Archive for the ‘Allgemeines’ Category

Tatort-Aus: Warum nur Saarbrücken?


24 Jan

fadenkreuz“Guckt den Film nicht!” forderte der Hauptdarsteller Gregor Weber alias Stefan Deininger des gestrigen Sonntagabendkrimis im Ersten Deutschen Fernsehen, des “Tatorts” aus Saarbrücken, sein Publikum auf. Es handelte sich bei der Aufforderung nicht um die larmoyante Form des Guerillamarketings, um die Einschaltquoten erst recht nach oben zu treiben, sondern um den schauspielerischen Ausdruck der Verärgerung darüber, dass sein Arbeitgeber ARD ihn künftig nicht mehr in der Filmreihe beschäftigen möchte. Dem Schauspieler ist allerdings aus anderem Grunde beizupflichten. In der an Tiefpunkten nicht gerade armen Krimiserie war die Folge des Titels “Verschleppt” das armseligste Beispiel für, wie Film- und Fernsehmacher heute mit Entsetzen Scherz treiben, um im Rennen um ein paar Prozentpunkte der Fernseh-Währung “Einschaltquote” noch die letzten moralischen und ästhetischen Standards zu unterlaufen. Aber lesen wir, was der Film-Kritiker der “tageszeitung” zu dem “Tatort” zu sagen hat:

Der Film und die Schauspieler wachsen weit übers übliche “Tatort”-Niveau hinaus. (…) Weber spielt seinen Deininger hart an der Grenze des Nervenzusammenbruchs. (…) Allein das macht “Verschleppt” absolut sehenswert.

Hier war wohl vor allem der Rezensent am Rande des Nervenzusammenbruchs. Davon abgesehen, dass das “übliche Tatort-Niveau” mit Sicherheit keine Referenzgröße für Qualität im öffentlich-rechtlichen Fernsehen darstellt (woanders erst recht nicht), war diese kolportagehaftige Aneinanderhackstückelung von filmischen Versatzstücken, selbstreferentiellen Zitaten und plump geklauten Einfallslosigkeiten sicher kein Glanzstück, das das Prädikat “absolut sehenswert” verdient hätte. Ein Kinderschänder entführt 14-jährige Mädchen, sperrt sie in ein Kellerverlies ein und quält sie dort mit Kabelbindern und Flüssigkeitsentzug – und das vorgeführt in einer Bildsprache, die sich so unverhohlen wie hilflos aus seinen Vorbildern aus dem Horror- und Splattergenre wie “Hostel” oder “Saw” bedient. Man hat sich ja schon daran gewöhnt (und Kriminologen wie Medienwissenschaftler haben diesen Befund bestätigt), dass die Darstellung von Kriminalität im Fernsehen mit der “echten” Kriminalität hierzulande nichts zu tun hat und dass deswegen das Staatvolk nach Gesetzesverschärfungen ruft, obwohl die Kriminalitätsstatistik seit Jahren und Jahrzehnten rückläufig ist. Ohne (in der Regel: sexuelle) Perversionen, ohne Splatter und Vergewaltigungen, ohne gequälte Mädchen und debile Täter geht gar nichts mehr, auch und gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Für den ahnungslosen taz-Kritiker ist das “sehenswert”, für alle anderen ist das schlicht geschmacklos. Seine Ahnungslosigkeit wird auch körperlich spürbar, wenn man lesen muss:

Die Parallelen zum realen Fall Fritzl/Kampusch sind unübersehbar …

Denn dieser Fall war gar nicht einer, sondern es waren zwei völlig verschiedene: Hier der Fall Kampusch/Priklopil, bei dem in der Tat über Jahre ein Mädchen im Kellerverlies gefangen war (wenn auch nicht mit Kabelbindern gefoltert), dort der Familienvater Fritzl, der die eigene Tochter vergewaltigt. Immerhin konstatiert die “taz”:

Und noch dazu mit einem Thema, dass garantiert nicht zur gemütlichen Sonntagabendunterhaltung taugt.

Hier hat der taz-Kritiker allerdings recht: Dieser “Tatort” taugt weder zur “gemütlichen Sonntagabendunterhaltung”, noch überhaupt zu irgendeiner Art von Unterhaltung an irgendeinem Wochentag. Wer sich von den Sado-Phantasien öffentlich-rechtlicher Drehbuchautoren und –regisseure unterhalten fühlt, der sollte sich mindestens ebenso auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen wie die Verantwortlichen für diesen Film, der zu einer Sendezeit läuft, zu der minderjährige Kinder und Jugendliche im Alter derjenigen, die im Film als Blaupause für die offenbar völlig gestörte Einbildungskraft seiner Macher dienten, noch vor dem Fernsehgerät sitzen. Robert Lemke stellte einst in der guten (?) alten Schwarz-Weiß-Zeit des Fernsehens fest: “Aus dem Kreis der Familie ist ein Halbkreis geworden”. Wer aber heute um 20:15 Uhr in der ARD noch Familienunterhaltung erwartet, der wird mit Brecheisen, Folterwerkzeugen und Dienstpistolen eines besseren belehrt. Als wäre dies nicht alles schon schlimm genug, wird in der “Tatort”-Filmen ein Bild von polizeilicher Arbeit vermittelt, dass dem unvoreingenommenen Betrachter den Eindruck vermitteln muss, als lebten wir in der Bundesrepublik Deutschland in einem faschistoiden Polizeistaat: Prügeleien bei polizeilichen Vernehmungen, Durchsuchungen und Festnahmen ohne Beschluss, Eigenmächtigkeiten und Selbstherrlichkeiten der ermittelnden Kommissare, als wären sie mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet. Es ist schon war, bei fiktionalen Werken muss nicht alles mit den rechten Dingen dokumentarischer Wahrhaftigkeit vonstatten gehen (obwohl: warum eigentlich nicht?). Aber wenn eine Filmreihe sich so dermaßen von der Realität entfernt hat, wie die ARD-“Tatort”-Reihe es getan hat, dann lässt es doch einige Rückschlüsse auf den Wirklichkeitsbezug der ARD-Verantwortlichen zu. Ich jedenfalls werde den Ratschlag des ehemaligen “Tatort”-Kommissarschauspielers beherzigen: Ich werde ein ehemaliger “Tatort”-Zuschauer.

Pro7 schafft das Fernsehprogramm ab


31 Dez

Die edelste Aufgabe eines Fernsehsenders ist das Programmieren. Das unterscheidet das Fernsehen ja (jedenfalls noch) von Abrufkanälen und Youtube: Eine schematisch festgelegte Folge von Programmangeboten, die in Summe das Fernseh-Programm ausmachen. Der Fernsehsender Pro7 hatte allerdings auf diese süße Pflicht an Weihnachten keine Lust mehr. An Heiligabend stellte der Sender nach „Heute kommt der Weihnachtsmann“ und einer letzten „Newstime“ um 18:05 Uhr die Programmierung ein. Ab diesem Zeitpunkt liefen erst hintereinander vier Folgen der Zeichentrickserie „Die Simpsons“ und danach für den Rest des Abends eine Folge von „Two and a half men“ nach der anderen. Bis 2:50 Uhr in der Frühe. Dann ging es mit der US-Fernsehserie „Malcom mittendrin“ ebenso weiter. Man muss allerdings für Pro7 ein bisschen Verständnis aufbringen: Der Heiligabend ist der quotenschwächste Abend des gesamten Fernsehjahres. Selbst Dauergucker schaffen es in dieser heiligen Nacht, mal für ein paar Stunden abzuschalten. Das hat sich natürlich bei den Werbepartnern von Pro7 herumgesprochen. Warum sich also überhaupt irgendeine Art von Mühe geben und das tun, wofür ein Fernsehprogramm eigentlich da ist, nämlich programmieren?! Also hat man das Fernsehprogramm eingestellt und pro forma irgend etwas laufen lassen, damit die Mattscheibe beim Durchzappen nicht schwarz bleibt. Denn wie sähe das denn aus?

Spiegel: Schwindel an der Zentrifuge


29 Dez

Unter der Überschrift „Schwindel am Schmelzofen“ veröffentlichte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel (47/2011) einen Artikel darüber, dass die berühmte „säugende Wölfin“, Wahrzeichen der Stadt Rom und eines der Prunkstücke der kapitolinischen Museen, nicht das 2.500 Jahre alte Werk eines etruskischen Bildhauers, sondern eine Imitation aus dem Mittelalter sein soll:

Doch nun zeigt sich: Das rund drei Zentner schwere Metall ist ein Imitat. Bereits im Jahr 2006 – nach einer umfassenden Restaurierung der Skulptur – hatte die italienische Kunstgeschichtlerin Anna Maria Carruba diesen Verdacht geäußert. Eine Prüfung des Archäologen Edilberto Formigli, der sich unter andereme auf eine C-14-Datierung stützt, bestätigt das Ergebnis nun: Die Lupa stammt aus dem Mittelalter.

An dem Artikel ist doch einiges verwunderlich: Offensichtlich handelt es sich um eine Geschichte, die selbst schon angegraut ist. Das gibt der Spiegel auch unumwunden zu („bereits im Jahr 2006“). Aktualität suggeriert er dadurch, dass es scheinbar neue Forschungsergebnisse gibt („… nun zeigt sich …“).  Was der Spiegel allerdings unterschlägt, ist der Umstand, dass auch diese Ergebnisse alles andere als neu sind. So hat die Tageszeitung Die Welt schon im Jahr 2007 darüber berichtet. Auch der Online-Dienst Shortnews und einige andere Quellen haben diese Geschichte schon vor Jahren publiziert.

Noch etwas anderes verwundert aber am Spiegel-Artikel (und übrigens auch am Beitrag in der Welt): Die wissenschaftliche Methode, mit der dieses Forschungsergebnis erzielt worden sein soll, nämlich die sog. C14-Methode. Die Altersbestimmung anhand des Kohlenstoff-Isotops 14 hat der US-amerikanischen Chemiker Willard Libby Anfang der 1950er Jahre entdeckt, was ihm den Nobelpreis einbrachte. Ein kleiner Beitrag auf den Internetseiten der Uni Paderborn beschreibt die Methode sehr gut:

Das radioaktive Datieren basiert darauf, dass einige Holz- oder Pflanzenüberbleibsel Rückstände von Kohlenstoff 14, einem radioaktiven Isotop des Kohlenstoffs, aufweisen. Dieses Isotop wird von der Pflanze während ihres Lebens gespeichert und beginnt mit ihrem Absterben zu zerfallen. Da die Halbwertszeit von Kohlenstoff 14 sehr groß ist (ungefähr 5568 Jahre), verbleiben messbare Mengen des Kohlenstoff 14 auch noch nach vielen tausend Jahren. Libby zeigte, dass es durch eine geeignete Labormessung möglich ist, den Anteil der verbleibenden Originalmenge des Kohlenstoff 14 akkurat zu bestimmen, selbst dann, wenn nur noch ein winziger Teil der Originalmenge vorhanden ist.

Die Bestimmung funktioniert ausschließlich an organischem Material, denn nur das speichert überhaupt Kohlenstoff. Bei anorganischen Materialien, beispielsweise Metall, funktioniert die Altersbestimmung nach der C14-Methode gerade nicht. Archäologen behelfen sich bei metallischen Funden (z.B. Grabbeigaben) damit, gleichzeitig aufgespürte organische Überbleibsel zu bestimmen und auf die metallischen Fundstücke rückzuschließen. Das funktioniert aber natürlich nicht immer einwandfrei.

Wie soll nun die C14-Methode auf die kapitolinische Wölfin angewandt worden sein? Sollte die Wissenschaft hier tatsächlich eine Weiterentwicklung der Methodik gelungen sein, um auch Metalle altersmäßig zu bestimmen, wäre das für die Archäologie ein echter Durchbruch und darum auch für Journalisten eine große Geschichte wert. Doch genau darüber schweigen sich die Autoren aus. So wird mit Halbwissen eine Halbgeschichte präsentiert, die nicht Hand und nicht Fuß hat. Auf dass Romulus und Remus noch ein paar Jahrhunderte weiter säugen dürfen!

Handyverbot trotz Freisprechanlage?


21 Dez

In den USA will die staatliche Verkehrssicherheitsbehörde NTSB offenbar das Handytelefonieren während des Autofahrens auch dann untersagen, wenn eine Freisprechanlage zum Einsatz kommt. Focus Online berichtet dazu:

Hintergrund ist die hohe Anzahl von Verkehrsunfällen, bei denen Ablenkung des Fahrers eine Rolle spielte. Rund 3.000 Personen kommen dabei jährlich in den USA ums Leben. Verboten werden soll neben dem Telefonieren auch das SMS-Schreiben und das Surfen im Internet.

Nicht die Hände, sondern das Gehirn seien schließlich beim Telefonieren abgelenkt.

Kölner Stadtanzeiger: Wo bitte liegt Europa?


11 Dez

Flag_of_Europe_svgNun gut, Europa ist groß geworden, die Europäische Union hat eine schon fast unüberblickbare Zahl von Mitgliedern und überhaupt ist die Welt nicht erst seit Jürgen Habermas rechtschaffen unübersichtlich geworden. Es muss also nicht jedermann und jederfrau wissen, wieviele Mitgliedsstaaten die Europäische Union hat und womöglich, wie sie heißen. Aber muss es ein Zeitungsredakteur wissen? Schon eher, vor allem, wenn er über die Europäische Union und seine Mitgliedsstaaten schreibt. Nicht so beim Kölner Stadtanzeiger. Dort darf ein Beitrag auch so aussehen:

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Im Kölner Stadtanzeiger dürfen in der einen Spalte eines Artikels die Länder Bulgarien und Rumänien (ganz nebenbei bemerkt: völlig zurecht) als Mitglieder der EU bezeichnet werden. In der anderen Spalte ebendesselben Artikels darf dann aber behauptet werden: “Der Beitritt Bulgariens und Rumäniens liegt auf Eis”. Der Stadtanzeiger-Redakteur hätte sich natürlich einfach hier, hier und geradewegs hier informieren können. Aber warum recherchieren, wenn man auch ohne das Unsinn schreiben kann. Dass hier scheinbar von der Nachrichtenagentur dpa abgeschrieben wurde, macht die Sache wie auch in einem anderen Fall nicht besser. Auch Abschreiben will eben gelernt sein: Von der Neuen Presse Coburg bis zur Grevener Zeitung hat man mehr Durchblick (oder mehr Talent beim Abschreiben von dpa-Meldungen) bewiesen: Es ging nämlich nicht um den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur EU, sondern um deren Mitgliedschaft in der “Schengen-Gruppe”, innerhalb derer Grenzkontrollen entfallen.

Wikipedia: Weisheit aus dem Netz


04 Dez

Wikipedia sammelt ja nicht nur das enzyklopädische Wissen der Welt, es führt das eine oder andere Mal auch die Gesetze der Logik mit seltener Drastik vor. Wie in dem Artikel über die neue US-Fernsehserie des genialen David E. Kelley:

Harry und ihr Partner Adam Branch verteidigen zusammen Personen vor Gericht, die entweder schuldig oder unschuldig sind.

Unwiderlegbar, diese Logik. Genial eben.

Harry’s Law – Wikipedia

Medien: Ein- und Ausgänge


28 Okt

Wer Zugang zu Medien sucht, kann im Kölner Stadtwald fündig werden:

Aber wie kommt man aus den Medien wieder raus? Wo ist der „Ausgang Medien“?

 

 

Sterbende Medien: Friedrich Kittler


19 Okt

Er schrieb, philosophierte und spekulierte nicht nur über Medien, er war auch selbst in einem fast altertümlichen Sinne ein Medium, ein spiritistisches nämlich: Der Medienwissenschaftler Friedrich Kittler ist im Alter von 68 Jahren gestorben. In der deutschen Wissenschaftsszene war er ein Unikum, vielleicht sogar ein “Genie”, wenn dieser Begriff nicht gerade kürzlich erst in Verruf geraten wäre. Der Einschätzung der Wochenzeitung “Die Zeit” ist wenig hinzuzufügen:

In der deutschen Geisteslandschaft gab es einen Namen, der wie kein zweiter sich eignete, geraunt statt einfach dahingesprochen zu werden: Friedrich Kittler. Der Literaturwissenschaftler und Medientheoretiker war der Prototyp des Professors, den die Fachwissenschaft fürchtet und verfolgt, das große Publikum aber umso mehr liebt. Leichtfüßig überschritt er die Grenzen seines Faches und breitete dabei ein stupendes Wissen aus, das über die Antike, die Musik, Mathematik, Literatur bis hin zu konkreten Gegenständen wie E-Gitarren, Plattenrillen, Projektoren und Papier reichte.

Ich selbst habe Friedrich Kittler bei einer Tagung im Münchner Gasteig im Jahr 1992 kennen- und schätzen gelernt. Ich habe mir damals bei der Gelegenheit seine zwei hauptsächlichen Schriften gekauft und halte sie in meiner Bibliothek bis heute in Ehren, nämlich die “Aufschreibesysteme” und “Grammophon Film Typewriter”. Dass ich heute selbst als Medienwissenschaftler tätig bin, hat nicht wenig mit dieser Begegnung und der Lektüre zu tun. Seltsame Koinzidenzen: Mein eigener Doktorvater, Horst Turk, war zusammen mit Kittler Assistent an der Uni Freiburg. Zusammen haben sie 1977 den einflussreichen Aufsatzband “Urszenen. Literaturwissenschaft und Diskursanalyse” herausgegeben (der eigentümlicherweise in der Literaturliste seines Wikipedia-Eintrags fehlt). Wie kaum jemand anderes hat Friedrich Kittler es geschafft, Medienapologet und Medienkritiker gleichzeitig zu sein.

Wenn das Ripl’sche Gesetz womöglich doch stimmt, wonach Medien nicht sterben, sondern sich lediglich komplementär ergänzen, dann wird auch das Medium Kittler uns nicht verlassen haben. Vielleicht hat es einfach andere Aufgaben übernommen. Was könnte man ihm wohl hinterherrufen? Womöglich dieses: “So Long, and Thanks For All the Fish!”

Zum Tod Friedrich Kittlers: Medien sind die Kinder des Krieges | Kultur | ZEIT ONLINE

Genies nach Maßgabe des deutschen Journalismus


16 Okt

Dass Journalisten sich zwar gerne als Mitglieder der offenbar begehrenswerten Gruppe der bundesdeutschen Intelligenzija sehen, andererseits aber genau dazu nicht im mindesten zählen, wird immer dann besonders deutlich, wenn sie sich mit eben jener beschäftigen, sprich: den Versuch unternehmen, intelligente Menschen zum Thema zu machen. Besonders gerne misslingt dieser Versuch in der Wochenzeitung „Die Zeit“, die Woche für Woche wieder daran scheitert, sich einen intellektuellen Anstrich zu geben. In dieser Woche titelt man in großen roten Buchstaben „10 Genies die unser Leben verändert haben“ (übrigens: diese „wir“- und „unser“-Sagerei ist nicht zu kleinsten Teilen enervierend in diesem Blatt). Wer sind also diese „Genies“ nach Maßgabe der Zeit-Redakteure?

Steve Jobs
Miuccia Prada
Carl Djerassi
Karl und Theo Albrecht
Howard Schulz
Ingvar Kamprad
Joanne K. Rowling
Jamie Oliver
Mark Zuckerberg

Dass man in seligem Gedenken dem jüngst verstorbenen Computerhersteller Steve Jobs ein „Genie“ hinterher ruft — meinetwegen. Aber der Rest der Liste, so voluntaristisch sie ist, gibt doch zu denken, so wenig gibt sie zu denken: Ein Möbelschreiner, zwei Lebensmittelhändler, eine Kinderbuchautorin, ein Koch? Howard Schulz ist Gründer der Kaffeehaus-Kette Starbucks: Ein Genie? Das kann wohl allen Ernstes nur behaupten, wer noch nie einen Starbucks-Kaffee getrunken hat. Nur zwei Personen auf der Liste haben Bleibendes (?) hervorgebracht, nämlich der Facebook-Programmierer Zuckerberg und der Erfinder der Anti-Baby-Pille Carl Djerassi. Ob sie deswegen gleich „Genies“ sind, wäre immer noch zu diskutieren. Die anderen Namen sind nicht weiters diskutierenswert. Was sie eint, ist einzig der Umstand, es zu viel Geld gebracht zu haben. Das erfüllt nur in der Logik solcher Leute den Genie-Tatbestand, die mit dem Portemonnaie, dem Unterleib oder anderen Ausscheidungsorganen zu denken pflegen, sprich: Hamburger Pfeffersäcke. Intelligent geht anders.

Die Liste erinnert in fataler Weise an einen unsäglichen Artikel, der vor nicht allzu langer Zeit im „Nachrichten“-Magazin „Der Spiegel“ zu lesen war (Heft 34/2011):

Vielosoph to go
Wie wird man zur Instanz im Mediengeschäft? Am Aufstieg Richard David Prechts zur intellektuellen Allzweckwaffe lassen sich zehn Regeln ableiten.

Ausschnitt: Wen der „Spiegel“ für intellektuell hält

Richard David Precht (den ich im übrigen durchaus schätze) hat ein paar populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht, die kommerziell recht erfolgreich waren. Das alleine aber macht ihn weder zum Philosoph, noch zum „Vielosoph“ oder sonstwie einer Geistesgröße (anderes dagegen vielleicht schon, aber dahin gelangt der Spiegel-Artikel erst gar nicht). Der „Spiegel“ selbst bot und bietet dem Autor Precht daraufhin seine wertvollen Seiten für das an, was Spiegel-Redakteure für einen „Essay“ halten, um sich dann über die Medienpräsenz ihres eigenen Autors zu echauffieren. In seligen Zeiten, in denen ein ordentliches Fremdwort unter Intellektuellen noch etwas wert war, nannte man ein solches Verhalten bigott. Eine Leserbriefschreiberin brachte es, ebenfalls im „Spiegel“ (36/2011) auf den Punkt:

Bei Ihrem flott-witzig-bissigen Rundumschlag kriegen alle ihr Fett weg – man fragt sich am Ende nur, was das soll. Erst bieten Sie den typischen Mediengesichtern große Plattformen, um dann über sie herzuziehen?

Bemerkenswert am Spiegel-Elaborat war auch die großflächige Abbildung, die offenbar all jene versammelte, die die Redaktion des Magazins für intellektuell satisfaktionsfähig hält. Aber neben wem muss sich da ein intellektuelles Schwergewicht wie Jürgen Habermas abbilden lassen: Ein Fußballlehrer, eine Bischöfin, ein Talkshow-Moderator und ein Teilzeit-reaktionärer Fernsehphilosoph. Deutschland hat wirklich einige Geistesgrößen zu bieten. Gescheite, unglaublich belesene Leute, die aus ihrem enormen Wissensschatz unter Anwendung der Gesetze der Logik (und machmal auch unter Umgehung derselben) zu brillanten Schlüssen kommen. Die „Zeit“- und „Spiegel“-Redakteure könnten vermutlich lebenslänglich suchen, sie würden diese echten „Genies“ nicht finden. Lebenslänglich, das heißt „bei uns“ ja bekanntlich 15 Jahre. Aber anschließend sollte der deutsche Journalismus dringend in intellektuelle Sicherungsverwahrung.

Berliner Morgenpost und der Gaga-Körper


11 Okt

Ober- und Zwischenüberschriften sind ja die Wortfetzen innerhalb eines Artikels, in denen das ganze Vermögen oder auch Unvermögen eines Journalisten zu heftigstem Ausbruch kommt. Aber mit welcher Oberüberschrift hat die Berliner Morgenpost folgendes Artikelchen  mit dem Titel “Lady Gaga will sich mit Kindern Zeit lassen” überschrieben:

Lady Gaga (25), Popstar, will so schnell nicht Mutter werden. "Ich bin noch nicht so weit. Meine Fans würden mich sonst umbringen!", sagte sie in der britischen Fernsehsendung "Jonathan Ross Show". Vor ihrer ersten Schwangerschaft werde sie noch mindestens zehn Alben aufnehmen. Ob dann ihr derzeitiger Freund Luc Carl der Vater ihrer Kinder werden könnte, ließ sie offen. "Du weißt, ich spreche nicht über mein Liebesleben, aber ich bin sehr glücklich", gab sie zu verstehen. Zu dem Fernsehauftritt war Lady Gaga mit einem Schaf erschienen, das sie an einem Stoffband ins Studio führte.

Man höre und staune, über der Überschrift steht das schlichte Wort “Körper”. In derselben Spalte steht noch eine Meldung über die Schauspielerin Courtney Thorne-Smith mit der Oberüberschrift “Gesicht”. Erst dem amerikanischen Serien-Darsteller Tim Allen wird “Geist” attestiert. Ein Schelm, wer da male chauvinism unterstellt …

LeuteNews – Körper: Lady Gaga will sich mit Kindern Zeit lassen – Panorama – Berliner Morgenpost – Berlin

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter