Weltweit gibt es immer weniger normale, unbefristete Arbeitsverträge, wie die Internationale Arbeitsorganisation ILO moniert. Der WDR berichtete in der vergangenen Woche gleich mehrfach über diese Kritik (z.B. hier, hier oder hier):
Unbefristet angestellt, mit einem Arbeitsvertrag – das ist weltweit inzwischen eher die Ausnahme. Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten hat keinen Vertrag – vor allem Menschen in Entwicklungsländern. Und selbst von den 40 Prozent mit Arbeitsvertrag haben die allermeisten nur eine befristete Anstellung. Viele andere werden außerdem in eine Pseudo-Selbstständigkeit gedrängt oder müssen unbezahlte Familienarbeit machen, sagt der Chef der ILO. Durch die schlechten Arbeitsverhältnisse werden immer mehr Menschen weltweit in die Armut getrieben.
Was der WDR verschweigt: Der Kölner öffentlich-rechtliche Sender selbst macht als Arbeitgeber genau das, was in der über die eigenen Wellen verbreiteten Nachricht kritisiert wird. Produktions- und Verwaltungsmitarbeiter werden über Leiharbeitsgesellschaften angemietet, Stellen werden nur befristet vergeben und ein Heer von scheinselbständigen Freien Mitarbeitern ist für die Herstellung des journalistischen Programms zuständig. Über 1.700 WDR-MitarbeiterInnen sind sog. Feste Freie, sie haben keine festen Verträge, keine vernünftigen Arbeitsplätze, wenig Rechte, aber sie zeichnen für bald 90% des WDR-Programms verantwortlich. Die festangestellten Redakteure im WDR stellen nur äußerst selten selbst journalistische Beiträge her. Sie sind darum auch eigentlich keine Journalisten, sondern Teil des WDR-Verwaltungsapparats, denn sie verwalten das Programm, das andere, nämlich die freien Mitarbeiter, herstellen.
Sklavenähnliche Verhältnisse
Wie der neue prekäre Arbeitsmarkt aussieht, den die ILO kritisiert, und wie sklavenähnlich auch mitten in Europa, in der Bundesrepublik Deutschland, die Beschäftigungsverhältnisse aussehen können, dafür bietet die Wochenzeitung Die Zeit heftige Belege. Am Beispiel eines Versandzentrums der Weltfirma Adidas in Niedersachsen führt die Wochenzeitung vor, wie der zweitgrößte Sportartikelhersteller der Welt Arbeitsverhältnisse wie im 19.Jahrhundert wieder eingeführt haben soll:
- Der überwiegende Teil der Mitarbeiter sind laut Zeit Leiharbeiter und nicht Angestellte;
- Arbeitszeiten sollen willkürlich festgelegt werden;
- Bereitschaftszeiten sollen nicht als Arbeitszeit entlohnt werden;
- Zählt man alle Arbeitszeiten zusammen, kommt man laut Zeit nicht mal auf den Mindestlohn;
- Wegezeiten werden nicht bezahlt;
- Mitarbeiter werden willkürlich entlassen.
Warum führe ich das hier an? Weil vieles an die Arbeitsverhältnisse erinnert, unter denen die Freien Mitarbeiter des WDR (und d.h. die eigentlich kreativen Köpfe) tagtäglich zu leiden haben:
- Nacht- und Feiertagsschichten werden nicht als solche bezahlt;
- Freie werden besonders gerne nachts und am Wochenende eingesetzt, weil „Feste“ Angestellte ja ein Recht auf die Zuschläge hätten;
- Freie haben keine Arbeitsplätze und dürfen im Prinzip nicht einmal ein Telefon oder einen Computer im WDR benutzen (wohl gemerkt, es handelt sich um die Mitarbeiter, die journalistische Beiträge herstellen und dafür Interviews durchführen und Texte schreiben sollen!);
- tarifliche Lohnerhöhungen werden über Jahre und Jahrzehnte (!) nicht auf die Honorare der Freien umgeschlagen;
- Nicht nur Wegezeiten werden häufig vom WDR nicht bezahlt, selbst Reisekosten müssen Freie Journalisten, die für den WDR tätig sind, sich oft erbetteln oder bleiben darauf sitzen;
- Auf die Einhaltung von Arbeitszeitregeln wird bei Freien Mitarbeitern fast systematisch nicht geachtet, außer wenn auch Angestellte involviert sind;
- Freie Mitarbeiter können willkürlich vor die Tür gesetzt werden.
Die ILO kritisiert zurecht die weltweite Zunahme des Prekariats, das keine festen Arbeitsverhältnisse mehr hat. Der WDR vermeldet diese Kritik ebenfalls sehr zurecht im eigenen Programm. Aber glaubwürdig wäre der Kölner Sender nur, wenn er auch selbst diese Kritik beherzigen würde. Alles andere ist scheinheilig.