Archive for Januar, 2013

Jetzt wird mir’s aber zu bunt: Sprachakrobatik in der „Bunten“


30 Jan

Dass es in der Klatschpostille „Bunte“ (pardon, man sagt ja jetzt „People-Magazin“ …) bunt zugehen darf, legt der Name ja irgendwie nahe. Aber es kann natürlich auch zu bunt sein. Oder handelt es sich bei dem Artikel über die Jacobs-Kaffee-Erbin Louise Jacobs, der auch online zu finden ist, um einen genialen Kunstgriff? Immerhin gesteht die Erbin darin unter anderem ihre Legasthenie. Soll womöglich diese schwerwiegende Rechtschreibschwäche im Sinne eines orthographischen Parallelismus im vollends verrutschten Deutsch der „Bunten“ feinsinnig nachgebildet werden? Schau mer mal!

Wenn man Bilder von Louise Jacobs (30) in der Presse sieht, dann blickt man in das Gesicht einen hübschen, jungen Frau mit strahlenden Augen und kurzen, braunen Haaren.

Nun ja, „das Gesicht einen (sic!) hübschen, jungen Frau“ kommt natürlich vorderhand ziemlich grobschlächtig daher. Subtiler ist da schon das überflüssige Komma zwischen „hübschen“ und „jungen“. Hier deutet sich ein durchgängiges Gestaltungsprinzip der „Bunte“-Autoren an, die den Kommaregeln der deutschen Sprache mit grundsätzlicher Verachtung begegnen. Der klotzige Grammatikfehler überdeckt auf markante Art und Weise eine in sublimer Manier verrutschte Ausdrucksweise. Denn  erst mal blickt man bei der Betrachtung von Bildern ja nicht in Gesichter, sondern auf Fotos.

Doch hinter der Fassade kämpft die 30-Jährige Enkeltochter …

Sie kämpft hinter der Fassade, will sagen: nicht auf der Vorderbühne, im Park oder vor dem Dienstboteneingang. Dass „30-Jährig“ selbstverständlich nicht groß geschrieben wird, ist ein kleiner globalisierungskritischer Seitenhieb auf die imperialistischen Groß- und Kleinschreibungs-Regeln Marke Duden.

… von Kaffee-Unternehmer Walter J. Jacobs nach wie vor mit den schweren Erinnerungen an ihre Kindheit.

Oder: Mit den Erinnerungen an ihre schwere Kindheit? Schon hier deutet sich dem aufmerksamen Leser an, dass mit feinstem Skalpell Hand an die deutsche Sprache gelegt werden soll. Wahre Stilkunst!

 In einem Interview mit der „BILD am Sonntag“ erzählt die Mutter von einem Sohn …

Wovon soll die Mutter auch sonst erzählen, wenn nicht von einem Sohn?

… offen über die fehlende Akzeptanz in ihrer Familie.

Ach so. Aber nicht nur von Söhnen erzählt die Mutter der Akzeptanz, sondern auch von ihrer Legasthenie und damit verbundenen Therapiesitzungen.

 „In der Gesellschaft, in der ich steckte gab es nur Aufstieg.“ Sie selbst war mit neun Jahren jedoch noch in der zweiten Klasse.

Sehr subtil wird hier mit dem fehlenden Komma hinter „steckte“ gerade die Rechtschreibschwäche nachgezeichnet, von der ja auch die Rede ist. Mit einem brillanten Kunstgriff deutet die „Bunte“ dann aber noch eine aufkommende Arithmasthenie an. Das ist Rechenschwäche, die sich hier in der eigenartigen Berechnung der Grundschulzeit der Kaffee-Erbin ausdrückt. Mit neun Jahren in der zweiten Klasse — klingt das wirklich so katastrophal? Wenn man mit sieben Jahren eingeschult wird, schafft man das unter Umständen sogar völlig regulär, ganz ohne Sitzenbleiben.

So verletzlich habe sie sich aufgrund der fehlenden Akzeptanz gefühlt, dass Sie nach eigenen Angaben hoffte, ihren Ausweg darin zu finden, sich wie ein Junge zu benehmen.

Ein wunderbar legasthenischer Schachtelsatz. Jedem Schüler der Burda-Journalistenschule würde der spätestens in der zweiten Klasse ausgetrieben. Aber als Stilmittel: wunderbar. Anders kann man auch die präpositional eingeleitete Nominalkonstruktion mit der „fehlenden Akzeptanz“ nicht klassifizieren. Bei so viel sprachlichem Feingefühl geht es dem ein oder anderen Leser womöglich durch, dass die Kaffeebohnenerbin sich vermutlich eher „verletzt“ als „verletzlich“ gefühlt haben wird. Und dann noch dieses völlig deplatzierte „nach eigenen Angaben“: Nach wessen Angaben denn sonst? Herrlich! Schließlich noch das großgeschriebene „Sie“ — stilsicherer lässt sich die Sprache nicht verhunzen.

Die Haare wurden abgeschnitten, die Skaterhosen avancierten zu ihrem Lieblingsteil und sie fuhr Skateboard und raufte sich.

Wie machen die bei der „Bunten“ das bloß? Passivisch statt aktivisch formulieren, aus einer „Hose“ ein „Teil“ machen und dann noch mit einer asyndetischen Reihung (durch Kommata getrennte Satzglieder) beginnen und mit einer syndetischen Reihung (angedeutet durch die herrlich deplatzierten doppelten „und“) enden: Das unterläuft spielend jeden Schwellenwert mangelhafter Sprachbeherrschung. Das muss man wirklich erstmal schaffen. Aber das wahre Husarenstück kommt erst noch:

Erst die Flucht über den Ozean brachte Erleichterung. (…) So schwer belastet sie die Situation, dass sie sich in die Magersucht flieht.

Um die Bravour der „Bunte“-Schreiber anzudeuten, habe ich mir erlaubt, den größeren Teil dieses langen Abschnitts auszulassen. Man beachte: Einen Absatz mit „brachte Erleichterung“ zu beginnen, um ihn mit „Magersucht“ zu beenden — das macht der „Bunten“ vermutlich keiner nach. Das schlägt dem Fass so sehr die Krone ins Gesicht, dass darüber andere sprachliche Finessen des Abschnitts fast unterzugehen drohen. Zum Beispiel diese:

„Für den Menschen den ich liebte wollte ich Gedichte schreiben.“

Die Legasthenikerin sehnt sich nach dem Gedichteschreiben. Das hat in all seiner Tragik fürwahr Shakespeare’sches Format. Der dramaturgische Hammer verdeckt aber fast wieder die feine Feder der People-Journalisten. Haben Sie es gemerkt? Zwei Kommata wären hier nötig, kein einziges ist da. Und das Ganze in Anführungszeichen als wörtliches Zitat der ohnehin legasthenischen Bohnenerbin unterzujuxen, das macht … äh … sprachlos.

 Als Sie Mitte 2000 wieder nach Hause zurück in die Schweiz kommt, wiegt Louise gerade noch 39 Kilo, wie sie erzählt.

Von dem Gewicht wird vermutlich eher die Waage künden als die Erbin.

Da Sie noch nicht volljährig ist, hätten ihre Eltern durchgegriffen und sie in die psychiatrische Klinik „Littenheid“ in St. Gallen eingewiesen.

Noch so eine sprachliche Feinheit, die bei flüchtigem Lesen fast untergeht: Mit Indikativ beginnen („ist“) und dann mit Konjunktiv fortfahren („hätten“). Wie wussten schon die alten Griechen: Wenn du schweigen getan hättest, dann hättest du Philosoph geblieben haben tun.

Erst als sie die 50 Kilo Grenze erreicht ist darf Sie die „Klapse“, wie sie das Klinikum nennt, verlassen.

Ich schwöre es: Ich habe nichts hinzuerfunden und nichts weggelassen. Hier waltet ausschließlich das sprachliche Schicksal in Gestalt von „Bunte“-Journalisten. Mal davon abgesehen, dass der Türkentrunk-Erbin das Passieren der Schweizer Grenze eher angeraten gewesen wäre als das Erreichen der „50 Kilo Grenze“, und auch mal abgesehen von dem neuerlich fehlenden Komma und dem wiederum großgeschriebenen „Sie“: Eine Formulierung wie „Erst als sie die 50 Kilo Grenze erreicht ist“ sucht auch in der an sprachlichen Fehltritten nicht armen deutschen Presselandschaft ihresgleichen. Hier sind so viele Grenzen auf einmal überschritten worden, dass der Fall der Mauer gegenüber den grammatischen Grenzüberschreitungen der „Bunten“ wie der Schulbubenstreich eines neunjährigen Zweitklässlers  aussieht. Meisterhaft!

Wer nun denke, dies sei unüberbietbar, hat die Rechnung ohne Burdas „Bunte“-Schreiber gemacht. Die haben sich nämlich für das Finale einen echten Paukenschlag übriggelassen. Und der klingt so:

Louise macht ihr Abitur (…). Aber dann erkennt Sie (sic!) ihre wahre Passion. Sie fängt an zu schreiben.

Mir schwirrt der Kopf. Die legasthenische Kaffeedynastin baut dann doch irgendwie ihr Abitur, und das offenbar ohne jede Schreibkenntnis. Denn dieses ihr Schreiben fängt ja erst an, NACHDEM sie Deutschlands höchsten Schulabschluss absolviert hat. Die „Bunte“ macht mich fassungslos.

Mittlerweile hat Sie (sic!) mit 335 Seiten ihr drittes und persönlichstes Buch fertiggestellt.

Wahre Artistik zeigt sich ja stets darin, immer noch einen oben draufzusetzen. Andere, berühmte Schriftsteller vor Frau Jacobs haben es ja anders getan: Günter Grass hat mit der „Blechtrommel“ sein „persönlichstes Buch“ geschrieben. Fernsehkoch Jamie Oliver hat vielleicht mit „Meine hundert besten Rezepte“ sein „persönlichstes Buch“ geschrieben. Aber  Louise Jacobs hat, jedenfalls nach Ansicht der „Bunte“-Redaktion, mit „335 Seiten“ ihr persönlichstes Buch geschrieben. Und das als Legasthenikerin. Alle Achtung!

Programmierer: Outsourcing mal anders


25 Jan

Computer auf den Müll (Foto: HH)

Wer überhaupt keine Lust mehr auf Computer hat, kann es so machen wie ein Programmierer aus Kalifornien. Das US-amerikanische Telekommunikationsunternehmen Verizon hat jetzt einen besonders kuriosen Fall von Outsourcing geschildert. Ein „Bob“ genannter Programmierer hat offenbar seine eigene Arbeit komplett von chinesischen Kollegen machen lassen. Bob erschien zwar jeden Tag pünktlich bei der Arbeit, erstattete auch jeden Tag Report über seine aktuellen Programmierleistungen, in Wahrheit aber verbrachte er seine Zeit am PC mit Ebay-Auktionen, in sozialen Netzwerken und mit Katzen-Videos. Die Arbeit machte stattdessen ein chinesischer Programmierer, dem Bob dafür einen Bruchteil seines Lohns abgab. Und diese Arbeit erledigte der Chinese offenbar sehr gut: Bob erhielt viel Lob für seinen Job, wurde gar als „bester Entwickler im Haus“ gefeiert. Ein typischer Arbeitstag von Bob sah so aus:

9:00 a.m. – Arrive and surf Reddit for a couple of hours. Watch cat videos
11:30 a.m. – Take lunch
1:00 p.m. – Ebay time.
2:00 – ish p.m Facebook updates – LinkedIn
4:30 p.m. – End of day update e-mail to management.
5:00 p.m. – Go home

Den Outsourcing-Trick wendete Bob offenbar nicht nur bei einem Arbeitgeber an, sondern gleich bei einer ganzen Reihe von Firmen. Er soll damit mehrere hunderttausend Dollar pro Jahr verdient haben, wovon er bestenfalls 50.000 Dollar nach China überwies.

Aufgeflogen ist der Programmierer nur, weil dem IT-Service seiner Firma überraschend viele Zugriffe aufs Firmennetz aus China aufgefallen waren. Der Arbeitgeber benutzte sogar eine Hardware-Verschlüsselung, die Bob auf fast altmodische Art umging: Er schickte den Sicherheitsschlüssel, den sog. token, per FedEx nach China.

ZDF: Ostpreußen in der Ostsee versenkt


18 Jan

Ostpreußen — ein Zankapfel der europäischen Geschichte. Der „Korridor“, der nach dem 1. Weltkrieg Ostpreußen vom Rest des Deutschen Reichs abtrennte, war einer der Anlässe für das Ausbrechen des 2. Weltkriegs. Nach dem Krieg wurde Ostpreußen darum auch von den Siegermächten zur einen Hälfte Polen und zur anderen Rußland zugeschlagen. Letztgenannte ist heute wiederum eine Exklave, ist von Polen, Litauen und der Ostsee umringt, vom heimischen Kremlreich aber getrennt. Und genau dieser russische Teil des ehemaligen Ostpreußen ist von der Landkarte verschwunden — jedenfalls im neu gestalteten Studio der ZDF-Nachrichtensendung „heute“. Dort wo eigentlich die Oblast Kaliningrad mit ihren rund 946.000 Bewohnern sein sollte, ist nur die tiefe Bläue des Meers zu sehen. Aufgefallen ist dies offenbar erst Anfang Januar einem polnischen Radiosender. Und das, obwohl das Redesign des ZDF-„heute“-Studios schon seit dem 29.September 2012 zu sehen ist. Ein Vergleich mit der Ostseekarte von Wikipedia macht den Schnitzer besonders deutlich:

Es handle sich „um eine nach grafischen Gesichtspunkten gestaltete Karte, die an verschiedenen Punkten verallgemeinert ist und dabei politische Einteilungen (bewusst) außer Acht lässt“, teilt das ZDF auf Anfrage mit. Allerdings geht es hier gar nicht um „politische Einteilungen“, sondern schlicht um Geographie. Und die sollte jeder Kartograph beherzigen. Schon fragen Stimmen in Polen,

haben wir es mit einem neuen Kapitel politisch korrekter Bewusstseinsausblendung der einstigen deutschen Ostprovinzen zu tun?

Andererseits sollen viele Menschen in Polen sich schon über den neu hinzugewonnen Sandstrand an der Ostsee freuen. Die Neugestaltung des ZDF-Nachrichtenstudios hat übrigens 30 Mio. Euro gekostet.

Da brat einem doch einer ein Huhn!


08 Jan

Zu was für Blüten kann doch Schrift im öffentlichen Raum führen. Das hier ist wirklich nichts für Hühnerdiebe, sondern eher für Recyclingfans und Freunde einer wirklich nachhaltigen Landwirtschaft und Viehzucht. Nach Ansicht dieses Imbissbudenbetreibers können nicht nur Hühner, sondern auch ganze Grillhähnchen in Bodenhaltung erzeugt werden:

(Gesehen auf dem Parkplatz eines Baumarkts in Köln-Zollstock)

Fortschrittliches Banking in Mitteleuropa


07 Jan

Neue Medien verdrängen nicht die alten. Das wird in der Medienwissenschaft als Riepl’sches Gesetz bezeichnet. Ein kleines Beispiel dafür ist dieser Kontoauszugsdrucker der Santander Bank AG-Filiale am Kölner Chlodwigplatz. Innendrin Hightech, aber wenn außen mal irgend etwas nicht funktioniert, tun es immer noch Tinte und Papier:

 

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter