Archive for März, 2013

Spiegel, Kampagnenjournalismus und die Militarisierung der Außenpolitik


29 Mrz

Den großen medialen Erfolg des Anti-Kriegs-Dreiteilers „Unsere Mütter, unsere Väter“ im Zweiten Deutschen Fernsehen hat das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zu einer Titelgeschichte veranlasst, die sich mit der Remilitarisierung der bundesdeutschen Außenpolitik befasst und paradoxerweise Pro-Kriegs-Positionen einnimmt. Darin heißt es:

Ob aus Überzeugung oder aus Angst vor dem Wähler — unter Führung von Angela Merkel und Guido Westerwelle ist die deutsche Außenpolitik zur alten, unmündigen Unsicherheit zurückgekehrt. Die Enthaltung in Libyen, das Minimalprogramm in Mali, die Passivität in Syrien — um jeden Preis geht es darum, ein militärisches Engagement zu vermeiden.

Um Berichterstattung und die wertneutrale Vermittlung der Realität, wie es einem „Nachrichtenmagazin“ ziemen würde, handelt es sich bei diesem Absatz (und dem ganzen Artikel) nicht. Was vorliegt, ist stattdessen eine Aneinanderreihung von wertenden und normatiefen Sätzen. Auch wertende Sätze enthalten natürlich beschreibende und damit empirisch nachprüfbare Bestandteile. Mit dieser Überprüfung allerdings hält der „Spiegel“ sich nicht lange auf. Sonst wäre schließlich zu fragen, wie die militärischen Kampagnen in Afghanistan, in Somalia oder im Kosovo zu Demokratie und Wohlfahrt der dortigen Bevölkerungen beigetragen hätten. Und in praktisch jedem Fall wäre die Antwort wohl negativ. Was übrig bleibt, ist Kampagnenjournalismus der plumperen Sorte. Das bemerken auch die „Nachdenkseiten“ und bemerken:

Der Spiegel macht sich zum Sprachrohr derjenigen, die das im Grundgesetz verankerte Prinzip einer Verteidigungsarmee umdefinieren möchte und die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee machen will. Deutschland müsse seine wirtschaftliche Machtstellung auch militärisch wahrnehmen. Deutschland soll, wie schon einmal in den unheilvollen Kapiteln seiner Geschichte, wieder seinen „Platz an der Sonne“ anstreben und die Machtpolitik, die es wirtschaftspolitisch derzeit in Europa mit der Durchsetzung der Agenda-Politik ausübt auch militärisch einsetzen. Der Spiegel propagiert das alte Weltmachtstreben, das Deutschland schon einmal zum Verhängnis wurde.

Es liegt noch keine kommunikationswissenschaftliche Definition des Begriffs Kampagnenjournalismus vor. Es gibt zu dem intrikaten Begriff aber einige kluge, auch: journalistische Stellungnahmen. Zum Beispiel diese:

Und längst kosten auch andere als das „Drecksblatt“ („SZ“-Preisverächter Hans Leyendecker über „Bild“) die süße Frucht der Bedeutung und das bittere Gift der Anmaßung, die im Kampagnenjournalismus liegen.

Und wer hat es geschrieben? Es war Jakob Augstein in seiner Kolumne für Spiegel Online.

Google News erreicht die Weltbevölkerung


27 Mrz

Google ist die erfolgreichste Suchmaschine des Internets. Aber was die Google-Entwickler im hauseigenen Produktblog an Erfolgszahlen nennen, geht dann vielleicht doch etwas zu weit:

Wir sind uns sicher, dass diese Verbesserungen Google News noch attraktiver machen und noch mehr Besucher auf Nachrichtenseiten locken werden (sechs Milliarden pro Monat, Tendenz steigend).

Sechs Milliarden Besucher? Das entspräche fast der Gesamtsumme der Weltbevölkerung, die wenigstens einmal im Monat auf die Google News-Website gehen müsste. Und dazu müsste natürlich jedes Mitglied der Weltbevölkerung auch einen Zugang zum Internet, sprich: einen Computer haben. Doch dies ist bei weitem nicht der Fall. Oder sind vielleicht doch nicht einzelne Besucher, sondern z.B. Klickzahlen gemeint? Dann könnte ich auf die Statistik erheblichen Einfluss nehmen, wenn ich schon für mich alleine monatlich eine Milliarde mal Beiträge auf Google News anklicke. Vielleicht soll es aber auch nur ein verfrühtes Osterei, engl. easteregg, sein, dass Google uns hier beschert. „Easter eggs“ heißen unter Programmierern sonst die kleinen Späßchen, die sie sinnwidrig in den Programmcode einbauen. Ein besonders hübsches hat das Googleteam uns auch zu Ostern geschenkt. Dazu muss man nur diesem Link folgen bzw. diese Rechnung ins Google-Suchfeld eingeben:

1.2+(sqrt(1-(sqrt(x^2+y^2))^2) + 1 – x^2-y^2) * (sin (10 * (x*3+y/5+7))+1/4) from -1.6 to 1.6

ARD: Zaster für Zuschauer bei Maischberger


19 Mrz

Talk-Moderatorin Sandra Maischberger (Foto: ARD)

Bemerkenswertes über den Vertragsinhalt zwischen der Talkshow-Moderatorin Sandra Maischberger und der ARD hat das Nachrichtenmagazin Der Spiegel herausgefunden. Die Höhe des Moderationshonorars für Frau Maischberger soll demnach abhängig von der Einschaltquote der Sendung gewesen sein. Das Nachrichtenmagazin schreibt dazu:

Schon lange ist bekannt und wird kontrovers debattiert, dass sich öffentlich-rechtliche Sender zunehmend nach der Zuschauergunst richten. Die Quote ist für sie, ganz unabhängig vom staatlichen Grundversorgungsauftrag der Sender, zum Kriterium für die Entwicklung, Fortsetzung oder Einstellung von Formaten geworden. Dass selbst die Bezahlung der seriösen Moderatorin Maischberger von der Zahl der Zuschauer abhängig gemacht wird, ist eine Fortentwicklung dieser vermeintlich modernen Art, Fernsehen zu gestalten.

Im „Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk Köln“ sei zwar viel über den Auftrag zur Information, Bildung und Unterhaltung der Zuschauer zu lesen, die Art und Weise der Maischberger-Honorierung lasse sich damit allerdings kaum erklären, so Der Spiegel weiter. Vielleicht erklärt sich mit der quotenabhängigen Bezahlung auch die teilweise abstruse Themensetzung der Maischberger’schen Talksendung, die sich in solchen Titeln widerspiegelt:

Hells Angels & Co.: Wie gefährlich sind die Rockerclubs
Zittern, Jubeln, Weinen: 50 Jahre Bundesliga
Das Comeback der Schwergewichte: Dick macht glücklich!
Horoskope, Handlesen, Tarotkarten: Unsinn, der hilft?

Die Tageszeitung Die Welt schreibt dazu:

Eine quotenabhängige Bezahlung passt zu Informationsprogrammen aber ungefähr so gut wie Dieter Bohlen auf den Stuhl des „Tagesthemen“-Moderators. Doch leider ist das Denken in Marktanteilen bei öffentlich-rechtlichen Managern extrem weit verbreitet. Der Quotenwahn macht längst nicht mehr vor Informationsprogrammen halt. Mitunter werden journalistische Standards grob missachtet.

Gewichtige Werbeikone Witt bei Maischberger (Foto: ARD)

Unter anderem wegen einer Auseinandersetzung um die Maischberger-Sendung ist kürzlich die WDR-Redakteursvertretung zurückgetreten, wie die Süddeutsche berichtet. Von Einschüchterungsversuchen durch die Geschäftsleitung sprächen die Rücktreter in einer Erklärung und hätten betont, dass diese Versuche genau in dem Moment begonnen hätten, als sie sich in einen Programmkonflikt um die Maischberger-Sendung eingemischt hätten. Hintergrund ist die Einladung der ehemaligen Eiskunstlaufprinzessin Kati Witt in eine Maischberger-Sendung rund ums Abnehmen. Ein WDR-Redakteur wollte den Auftritt verhindern, da er das Gebot der Trennung von Werbung und Programm verletzt sah. Kati Witt ist nämlich gleichzeitig Werbeträger des Diätvermarkters Weight Watchers. Die Produktionsfirma von Maischberger setzte sich gegen den verantwortlichen WDR-Redakteur durch und erhielt dafür Rückendeckung vom zuständigen Unterhaltungschef des Senders.

Sky: Wasser für die Elefanten


01 Mrz

Screenshot: Sky

Regelmäßige Zuschauer des Fernsehbezahlsenders Sky haben sich in letzter Zeit gefragt, warum in den Fußballtalkrunden mit Größen wie Franz Beckenbauer oder Ralf Rangnick neuerdings auffällig knapp bekleidete Damen den Herren Wasser reichen. Die Münchner Boulevardzeitung „tz“ hat nachgefragt. Der Nachweis hartnäckiger journalistischer Fragetechnik klingt in der Sprache der populären Zeitung so:

Wir haben nachgefragt: Warum gibt’s bei Sky so oft frisches Wasser? Dirk Grosse, der Sprecher des Senders, hält sich bedeckt. Seine kurze, aber süffisante Antwort: „Ich vermute Durst.“

Mit diesen dürren Zeilen endet übrigens der tz-Artikel. Was hier journalistisch vorgeführt wird, ist vielleicht die Kunst der Frage, aber mit Sicherheit nicht die Kunst der Nachfrage. Nach-gefragt hat dafür die Wochenzeitung „Freitag“ und dabei herausgefunden, dass es sich um „notdürftig als Wassernachfülloperation getarnte Auftritte junger Damen“ handle, die der Sender als „Hostessen“ bezeichne. Und nachgeschlagen hat der „Freitag“ auch, nämlich im Lexikon:

„Eine Hostess ist eine zur Betreuung von Gästen bei Reise- oder Fluggesellschaften bzw. Großveranstaltungen angestellte Frau, von der adäquate Umgangsformen und in der Regel Fremdsprachenkenntnisse verlangt werden. Gerade bei Automessen sind die Hostessen häufig nur knapp bekleidet, um die Aufmerksamkeit der Besucher auf die jeweiligen Stände zu lenken.“

Die Berliner Wochenzeitung zieht daraus den Schluss, es drehe sich hier eher um „anachronistische Berlusconi-Momente“ im deutschen Fernsehen, und folgert:

Man muss auch keinen Graduiertenkurs in Gender Studies besucht haben oder sonstwie überdurchschnittlich sensibilisiert sein, um zu erkennen, wie die Regie hier mit gaffend-nachschwenkenden Kamerabewegungen jeden Zuschauer in einen Automessebesucher zu verwandeln versucht.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter