Archive for the ‘Allgemeines’ Category

EHEC-Live-Ticker: Der Keim gibt den Takt an


06 Jun

Der Liveticker ist, wenn man so will, die genuine Hervorbringung des Onlinejournalismus. Zwar kennen auch Fernsehnachrichtenkanäle wie n-tv oder N24 durchlaufende („scrollende“) Nachrichtenbänder, und bei Wirtschaftsprogrammen wie Bloomberg-TV ist der Live-Ticker quasi Lebensprinzip. Aber zu publikumswirksamer Reife hat es der Live-Ticker erst im Internet gebracht. Der Live-Ticker ist es, der Sportereignisse und Atomkatastrophen miteinander verbindet. In der dem Journalismus eigenen Sucht, eilig zu sein, soll die einkommende Nachricht möglichst ohne jede Zeitverzögerung, also „live“, auf den Monitoren der Online-User landen.

Die Verbreitung von Live-Tickern auf Internet-Newsportalen kann mit Fug‘ und Recht selbst als viral bezeichnet werden. Dennoch nimmt es wunder, dass ausgerechnet der neuerdings vor allem in Norddeutschland grassierende EHEC-Keim zum Gegenstand der Live-Berichterstattung wird. Denn das Wesen der Live-Berichterstattung ist doch, dass ständig in Bewegung befindliche Ereignisse aktualisiert werden, während im Falle einer Krankheit das hauptsächliche Ereignis darin besteht, dass kranke Menschen unter Quarantäne in Krankenhausbetten liegen. Und spätestens seit Gontscharows Roman „Oblomow“ wissen wir, dass Im-Bett-Liegen keine dramatische Handlung ist. Und dass ausgerechnet über einen tödlichen Keim „live“, also lebendig, berichtet wird, hat auch seine ganz eigene Ironie.

Immerhin bringen uns die EHEC-Liveticker so schöne Notizen wie die des Hamburger Abendblattes:

Darmkeim: Lage im Norden spitzt sich zu

Die Tageszeitung Die Welt weiß „live“ zu berichten:

SPD fordert eigenen Krisenstab für Darmkeim

Unüberbietbar allerdings die Überschrift von oe24.at:

Todes-Keim: Das erste Opfer spricht

So kann Journalismus selbst Tote wieder zum Leben erwecken. Alle anderen lachen sich tot.

Wer Flashmob sät, wird Mob ernten


04 Jun

Unfälle begleiten das Leben, sind aber bislang hauptsächlich aus dem Straßenverkehr oder in Haushaltssituationen bekannt (NB: Dass die staatliche Finanzsituation als „Haushaltsunfall“ von wortspielaffinen Journalisten  bezeichnet würde, ist vermutlich nur eine Frage der Zeit). Jetzt gibt es „Unfälle“ auch im Web 2.0, was der Metapher von der Daten-Autobahn weiter Futter gibt: Vom „Facebook-Unfall“ ist die Rede, weil ein 15-jähriges Hamburger Mädel zum Geburtstag auf Facebook gleich die gesamte Netz-Community eingeladen hat. Verunfallt sei sie, weil es mutmaßlich unabsichtlich geschah. Der Unfall wird gleichzeitig auch als „Party“ bezeichnet, für manche aber auch für eine „Panne“ gehalten. 14.000 Facebook-Nutzer sollen sich nach Meinung einiger Journalisten für das Fest angemeldet haben, andere gehen von 15.000 Festgästen aus, oder waren es doch, wie das gleiche Blatt vermeldet, 16.ooo Leute? Oder unter Umständen, wie eine Zeitung der gleichen Verlagsgruppe meint, nur 7.000? Egal, gekommen sind dann jedenfalls hunderte. Oder eventuell auch tausend. Oder, wie ein Nachrichtensender weiß, 1.500 Geburtstagsgäste. Nein, pardon, es müssen 1.600 Gäste gewesen sein, verlautbart eine andere Zeitung. Die Party fand übrigens in Wahrheit gar nicht statt, da sie zuvor abgesagt worden ist, wie mancherorts zu lesen ist. Die dennoch kamen, taten es auf die prosaischste Weise: „Sie kamen mit Bussen und Bahnen, mit dem Auto und zu Fuß“, ist irgendwo zu lesen. Auch über den weiteren Verlauf der Festivität ist verschiedenes bekannt geworden: Einige melden, dass von den hundert bis 1.600 Gästen zuerst „friedlich gefeiert“ worden sei. Andere berichten, es „ging vor Thessas Haus ordentlich die Post ab“. Die F.A.Z. weiß von „Ausschreitungen“ und kolportiert: „Es flogen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper. Partygäste nahmen Vorgärten auseinander, Zäune wurden niedergetrampelt“. Wurden nun „bengalische Feuer“ gezündet oder, wie das Hamburger Abendblatt weiß, „Steine und Böller“ geschmissen? Am Ende kam es gar, wie heute.at meldet, zu „Verwüstungen ihres Elternhauses“. Und auch Spiegel Online weiß zu berichten, dass es zu „Festnahmen und Verwüstungen rund um das Elternhaus“ gekommen sei, wobei noch zu klären wäre, ob es im Rahmen der „Festnahmen rund um das Elternhaus“ zu handschellenbewehrten Zwangsabführungen von Stiefmütterchen und Azaleen gekommen ist.

Der 16. Geburtstag: „Das war und ist traditionell ein wichtiges Datum im Leben eines Teenagers“, philosophiert das Hamburger Abendblatt und dichtet weiter: „Das Szenario ist fast so alt wie Facebook selbst: Ein angehendes Geburtstagskind plant eine Party …“ So alt wie Facebook selbst: Das sind dann ja schon stramme sechs Jahre, also beinahe biblisch.

Was immer sich dort in Hamburg ereignet haben mag: Zeitungsleser und Online-Newsportalleser werden es nie erfahren. Denn offenkundig war keiner derjenigen Journalisten, die darüber geschrieben haben, selbst vor Ort und hat sich ein Bild gemacht. Es ist eine Berichterstattung vom Hörensagen und vom Abschreiben, sie lebt von eigenem Dazutun, dichterischer Ausschmückung, Übertreibung und reicht bis zu grober Fälschung. Ein Unfall fürwahr, aber keiner auf Facebook, sondern einer im deutschen Blätterwald. Wer Flashmob sät, wird Mob ernten: Aber nicht den feiernden, sondern den schreibenden.

Fernsehfriedhof: Der Anrufsender 9Live lässt’s nicht mehr klingeln


04 Jun

9live_bilderraten__1385812p“Kein Schwein ruft mehr an”, titelt geistreich die heutige tageszeitung (taz) zum Ende des Anrufsenders 9live, der seit vergangenen Mittwoch zwar immer noch auf Sendung ist, seines Hauptsendeinhalts  aber verlustig gegangen ist, nämlich der Veranstaltung unsäglicher Anrufspielchen, die menschlichen Geist und Portemonnaie gleichermaßen beleidigten. Fernsehgeschichte hat 9live dennoch geschrieben: Es handelte sich um den ersten privaten Fernsehsender Deutschlands, der seinen Erfolg nicht mehr an Einschaltquoten maß, sondern an Anruferzahlen. Denn mit denen verdiente der Sender sein Geld, wie quotenmeter.de drastisch darstellt:

Um diese möglichst hoch zu halten, entwickelten die Verantwortlichen immer neue Spiele, Bilderrätsel und Aufgaben, die es für die Zuschauer zu lösen gab. Dabei standen stets zwei Varianten besonders im Fokus: Entweder war die Frage sehr einfach, aber die Durchstellung eines Kandidaten dauerte ewig oder die Aufgabe war schier unlösbar, weil es zu viele mögliche Antworten oder einen unklaren Lösungsweg gab. Nicht zuletzt wegen diesen Methoden stand der Sender fast pausenlos in der Kritik. Betrug, Erschleichen von Telefongebühren, unzulässiges Antreiben der Anrufer und vieles mehr wurde den Machern vorgeworfen, die immer wieder mit konzeptionellen Änderungen und Warnhinweisen gegenzusteuern versuchten.

“Transaktionsfernsehen” nannten das seine Macher. Gemeint können damit auch die Banktransaktionen der Einspielergebnisse auf die Bankkonten der Eigentümer sein. Denn erfolgreich war der Sender durchaus, jedenfalls kommerziell. Über Jahre war das Programm die Cashcow der ProSieben-Sat1-Gruppe.  Dass 9live allerdings aus “tm3” hervorgegangen ist – der erste ausgewiesene reine “Frauensender”, der mit durchaus avantgardistischen Elementen Zielgruppenfernsehen machen wollte – demonstriert nachhaltig, wie schnell man im deutschen Fernsehen wie tief sinken kann (man erinnere sich nur an das traurige Schicksal von “Vox”). Die Welt stellt dar, welchen Lauf die geschäftliche Entwicklung endlich nahm:

Seit der Verschärfung der Regeln für TV-Gewinnspiele wuchs die Zahl der Verfahren, während die Umsätze des Senders schrumpften – allein im ersten Quartal 2011 gingen sie um gut ein Drittel auf 9,2 Millionen Euro zurück.

Seit vergangenem Mittwoch hat es sich ausgeklingelt. Fortan zeigt 9live brave und biedere Serien in Wiederholung. Die taz wundert sich:

Jetzt hat der Sender seinen "Live-Betrieb", so die Umschreibung für die schlichtmoderierten Zock-Formate, eingestellt. Seit Mittwoch spielt 9Live brave TV-Konserven aus dem Konzernarchiv und macht damit zum ersten Mal so etwas wie – Programm.

9Live jetzt ohne Telefongewinnspiele: Kein Schwein ruft mehr an – taz.de

Europäisches Journalismus-Observatorium: Journalisten mogeln im WWW


30 Mai

Das Europäische Journalisten-Observatorium (EJO) hat sich in einer international-vergleichenden Studie mit der Frage beschäftigt, wie europäische Medien ihr Publikum online an redaktionellen Prozessen teilhaben lassen. Tatsächlich haben Redaktionen mittlerweile einige Transparenz-Instrumente eingeführt:

Jedoch überwiegen Instrumente, die schnell zu installieren und ohne großen Betreuungsaufwand zu pflegen sind – Kommentarfunktionen und Links zu sozialen Netzwerken werden inzwischen von fast allen untersuchten Medien angeboten, ebenso stellen sich die Redaktionsmitglieder mit Foto vor. Instrumente, die den Redaktionen mehr Engagement und insbesondere einen echten Dialog mit dem Publikum abverlangen, sind jedoch Mangelware – nur selten leisten sich europäische Medien Ombudsleute, Leserbeiräte oder installieren gar einen „Button“, so dass Nutzer per Mausklick Fehler in journalistischen Texten markieren können. Fazit: Viele europäische Medien setzen offenbar vor allem aus Marketing-Gründen Transparenz-Instrumente ein, die dem Publikum eher die Illusion von Teilhabe an journalistischen Prozessen geben denn tatsächlich Dialog ermöglichen.

 

Den überaus beliebten “Daumen hoch” von Facebook lässt sich praktisch keine Redaktion entgehen: Das Transparenzwerkzeug wird hier, so ist zu vermuten, als Marketing-Werkzeug zur billigen crossmedialen Werbung missbraucht. Aufwändigere Maßnahmen wie einen Ombudsmann oder einen, arbeitsintensiven, Redaktionsblog leisten sich dagegen nur wenige Medienhäuser. Einen Leserbeirat haben in ganz Europa gar nur zwei Redaktionen: Der öffentlich-rechtliche Sender RTÈ aus Irland und die deutsche Bildzeitung: Deren “Leserbeirat” scheint allerdings auch eher ein wohlfeiles Werbeorgan zu sein.

Deutlich wird auch, dass insbesondere jene Transparenzinstrumente genutzt werden, die eher kostengünstig und ohne großen Betreuungsaufwand installiert werden können – aufwändigere Angebote etablieren die untersuchten Medien nur vereinzelt.

Außerdem fehlen den Forschern vom EJO Webcasts von Redaktionssitzungen, Crowdsourcing, sprich: Einbindung von Lesern bei der Recherche sowie die Publikation eines redaktionellen Ethik-Kodexes. Das Europäische Journalismus-Observatorium ist ein Medienforschungsinstitut an der Universität der italienischen Schweiz im Tessin. Das EJO beobachtet Trends im Journalismus und in der Medienbranche und vergleicht Journalismus-Kulturen in Europa und den USA.

Mogelpackung im WWW? « EJO – European Journalism Observatory

Ein Desaster namens PR-Desaster


28 Mai

Castle_Romeo/WikimediaUngern gibt man Journalisten vorbehaltlos recht, aber in diesem Fall ist das Desaster, das Tom Hillenbrand auf Spiegel Online beschreibt, ein echtes: Das Desaster namens “PR-Desaster”:

Wenn im Golf von Mexiko eine BP-Ölplattform absäuft, ist das nicht nur eine Umweltsauerei, schlampige Ingenieursarbeit oder Managementversagen. Es ist vor allem, da sind sich „Süddeutsche“, „Welt“ und SPIEGEL ONLINE einig, ein „PR-Desaster“. Auch der Playstation-Datenklau bei Sony „entwickelt sich“, schreibt etwa „Zeit Online“ zu einem, na klar, „PR-Desaster“. Selbst bei epochalen Katastrophen wie Fukushima wird ausführlichst diskutiert, ob die Presseabteilung des Energiekonzerns Tepco nach der multiplen Kernschmelze und dem wochenlangen Verschwinden von Konzernchef Masataka Shimizu eigentlich einen ordentlichen Job gemacht hat. Als ob das irgendjemanden interessieren würde.

Jedoch, ein PR-Desaster im eigentlichen Sinne des Wortes wäre es ja nur dann, wenn die Pressestellen versagt oder die PR-Beauftragten Mist gebaut hätten. Das ist in den zitierten wie den vielen anderen Fällen aber zumeist nicht der Fall:

Das PR-Desaster ist neuerdings überall, obwohl die meisten Katastrophen weder durch Öffentlichkeitsarbeit ausgelöst noch gelöst werden. Der amerikanische Krisenberater Eric Dezenhall bringt es am Beispiel BP auf den Punkt: „Alle taten so, als ob das eine PR-Krise wäre. Aber die war nie der Kern.“ Kern des Problems war vielmehr ein sprudelndes Leck, 1500 Meter unter dem Meer.

Noch eine andere irrige Annahme steht hinter der Redeweise vom “PR-Desaster”: Nämlich, dass eine “gute” PR alles heilen könne. Deswegen gibt es heute eine erkleckliche Anzahl von PR-Agenturen, die sich auf “Krisen-PR” spezialisiert haben: Wenn die Krise erst mal da ist, wird ein Kommunikationprofi gerufen, der das Schlimmste verhüten soll – dabei ist das Schlimmste längst eingetreten. Die überwiegende Anzahl von Desastern, die sich ereignen, bedürfen keiner PR, sondern der Abhilfe. Oder gar der Prävention, damit es zum Desaster gar nicht mehr kommt.

Nur wenn PR-Agenturen den Dienst versagen;  wenn sie Botschaften noch schlimmer machen, als sie eh schon sind; wenn sie zur schlechten Tat noch den schlechten Sound beifügen; dann darf mit Fug’ und Recht von einem PR-Desaster gesprochen werden. Spiegel Online führt hier die völlig mißlungene PR-Aktion von Facebook gegen Konkurrenten Google an:

Die von dem Social Network beauftragte PR-Agentur Burson-Marsteller brachte das Kunststück fertig, ihren Kunden ausnehmend schlecht zu beraten und ihm eine verdeckte Schmutzkampagne gegen den Konkurrenten Google aufzuschwatzen. Als die Sache dann aufgrund stümperhafter Durchführung aufflog und alle Beteiligten ihr Gesicht verloren, patzte Burson auch noch beim Krisenmanagement und zensierte seine eigene Facebook-Seite. Das ist endlich mal ein PR-Desaster, das den Namen auch verdient.

Fukushima dagegen (oder Brent Spar, oder der Niedergang der FDP, oder das Ozonloch, oder oder oder) sind keine PR-Desaster, sondern wirkliche. Sie brauchen keine PR, und klammheimlich träumen wir von einer Welt ohne all diese PR-Lümmel, die meinen, jede Katastrophe durch ein bisschen Lug’ und Trug, durch Manipulation und im Zweifel ein bisschen Bestechung heilen zu können. Die PR ist das Desaster, helfen kann sie dabei nicht.

Unwort „PR-Desaster“: Eine Katastrophe, diese Kommunikation – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Wirtschaft

Das Buch ist dem „E-Book“ haushoch überlegen


24 Mai

Lesen bildet: Aber in welchem Medium?

Es ist mehr als ein Jahrzehnt her, da war ich auf der Computermesse CeBit bei einem Vortrag des damals angesagtesten aller Computer-Gurus, Kai Krause. Dieser sprach ein Loblied auf ein phantastisches Medium, das Terabyte an Informationen bereithalte, gestochen scharfe Grafiken und Bilder darstellen könne und noch dazu ungeheuer flexibel zu handhaben sei. Und dann hielt der Programmierer von „Kai’s Powertools“ oder „SuperGoo“ — ein Buch in die Höhe, ein stinknormales altmodisches Buch.

Visionär war der Guru vielleicht auch mit dieser Performance. Dies scheinen nun Bildungsforscher, laut einem Bericht im Kulturteil der heutigen Süddeutschen Zeitung, empirisch bestätigen zu können. Eine aktuelle Studie des „Computer Supported Collaboration Lab“, einer Einrichtung der Universität von Washington in Seattle lasse Zweifel aufkommen, wie reif das eBook als Lehr- und Lernmittel schon ist. Über ein ganzes Studienjahr hinweg hätten die Forscher 39 Studenten, die von der Universität mit Amazons Kindle DX ausgestattet worden waren, über ihre Lese- und Arbeitsgewohnheiten befragt und zum Führen von Tagebüchern angehalten. Das Ergebnis sei ernüchternd gewesen: Bei Ablauf des Untersuchungszeitraums hätten zwei Drittel der Studenten den Gebrauch des Lesegeräts in ihrem Studienalltag entweder ganz eingestellt, oder auf wenige Situationen, wie zum Beispiel Busfahrten beschränkt. Die besonderen Anforderungen, die das kognitiv anspruchsvolle Lesen im akademischen Umfeld mit sich brächte, könnten die eBook-Reader dagegen kaum erfüllen.

Während das rezeptive Lesen, also die reine, sequenzielle Aufnahme von Text, auf den Lesegeräten recht problemlos funktionierte, stießen die Testpersonen bei ihren individuellen Methoden des sogenannten „reagierenden Lesens“ auf große Hindernisse. Als „reagierendes Lesen“ bezeichnet man die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Text während des Lesevorgangs. Jeder einzelne Leser kombiniert dafür ganz idiosynkratisch Unterstreichungen, Anmerkungen, Exzerpte, Visualisierungen und Lesezeichen. In der Praxis wechseln die Studenten zudem unablässig zwischen Lesetechniken wie Überfliegen, Querlesen oder Anblättern hin und her. Nur ein Informationsträger, der der Gesamtheit dieser Methoden und dem flexiblen Wechsel zwischen ihnen möglichst optimal gerecht wird, kann den Erfordernissen wissenschaftlicher Arbeit entsprechen.

Ein E-Book erfülle nun offenbar genau diese Voraussetzungen sehr schlecht. Das wirklich substanziellste Problem, das die Untersuchung offenbart habe, läge aber

in der Unfähigkeit der meisten Probanden, ein elektronisches Buch auch nur annähernd ähnlich effektiv im Geiste zu kartographieren, wie es ihnen mit klassischen Büchern gelingt. Informationen in einem Buch findet man intuitiv wieder; man hat sich ihr Auftauchen im Text geografisch eingeprägt: oben rechts oder unten links auf einer Doppelseite, kurz nach einer Illustration oder eine Seite vor dem Kapitelende. Beim Kindle gelang den Probanden all dies nicht.

Der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan prophezeite schon in den 60er Jahren das Ende der Gutenberg-Galaxis. Vielleicht hat er ja schlicht geirrt.

Facebook-Pinnwand ist ein Bombengeschäft: Für Anwälte


18 Mai

Ob der Like-Button auch urheberrechtlich geschützt ist?

Dass Tauschbörsen im Internet ein probates Mittel vor allem dafür sind, den Austausch von Barmitteln von den Brieftaschen von Internet-Usern in die Portemonnaies von Rechtsanwälten zu befördern, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Nun haben Abmahnanwälte offenbar die Facebook-Pinnwände von Teenagern entdeckt, um auch mit den „social media“ das Taschengeld jugendlicher Facebooknutzer in die eigene Tasche zu sozialisieren. Das hat der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke herausgefunden:

Millionen Teenager kommunizieren via Facebook untereinander. Hier posten sie unbekümmert Fotos ihrer Stars, binden YouTube-Videos in ihre Pinnwand ein, veröffentlichen Songtexte oder kopieren gescannte Seiten aus Büchern in ihre Profile. Solmecke schätzt, dass die typische Facebook-Seite eines Teenagers 10.000 bis 15.000 Euro wert sein kann – für Abmahnanwälte.

Bei Tauschbörsenbenutzern und privaten Homepage-Betreibern habe sich mittlerweile, so Solmecke, auch durch eine ausführliche Medienberichterstattung ein Problembewusstsein herausgebildet, was den Schutz geistigen Eigentums im Internet angeht. Bei den Usern sozialer Netzwerke sehe das aber noch ganz anders aus:

Bei all diesen Diskussionen bleibt ein modernes Medium immer völlig unberücksichtigt: Facebook. Dabei handelt es sich bei Facebook beileibe nicht um einen rechtsfreien Raum, in dem andere Regeln gelten als im übrigen Web-Universum. (…) Im Grunde genommen müssen sich die Facebook-Aktiven wie professionelle Journalisten behandeln lassen. Wenn man sich dann ansieht, wie unbekümmert urheberrechtsgeschützte Inhalte veröffentlicht werden, sage ich: Die typische Facebook-Pinnwand eines Teenagers ist für Abmahnanwälte bis zu 15.000 Euro wert.

Bei Musikvideos, Fotos oder Zitaten drohe genauso eine Abmahnung wie beim Austausch von Profilfotos durch lustige Comicbilder. “Diese Inhalte müssen nicht einmal selbst auf die eigene Facebook-Seite gestellt werden. Es reicht aus, sie zu teilen, um sie sich zu Eigen zu machen und aktiv weiter zu verbreiten“, so der Kölner Rechtsanwalt.

Guck mal, wer da fotografiert


17 Mai

Die Filmfestspiele in Cannes sind für alle Kamerakünstler ein Hochfest im Kulturjahr. Die Boulevardpresse dagegen stürzt sich eher auf die unvermeidlich so genannten „Stars und Sternchen“, die an der Cote d’Azur auflaufen. Wenn beide aufeinanderstoßen, Kameraleute und Filmstars, kann es schon mal kurzzeitig zu Verwirrungen kommen, wie dieses Bild zeigt, dass heute in der Münchner „tz“ zu sehen war:

Wer fotografiert hier eigentlich, wenn alle Kameramänner und Fotografen hinter dem Objekt der Begierde stehen?

Internationaler Tag der Pressefreiheit


03 Mai

Pressefreiheit, das scheint in vielen Ländern der Erde vor allem zu meinen, dass Potentaten sich von ihrer Presse frei machen wollen. Dagegen weisen Journalistenorganisationen wie Reporter ohne Grenzen am heutigen „internationalen Tag der Pressefreiheit“ darauf hin, dass das Recht auf freie Berichterstattung und Information weltweit bedroht ist. 2010 wurden laut einem Beitrag in der heutigen Süddeutschen Zeitung

 weltweit 57 Journalisten getötet, 535 festgenommen, 51 entführt und 1374 angegriffen oder bedroht. Auch 152 blogger wurden festgenommen, 52 angegriffen oder bedroht.

Nicht nur in Ländern wie Eritrea oder Pakistan lebt es sich als Journalist schlecht. Auch Europa schneidet nicht nur gut ab im Ranking der Reporter ohne Grenzen:

Auch bei den EU-Gründungsstaaten Frankreich (2009: Platz 43, 2010: Platz 44) und Italien (2009 und 2010: Platz 49) gibt es keine Indizien für eine Verbesserung der Situation: Grundlegende Probleme wie die Verletzung des Quellenschutzes, die zunehmende Konzentration von Medieneigentum sowie gerichtliche Vorladungen von Journalisten dauern an.

Auch die Bundesrepublik Deutschland belegt auf dem Pressefreiheitsindex keinen der vorderen Plätze:

Deutschland steht in diesem Jahr – fast unverändert – auf Platz 17 (2009: Platz 18): Wie auch in anderen EU-Staaten wurden Redaktionszusammenlegungen und Stellenstreichungen negativ bewertet. Der Zugang zu Behördeninformationen bleibt ebenfalls unzureichend. Zu weiteren Kritikpunkten gehörten unter anderem das Strafverfahren gegen zwei Leipziger Journalisten in der so genannten Sachsensumpf-Affäre.

Nicht ganz verstanden hat der Deutsche Journalistenverband, um was es beim „Tag der Pressefreiheit“ geht: Kämpfen andere KollegInnen weltweit um ihr Leben und körperliche Unversehrtheit, die allein aufgrund ihrer journalistischen Tätigkeit bedroht sind, geht der DJV heute gegen „Billigtarife“ und für höhere Löhne auf die Straße (siehe Bild). So berechtigt auch solche Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen und Honoraren hierzulande sein mögen: In Anbetracht der Bedrohungen und Pressionen andernorts wirkt eine solche Demonstration am „Tag der Pressefreiheit“ doch deplaziert.

Antimedienblog nach Update wieder Up-to-date


28 Apr

Nach diversen Datenbank-, Server- und WordPress-Updates ist der Antimedienblog jetzt wieder am Start.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter