Archive for Dezember, 2013

Shitstorm kostet Kölner Stadtanzeiger die deutsche Grammatik


22 Dez

Eine unbedachte Äußerung hat eine amerikanische PR-Beraterin jetzt den Job gekostet:

tweet_job1Dieser Tweet soll einen Shitsorm ausgelöst haben. Der Artikel des Kölner Stadtanzeigers darüber hat allerdings die deutsche Sprache die Grammatik gekostet:

Eine unbedachte Äußerung in Sozialen Netzwerken kann das Leben in einen Alptraum verwandeln. Das muss jetzt die US-amerikanische PR-Managerin Justine Sacco erfahren. Ihr rassistischer Tweet hat eine Welle der Empörung ausgelöst und ihr den Job gekostet.

Wenn man sich schon unbedingt gepflegt ausdrücken will, dann sollte man auch ein gepflegtes Verhältnis zur deutschen Sprache haben. Und die Frage, ob es sie etwas gekostet oder ob jemand an ihr gekostet oder was es eigentlich die Sprache kostet, ist ja auch journalistisch in diesem Zusammenhang nicht völlig irrelevant. Wenn diese Fragen geklärt wären, könnte man nämlich überhaupt erst anfangen, sich übers Wesentliche zu unterhalten: Warum geht der Kölner Stadtanzeiger eigentlich davon aus, dass die unverhohlen rassistische Äußerung „unbedacht“ gewesen sei? Warum nimmt man dort wie selbstverständlich an, dass blonde weiße PR-Beraterinnen nicht wüssten, was sie reden oder schreiben? Warum löst so etwas eigentlich niemals einen Shitstorm aus?

 

Wenn Journalisten streiken: Rechtschreibung fällt aus


19 Dez

Gerade finden die Tarifverhandlungen für die 14.000 Journalisten an Tageszeitungen statt. In München hat deshalb der Bayerische Journalistenverband (BJV) zu Streik und Demonstration aufgerufen. Was es bedeutet, wenn die Profis der deutschen Sprachbeherrschung in den Ausstand treten, machen sie äußerlich deutlich durch den Sprachgebrauch auf ihrem Transparent:

bjv_streikt_thumb.jpg

Foto: Maria Goblirsch

Offenbar streiken nicht nur die Journalisten, sondern auch die deutsche Rechtschreibung. Das Wort “selig” schreibt sich nämlich mit einem “e” und nicht mit zwei “ee”. Und das hat einen einfachen Grund: Es hat nichts mit der “Seele” zu tun, wie man nachlesen kann:

Auch wenn es naheliegend erscheint: Das Wort selig leitet sich nicht von „Seele“ ab, sondern geht auf ahd. „sälig“ = „gut, glücklich; gesegnet; heilsam“ zurück.

Da haben es uns die bayerischen Journalisten aber gezeigt!

Nachtrag (17:40 Uhr): Ein Kommentator weist darauf hin, dass bei der Demonstration auch Transparente mit der Aufschrift

one Kwallidät kets pergap
https://twitter.com/BJVde/status/412972717713805312

zu sehen waren. Ich möchte hier den bayerischen JournalistInnen übrigens nicht unterstellen, der bayerischen, äh: deutschen Rechtschreibung nicht mächtig zu sein — oder jedenfalls nicht allen gleichermaßen. Mir ging’s eher darum, dass mir solche Wortspielchen ein bisschen zu plakativ sind. Naja, war ja auch auf einem Plakat, zugegeben. Also haben wir es uns jetzt hoffentlich alle allen gegenseitig gezeigt.

Bayerischer Journalisten Verband

Der Herbstmeister der Statistik


10 Dez

fc koelnEndlich haben wir ihn gefunden, den Herbstmeister der Statistik! Lange war das Rennen ja offen, aber nun hat sich aus dem Heer der journalistischen Publikationen, für die Zahlen und Statistik nur das Herbstlaub im grünen Garten des storytelling sind, ein Favorit herausgemendelt. And the winner is: The Kölner Stadtanzeiger!

Nun ist es ja, wenigstens aus Kölner Sicht, sehr erfreulich, dass der Erste Fußballclub Köln zum Ende der Hinrunde Tabellenführer der 2. Fußballbundesliga ist und sich darum den inoffiziellen Titel des „Herbstmeisters“ ans Revers heften darf. Aber tatsächlich kann sich kein Fußballclub für diesen Pseudotitel etwas kaufen. Er ist reines Journalistenfutter, um irgend etwas zu schreiben zu haben. Auch wenn das die Fußballreporter des Kölner Stadtanzeigers anders sehen:

Zumindest statistisch betrachtet  hat der Herbsttitel einen gewissen Wert. In den vergangenen 18 Jahren stieg der Hinrundensieger 14 Mal auf. Somit ist der Frust, mit 33 Zählern den angestrebten Schnitt von zwei Punkten pro Spiel knapp verpasst zu   haben, überschaubar.

Selbst wenn der sog. Herbstmeister in den vergangenen 18 Jahren vierzigmal aufgestiegen wäre, würde das über den zukünftigen Verlauf der aktuellen Spielzeit statistisch rein gar nichts aussagen. Voraussagen über zukünftige Ereignisse alleine rechnerisch aus einer Serie in der Vergangenheit herzuleiten, ist ein unzulässiger Schluss. Wenn die Spieler des 1. FC Köln am Ende der Saison tatsächlich aufsteigen sollten, dann weil sie gut Fußball gespielt haben und nicht weil sie gut in Mathe sind. Auch ob eine Mannschaft nun einen Schnitt von zwei Zählern pro Spiel ergattern konnte oder nicht, ist reine Pseudoinformation, aus der nichts folgt. Was soll schließlich der Hinweis, Torschütze Ujah habe „731 Minuten ohne Torerfolg“ erzielt? Nach der den Sportreportern eigenen Mathe-Logik hätte es dann doch dieses Tor gar nicht geben dürfen: Denn wer 731 Minuten kein Tor schießt, der dürfte demzufolge in der 732. Minute auch kein Tor schießen.

Überlassen wir das Fazit dem Manager des 1. FC Köln, Jörg Schmadtke, der es überaus präzise auf den Punkt gebracht hat: „„Das ist okay, aber am Stammtisch wichtiger. Das hat keinerlei Bedeutung. Wichtig ist, was im Mai ist“.

Beinahe-Journalismus


08 Dez

Knapp vorbei ist auch daneben: Diese im alltäglichen Leben, im Sport und anderen Kleinigkeiten zählende Regel findet sich im Journalismus aufgehoben. Eine Story kann man schließlich aus allem machen, also auch aus nichts. Das hat sich auch der Nahost-Korrespondent der F.A.Z. gedacht, als er etwas, das nicht passiert ist, zum Thema seines Beitrags machte:

Ausschnitt: F.A.Z.-Online

Ausschnitt: F.A.Z.-Online

Eine amerikanische Sängerin namens Jennifer Grout hätte beinahe bei „Arabs got Talent“, der arabischen Variante der auch in Deutschland unter dem Titel „Supertalent“ bekannten Fernsehshow, gewonnen. „Hätte beinahe“: Hat sie nämlich nicht. So kann man natürlich eine Zeitung auch füllen, indem man über all das berichtet, was „beinahe“ passiert wäre! Beinahe hätte ich im Lotto gewonnen. Beinahe hätte die SPD die Bundestagswahlen gewonnen. Beinahe hätte es junge Hunde, Plumpudding oder goldene Taler geregnet. Im Journalismus scheint das eine gar nicht so selten vorkommende Stilfigur zu sein. Pardon, von Journalismus sollten wir hier vielleicht nicht reden: Es ist Beinahe-Journalismus.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter