Archive for the ‘Bücher’ Category

Grass setzt weitere „Duftmarken“


27 Apr

www.steidlville.comGünter Grass hat’s schon wieder getan: Er lässt sich das Dichten einfach nicht verbieten! Diesmal hat er “Duftmarken” gesetzt. Sein Göttinger Verleger, Gerhard Steidl, kam nämlich auf die Idee, ein Parfüm herstellen zu lassen, das nach nichts anderem als nach Büchern und Papier duftet.

Für den 61-Jährigen ist das Büchermachen ein sinnliches Erlebnis. „Der Geruch eines frischen Buchs ist betörend wie ein Rauschmittel“, sagt Steidl. „Ja, dieser Duft ist dein Parfüm“, bemerkt der US-Fotograf Robert Frank in einem Dokumentarfilm über Steidl, als ihn der Verleger an einem neuen Bildband schnuppern lässt. Wegen dieser Szene regte das britische Lifestyle-Magazin „Wallpaper“ das gemeinsame Projekt an.

www.steidlville.comUnd weil in der Göttinger Provinz nicht viel los ist (der Verfasser dieser Zeilen spricht aus Erfahrung), wurde fürs Produktdesign kein geringerer als Karl Lagerfeld angeworben und fürs Werbetextchen auf der Packung war Günter Grass zuständig. Er steht damit in durchaus ehrenwerter Tradition: der Dichter Frank Wedekind stand einst als Werbechef bei Julius Maggi unter Vertrag. Kostprobe:

»Vater, mein Vater! Ich werd nicht Soldat! Dieweil man bei der Infanterie nicht Maggi-Suppe hat!« – »Söhnchen, mein Söhnchen! Kommst Du erst zu den Truppen, So isst man dort auch längst nur Maggis Fleischkonservensuppen.«

Das Duftdesign besorgte der Berliner Parfümeur Geza Schön. Nun hat der Duft der Bücher wirklich etwas. Der Verfasser dieser Zeilen gibt zu, selbst Schnüffler zu sein und seine Buchschätze durchaus auch zu beschnuppern. Doch wenn wir ehrlich sind: Das Wort, das dieses Geruchserlebnis am besten beschreibt, ist am ehesten “muffig”. Der Göttinger Verleger veranlasste darum auch den Duftkreateur, noch Moschus und Osmanthus unters Odeur zu mixen zwecks des Wohlgeruchs. Ach, ginge das doch auch bei Lyrik!

Designmesse in Mailand – Parfüm mit Bücherduft – Karl Lagerfeld gestaltete Flakon – Aus aller Welt – Hamburger Abendblatt

Die Vorteile des Buches


12 Okt

imageDas Onlinemagazin für Netzkultur Telepolis hat sich mit den Unterschieden von eBooks und dem befasst, was sie aBooks nennen. “aBooks”, das können “analoge Bücher” sein oder schlicht auch “alte Bücher”, dieses alte Medium, dessen Ende allenthalben vorausgesagt wurde. Zu folgendem Ergebnis kam man:

Punkt eins: Das eBook ist weitgehend nicht in der Lage, wie noch das simpelste aBook, Blumenblätter zwischen den Seiten trocken zu pressen. Schlägt man mit dem eBook mehrmals auf die Blätter des Delphinium grandiflorum ein (vulgo: Rittersporn), so bleibt nur ein wenig ansehnlicher Brei zurück.

Punkt zwei: Sie sind zwischen Nuuk und Kangerlussak auf Grönland mit dem Flugzeug abgestützt und haben ein aBook und Streichhölzer dabei. So retten Sie durch ein kleines Feuerchen ihr Leben. Ihr Nachbar mit dem eBook ist schon längst erfroren, es brennt nicht.

Punkt drei: Sie stellen ihr eBook in das ansonsten leere Bücheregal. Es sieht Scheiße aus.

Punkt vier: Sie werfen statt wie üblich mit dem Reclamheftchen "Heidegger Martin: Der Ursprung des Kunstwerkes" mit Ihrem eBook in einer Auseinandersetzung nach dem Partner. Folge: Trennung und langjährige Schadensersatzzahlungen.

Punkt fünf: Edgar Wibeau in Ulrich Plenzdorfs Roman "Die neuen Leiden des jungen W." kommt auf dem Klo nur deshalb in Kontakt mit Goethe, weil das aBook auch auf dem Örtchen zu gebrauchen ist. Kollege Harald verweigerte in dieser Hinsicht übrigens jeden Test.

Punkt sechs: Sie können zwar auch auf dem Bildschirm des eBooks mit einem Filzstift ganze Sätze unterstreichen, es bringt aber nicht wirklich was.

Punkt sieben: Im eBook sind zwar Dostojewski und Schiller drin, wichtige Werke der Weltliteratur wie die gesammelten Reden von Nicolae Ceausescu fehlen jedoch.

Kauft alte Bücher! | Telepolis

Kein Buch schreiben und damit berühmt werden


02 Sep

Kaum zurück aus dem Urlaub, muss man als Leser des Kölner Stadtanzeigers Folgendes um die Augen geschlagen bekommen:

„Auf dem Cover des zusammen mit dem Autor und Comedian Till Hoheneder geschriebenen Buchs sieht man eine angereifte Frau mit dickem blonden Haarschopf, die sich ganz offensichtlich des Lebens freut“.

Es geht um ein offenbar demnächst erscheinendes Buch der Kölner Komödiantin Gaby Köster. Interessant ist an dem zitierten Absatz so Einiges. Zu allererst mal die (vielleicht etwas triviale, aber dennoch bemerkenswerte) Feststellung, dass Buchautoren ihre Bücher heutzutage nicht mehr selber schreiben. Wenn es schon heißt „geschrieben zusammen mit“, kann man getrost davon ausgehen, dass vermutlich keine einzige Zeile von der (prominenten?) Person stammt, die werbewirksam auf dem Buchcover abgebildet ist. Schlimm für den armen echten Autoren ist aber nicht nur, dass eine andere die Meriten für diese vermutete literarische Großtat einheimst, sondern auch, als „Autor und Comedian“ bezeichnet zu werden. Wer sich so nennen lassen muss, ist doch ein ganz armes Würstchen.

Nicht nur Gaby Köster kann offenkundig nicht schreiben. Auch die Autorin des Kölner Stadtanzeigers hat ihre liebe Not mit der deutschen Sprache. Wie auch immer Gaby Köster auf dem Buchcover aussieht: „angereift“ ist sie mit Sicherheit nicht. Warum nicht? Weil es dieses Wort in der deutschen Sprache nicht gibt. Da ist dann auch schon egal, dass im Kölner Stadtanzeiger jemand über Bücher schreiben darf, die er selbst nicht gelesen hat. Das ist mir auch schon am eigenen Leibe (bzw. Buche) passiert. Denn das Buch ist nicht nur noch gar nicht erschienen. Auch der avisierte Verlag (Scherz) weiß auf seiner eigenen Website nichts von diesem Werk. Auch Amazon kennt diesen Buchtitel noch nicht. Folgerichtig hat der Stadtanzeiger als Abbildung aus einem Verlagsprospekt eine Seite abfotografiert. Fassen wir zusammen: Gaby Köster hat ein Buch nicht (selbst) geschrieben, das auch nicht veröffentlicht wurde, und der Kölner Stadtanzeiger hat damit mehr als eine halbe Seite gefüllt. Das ist schon eine Kunst.

Echo auf Eco: Das Internet ist das Universum des Falschen


24 Mai

Umberto Eco

Umberto Eco ist Sprachwissenschaftlern ebenso ein Begriff wie Romanliebhabern: Als Wissenschaftler hat er sich ebenso einen Namen gemacht (in der Semiotik nämlich, die man quasi „seine“ Wissenschaft nennen könnte) wie als Autor von „Der Name der Rose“ und ähnlich eloquenten Erzählwerken (wir lieben ja „Das Foucault’sche Pendel“ meist noch mehr). Nicht alle wissen aber außerhalb des italienischen Sprachraums, dass Eco auch als Journalist ausgewiesen ist. Seit nunmehr Jahrzehnten füllt er die letzte Seite des Nachrichtenmagazins L’Espresso mit seiner Glosse „La busta di Minerva“. In einer der letzten Ausgaben hat er sich (übrigens beileibe nicht zum ersten Mal) mit dem Internet auseinandergesetzt, und zwar kritisch (für Kenner des Italienischen ist hier der Link). In der Zusammenfassung der Süddeutschen Zeitung:

Der Journalist Tommaso Debenedetti, im vergangenen Jahr Mittelpunkt einer Affäre um erfundene Interviews mit Philip Roth, Herta Müller, Gore Vidal und anderen Schriftstellern, hatte offenbar im Namen Umberto Ecos der International Herald Tribune einen Leserbrief geschrieben, in dem er die Nato-Militäraktionen in Libyen scharf kritisierte. Und die Zeitung hatte die Zeilen Anfang April als authentische Wortmeldung Ecos abgedruckt. In denselben Topf warf Eco nun in seiner Kolumne viele andere Internet-Falschmeldungen über ihn und sein Werk. Er habe etwa auf einer katholischen Nachrichtenseite erfahren müssen, dass ein Autor sein Buch mit einem Eco-Vorwort schmücke, das er, Eco, gar nicht verfasst habe.

Quintessenz von Umberto Eco, wiederum in der Übertragung der SZ:

Eco beklagte, dass das Netz ein „anarchisches Territorium“ geworden sei, „wo man alles sagen kann, ohne dementiert werden zu können“.

Eco ist nach Meinung des SZ-Autors viel zu pauschal und oberflächlich in seiner Kritik. Er würde darum in der italienischen Netz-Gemeinde auch mit Hohn und Spott bedacht. Originalton SZ:

Unter italienischen Bloggern sorgte Ecos Lamento für Spott und bissige Reaktionen. In seinem Blog Wittgenstein.it antwortete ihm Adriano Sofris Sohn Luca, der die Online-Zeitung Il Post herausgibt: Die genannten Falschmeldungen hätten ihren Ursprung sämtlich in klassischen Medien. Die Kritik sei zudem Zeichen einer gewissen intellektuellen Oberflächlichkeit.

Die italienischen Netizens als unkritische Apologeten des WWW und einer der bedeutendsten Gelehrten, den Italien im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, ein oberflächlicher und intellektuell minderbemittelter Kritikaster? Da lohnt sich doch, die Italienischkenntnisse zusammenzukramen und mal im Original nachzulesen. Was hat Umberto Eco denn nun wirklich geschrieben? Tatsächlich ist in der Printausgabe der Herald Tribune ein klassischer Leserbrief im Namen von Umberto Eco veröffentlicht worden, mit dem Eco in Wahrheit nichts zu tun hat. So weit, so analog. Autorisieren konnte sich der Fälscher jedoch „usando un mio presunto indirizzo di email aperto da lui stesso con grande facilità“, also indem er mit Leichtigkeit eine (gefälschte) Emailadresse im Namen von Umberto Eco eingerichtet hat, mit der er sich auswies. Auch in Ecos Formulierung über das „anarchistische Territorium“ hat die SZ kurzerhand einen wichtigen Nachsatz weggelassen. Eco schreibt nämlich:

Ormai Internet è divenuto territorio anarchico dove si può dire di tutto senza poter essere smentiti. Però, se è difficile stabilire se una notizia su Internet sia vera, è più prudente supporre che sia falsa.

Inzwischen ist das internet ein anarchistisches Territorium geworden, wo man alles behaupten kann, ohne der Lüge überführt zu werden. Jedoch, wenn es schwierig zu überprüfen ist, ob eine Mitteilung im Internet wahr ist, dann ist es klüger, sie von vornherein für falsch zu halten.

Um Lebensklugheit geht es hier und um einen fast schon Pascal-haften Umgang mit dem Wahrheitswert von Internet-Behauptungen. Auch andernorts setzt die italienische Netzgemeinde sich deutlich differenzierter mit dem neuesten Medium auseinander, als es die SZ-Netzdepeschen-Redaktion wahrhaben möchte. In der Net-Zeitung Linkiesta etwa ist ein Verriß zu lesen, der noch deutlich mehr Verve hat als die medienphilosophischen Betrachtungen von Umberto Eco:

Noi giornalisti capiamo nulla di Internet
(Wir Journalisten verstehen gar nichts vom Internet)

Der Artikel fasst die Ergebnisse einer großangelegten Studie zusammen, die die Columbia School of Journalism kürzlich vorgelegt hat. Sie beschäftigt sich differenziert mit den ökonomischen Möglichkeiten des Journalismus im Internetzeitalter. Differenzierter jedenfalls als die Autoren der Süddeutschen Zeitung.

Ein Gespräch über Bücher in der U-Bahn


12 Dez

Neulich in der Linie 18 der Kölner Verkehrsbetriebe. Eine Frau sitzt mir gegenüber und ist in ein schweres Buch vertieft. Es handelt sich um Orhan Pamuks „Das Museum der Unschuld“. Eine Mitfahrerin aus der gegenüberliegenden Sitzgruppe versucht, den hinteren Klappentext zu entziffern. Die Leserin bemerkt ist, will freundlich sein und hält der Nachbarin das Buch näher. Die beiden kommen ins Gespräch. Eine weitere Dame schaltet sich ein. Auch sie hat schon einen Pamuk gelesen. Und schließlich sind wir alle vier in ein angeregtes Gespräch über Tragik und Literatur, Erbaulichkeit und Kultur verstrickt. Eine Viertelstunde lang reisen wir viel weiter, als die Kölner U-Bahn (die bekanntlich kulturloseste des ganzen Landes) jemals bringen könnte. Dann steigt erst die dritte Frau und dann ich aus. Schließlich wird die Leserin mit ihrem Buch allein zurückbleiben. Aber das Gespräch bleibt auch. Dazu ist nur Literatur fähig.

Orhan Pamuk „Das Museum der Unschuld“

Müssen Bücher bunt sein?


15 Nov

Der Suhrkamp-Verlag stellt auf seiner Facebook-Seite Buchumschläge zur Abstimmung. Ich frage mich: Muss das überhaupt sein?

Ach nein, früher unterschied sich der deutsche Buchmarkt so wohltuend besonders vom englischsprachigen: gingst Du in England oder USA in den Buchladen, war alles schreiend bunt, und bei uns: diese herrliche, fast schon barocke Schlichtheit. Jetzt ist auch Suhrkamp im visuellen Zeitalter angekommen, aber ich bleibe dabei: Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder. Nun bleiben wohl nur noch die italienischen Buchläden, und selbst die Italiener pimpen mittlerweile immer häufiger ihre Umschläge vierfarbig auf. Schutzumschläge jedenfalls landen bei mir nur äußerst selten im Bücherregal, eher in der Versenkung. Also bitte: Mehr Schwarz-Weiß-Malerei! Gegen bunte Bücher!

Facebook (2) | Suhrkamp Verlag

Buchmesse kritisch: RAF-Ästhetik und Videotext


05 Okt

Andreas Ammer, der Regisseur der einzig brauchbaren Büchersendung im deutschen Fernsehen, „Druckfrisch“ in der ARD, hat sich zum Thema „Fernsehen und Literatur“ geäußert. Kritisch moniert er:

„Das Fernsehen ist das einzige Massenmedium, das keine eigene Kunstform hervorgebracht hat“.

Ammer findet Literatur im Fernsehen, gelinde, unterrepräsentiert:

„Die einzige Literatur, die im Fernsehen stattfindet, ist der Bildschirmtext“.

Die Leerstelle, die Literatur im Fernsehen darstellt, kann laut Ammer aber auch systematische Gründe haben:

Das Problem für Ammer, wenn es darum geht Schriftsteller und ihre Werke in Szene zu setzen: „Qua Beruf sitzen sie zwei bis drei Jahre allein daheim“ – und müssten dann zum Verkaufsstart durch die Medien tingeln. Das gelingt aus Fernsehmachersicht nicht in jedem Fall. Aus diesem Grund verbiete man sich bei „Druckfrisch“ entsprechende Homestorys – und postiert den Autor stattdessen mitsamt Moderator Scheck in die verschiedensten Szenerien – was teils eine eindringliche, teils eine absurde bis hochkomische Wirkung entfalten kann.

Wo Literatur im Fernsehen mal wortwörtlich vorkam, zum Beispel bei Hans-Joachim Kulenkampffs Vorlesesendungen im vergangenen Jahrhundert, erinnerte es Ammer eher „an die Ästhetik eines RAF-Videos“.

DWDL.de – RAF-Ästhetik und Videotext: Literatur im TV

Der Frosch: ein Medium?


20 Aug

Zu den Aporien des Medienzeitalters gehört es, nicht so genau definieren zu können, was eigentlich ein Medium so genau sein soll. Stefan Münker und Alexander Roesler fassen die Diskussion in ihrem Suhrkamp-Buch Was ist ein Medium? zusammen:

Ein Stuhl, Rad, ein Spiegel (McLuhan), eine Schulklasse, ein Fußball, ein Wartezimmer (Flusser), das Wahlsystem, der Generalstreik, die Straße (Baudrillard), ein Pferd, das Dromedar, der Elefant (Virilio), Grammophon, Film, Typewriter (Kittler), Geld, Macht und Einfluss (Parsons), Kunst, Glaube und Liebe (Luhmann).

Kein Wunder, dass da selbst ein Frosch als Medium bezeichnet werden kann. Diesen interessanten Gedankengang verfolgt nämlich im selben Buch Medienforscher Stefan Rieger. Der Naturforscher Luigi Galvani experimentierte im 18. Jahrhundert als einer der ersten mit Elektrizität. Als er einst einen Frosch sezierte, soll die Spitze eines Skalpells eine Verbindung zur Elektrisiermaschine hergestellt haben, und siehe: Die Schenkel des toten Froschs erwachten zum Leben und zuckten. Galvani hatte die „animalische Elektrizität“ entdeckt und der Frosch galt fortan als Medium des Stroms:

_frosch_medium001

Den zugehörigen Vortrag Riegers kann man sich auch im Internet ansehen:

http://www.formatlabor.net/media/Rieger-Vortrag.mp4

Wie darf man das Fernsehen kritisieren, Teil 2: Oliver Kalkofe


19 Aug

clip_image002 Ich gehöre nicht zu den größten Bewunderern des Oliver Kalkofe und finde nachhaltig, dass er seine beste Zeit einst beim Frühstyxxradio von Radio ffn in den frühen 90ern hatte. Manchmal gar scheint es mir, als ob gerade die über ihn und seine Medienverrisse am lautesten lachen, über die er sich gerade lustig macht. Das ist natürlich auch eine Kunst.

Neulich fiel mir sein Buch Geschafft! Wir sind blöd! Kalkofes letzte Worte in die Hände, eine Sammlung von Kolumnen, die er regelmäßig in einer Fernsehillustrierten veröffentlicht. Und ich muss sagen: Ich habe doch an einigen Stellen herzhaft gelacht. Dann wieder wurde ich aber auch nachdenklich. Im Einleitungstext nämlich schreibt Kalkofe:

Wer es sich inzwischen leisten kann, abzuschalten, der tut es. Wer genug Geld für Kino oder Videothek hat oder gar das so gern zitierte „gute Buch“ zu benutzen weiß, der hat sich längst von seinem alten Kumpel Fernsehen verabschiedet. Oder bestellt sich seeine DVDs aus dem Ausland, um erstaunt mitzuerleben, wie vor allem in Amerika und England in den letzten Jahren einige der fantastischsten TV-Produkte aller Zeiten entstanden sind.

Und dann folgt eine Liste, die wohl nach Meinung Kalkofes für das „gute Fernsehen“ stehen soll:

Die Sopranos, 24, Lost, Deadwood, Six Feet Under, Prison Break, Boston Legal, Heroes, Arrested Development, The Office, Doctor Who, Little Britain, Extras – die Liste ist endlos.

Mal davon abgesehen, dass der Großteil dieser Formate auch im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurden und man eine Videothek deswegen nicht konsultieren gemusst hätte (außer natürlich man steht auf Filme in Originalsprache, aber das ist ein anderes Thema und so eine Videothek muss man auch erstmal finden — überhaupt muss man ja heute eine Videothek erstmal finden!): Ist doch irgendwie auffällig, dass Oliver Kalkofe beim Thema „Gutes Fernsehen“ ausschließlich Unterhaltungssendungen einfallen. Nachrichten, Features, Dokumentationen, politische Sendungen kommen im Kalkofe-Kosmos offensichtlich nicht vor. Obwohl gerade hier das deutsche Fernsehen, namentlich das öffentlich-rechtliche, unter Umständen gegen die internationale Konkurrenz gar nicht abfallen müsste. Jedenfalls ist die berühmte BBC-Dokumentation auch nicht mehr das, was sie einmal war. Re-Enactment, alberne Grusel-Ausleuchtung, sich selbst inszenierende Journalistendarsteller — das sind die Neuerungen, die wir in diesem Bereich der Insel zu verdanken haben. Und an bahnbrechende Fernsehdokumentationen aus den USA kann ich mich in den vergangenen 10 Jahren gar nicht erinnern. Auffälligerweise produziert etwas Michael Moore nur noch fürs Kino. Kalkofes These sollte er also vielleicht noch einmal überdenken.

Literarischer Frühjahrsputz?


26 Mai

Die besondere Qualität des Qualitätsjournalismus besteht auch darin, in aller Öffentlichkeit Fragen zu stellen, die eigentlich überhaupt niemand sich stellt. In dieser Kunst hat es die Wochenzeitung Die Zeit besonders weit gebracht. In dieser Woche stellt sie sich und uns allen Ernstes folgende Frage:

Gibt es Klassiker, die sich überholt haben? Ist Weltliteratur völlig unabhängig von Moden, Zeiten und Geschmack? Junge deutsche Autoren prüfen den Literaturkanon.

Ein Schelm, wer ernsthaft Solches behaupten wollte. Aber das ficht Die Zeit nicht an. Und die bemühten Antwortgeber auch nicht. Wiewohl: Wie sollte es anders als mühselig sein, Fragen zu beantworten, die sich nicht stellen. Da findet jemand Die Rättin von Günter Grass nicht gut? Wie billig! Da schreibt jemand:

Kein gutes Gedicht hinterließ Erich Fried . Es ist, was es ist – um des lieben Frühlings willen, raus damit aus dem Regal.

Gute Güte! Das ist kernige Literaturkritik! Und Jung-Autor Clemens Setz aus Österreich urteilt über Ingeborg Bachmann:

So viele Leute, nein, im Grunde fast alle, die ich kenne, lieben und verehren Ingeborg Bachmanns Malina . Ich nicht. Die Leute lesen es und loben hinterher jedes Mal dasselbe: die wunderbare Art, mit der dargestellt wird, wie das weibliche Ich (denn das ist die Hauptfigur in diesem Buch und nicht mehr, keine dreidimensionale Figur) an der männlich dominierten Welt zugrunde geht. Und ich verstehe sogar, warum sich so viele Leute darüber freuen – und freue mich leider nie mit. Denn dieser Roman ist in seiner ungenauen, mal rezitativartigen, mal pathetisch überhöhten Hilflosigkeitsprosa für mich wirklich kaum zu ertragen.

Auf Fragen, die sich nicht stellen, erhält man eben auch Antworten, die auf nichts antworten. Denn mal im Ernst: Niemand liebt Malina. Niemand lobt das Buch und vor allem: niemand liest es. Bachmanns Roman ist genau so, wie der Jungautor es beschreibt, und im Grunde würde vermutlich selbst die Autorin, würde Ingeborg Bachmann selbst der Beschreibung zustimmen.

Und womit haben wir eigentlich eine Suada von solch erlesener Ausgewogenheit, literarischer Kennerschaft und Feinsinnigkeit verdient, wie sie uns die 1982 geborene Autorin Nora Bossong auftischt:

Ach, Herr Brecht, zweieinhalbtausend Gedichte sind zu viel. Gedichte sollten nicht zur Massenware werden, das gilt auch für die Marxisten unter ihnen. Sie waren immer aktuell, so aktuell, dass ich die Zeitlosigkeit dazwischen gar nicht finde. Die Subtilität, nebenbei bemerkt, auch nicht. Lehrer lieben Sie. Und Schüler haben Sie zu lieben, gefälligst! Lieber Herr Brecht, Sie sind überall, und Sie sind überall berühmt. Hätte Sie eine solche Monokultur, von außen betrachtet, nicht auch skeptisch gemacht? Sie wussten alles, und Sie wussten alles besser, und Sie wussten es, noch ehe das erste Wort auf dem Papier stand. Eine Aussage, die vor den Worten feststeht und ihnen nur aufgedrängt wird, halte ich für eine dubiose Federführung, bei der die Worte lediglich als Kanonenfutter herhalten.

Brecht hätte sehr wohl darauf zu antworten gewusst, und nicht nur er hätte die Antwort auf diesen literarischen Schulmädchenreport im voraus gekannt. Aber wie die meisten Klassiker kann auch Herr Brecht sich leider nicht mehr wehren: Das macht die Klassikerkritik der Nachgeborenen (oh pardon, ein Brechtismus!) so schal und peinlich. Ach nein, da lese ich doch lieber die Klassiker.

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