“Kein Schwein ruft mehr an”, titelt geistreich die heutige tageszeitung (taz) zum Ende des Anrufsenders 9live, der seit vergangenen Mittwoch zwar immer noch auf Sendung ist, seines Hauptsendeinhalts aber verlustig gegangen ist, nämlich der Veranstaltung unsäglicher Anrufspielchen, die menschlichen Geist und Portemonnaie gleichermaßen beleidigten. Fernsehgeschichte hat 9live dennoch geschrieben: Es handelte sich um den ersten privaten Fernsehsender Deutschlands, der seinen Erfolg nicht mehr an Einschaltquoten maß, sondern an Anruferzahlen. Denn mit denen verdiente der Sender sein Geld, wie quotenmeter.de drastisch darstellt:
Um diese möglichst hoch zu halten, entwickelten die Verantwortlichen immer neue Spiele, Bilderrätsel und Aufgaben, die es für die Zuschauer zu lösen gab. Dabei standen stets zwei Varianten besonders im Fokus: Entweder war die Frage sehr einfach, aber die Durchstellung eines Kandidaten dauerte ewig oder die Aufgabe war schier unlösbar, weil es zu viele mögliche Antworten oder einen unklaren Lösungsweg gab. Nicht zuletzt wegen diesen Methoden stand der Sender fast pausenlos in der Kritik. Betrug, Erschleichen von Telefongebühren, unzulässiges Antreiben der Anrufer und vieles mehr wurde den Machern vorgeworfen, die immer wieder mit konzeptionellen Änderungen und Warnhinweisen gegenzusteuern versuchten.
“Transaktionsfernsehen” nannten das seine Macher. Gemeint können damit auch die Banktransaktionen der Einspielergebnisse auf die Bankkonten der Eigentümer sein. Denn erfolgreich war der Sender durchaus, jedenfalls kommerziell. Über Jahre war das Programm die Cashcow der ProSieben-Sat1-Gruppe. Dass 9live allerdings aus “tm3” hervorgegangen ist – der erste ausgewiesene reine “Frauensender”, der mit durchaus avantgardistischen Elementen Zielgruppenfernsehen machen wollte – demonstriert nachhaltig, wie schnell man im deutschen Fernsehen wie tief sinken kann (man erinnere sich nur an das traurige Schicksal von “Vox”). Die Welt stellt dar, welchen Lauf die geschäftliche Entwicklung endlich nahm:
Seit der Verschärfung der Regeln für TV-Gewinnspiele wuchs die Zahl der Verfahren, während die Umsätze des Senders schrumpften – allein im ersten Quartal 2011 gingen sie um gut ein Drittel auf 9,2 Millionen Euro zurück.
Seit vergangenem Mittwoch hat es sich ausgeklingelt. Fortan zeigt 9live brave und biedere Serien in Wiederholung. Die taz wundert sich:
Jetzt hat der Sender seinen "Live-Betrieb", so die Umschreibung für die schlichtmoderierten Zock-Formate, eingestellt. Seit Mittwoch spielt 9Live brave TV-Konserven aus dem Konzernarchiv und macht damit zum ersten Mal so etwas wie – Programm.
9Live jetzt ohne Telefongewinnspiele: Kein Schwein ruft mehr an – taz.de