Die Trennung von Bericht und Kommentar im Journalismus ist in Deutschland erst jüngeren Datums. Schon lange vor der NS-Zeit war Presse hierzulande Meinungspresse, häufig sogar Parteipresse. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sich in (West-)Deutschland dem anglo-amerikanischen Stil der objektiverenden Berichterstattung mit klarer Trennung von berichtenden Darstellungsformen und solchen eher meinungsbildenden (oder: -formulierenden) Typs angepasst. Jedenfalls auf dem Papier. Oder noch nicht mal da?
Jedenfalls ist diese Trennung im Alltag schwer aufrechtzuerhalten. Was ist eine Wertung? Was ist eine Meinung? Und was ist keine? Hinter jeder Vokabel kann eine Wertung stecken, jedes Adjektiv ist die auch subjektive Beimessung von Eigenschaften, die jemand anders eben, naja, anders sehen könnte.
Auch der Kölner Stadtanzeiger gibt vor, Kommentar und Bericht zu trennen. So gibt es eine eigene Seite im ersten Buch, meistens die Seite 4, die explizit „Meinung“ überschrieben ist. Und auch im Sportteil, etwa in der gestrigen Ausgabe, gab es einen Text, der mit „Kommentar“ gekennzeichnet war: Es war eine Stellungnahme von Sportredakteur Frank Nägele zum Wechsel des Fußballers Mario Götze zu Borussia Dortmund. Auf der gleichen Seite des Sportteils gab es aber auch einen Beitrag über die Bezahlung von TV-Experten bei Fußballübertragungen von Cristiane Mitatselis unter der Überschrift „Neues aus der Welt der überbezahlten Experten“.
Als Kommentar ist dieser Beitrag nicht gekennzeichnet. Es soll sich also wohl um einen sachlichen, „objektiven“ Bericht handeln. Schon diese Überschrift macht jedoch stutzig, weil das Adjektiv „überbezahlt“ natürlich eine ziemlich starke Wertung enthält. Und dann findet man im vorletzten Absatz eine ganze Reihe Fragen:
Fußball ist der Sport, den alle sehen wollen. Aber müssen auch die Kosten rundherum so hoch sein? Müssen die Sender Stars um jeden Preis einkaufen? Müssen sie den Gehalts-Irrsinn, der den Profi-Fußball beherrscht, in den TV-Bereich übertragen? Sollten sie nicht vielmehr nachvollziehbare Honorar-Sätze festlegen – und im Zweifelfall auf teure Stars verzichten?
Der Fragesatz ist in journalistischen Texten besonders intrikat: Wer etwas zu berichten hat, der spricht in Aussagesätzen, nicht in Fragesätzen. Was also machen Fragen, außerhalb von Interviews, überhaupt in journalistischen Texten? Haben sie dort etwas zu suchen? Sollte jemand fragen stellen, der nur Tatsachen konstatieren möchte?
Nein. Wer Fragen stellt der wertet, er stellt nämlich etwas in Frage. Die journalistische Frage ist darum ein versteckter Kommentar. Nicht nur implizit, sondern explizit macht die Autorin dann so meinungsschwanger weiter:
Für ARD und ZDF müsste Transparenz verpflichtend sein. Sie sollten erläutern, welche Personalpolitik sie verfolgen. Das beleidigte Schweigen der Sender kann nicht die Antwort sein. So wird es neue Enthüllungen geben, neue schockierende Honorar-Zahlen. Und immer mehr zu recht empörte Zuschauer.
„Müssen“, „sollen“, „schockierend“, „empört“: Die Sachebene neutraler Berichterstattung ist hier längst verlassen. Hier werden nicht Tatsachen dargestellt, sondern Handlungsmaximen formuliert, Empfehlungen gegeben, Normen aufgestellt. Das ist prinzipiell nicht ungehörig, sollte dann aber eben doch als Meinungsbeitrag kenntlich gemacht werden: Das wäre fair dem Leser und der Leserin gegenüber. Geschmäckle bekommt ein solch tendenziöser Beitrag dadurch, dass Zeitungsverlage gegenüber Fernsehsendern ja keine neutralen Beobachter sind, sondern sich häufig als Konkurrenten oder gar Gegner verstehen — Stichwort Tagesschau-App, Verleger-Fernsehen, Lokalberichterstattung etc.
Zeitungen dürfen und sollen Fernsehsender kritisieren, öffentlich-rechtliche zumal. Aber sie sollten ihre Kritik dann auch als solche kenntlich machen. Sonst geht der (Tor-)Schuss nach hinten los.
Postscript: Das an dieser Stelle verwendete Foto von Günter Netzer und Gerhard Delling vor einer ARD-Wand habe ich zwischenzeitlich entfernt. Die „dpa-Picture Alliance“ fand es angemessen, Rechte an diesem Bild zu reklamieren und mich deswegen abzumahnen. Schade, dass die Deutsche Presse-Agentur (dpa) auf diese Weise mit Bloggern umgehen muss, die nicht-kommerzielle Seiten führen, um dem Journalismus qualitativ ein bisschen auf die Sprünge zu helfen.