Archive for September, 2014

Wieviel Internet es laut deutschem Journalismus gibt


17 Sep
Foto: Pascal Ballottin/Pixelio

Foto: Pascal Ballottin/Pixelio

Journalisten und große Zahlen: Sie lassen sie sich einfach nicht verbieten. Dabei würde mancher journalistischer Unsinn verhindert, wenn Journalisten nicht immer wieder auf große Zahlen reinfallen würden. Denn die Wahrheit ist oft eine andere: Zum Beispiel könnten die Zahlen in Wahrheit noch viel, viel größer sein …

Das Internet ist zwanzig Jahre alt. Aber wie groß ist es eigentlich? Eine obskure amerikanische Quelle gibt an, dass das Internet heutigen Tags exakt 1 Milliarde Seiten aufweise. Eine solche Gotteszahl können sich deutsche Redaktionen nicht entgehen lassen:

„Das Internet hat mehr als eine Milliarde Webseiten“ (Stern)
„Internet-Statistiken: 1 Milliarde Websites online“ (Giga)
„Internet knackt die Zahl von einer Milliarden Seiten“ (sic!)(Handelszeitung)
„Über eine Milliarde Websites online – Internet so groß wie nie zuvor“ (ntv)

Nachgerechnet oder gar recherchiert hat allerdings aus diesen und vielen anderen Redaktionen, die diese Zahl kolportierten, niemand. Dabei macht nicht nur die (sehr geringe) Zahl skeptisch, sondern auch die Frage, wonach hier eigentlich gefragt wird: Einzelne aufrufbare Seiten im World Wide Web? Einzelne Domains? Domains mit ihren Subdomains? Je nach dem, wonach exakt gefragt wird, kommen extrem unterschiedliche Zahlen heraus.

Der Internet-Suchgigant Google hat bereits im Jahr 2008 im hauseigenen Blog erklärt, mehr als 1 Billionen Websites indiziert zu haben. Fortan gab Google gar nicht mehr erst Auskunft darüber, um wieviele Seiten der Index zugelegt hat. Eine kleine Probe aufs Exempel kann jeder Google-Nutzer machen, indem er einfach das Wort „Google“ googelt:

Googlesuche001Allein Webseiten, auf denen das Wort „Google“ vorkommt, gibt es also laut Google schon deutlich mehr als eine Milliarde. Die Computerschool hat in einer hübschen Visualisierung aufgemalt, für wie groß sie alleine Google hält — auch dabei kommen Zahlen heraus, die die „1-Milliarde-Legende“ ziemlich relativieren. Demnach soll es im Jahr 2010 schon mehr als 40 Milliarden Webseiten gegeben haben.

Kevin Kelly, einer der Gründer des Wired Magazine, geht davon aus, dass es mindestens eine Billion Internetseiten gibt. Bemerkenswert ist das für Kelly deswegen, weil das menschliche Gehirn „nur“ 100 Milliarden Neuronen aufweise, die miteinander vernetzt seien. Allerdings:

Während eine Website im Schnitt mit 60 anderen Sites vernetzt ist, kann das menschliche Gehirn das Hundertfache an Links vorweisen. Aber, so wendet Kelly korrekterweise ein, “ein Gehirn verdoppelt nicht alle paar Jahre seine Größe”.

Die gemeinnützige Stiftung des WWW-Erfinders, Tim Berners-Lees World Wide Web Foundation, soll für Klarheit sorgen: Google gibt eine Million Dollar dazu, damit die Stiftung die Größe des Internets mit einiger Zuverlässigkeit ermittelt. The Web Index heißt dieses Projekt. Es könnte sich aber als Sysiphos-Projekt entpuppen. Denn die zahlenmäßige Größe des exponentiell wachsenden Internets lässt sich womöglich aus systematischen Gründen gar nicht genau angeben. Denn große Teile des Internets sind mit herkömmlichen Methoden, also zum Beispiel mittels Suchmaschinen, gar nicht auffindbar und darum auch nicht zählbar. Dieser Teil des Internet wird auch als „deep web“ oder als „invisible web“ bezeichnet. Dazu zählen nicht nur solche Internetseiten, die sich in Anonymisierungsnetzwerken wie TOR verstecken. Auch dynamische Webseiten, die sich erst nach Nutzereingaben aufbauen (zum Beispiel Datenbanken), können nicht recht mitgezählt werden. Es gibt Stimmen, die behaupten, dass dieses „deep web“ um den Faktor 400 bis 550 größer sei als das „visible web“.

Egal, wieviele Internetseiten es gibt, 1 Milliarde Seiten sind es mit recht großer Sicherheit nicht. Noch stutziger hätte einen eine weitere Angabe in der hauptsächlich von der Nachrichtenagentur AFP verbreiteten Nachricht machen:

Nach Angaben von internetlivestats.com gingen allein am Dienstag 3,1 Milliarden Suchanfragen bei Google ein.

Denkt man beide Zahlen zusammen, bedeutet das, dass nach jeder einzelnen der angeblich 1 Milliarde Internetseiten dreimal täglich gesucht würde. Dass es dreimal mehr Suchanfragen als Internetseiten geben soll, ist auch nicht recht plausibel. Ein bisschen Recherchieren oder einfach ein bisschen Nachdenken hätten gereicht, um eine solche Ente nicht zu verbreiten.

 

 

Die „Bunte“ wird schwarz-weiß


06 Sep

Den Colorismus kann man als die journalistische Krankheit bezeichnen, bei der ein doch vor allem grauer Alltag in überwiegend regenbogenbunten Farben dargestellt wird. Deswegen spricht man auch von Regenbogenpresse. Das Klatschblatt „Bunte“ aus dem Burda-Verlag ist da, nomen est omen, ein besonderer Patient. Die Selbstheilungschancen gehen bei diesem Leiden gegen Null. Nur starke externe Therapie vermag für eine Weile Remedur zu schaffen. Die Online-Ausgabe der „Bunte“-Ausgabe der vergangenen Woche war jedenfalls alles andere als bunt, sondern vielmehr großflächig weiß:

Eine weiße "Bunte" (Screenshot: Bildblog)

Eine weiße „Bunte“ (Screenshot: Bildblog)

Ursprünglich soll, laut Bildblog, eine Titelgeschichte über Bundespräsident Joachim Gauck und einen vermeintlichen Familienkrach geplant gewesen sein. Doch offenbar ist der Präsident juristisch gegen diese „Berichterstattung“ vorgegangen. Auch im Innenteil des Blattes ist nämlich die Farbe abhanden gekommen. Gleich vier Seiten der „Bunten“ sehen stattdessen so aus:

"Bunte" goes black (Screenshot: Bildblog)

„Bunte“ goes black (Screenshot: Bildblog)

Dass die „Bunte“ gesundheitliche Probleme mit der Sprache, der Wahrheit und überhaupt dem Journalismus hat, ist von kritischen journalistischen Notfallpraktikern schon wiederholt diagnostiziert worden. Allein im laufenden Jahr musste die „Bunte“ schon in zehn Fällen Artikel schwärzen. Bildblog stellt fest:

 Zu ihren Opfern gehörten allemöglichen Promis, von Lukas Podolski über Corinna Schumacher und die monegassische Fürstenfamilie bis hin zu Katrin Göring-Eckardt.

Neben Gauck hat auch der Schauspieler Martin Simmelrogge aktuell eine Gegendarstellung erwirkt, die zeigt, wie sehr die Redaktion der „Bunten“ an der Wahrheit und all dem Gedöns laboriert:

Bunte Gegendarstellung (Screenshot: Martin Semmelrogge)

Bunte Gegendarstellung (Screenshot: Martin Semmelrogge)

„Alles so schön bunt hier“, sang einst Nina Hagen. Im Falle der Pöblikation „Bunte“ ist es noch schöner, wenn alles mal schwarz-weiß bleibt.

Studie: Kids hocken zuviel am Computer


03 Sep

Von wegen Post-PC-Ära: Laut einer Studie der Techniker-Krankenkasse verbringt ein Drittel der Jugendlichen jeden Tag zwei Stunden und mehr vor dem Computer:

Etwa jeder dritte Junge zwischen 12 und 17 Jahren spielt laut einer Studie auch an normalen Schultagen bis zu zwei Stunden und mehr mit Computer, Handy oder Konsole. (…)  Ein Drittel der Mädchen ist ebenso lange in Chatrooms unterwegs, skypt oder mailt.

Auf eine Stunde Bewegung pro Tag kommt dagegen nur ein Fünftel der Jugendlichen.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter