 300.000 Meter in der Sekunde bewegt, würde man 40 Jahre benötigen, um dorthin zu gelangen. Umgerechnet auf die auf deutschen Autobahnen geltende Richtgeschwindigkeit von 130 km/h bräuchten wir demnach 332.308 Jahre, um mit dem PKW mal eben zu diesem „erdnahen“ Planeten zu düsen. Da ist die unterstellte Nähe von Plausibilität weit entfernt.

Auch die Angabe etwa „doppelt so groß“ ist in all ihrer Vagheit doch eher falsch als richtig. Der Planet 55 Cancri e (im Sternzeichen Krebs) hat zwar ungefähr den doppelten Radius, ist aber achtmal so schwer. Man könnte also mit ebenso gutem Recht 55 Cancri e als achtmal so groß wie die Erde bezeichnen.

Dass ein Reichtum an Kohlenstoff ein Hinweis auf Diamanten sei, ist wiederum weltraumabenteuerlich. Denn Kohlenstoffverbindungen sind die Basis von fast allem, vor allem von jeder organischen Materie, sprich: Leben. Ebensogut könnte man darum vom Vorhandensein von Kohlenstoff auf dem Exoplaneten auf die Anwesenheit von Erdmännchen schließen.

Dass Planet 55 Cancri e nicht mit Wasser bedeckt ist (wie vermutlich fast kein einziger Planet in den Weiten des Universums) ist auch nicht weiter verwunderlich: An seiner Oberfläche herrschen mehr als 2100 Grad Celsius.

Die Welle WDR 5 versteht sich innerhalb des Senderverbunds des Westdeutschen Rundfunks als besonders der Kultur verpflichtet. Und auch hier ist ihr ein echtes Kunststück geglückt: Eine Nachricht, die in jedem Satz mindestens einen Fehler enthält. Wirklich eine außerirdische Leistung! Das nennt man dann wohl Kulturabbau.

Copy&paste: Auch „Die Zeit“ schreibt ab


09 Okt

Copy&paste ist ja die neue Geißel der urheberrechtsschützenden Menschheit: Ob Doktorarbeiten oder Star-Interviews, ob „TV Total“ oder politische Parteiprogramme — Schreiben heißt heute Abschreiben. Eine eigene Spielart der copy&paste-Kultur entwickelt gerade die Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr.39/2012). Der Unlust, für sein Redakteursgehalt noch selbst die Feder zu schwingen, kommt man, zumal im Feuilleton dieses Blattes, mit einer phantasievollen Maßnahme entgegen:

Statt Bücher zu rezensieren oder zu kommentieren, hat man ein probates Mittel gefunden, die nachlassende Freude an der kritischen Auseinandersetzung, redaktionelle Sparmaßnahmen und ein gewisses Entgegenkommen gegenüber den Anzeigenkunden (und das sind in einem Feuilleton nun einmal Verlagshäuser) in Einklang zu bringen: Man druckt einfach Buchtexte nach, statt sie journalistisch zu würdigen. Das ist, wenn man so will, „Abschreiben 2.0“ (auch wenn diese ganzen „2.0“-Redeweisen ziemlich fade sind, also wiederum eigentlich recht gut zur genannten Wochenzeitung passen). Und bei diesem wortgetreuen Nachdruck belässt man es auch nicht wie weiland bei Vorabdrucken von Romanen bei einigen Zeilen oder ein paar kurzen Spalten „unterm Strich“. Nein, eine ganze große „Zeit“-Seite wird da dem Druckwerk aus dem S. Fischer-Verlag spendiert. Die Autorin des Buches, Nina Pauer, ist übrigens regelmäßige „Zeit“-Autorin, aber das macht die Sache nicht besser, sondern eigentlich noch schlimmer: Es lässt sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die Publikation einer Mitarbeiterin promotet werden soll. Aber dann hätte man ehrlicherweise (und auch nach den juristischen Maßgaben des Medienrechts) diese Seite als „Werbung“ deklarieren sollen und müssen.

 Schafft zwei, drei, viele Schleichwerbungen

Ist dies schon Tollheit, so hat es doch, nach William Shakespeare, Methode. Denn die „Zeit“ belässt es nicht bei dieser einen abgepausten Blaupause postmoderner Schleichwerberei. Im gleichen Zeitungsteil ausgerechnet unter der Rubrik „Glauben & Zweifeln“ wird wieder „Copy&paste“ betrieben:

„Gott ist wild und seltsam“ ist der, wiederum ganzseitige, Beitrag überschrieben, der ebenfalls wörtlich einer Buchpublikation der Autorin Esther Maria Magnis entnommen ist, die im Rowohlt Verlag erschienen ist. Wild und seltsam ist auch die Publikationspraxis der „Zeit“, an die man nicht mehr glauben kann, sondern verzweifeln muss. Vielleicht kehrt die „Zeit“ ja irgendwann vom Abschreiben wieder zum Schreiben zurück, aber das geschieht vermutlich erst nach der bevorstehenden Buchmesse — denn da gibt es einfach noch zu viele Verlagsinteressen zu befriedigen.

 

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter