Eine Show, die an einen Roman über eine totalitäre und, wenn man will, faschistische Überwachungsgesellschaft angelehnt ist, mit namenlosen Protagonisten, von denen auch nach wochenlanger Langzeitbeobachtung im Fernsehen wenig mehr bekannt ist als die Vornamen, das war vor 10 Jahren „Big Brother“, eine Produktion der holländischen Firma Endemol und ihr vermutlich größter Coup. Ab heute soll die 10. Staffel laufen, aber Aufregung verursacht das zehn Jahre später nicht mehr, selbst wenn man zu allfälligen Provokation ein HIV-positives Pärchen einziehen lässt:
Nur so viel: Mit Carlos (45) und Harald (42) zieht erstmals ein schwules Paar ins Haus. Die beiden verheirateten Männer aus Berlin sind HIV-positiv.
Die Medienjournalisten der deutschen Gazetten sind einer Meinung, wenn sie konstatieren, das Format „Big Brother“ sei durch Internet und Youtube überholt worden, die mediale Präsenz von Nobodies heute Teil der Selbstvermarktung. Beispielhaft dafür ein Zitat aus dem Spiegel:
Heute kann keiner mehr sicher sein, nicht gesehen zu werden. Ob er nun betrunken am Rand des Oktoberfestes mit Foto-Handy geknipst, beim Nasepopeln in der U-Bahn von einem Blogger erwischt wird oder vor die Linsen des professionellen Reality-TV läuft: Schiere Präsenz ist zum Maßstab geworden“.
Hier geht bei den Spiegel-Autoren allerdings einiges durcheinander. Denn es sind deutlich getrennte Phänomene, zum einen die eigene (freiwillige?) Zurschaustellung und zum anderen die Dauerbeobachtung durch Dritte, die der tristen Vision von George Orwell eigentlich viel näher kommt. 1000 Videokameras überwachen die Londoner Innenstadt, auf österreichischen Autobahnen wird jedes Nummernschild gefilmt und die Gefahr, von „Leserreportern“ in indezenten Situationen geknipst zu werden, ist heute real und eine echte Bedrohung der eigenen Integrität. Dagegen ist die Selbstentblößung von „Big-Brother“-Kandidaten, denen noch dazu ein immenses Preisgeld winkt, harmlos. Das RTL-Fernsehformat lehrt uns etwas anderes: Wie Fernsehen aussähe, wenn es ein echter Bürgerfunk wäre. Die Bildungsferne, die hier offensiv zur Schau gestellt wurde und auch ihren sprichwörtlichen Namen erhalten hat, als auf das Stichwort „Shakespeare“ nur ein vulgäres „Kenne mer nit, bruuche mehr nit“ kam, sie hat einen Namen: Die Zlatkoisierung des Mediums. Schulfernsehen ade!
Die Romanvorlage ist wohl eher nicht totalitär/faschistisch … das liest sich ein wenig missverständlich.
Stimmt. Habe ich geändert …