Journalismus kann gewichtig sein, und das nicht nur im übertragenen Sinne, wenn es um pfundschwere Politik, starke Themen und fette Probleme geht. Nein, auch im ganz eigentlichen Sinne, wenn es um das Auf und Ab der Kilos geht, macht der Journalismus sich einen Namen, und sei’s durch Namensgebung bei Abnahmetipps wie der berüchtigten „Brigitte-Diät“.
Ein wunderbares Beispiel für die gewichtsreduzierende Power des Journalismus ist der durchaus leichtgewichtige Beitrag auf Spiegel Online zur Gewichtszunahme eines US-Models namens Chrissy Teigen.
„US-Model Chrissy Teigen erwartet ihr zweites Kind – und hat dementsprechend an Gewicht zugelegt. Nur offenbar nicht an den richtigen Stellen, wie die 32-Jährige nun kundtat“.
Die Polkappen schmelzen, der Nato-Partner Türkei erobert kurdische Städte in Syrien, in einer europäischen Hauptstadt werden zwei Passanten mit einem Nervengift attackiert, eine Regierung wird gewählt, andere Regierungen werden abgewählt, in Mittelamerika bebt die Erde, und Spiegel Online teilt uns mit:
„Das US-Model hat eigener Aussage zufolge in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen – nur nicht an den Körperstellen, an denen sie es sich gewünscht hätte“.
Man stelle sich das vor: Nicht an den Körperstellen, an denen sie es sich gewünscht hätte! Nicht an den Körperstellen, an denen sie es sich gewünscht hätte!! Hier möchte auch der nur minimal an gesellschaftlichen Zusammenhängen Interessierte doch mehr wissen, womöglich sogar O-Ton jener Mrs. Teigen hören. Und siehe da! SpOn scheut Mühen und Zuckerersatzstoffe nicht, uns auch die tieferen Einsichten zu vermitteln:
„’40 Pfund mehr und nicht eine Unze davon hat an meinem Hintern angesetzt‘, schrieb die 32-Jährige. Scherzhaft bat sie ihre Follower dann, sich nicht über Frauen mit kleinem Po lustig zu machen“.
Kommt einem das lustig vor? Natürlich, und SpOn weiß auch den Grund dafür. Mrs. Teigen ist nämlich eine Lustige, und das sollte die Welt schließlich auch in einem qualitätsjournalistischen Medium erfahren:
„Teigen ist bekannt dafür, entspannt und humorvoll mit ihrem Körper umzugehen. Im vergangenen Jahr etwa postete sie ein Foto von Dehnungsstreifen auf ihrem Oberschenkel. Teigen ist mit dem Sänger John Legend liiert, die beiden haben bereits eine gemeinsame Tochter, Luna“.
Carl Jensen, der Gründer des US-amerikanischen Project Censored, hat solcherlei Leichtgewicht-Journalismus als „Junk Food News“ bezeichnet, „sensationalized, personalized, and homogenized inconsequential trivia“. Das wirkt zwar harmlos, im schlimmsten Fall, wie dem hier zitierten von den richtigen Kilos an den falschen Stellen eines amerikanischen Fotomodells, idiotisch, aber es hat doch eine tiefere Bedeutung: Die News-Kanäle werden nämlich geflutet mit solch trivialen, bedeutungs-, hirn- und geschmacklosen Pseudo-Nachrichten. Der Kanal ist dann voll und verstopft für die wesentlichen und relevanten Meldungen, die womöglich tatsächlich Einfluss auf das Leben der Leserinnen und Leser haben könnten. Die Kilos nehmen zu, aber es purzeln nicht die Pfunde, sondern die Nachrichten, die das Leben verändern oder die Welt verbessern könnten.
Es sollte noch dazu gesagt werden, dass die fassungslos dämliche Geschichte von den Kilos dieses unsäglichen Modells nicht auf dem fetten Misthaufen von Spiegel Online gewachsen ist. Nein, die Deutsche Presse-Agentur hat sie verbreitet. So viel zur Relevanz von Nachrichten, die von Presse-Agenturen herausgegeben werden.