Archive for November, 2014

Rote Flora: Verdeckte Ermittlerin bedroht Pressefreiheit


30 Nov
Rote Flora in Hamburg (Foto: Wikimedia)

Rote Flora in Hamburg (Foto: Wikimedia)

Eine verdeckte Ermittlerin der Hamburger Polizei hat jahrelang die Rote Flora, das Zentrum der autonomen Szene, unterwandert. Doch die Polizistin „saß dort nicht nur in Plenarsitzungen und pflegte Liebesbeziehungen“, wie die Süddeutsche Zeitung etwas poetisch formuliert, sondern sie wirkte auch undercover beim linken Radiosender „Freier Sender Kombinat“ mit. Die Deutsche Journalisten-Union (dju) in Ver.Di sieht darin einen schweren Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit.

Warum? Ist das nicht überzogen? Ist es wohl nicht. Im Grundgesetz heißt es: „Eine Zensur findet nicht statt“. Gemeint ist damit insbesondere die Vor-Zensur. Wer etwas in Wort, Schrift oder Bild in Deutschland veröffentlichen will, muss seine Publikation vorher nicht einer staatlichen Stelle vorlegen. Genau dies aber ist undercover in Hamburg geschehen: Eine Staatsvertreterin war bei Redaktionskonferenzen und Themensitzungen dabei und hatte also schon vor der Veröffentlichung Kenntnis und Einsicht in Veröffentlichungen und konnte darauf aktiv Einfluss nehmen. Auch in Zukunft können also Redaktionen in Deutschland sich nicht sicher sein, ob nicht im Vorfeld von Veröffentlichungen Polizei und Staatsschutz verdeckt und aktiv Einfluss auf redaktionelle Entscheidungen nehmen. Dies ist keinesfalls hinnehmbar. Darum müssen im Fall der Roten Flora in Hamburg schnelle und weitreichende Konsequenzen gezogen und die Verantwortlichen zu eben genau dieser gezogen werden.

„Cinema“: Interstellarer Fehltritt


11 Nov
Aktuelles Titelblatt von "Cinema"

Aktuelles Titelblatt von „Cinema“

Kann man eine Filmkritik schreiben, ohne den entsprechenden Film überhaupt gesehen zu haben? Geht nicht, auf keinen Fall, werden Leute sagen, die wahlweise etwas von Journalismus oder von Kino oder von beidem verstehen. Kann man einen Beitrag über einen Film, den man nicht gesehen hat, sogar auf das Titelblatt einer Zeitschrift nehmen, die sich mit nichts anderem als mit Kinofilmen beschäftigt? Keineswegs, niemals, ausgeschlossen: So werden alle Freundinnen und Freunde seriöser Berichterstattung und das treue Scherflein Cineastinnen und Cineasten rufen.

Doch, die Zeitschrift „Cinema“ kann!

„Wir lieben Filme“ steht als Claim über dem Titel der Burda-Zeitschrift. So sehr lieben sie sie aber wohl doch nicht, dass sie alle Filme ansehen, über die sie schreiben. Die aktuelle Ausgabe (11/14) macht mit dem Christopher Nolan-Streifen „Interstellar“ auf. Das Plakatmotiv des Films prangt auch auf der Titelseite des Hefts. Die Seiten 14 bis 30 des Magazins beschäftigen sich mit dem Film, der in der vergangenen Woche in den deutschen Kinos angelaufen ist. Dort liest man beispielsweise:

Der dreifache Batman-Regisseur Christopher Nolan beschreibt in seinem neuen Film eine dramatische Aufbruchsutopie mit gegenwärtigen Bezügen.

Man fragt sich, woher die Redaktion das weiß. Denn im Kleingedruckten unter „Fazit“ ist zu lesen:

Der Film wurde vorab nicht gezeigt. Lesen Sie unsere Kritik zum Kinostart auf www.cinema.de

Nicht schlecht: 16 Seiten füllt die Cinema-Redaktion also (inkl. Werbung) mit Informationen über einen Film, den sie nicht kennt! Da müssen die Autorinnen und Autoren dieser Redaktion entweder sehr erfindungsreich sein und dem Science-fiction-Film aus Hollywood noch ein bisschen journalism-fiction aus Hamburg, wo die Redaktion sitzt, anfügen. Oder sie übernehmen einfach mal die PR-Texte der Agenturen, die sich um die internationale Vermarktung von „Interstellar“ kümmern.

Und ungefähr so liest sich auch der Beitrag. „Dieser Film ist das bislang ehrgeizigste Projekt von Christopher Nolan“, lässt man den Hauptdarsteller Matthew McConaughley sagen. Hat man mit dem Schauspieler selbst gesprochen? Unwahrscheinlich. Denn dann hätte man doch wohl das Ganze als Interview ins Blatt gerückt, um noch mehr Seiten zu schinden. So wie man es mit einem Interview mit dem Regisseur Nolan gemacht hat. Dieses Interview führte übrigens Scott Orlin. Der US-Amerikaner ist freier Korrespondent und arbeitet allein in Deutschland neben Cinema auch für TV Spielfilm, Pro7 und eine Reihe weiterer Medien, wie man im Internet erfahren kann. Ein exklusives Interview sieht anders aus. Und es stellt auch andere Fragen, und nicht solche, wie Scott Orlin es für „Europas größte Filmzeitschrift“ tut. Orlin erkundigt sich etwa bei Nolan: „Gibt es Filme, die Sie sich vor dem ‚Interstellar‘-Dreh noch einmal genau angesehen haben, um daraus Inspirationen zu beziehen?“ Kritisch geht anders.

Da mutet es schon fast wie postmoderne Ironie an, wenn die Cinema-Redaktion statt einer Bewertung eine „Prognose“ über die Qualität des Films abgibt: Vier von fünf Punkten für einen Film, den man nicht kennt!

Ausschnitt aus aktuellem Cinema-Heft

Ausschnitt aus aktuellem Cinema-Heft

Vielleicht werde ich mir den Film demnächst mal ansehen. Die Zeitschrift „Cinema“ werde ich mir in nächster Zeit wohl nicht mehr zulegen.

 

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter