Archive for Mai, 2013

News is bad for you: Nachrichten machen krank


10 Mai
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Foto: A. Altmann/pixelio.de

Auf Spiegel Online zieht Autor Georg Diez in seiner regelmäßigen Kolumne über die Fernsehnachrichten her, insbesondere “Tagesschau” und ARD.

Drohnen, Merkel, Krise: Die deutschen TV-Nachrichten tun so, als würden sie uns Zuschauer informieren. Tatsächlich stampfen sie uns in die Passivität, sie machen uns dümmer und letztlich uninformierter. (…) Die Sklerose unserer Tage hat ein ideales Medium gefunden, und wir zahlen auch noch dafür. Abend für Abend sitzen wir da, in dieser zeittypischen Mischung aus Selbsthass und Apathie, und lassen uns die Welt glatt bügeln, auf ARD-Art. (…) All das sind Scheinnachrichten, weil so getan wird, als sei das nun der amtliche Ausschnitt der Welt – dabei ist es doch nur staatsnahes Parteien-TV, die üblichen Vertreter der Macht, der Reichstag im Abendlicht plus das eine oder andere Erdbeben: Das eben, was Journalisten für wichtig halten, die selbst nicht wissen, warum das so ist.

Spiegel-Autor Diez kennt aber auch das Gegenmittel. Es ist der „engagierte Journalismus” (wenn er ihn auch nicht beim Namen nennt). Vorbildhaft ist da für ihn die BBC.

BBC macht das immer mal wieder vor, wie intelligenter, diskursiver Fernsehjournalismus geht: mal emotional und nah, wenn etwa ein Reporter in das Zimmer führt, wo sich ein altes italienisches Ehepaar erhängt hat, weil es seine Schulden nicht mehr bezahlen konnte, und man sich als Zuschauer mehr mit der Euro-Krise beschäftigt als nach hundert Rolf-Dieter-Krause-Kommentaren aus Brüssel (…).

Diez’ Kritik ist zwar naheliegend, aber doch sehr verkürzt. Am speziellen Format von Nachrichten und insbesondere Fernsehnachrichten wurde in der Vergangenheit schon häufiger verheerende Kritik geübt. Diez selbst zitiert in seiner Spiegelkolumne den Schweizer Autor Rolf Dobelli. Der Schweizer hat an verschiedenen Publikationsorten bereits seine Thesen zum Thema “News is bad for you” zum besten gegeben.

Wozu brauchen wir dann überhaupt Nachrichten? Und was sind Nachrichten? Der kluge Schweizer Rolf Dobelli hat vor Kurzem das Konzept von Nachrichten ganz grundsätzlich kritisiert, in seinem Manifest „News is bad for you“ erklärt er unter anderem, warum diese Art von Nachrichten uns früher sterben lassen, warum diese Art von Nachrichten uns zu falschen Entscheidungen verleiten, warum diese Art von Nachrichten uns dümmer und letztlich uninformierter machen – all das hat mit der Frage zu tun, was eine Nachricht ist.

Naja, “vor kurzem” erschien nur die Zusammenfassung im englischen Guardian. Der Essay selbst ist schon seit 2011 auf Dobellis Website zu lesen. Dobellis Kritik ist denn auch drastischer. Er will nicht anderen Nachrichtenjournalismus, sondern keinen:

Leben Sie ohne News. Klinken Sie sich aus. Radikal. Erschweren Sie sich selbst den Zugang zu News, so gut es geht. Löschen Sie die News-Apps auf Ihrem iPhone. Verkaufen Sie Ihren Fernseher. Greifen Sie nicht nach Zeitungen und Zeitschriften, die in Flughäfen und Zügen herumliegen. Lenken Sie Ihren Blick von den Schlagzeilen ab.

Und der sehr geschätzte Walter van Rossum berichtete schon vor einigen Jahren, wie die Tagesschau “in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht”.

News is bad for you – and giving up reading it will make you happier | Media | The Guardian

Radikal schlechte Übersetzung


08 Mai
Philosoph Quine (Foto: Wikimedia)

Philosoph Quine (Foto: Wikimedia)

Der amerikanische Philosoph Willard van Orman Quine gilt als einer der schlausten Köpfe des 20. Jahrhunderts. Insbesondere mit seiner Theorie der „radikalen Übersetzung“ hat er Furore gemacht. In der deutschsprachigen Ausgabe seines Hauptwerks „Wort und Gegenstand“ (Word and Object) findet sich allerdings eine radikal schlechte Übersetzung. Der wunderbare erste Satz des Buches lautet nämlich:

Language is a social art.

Die deutschen Übersetzer, die Philosophen Joachim Schulte und Dieter Birnbacher, haben daraus gemacht:

Die Kunstfertigkeit der Sprache ist etwas Gesellschaftliches.

Hier fehlt es wohl vor allem an Kunstfertigkeit …

 

„Cicero“ und die Pressefreiheit


06 Mai

Cicero TitelblattFangen wir ausnahmsweise mal von hinten an, bei den Leserkommentaren: “Cicero – Magazin für politische Kultur” hat anlässlich des Welttags der Pressefreiheit am 3. Mai den Beitrag eines Autors namens Wolfgang Bok unter dem Titel “Die Generation ‘G’ unterhöhlt die Innere Pressefreiheit” veröffentlicht. Das sagen die Leser dazu:

“Sehr richtiger und wichtiger Zwischenruf von Herrn Bok. Das mußte mal gesagt werden!” (Fritz Illing)
”Vor allem ist es wunderbar, daß solche Meinungen nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand, sondern in aller Öffentlichkeit zu hören sind.” (Henning Komarow)
”Wenn Unbildung oder Halbbildung auf rot-grüne Einstellung treffen, was will man da von dieser »Schurnallje«noch erwarten?” (Raimund Moenig)
”Wir bekommen doch nur noch zu hören oder Lesen,was bestimmte Kreise möchten. Meiner meinung nach haben wir doch im stillen schon eine Diktatur.” (Wilfried Stein)

Was kann in einem Artikel gestanden haben, der solche Reaktionen hervorruft? Was hat einer in der Hand und im Griffel, das die “Das musste mal gesagt werden”-Fraktion zu derartigen Elogen ermutigt und einige gar schon die Meinungsdiktatur hinterm beschränkten Horizont auftauchen sehen lässt? Was wird da hinter “vorgehaltener Hand” gemunkelt, was ein Autor namens Wolfgang Bok nun endlich “in aller Öffentlichkeit” vernehmen lässt? (mehr …)

Feinde der Pressefreiheit


03 Mai
Foto: Maren Beßler/Pixelio

Foto: Maren Beßler/Pixelio

Am 3.Mai jährt sich der „Tag der Pressefreiheit“, der von der UNESCO ausgerufen wurde. Aus diesem Anlass hat die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ eine Liste mit den schlimmsten Feinden der Pressefreiheit veröffentlicht. „Wenig überraschend“ findet es der IT-Blog Gulli, dass zahlreiche afrikanische Staatschefs auf der Liste stehen. Dort wundert man sich aber, dass trotz der häufig laut gewordenen Kritik aus Südamerika nur ein einziger Machthaber auf die Liste gefunden hat:

Trotz einiger Kritik an der Pressefreiheit in Südamerika schaffte es nur ein Staatschef aus dieser Region auf die Liste der Feinde der Pressefreiheit: Kubas Präsident Raúl Castro. Daneben stehen aber unter anderem die „Zetas“, die mexikanischen Drogenkartelle, ebenfalls auf der Liste. Diese Gruppe habe Mexiko zum „gefährlichsten Land des Kontinents für Journalisten“ gemacht, so der Vorwurf – seit dem Jahr 2000 seien 86 Journalisten getötet worden und 17 spurlos verschwunden. Daneben seien auch Menschenrechts-Aktivisten entführt oder ermordet worden.

Auch Europa kommt, wie zu erwarten, nicht ungeschoren davon. Neben den „üblichen Verdächtigen“ in Osteuropa wird in Westeuropa vor allem Italien als Negativbeispiel genannt. Und das nicht unbedingt wegen staatlicher Einflussnahme, sondern wegen der pressefreiheitsgefährdenden Umtriebe der Organisierten Kriminalität in Italien, sprich: Mafia & Co.:

 Ebenfalls ein Problem mit der freien Berichterstattung gibt es in Italien. Dieses kommt aber nicht von offizieller Seite. Vielmehr zeichnet dort die Mafia – gelistet als „Camorra, ‚Ndrangheta, Sacra Corona Unita, Cosa Nostra, organisiertes Verbrechen“ – für Repression gegen Journalisten verantwortlich. Die zerstrittenen Mafia-Clans zeigten sich, wenn es gegen eine kritische Berichterstattung gehe, durchaus zur Kooperation bereit und in der Lage, so die Einschätzung ROGs. In den 1990ern seien mehrere Journalisten erschossen worden oder unter mysteriösen Umständen bei angeblichen Unfällen ums Leben gekommen, wofür bis heute kein Mafioso zur Rechenschaft gezogen worden sei. Häufig würden kritische Pressevertreter bedroht, verprügelt oder ihr Eigentum beschädigt. Teilweise würden auch die Familien der Journalisten drangsaliert. Viele Journalisten hätten eine kritische Berichterstattung über die Mafia daher mittlerweile aufgegeben, so ROG. Diejenigen, die dies nicht täten, hätten häufig untertauchen müssen und stünden unter permanentem Polizeischutz. Zunehmend gehe die Mafia jedoch von Gewalt hin zu subtileren Methoden über. Durch politische Einflussnahme und gezielte Bestechung seien bereits eine Reihe von Zeitungen und lokalen TV- und Rundfunksendern kompromittiert worden. Alles in allem habe die Mafia „ein Ausmaß von Selbstzensur durchgesetzt, das in Europa einzigartig ist„.

Die komplette Liste ist hier einzusehen.

Medienwissenschaft paradox: Facebook-Zahlen, die niemanden interessieren


02 Mai

Der Mathematiker Stephen Wolfram soll „mit einer eigenen Software“ (!) das Nutzungsverhalten von Facebook-Usern untersucht haben, wie der KressReport berichtet. Was hat er herausgefunden?

Männliche Facebook-User reden mehr über Sport, weibliche eher über Familie und Freunde. Zu diesem Ergebnis kommt der Mathematiker Stephen Wolfram, der mit einer eigenen Software Nutzerverhalten und Gesprächsthemen der Facebook-User analysiert hat. Mit seiner Software hat sich Wolfram die Datenflut bei Facebook zu Nutze gemacht und zahlreiche Facebook-User analysiert. Über eine Million Menschen haben der Datenerhebung zugestimmt (…).

Und der Mathematiker hat noch mehr Erkenntnisse:

Die meisten User sind zwischen 20 und 30 Jahren alt, danach zeigt die Nutzerkurve steil nach unten. Aber auch bei den jungen Nutzergruppen bleibt Facebook nicht vom allgemeinen Trend verschont: Auch hier gehen die Userzahlen langsam zurück

Sind das wirklich relevante Daten, sind das wirklich Ergebnisse, auf die jemand gewartet hat oder die gar handlungsrelevant sind? Selbst der KressReport, der über die Erhebung berichtet, ist am Zweifeln: „Einige der Ergebnisse sind durchaus überraschend, andere dagegen nicht“. Selbst der Hinweis auf zurückgehende Nutzerzahlen könnte nicht für einen neuen Trend, sondern schlicht für statistische Normalität stehen. Ist der Grenznutzen erstmal erreicht, wovon bei über einer Milliarde Facebook-Nutzer weltweit auszugehen ist, so können die Zahlen gar nicht anders als sinken. Ähnlich wie zuvor die irrelevante Berichterstattung über ständig steigende Nutzerzahlen von sozialen Netzwerken ist auch im umgekehrten Fall ein Erkenntnisinteresse nur schwer auszumachen.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter