Archive for Juni, 2014

Journalismus macht depressiv


28 Jun
Journalist dreht durch (Foto: B. Thorn/Pixelio)

Journalist dreht durch (Foto: B. Thorn/Pixelio)

Journalismus steht auf der Top-Ten-Liste der depressiv-machenden Berufe. Forscher der Universität Cincinnati haben den Zusammenhang zwischen Job und der Neigung zu Depressionen untersucht. Danach steht der Beruf des Journalisten auf dem zehnten Platz.

Die Wissenschaftler haben Krankenakten von 215.000 erwerbstätigen Erwachsenen im US-Staat Pennsylvania ausgewertet. Wer sich im Untersuchungszeitraum zwischen 2001 und 2005 mit „depressiven Störungen“ hat krankschreiben lassen oder behandeln lassen, gilt dabei als depressiv.

Journalisten, Autoren und Verleger liegen mit 12,4 Prozent auf Platz 10. Broker mit 12,6 Prozent bilden Platz 9. Den achten Platz nehmen Mitglieder von politischen Organisationen ein. Beamte im Bereich Umweltschutz belegen Platz 7. Immobilienmakler landen auf dem sechsten Platz. Danach kommen Krankenschwestern, Dienstleister und die Angestellten im Nah- und Fernverkehr.

Was die Forscher herausgefunden haben, ist, dass zu Depressionen neigt, wer wenig körperliche Arbeit leistet. Auch wer beruflich viel mit Menschen zu tun hat, wird statistisch häufiger depressiv.

Originalitätspreis der Woche: Die Zeit und der Sex des Fußballs


11 Jun

Der journalistische Originalitätspreis der Woche geht an die Wochenzeitung Die Zeit. Die hat ja seit einer Weile eine eigene Fußballseite, was vermutlich zur positiven Auflagenentwicklung beigetragen hat, aber an sich auch nicht sonderlich originell ist. In der aktuellen Ausgabe der Zeit ist ein Interview mit den TV-Kommentatoren Marcel Reif und Béla Réthy zur ebenfalls nicht zu originellen These, „Brasilien ist die letzte Chance für Deutschlands goldene Fußballergeneration“. Man findet darin so unfassbar wenig originelle Feststellungen wie: „Es gab noch nie eine Mannschaft mit so vielen guten Fußballspielern in Deutschland“, zumal sich die Anzahl der Fußballspieler auf dem Feld seit vielen, vielen Jahren nicht mehr geändert hat. Aber den Originalitätspreis haben sich die beiden Interviewer Moritz Müller-Wirth und Bernd Ullrich verdient mit folgender unfassbar originellen These:

Wir machen mal den Vorschlag zur Definition: Fußball ist wie Sex! Banal und alltäglich und gleichzeitig mit das Großartigste, was es gibt.

Es steht zu befürchten, dass die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft noch zu einem wahren Feuerwerk solcher bratwurstjournalistischer Einsichten führen wird.

Unwetter ohne WDR: Kachelmann fordert Intendanten zum Rücktritt auf


10 Jun
Wetter-Moderator Jörg Kachelmann (Foto: René Mettke/Wikimedia)

Wetter-Moderator Jörg Kachelmann (Foto: René Mettke/Wikimedia)

Ein verheerendes Unwetter zog gestern über Nordrhein-Westfalen, verursachte immensen Schaden und kostete mindestens fünf Menschen das Leben. Der Wetter-Experte und ehemalige ARD-Wettermoderator Jörg Kachelmann schreibt nun in seinem Blog, dass dieser schwere Sturm schon frühzeitig vorhersehbar war, ohne dass der Westdeutsche Rundfunk mit deutlichen Warnungen darauf reagiert habe:

Was mögen Sie gestern getan haben, als Sie erfahren haben, dass es in dem Bundesland, dass Ihnen anvertraut wurde, schwere Gewitter geben wird? Sind Sie in den Sender gefahren, um zu besprechen, wie man Warnungen in das Fernsehprogramm integrieren kann? Haben Sie mit Meteorologen Kontakt aufgenommen um zu erfahren, wann die wahrscheinlichste Eintreffenszeit der Unwetter ist? Ich weiss es nicht. Ich war nicht in Nordrhein-Westfalen, um zu sehen, was Sie vorgekehrt haben, um Menschenleben zu retten. Betrachtet man den Twitteraccount von WDR2, liegt die Vermutung nahe, dass Sie den Pfingstmontag so verbracht haben, wie es wohl vorgesehen ist, wenn man de facto unkündbar ist: mit Nichtstun.

Kachelmann weist auch darauf hin, dass zu dem Zeitpunkt, als am frühen Abend Orkanböen bereits Aachen und das westliche Rheinland erreicht hätten, der WDR anderes zu berichten hatte, anstatt die Zuschauer und Zuhörer zu warnen:

WDR Tweet entenhausen

Selbst als der Sturm schon Köln erreicht habe, habe der WDR, so Kachelmann, so getan, als handle es sich um ein noch bevorstehendes Ereignis, und habe seinen Zuschauern und Zuhörern via Twitter gewünscht: „Kommt sicher nach Hause“. Der Schweizer Wettermoderator folgert daraus, dass der WDR und sein Intendant Tom Buhrow Mitverantwortung für die Opfer des Sturms trage:

Sie “erwarten” etwas, was schon seit über einer halben Stunde da war. Sie lassen Ihre Zuschauer und Zuhörer erst alleine und lügen Sie am Ende auch noch an. Durch Ihr Nichtstun sind Sie mitverantwortlich, dass Menschen verletzt und getötet wurden. Wäre der WDR in den USA tätig, würden jährlich Tausende Menschen in Hurricanes und Tornados sterben. Sie und Ihr Sender hatten und haben keinen Plan, wie Sie etwas Wichtiges tun können, tun müssen, wenn es um Leib und Leben Ihrer Gebührenzahler geht. Ich zweifle nicht, dass Sie heute tolle Sondersendungen machen werden, womöglich einen peinlichen ARD-Brennpunkt produzieren, in dem Sie die Orte zeigen, an denen Menschen gestorben sind.

Diese Menschen hätten nicht sterben müssen, hätten alle mitgeholfen, die Zuschauer in NRW live erreichen zu können und rechtzeitig zu warnen. Sie sind gemeint. Sie und Ihr Sender waren gestern entweder faul, inkompetent, ignorant oder alles zusammen. In staatstragenden Tagesthemen-Kommentaren wird bei solchem Fehlverhalten durch Politiker gerne ein Rücktritt gefordert.

Eine Reaktion von Seiten des WDR steht noch aus.

Nachtrag 11.06.2014: Mittlerweile hat der WDR auf die Vorwürfe reagiert. „Der WDR hat am Pfingstmontag ab 6 Uhr morgens durchgehend Unwetterwarnungen und Schlechtwetterprognosen gemeldet“, so Sprecherin Kristina Bausch auf DerWesten.de. Auch über Twitter, Teletext und in den Sendungen habe der WDR berichtet. „Wie nach jedem Katastrophen- oder Kriseneinsatz werden wir auch in diesem Fall nacharbeiten, was wir künftig gegebenenfalls noch besser machen können.“

Tagesschau im Wetterloch


03 Jun
Screenshot: Tagesschau 01.07.2014

Screenshot: Tagesschau 01.07.2014

Nun hat also auch die ARD Tagesschau ihr Wettergate: Am Sonntag in der Hauptausgabe um 20:00 Uhr hat die ARD-Nachrichtensendung den Wetterbericht vergessen und stattdessen ein schwarzes Loch gezeigt. Während das die ARD-Zuschauer wie die Medienjournalisten offenbar hochgradig irritiert, ist doch zu sagen, dass eine solche Fehlschaltung beim Fernsehen nicht Ungewöhnliches ist und früher viel häufiger vorkam. Es reichte schließlich eine übermüdete studentische Hilfskraft am Bildmischer oder ein AV-Techniker, der die Beta-Kassetten vertauscht hatte.

Was an der Tagesschau-Panne vom vergangenen Sonntag viel auffälliger war, das war die Reaktion des Tagesschau-Sprechers Jan Hofer. Völlig ungerührt nämlich setzte er die Sendung fort, als wäre alles mit rechten Dingen zugegangen. Hier fragt sich doch, ob die Tagesschau wirklich live auf Sendung geht, oder ob die einzelnen Elemente inklusive der Sprecheraufnahmen vorkonfektioniert sind und nur noch zur, hoffentlich, richtigen Zeit abgespult werden. So jedenfalls wären sowohl die Panne als auch die ungerührte Fortsetzung der Sendung zu erklären. Echtzeitjournalismus ist etwas Anderes.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter