Archive for Oktober, 2014

Fehlender Verstand: „Sexy Selfies“ auf bild.de


30 Okt
Screenshot bild.de

Screenshot bild.de

Die Redaktion von bild.de ruft in ihrer Fotocommunity 1414 dazu auf, „sexy selfies“ von sich hochzuladen. Und das mit einer durchaus paradoxen Aufgabenstellung – O-Ton:

Du bist eine absolute Schnappschuss-Queen oder Frauenschwarm und inszenierst dich am liebsten selbst? Dann zeige uns deine Schokoladenseite und schieße uns ein Bett-Selfie, Bikini-Selfie oder Dusch-Selfie – Hauptsache sexy! Ganz wichtig ist übrigens das richtige Posieren: Brust raus, Po raus, Bauch rein und als Mann die Muskeln anspannen. Zeigt ruhig etwas Haut, aber achtet darauf, nicht zu viel zu zeigen

Den zwei Gewinnern, die von einer „Jury“ ermittelt werden, winken sage und schreibe 100,- Euro für die Selbstentblößung. Der Medien-Branchendienst turi2 urteilt, das Ergebnis lasse „am Verstand der Menschheit zweifeln“.

Wundersame Welt der Werbung


28 Okt

Seltsame Werbung: Die Deutsche Bahn brüstet sich auf einem überdimensionalen Plakat im Kölner Hauptbahnhof damit, dass ihre Fahrgäste häufiger den Anschluss verpassen. Worin soll hier eigentlich der Werbeeffekt bestehen: Mitleid? Und warum ist ein weiblicher FC-Fan mit Fan-Schal abgebildet? Weil die Deutsche Bahn der Meinung ist, dass auch beim 1. FC Köln schon alles zu spät ist? Oder dass bahnfahrende Fußballfans sich warm anziehen müssen? Rätsel über Rätsel.

Bahnanschluss

Wie Werbung richtig geht, zeigt der schwedische Möbelbauer IKEA im Kölner Boulevardblatt Express:

Express_Ikea

Oder handelt es sich hier womöglich gar nicht um Werbung, sondern um einen redaktionellen Beitrag? Oh, wundersame Welt der öffentlichen Kommunikation.

WDR: Stumpf in der Flugverbotzone


10 Okt

Liebe LeserInnen, liebe MitdiskutiererInnen, liebe Mitleidende!

Ich habe mich nach langem Nachdenken, vielen Gesprächen und einer für meine Verhältnisse unfassbar großen Zahl an Emails, die ich zu diesem Thema erhalten habe, entschlossen, den Blogeintrag zur Auseinandersetzung um eine ARD-„Story“ von Tim van Beveren und zu seinem Streit mit dem veranstaltenden Sender WDR und einiger seiner festangestellten Redakteure hier herunterzunehmen. Wer die Hintergründe dieser Auseinandersetzung nachlesen will, wird in diesem taz-Artikel und dieser Darstellung des Mediendienstes dwdl.de fündig. Es liegt dazu auch eine Darstellung des WDR vor. Die neueren Entwicklungen lassen sich auch in diesem dwdl-Artikel nachlesen.

Meine Entscheidung hat zwei Hintergründe: Der eine ist eine Abmahnung und die Aufforderung zu einer Unterlassungserklärung durch die Anwaltskanzlei von Dr. Roman Stumpf, einem der in die Geschichte verwickelten WDR-Redakteure. Ich kann dem Folge leisten, weil es mir nicht darum ging, eine einzelne Person womöglich zu „pathologisieren“ (was mir fachlich nicht zusteht, wie ich auch explizit geschrieben habe), sondern darum aufzuzeigen, dass der WDR sich zu einem System entwickelt hat, dass in seiner Grundanlage „krank“ ist. In einem solchen System sind alle, die sich darin befinden, „Opfer“, auch wenn sie womöglich auf der anderen Seite als festangestellte Redakteure „Täter“ sind, die eine Mitverantwortung dafür tragen, wie das System konkret ausgestaltet ist. Das nennt man dann wohl Dialektik. Die „freien“ MitarbeiterInnen des WDR, die mehr als 90 % des Programms herstellen, sind in diesem System immer das schwächste Glied, obwohl sie die größte Last des Programmauftrags tragen müssen. Dass der WDR als öffentliche Anstalt, die mit öffentlichem  Geld finanziert wird (und das sind jährlich Milliardenbeträge), einer besonderen öffentlichen Kontrolle und Kritik unterzogen werden darf und muss, scheint mir auf der Hand zu liegen.

Der andere Grund ist, dass dies hier nicht meine Geschichte ist, sondern die des Kollegen Tim van Beveren. Hier ein neues Fass aufzumachen, scheint mir durchaus unangebracht und auch kontraproduktiv. Zumal die Geschichte jetzt ohnehin die juristische Dimension erreicht hat und keinen Nebenkriegsschauplatz mehr braucht. Tim van Beveren gehört dabei meine volle Solidarität, weil ich nur zu gut nachfühlen kann, was ihm widerfahren ist. Mir ist Ähnliches in mehr als einem Fall im WDR und mit seinen festangestellten RedakteurInnen geschehen. Und ich werde auch in Zukunft allen, die davon nichts hören wollen, weiter erzählen.

Der WDR hat, wie alle öffentlich-rechtlichen Sender, einen gesetzlichen Programmauftrag. Wer mit seinen eigenen Programmmachern so umspringt, entzieht sich selbst die Existenzberechtigung. Das wäre schade: nicht um Stumpf und seinen Sender, aber um all die exzellenten AutorInnen und JournalistInnen, die einfach nur ihre Arbeit machen wollen. Ein öffentliches Programm in der Hand der Programmmacher, das wäre eine ganz große Sache. Der WDR ist davon weit entfernt.

Besser männlich, einsilbig und nicht aus Deutschland


10 Okt

Wer es mit einer Neuerscheinung auf eine Bestsellerliste bringen möchte, sollte als Autor männlichen Geschlechts sein, er  besser nicht aus Deutschland kommen und seinem Werk einen Titel geben, der aus höchstens drei Wörtern besteht. Zu diesem Ergebnis kommt eine statistische Auswertung von Bestsellerlisten der vergangenen fünfzehn Jahre, die Prof. Dr. Hektor Haarkötter im Rahmen eines literatur- und medienwissenschaftlichen Forschungsprojekts an der Universität Stuttgart durchgeführt hat. Untersucht wurden Belletristikbestsellerlisten des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL zwischen 2003 und 2012 sowie die Top-100-Bestsellerlisten aus dem „Amazon Bestseller-Archiv“ zwischen 1998 und 2013. Die Bestseller-Liste des SPIEGEL enthält die zwanzig meistverkauften Buchtitel, wie sie das Fachmagazin BUCHREPORT durch elektronische Abfrage der Warenwirtschaftssysteme von über 500 ausgewählten Buchhändlern ermittelt. Die Amazon-Bestenliste basiert auf den Verkaufszahlen des Onlinehändlers. Hier wurden zusätzlich die Kundenbewertungen miterhoben, um Aufschluss darüber zu erhalten, inwieweit die Bewertungen anderer Leser zu Kaufentscheidungen führen können. Die Amazonliste unterscheidet, anders als der SPIEGEL, nicht nach Belletristik und Sachbuch. Insgesamt wurden über 3.600 Positionen in 19 Kategorien ausgewertet. Neben Titel und Untertitel wurde unter anderem nach Namen und Herkunft des Autors, eventueller Doppelautorschaft, Buchpreis, Verlag, Seitenzahl und Sprache gefragt. Nach dieser Erhebung wurden im Untersuchungszeitraum von den 20 meistverkauften Büchern mehr als sechzig Prozent von Männern verfasst und nur 39 Prozent von Frauen. Doppelautorenschaften spielen bei Bestsellern keine Rolle. Ein Blick auf die Top 100-Liste verschärft dieses Bild sogar noch. Danach gab es Jahre, in denen es nur 18 Prozent der von Frauen verfassten Titel auf die Bestenliste geschafft haben.

Deutsche Bestseller-Autoren? Eine Minderheit

Auch was die Nationalität der Bestsellerautoren angeht, ist das statistische Bild eindeutig: Von den 3.141 Autoren, die es im Untersuchungszeitraum unter die zwanzig meistverkauften Bücher geschafft haben, kamen nur 29 Prozent aus Deutschland. In der Top 100-Liste hielten sogar nur 27 Prozent deutsche Autoren Einzug. Den Löwenanteil machten englischsprachige Autoren mit 43 Prozent. Dabei stammten 29 Prozent der Bestsellerautoren auf dem deutschen Buchmarkt aus den USA und 14 Prozent aus Großbritannien. Wie sollte der Titel eines Bestsellers beschaffen sein? Statistisch wäre zu raten, einen Titel zu wählen, der aus maximal drei Wörtern besteht. 57 Prozent der Titel, die es unter die besten Drei geschafft haben, zählten bis zu höchstens drei Wörtern, zum Beispiel „Bis(s) zur Mittagsstunde“, „Tausend strahlende Sonnen“ oder „Neue Vahr Süd“. Ein-Wort-Titel nehmen dabei auch insgesamt den ersten Platz ein, mehr als ein Viertel aller Bestseller hat Titel, die nur aus einem Wort bestehen, zum Beispiel „Verachtung“, „Schoßgebete“ oder „Tintenherz“. An zweiter Position finden sich Zwei-Wort-Titel wie „Der Anschlag“ oder „Der Schwarm“. Titel mit neun Wörtern wie „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ sind auf der Bestsellerliste die große Ausnahme.

Transmediale Wirkung

Der Preis scheint bei der Platzierung auf der Bestsellerliste für die Käufer durchaus eine Rolle zu spielen. Umgekehrt scheinen die Verlage die Platzierung nicht nutzen zu können, um die Preise in ihrem Interesse nach oben verändern zu können. Der Durchschnittspreis der Top 100-Bücher liegt bei 13,40 Euro und hat sich in 15 Jahren nur um 1,22 Euro erhöht. Insgesamt haben Büchern im unteren bis mittleren Preisbereich den größten Anteil in allen Jahrgängen. Bücher auf Listenplatz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste weisen sogar im Durchschnitt den niedrigsten Preis aller Bestseller auf.
Die Kaufentscheidung für ein bestimmtes Buch hängt selbstredend nicht ausschließlich von Autor oder Titel ab. Was die Statistik aber untermauert, sind anderweitige Annahmen über die Buchmarktentwicklung, denenzufolge dieser Markt sich einerseits ständig weiter internationalisiert und andererseits in starkem Maße transmedial inszeniert wird. Die Internationalisierung wird durch den hohen Anteil nichtdeutscher Autoren und Titel auf den deutschen Bestsellerlisten belegt. Die Transmedialisierung zeigt sich auch in dem hohen Anteil von Titeln, die gleichzeitig durch Film- oder Gaming-Auswertungen Marktpräsenz aufweisen. So sind die am häufigsten in den Bestseller-Titeln der vergangenen Jahre vorkommenden Hauptwörter „Potter“, „Panem“ und „Tribute“.
Bestsellerforschung ist ein in der Literaturwissenschaft nach wie vor unterentwickeltes Arbeitsfeld, was einerseits methodische Gründe und andererseits auch mit gewissen kulturellen Vorurteilen gegenüber der „Ware“ Buch zu tun hat. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ging man davon aus, dass vor allem die literarische „Qualität“ für Kaufentscheidungen ausschlaggebend ist. Es war der der Frankfurter Schule nahestehende Soziologe Siegfried Kracauer, der in den 1920er Jahren darauf hinwies, dass der Buchverkauf mehr mit den sozialen Verhältnissen der Leser als mit dem Inhalt eines Werkes zu tun haben könnte. Die SPIEGEL-Bestsellerliste gibt es erst seit 1961. Seit unter dem Schlagwort „Digital Humanities“ auch in den Geisteswissenschaften vermehrt quantitative Methoden zum Einsatz kommen, werden auch Bestseller zum Forschungsobjekt der Literaturwissenschaft, die sich auf diese Weise zur Kommunikations- und Medienwissenschaft hin öffnet.

Red Bull verleiht doch keine Flügel


09 Okt
Foto: Adrian Michael/Wikimedia

Foto: Adrian Michael/Wikimedia

Werbung ist der Bereich medialer Hervorbringung, bei der die Kluft zwischen hohem marktschreierischem Gestus einerseits und niedrigen Ansprüchen an Wahrheit und Wahrhaftigkeit andererseits besonders weit auseinanderklafft. Ein besonders (vor-)lautes Unternehmen bekam jetzt einen erheblichen Dämpfer: Der österreichische Brause-Hersteller Red Bull muss in den US 13 Millionen Dollar Entschädigung zahlen, weil sein süßes Getränk, anders als die Werbung behauptet, doch keine Flügel verleiht. Auf stern.de ist dazu zu lesen, ein US-Konsument habe

seit 2002 regelmäßig den Energy-Drink konsumiert, aber keinen Effekt an sich feststellen können. Red Bull wirbt durch „verleiht Flügel“ mit der leistungssteigernden Wirkung seines Drinks. Die einzelne Klage des Mannes fand schnell Mitstreiter. Der Rechtsstreit drohte zu einer Massenklage zu werden. Im Juli gab das österreichische Unternehmen klein bei und einigte sich mit den enttäuschten Kunden.

Für die Fa. Red Bull ist es gerade keine gute Zeit Eine sehr kritische TV-Dokumentation der ARD hat vor kurzem den Umgang mit Hochrisikosportlern als Werbeträgern kritisch ins Visier genommen. Und Red Bull-Ikone und Formel 1-Weltmeister Sebastian Vettel will den gleichnamigen Rennstall Richtung Ferrari verlassen. Flügellahm könnte man das nennen. Da hilft auch keine Brause.

Trau, schau, Ernst-Schneider-Preis


06 Okt
In der Mitte Intendantin Wille (MDR), links neben ihr Peter Frey (ZDF)(Foto: IHK)

In der Mitte Intendantin Wille (MDR), links neben ihr Peter Frey (ZDF)(Foto: IHK)

Was für ein unfassbarer journalistischer Zufall: Heute Abend wurden die Ernst-Schneider-Preise vergeben. Der Ernst-Schneider-Preis bezeichnet sich laut Selbstbekundung als „größten deutschen Wettbewerb für Wirtschaftspublizistik“ und wird von den deutschen Industrie- und Handelskammern vergeben. Preise, die mit einigen tausend Euro Preisgeld ausgestattet sind, werden in den Kategorien Print, Internet, Hörfunk und Fernsehen vergeben.

Der Jury in der Kategorie Fernsehen gehörten unter anderem Dr. Peter Frey, Chefredakteur des ZDF, sowie die Intendantin des MDR, Prof. Dr. Karola Wille, an. Im Bereich Fernsehen vergibt der Ernst-Schneider-Preis zwei Auszeichnungen, nämlich für den „Kurzbeitrag“ und die „große Wirtschaftssendung“.

Und nun stelle man sich vor, wer die Preise eingeheimst hat? Den Preis für den Kurzbeitrag hat doch tatsächlich zufällig ein Beitrag des MDR erhalten. Und wer war bei der großen Wirtschaftssendung erfolgreich? Man kann sich diesen Zufall kaum vorstellen, aber es war tatsächlich das ZDF!

Man kann sich natürlich grundsätzlich dem alten Journalistenwort anschließen,  „je preiser gekrönt, desto durcher gefallen“. Aber es grenzt doch an ein kaum machbares Wunder, mit einer einzigen Preisverleihung den Nimbus der Unabhängigkeit von gleich drei Institutionen nachhaltig zu diskreditieren. Wenn schon das Mieder der journalistischen Unschuld gelockert ist, so werden es sich die beteiligten öffentlich-rechtlichen Doktores und Professoressen gedacht haben, dann können wir doch auch gleich ganz die Hosen runterlassen und uns das Preisgeld selbst in die nun tiefsitzenden Taschen derselbigen gleiten lassen. Was uns noch etwas anderes lehrt, nämlich dass man die Hosen des Qualitätsjournalismus nur dann baggy tragen sollte, wenn man auch einen Arsch in der Hose hat. Der Arsch ist übrigens die Verlängerung des Rückrats, und das ist den öffentlich-rechtlichen Anstalten ja schon vor geraumer Weile abhanden gekommen. Anders lässt sich dieses schnöde Beispiel moralischer Korumpiertheit kaum erklären. Motto der diesjährigen Preisverleihung war übrigens: „Nicht lange reden, sondern machen!“ Man kann dem Chefredakteur des ZDF und der Intendantin des MDR nicht nachsagen, dass sie sich nicht daran gehalten hätten.

P.S.: Ich erlaube mir noch eine letzte Prophezeiung in Sachen öffentlich-rechtlicher Abgeschmacktheit — nämlich dass die Sender die Kaltblütigkeit besitzen werden und morgigen Tages Pressemitteilungen ins Lande schicken, in denen sie sich der Preise rühmen, die sie sich selbst zugeschustert haben. Die alten Römer riefen einst: Wehe den Besiegten! Hier wäre zu rufen: Wehe den Siegern!

 

 

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter