Archive for the ‘Bücher’ Category

Literaturfans bei Facebook: Nietzsche schlägt Schiller


04 Mai

friedrich-nietzsche-540x304 Von wegen, Computer vernichten die Gutenberg-Galaxis! Bei Facebook outen sich Myriaden von Usern nicht als „Nerds“, sondern – als Leser. Das hat in einer netten Glosse für Zeit Online David Hugendick herausgefunden:

Zum Beispiel von Goethe. Der hätte das Soziale Netzwerk vermutlich gerne gemocht. Da hätte er mit Schiller fetzige Xenien auf Pinnwände gedichtet. 23.070 Nutzer sind auf Facebook Anhänger des Geheimrats. Schiller hingegen kommt auf nur 1368. Ach, du lieber Himmel! Hölderlin 1472, Kleist 951, Herder 46, Wieland: gar keine! Hat die Weimarer Klassik das Internet verpasst? Wie steht’s um Thomas Mann? Solide 10.502, immerhin. Hermann Hesse ist besser: 38.203. Bayern München hat weit weniger.

Und da wir schon vergleichen: Nietzsche (148.681) liegt vor Cioran (5425), Sartre (57.033) vor Camus (37.227), Astrid Lindgren (77.291) vor Joanne K. Rowling (30.374), Grass (1848) vor Böll (714), Böll aber vor Handke (324), Enzensberger (251) und Walser, den die Suchmaschine gar nicht findet. Ebenfalls weit abgeschlagen stahlgewittert Ernst Jünger vor 109 Fans. Der Facebook-Nutzer steht also Bullerbü näher als dem Krieg, und das ist – nicht nur für Buchhändler – eine gute Nachricht.

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Schriftstellerinnen: Durch den Wind


23 Mrz

Manchmal sind Frauen, die schreiben, ja noch schwerer zu ertragen als Frauen, die singen. Das soll nicht bedeuten, dass es nicht Frauen gebe, die großartig schreiben (oder singen) können. Aber wer will schon ein Buch zur Hand nehmen oder gar lesen, das vom Verlag mit den Worten beworben wird:

Und wann geht es los, das richtige Leben? Vier Frauen, Mitte dreißig, in Berlin.

Will darüber noch irgendjemand irgendetwas lesen? Und dann noch in Berlin! Berlin ist literarisch so tot wie ein Hering überm Verfallsdatum. Immerhin könnte es ja sein, dass nur der Verlag schlecht, das Buch aber richtig gut ist. Doch auf der Website des Hanser-Verlags gehen die Irritationen weiter:

Vier Frauen, Mitte Dreißig, in Berlin: Yoko, Friederike, Alison und Siri sind auf der Suche nach der Liebe und nach dem richtigen Leben. Und alle vier hadern mit sich, weil sie Angst vor dem Scheitern haben.

Yoko? Alison? Siri? Da freut man sich doch regelrecht über eine bescheidene Dame mit dem altmodischen Namen Friederike, während Siri eher eine pathologische Diagnose ist, zu der den in der Populärkultur Bewanderten bestenfalls einfällt: Siri, wir wissen, wo dein Auto steht!

Immerhin könnte es ja sein, dass auch diese Namensgebung ein Ausrutscher ist (man denke an die Namen bei Goethe!). Das Buch könnte ja trotzdem richtig gut sein. Die Website offeriert auch eine Leseprobe, und die klingt so:

Am Abend nach dem Fest lag Alison in ihrem Bett. Im Flur brannte die kleine Lampe, die sie immer brennen ließ, wenn sie alleine war. Sie war nicht gut im Alleinsein, sie war gut im Zuzweitsein. In dem Zwischenraum, der sich zwischen Victor und ihr immer weiter ausbreitete, herrschte eine Schwerelosigkeit, die sie Volten schlagen und zur Ruhe kommen ließ. In diesem Zwischenraum war sie zu Hause, das war ihr Kosmos, ihr Leben. Doch jetzt war sie alleine und schwebte verloren über der weißen Landschaft aus Laken, Kissen und Decken, die ihr viel zu groß vorkam für einen einzigen Menschen.

Also, lag sie nun oder schwebte sie schon? Und seit wann sollen brave Mädchen mit Männern ins Bett gehen, die Victor mit „c“ heißen? Nein, man möchte einfach nicht weiterlesen. So kann Werbung gehörig schief gehen.

Annika Reich: Durch den Wind – Hanser Verlag

Wie gefährlich ist Powerpoint?


03 Dez

18411_WI_Coy_Powerpoint_B  “Bullshit Bingo” ist noch eine der höflicheren Formulierungen für das, was Redner, Unidozenten und vor allem Unternehmensberater mit dem Präsentationsprogramm Powerpoint anstellen. Nun haben zwei Wissenschaftler in einem beim Fischer Taschenbuch Verlag veröffentlichten Sammelband zusammengetragen, was dieses Microsoft-Programm mit der Kultur des freien Vortrags angerichtet hat.

Was das sein könnte, hat eine lesenwerte Rezension in der Süddeutschen Zeitung zusammengetragen. Und das ist allerhand:

Es ist ein paar Jahre her, dass sich am Computerprogramm "Powerpoint" aus dem Hause Microsoft eine weltweite kulturkritische Debatte entzündete, die sich bis hin zu Verschwörungstheorien steigerte. Aus Logo, Überschrift und Untertitel, aus meistens in Form von Listen angelegten Halbsätzen, aus Torten- und Stapeldiagrammen, aus "Pros" und "Contras" schien nicht nur eine Präsentationstechnik, sondern eine Bewusstseinsform zu entstehen, die ihre Benutzer dazu zwingt, grob und übertrieben einfach zu denken. "It’s not your presentation. It’s your presentation of a PowerPoint presentation", schrieb der Computerjournalist Doc Searls 1998. Fünf Jahre später, auf dem Höhepunkt der Debatte, schrieb Edward Tufte den Essay "The Cognitive Style of PowerPoint", in dem der Absturz der Raumfähre Columbia im Jahr 2003 wenigstens zum Teil auf eine mangelhafte Powerpoint-Präsentation zurückgeführt wurde …

Wer mehr über die entstandene Differenz von Vortragen und Verweisen, von Reden und Präsentieren erfahren will, kann hier das erwähnte Buch finden:

fischerverlage.de – Fischer Verlage – Powerpoint

Gott schütze uns vor Weihnachtsbüchern


02 Dez

Wenn Gott nur deswegen damals in Betlehem auf die Welt gekommen ist, um uns arme Leser Jahr für Jahr in der Vorweihnachtszeit mit Weihnachtsbüchern zu belästigen, dann hätte er sich dieses Zur-Welt-Kommen ruhig sparen können. Wo sonst die Neuerscheinungen sich stapeln, Klassiker präsentiert werden oder wenigstens schmissige Unterhaltung feilgeboten wird, werden zu Weihnachten auf den Präsentiertischen aller Buchläden debile Titel angeboten wie: “Ach, du lieber Weihnachtsmann”, “Die Simpsons – Wahnwitzige Weihnachten”, “Es ist ein Elch entsprungen”, “Eiskalte Weihnachten” und und und.

Für die ganz Komischen unter den Lesern gibt es dann noch “Das Weihnachtshasserbuch” oder “Der kleine wissenschaftliche Weihnachtsberater” von Hartmut Schickert:

In vierundzwanzig mehr und auch weniger ernsten Kapiteln gibt Hartmut Schickert Einblick in alles Wissens- und Erwähnenswerte aus der Weihnachtszeit. Zum Staunen, Lachen, Wundern, Schmunzeln – um alle Jahre wieder darin zu schmökern.

Oh je! Und dann gibt es auch noch von Axel Hacke das Werk “Alle Jahre schon wieder”. Der Verlag beschreibt es so:

Weihnachten ist einmal im Jahr und kehrt stets im Dezember pünktlich wieder. Man weiß, was auf einen zukommt. Man könnte sich darauf einstellen. Und doch stehen die meisten von uns unverhofft immer wieder vor den gleichen großen Fragen: Soll ich den Christbaum frühzeitig kaufen oder lieber in letzter Sekunde? Welche Folgen kann es haben, ein Weihnachtsgeschenk schon im September zu erwerben? Wo wird Kurti, das Meerschwein, die Zeit nach den Festtagen verbringen, wenn wir verreisen?

Hat sich irgendwer jemals auch nur eine dieser völlig unnötigen, zeitverschwenderischen, dummdreisten Fragen gestellt? Ich nicht. Und keine Antwort auf auch nur eine dieser Fragen erregt mein mindestes Interesse. Möge der Weihnachtsmann seinen Sack zulassen, ehe er mich mit solchen Weihnachtsbüchern belästigt!

Axel Hacke beim Kunstmann-Verlag

Fälschungen in der Wissenschaft


14 Okt

Die Naturwissenschaften gelten gemeinhin als Bereich, der der experimentellen Erkenntnis vor der rein buchbezogenen hermeneutischen den Vorzug gibt. Ein Grund, warum zum Beispiel Doktorarbeiten in naturwissenschaftlichen Fächern regelmäßig viel kürzer sind als in Geisteswissenschaften: „Bücher bilden Gelehrte, Broschüren bilden Menschen“, wie man schon im 18. Jahrhundert sagte. Eine auffällige Kontraindikation ist allerdings der Umstand, dass ausgerechnet in den Naturwissenschaften das Problem der wissenschaftlichen Fälschung virulent ist. Die Obsession der Veröffentlichung ist dann eben auch in den Naturwissenschaften so groß, dass selbst ohne greifbares Ergebnis eine Publikation hergestellt werden muss: Die wissenschaftliche Erkenntnis wird fiktionalisiert. Dass damit das Ergebnis dieser wissenschaftlichen Aktivität, die sich vorgeblich gegen reine Hermeneutik richtete, sich selbst zum Objekt hermeneutischer statt naturwissenschaftlicher Analyse macht, hat bei allem Degout auch eine gewisse feine Ironie. In der Zeitschrift Universitas findet sich ein Aufsatz zu diesem Thema (pdf).

Universitas

Orwell mit Orwell bekämpfen


22 Jul

Ausgerechnet die Romane „Animal Farm“ und „1984“ hat der Online-Buchhändler Amazon aus seinem Sortiment befördert. Erst nachträglich sei dem weltweit größten Internetversender aufgefallen, dass der Verlag, von dem Amazon die Onlinerechte erworben hatte, gar nicht im Besitz ebenderselben gewesen sei. Dass Amazon das eigene Sortiment um zwei besonders einflussreiche Titel verkleinern muss, möchte man noch als hausgemachtes Unglück abtun. Allerdings hat der Onlinehändler mittels der Synchronisationsfunktion bereits verkaufte Online-Versionen seiner Kunden von deren digitalen Lesegeräten, den sog. Kindles, wieder entfernt. Die Süddeutsche kommentiert das:

Neben der Tatsache, dass die Nacht-und-Nebel-Aktion für Amazon extrem peinlich ist und das Unternehmen jetzt geduldig Big-Brother-Witze über Wirklichkeit gewordene Orwell-Utopien und Blog-Hasstiraden über sich ergehen lassen muss, ist die Angelegenheit auch rechtlich bedenklich. Denn eigentlich erwirbt jeder Kunde beim Kauf eines E-Books im Kindle Store ein unbegrenztes Nutzungsrecht. Prekär auch die Frage, warum Amazon offensichtlich nicht überprüft hat, ob der Anbieter der Texte auch die Rechte an ihnen besitzt. Das Vertrauen in die Seriosität des Unternehmens ist beschädigt, denn wer möchte schon, dass sein Buchhändler – und so fühlt es sich an – nachts um drei im Wohnzimmer steht und die gekauften Bücher wieder mitnimmt.

Amazon entfernt George Orwell aus seinem E-Book-Laden – sueddeutsche.de

„Sex, Macht und Politik“


20 Apr

„Sex, Macht und Politik“: So nennt sich ein Weblog von Bettina Röhl auf der Website der Tageszeitung Die Welt. Die Autorin ist Tocher von Ulrike Meinhof. Das ist hier zu erwähnen, weil sie es selbst nicht unterlässt. Da hat jemand sein Lebensthema gefunden: Im Leben von jemand anderem. So muss man wohl feststellen, wenn man etwa ihr Interview mit M. Reich-Ranicki liest, in dem es besonders darum geht, wie Ulrike Meinhof einmal eben denselben interviewte. Lässt schon der Rubrikentitel, der kaum je einhalten kann, was er verspricht, schlimmes vermuten, so kommt es beim Hineinlesen nur noch schlimmer. So ist zu lesen:

Bis in Harald Schmidts Unterschichten hinein ist Literatur ein Begriff geworden, der über Jahrhunderte einer dünnen Schicht des Bildungsbürgertums weitestgehend vorbehalten war.

Was soll der Satz eigentlich sagen? Ist das noch deutsch? Oder ist es schon die Sprache gerade jener „Unterschichten“, deren Literaturbegriff (so sie überhaupt einen hat) schwuppdiwupp schon wieder enteignet wurde, und zwar seit Jahrhunderten von einer dünnen Schicht Bildungsbürger. Und egal ob dünne oder dicke Bildungsbürger, diese Schicht gibt es zwar noch gar nicht jahrundertelang und auch ihr Literaturbegriff ist ein ziemlich junger, aber das kann ja der Autorin schnuppe sein. Was sagen will: Ulrike Meinhof konnte vermutlich besser schreiben.

Nazis „sorgen“ sich um verbrannte Bücher


14 Feb

Georg Salzmann hat in dreißigjähriger Arbeit eine 10.000 Bände umfassende Bibliothek zusammengestellt, die Werke der sog. „verbrannten Schriftsteller“ enthält, also derjenigen Intellektuellen und Dichter, die vor dem Naziterror ins Exil geflohen sind. Unter den Werken sind viele seltene Erstausgaben und Privatdrucke. Wer sich über Georg Salzmanns Arbeit näher informieren will, dem sei dieser lesenwerte Artikel der Zeit empfohlen.

Wer allerdings nach dem Büchersammler auf google. de sucht, der bekommt auf Platz 2 der Trefferliste ausgerechnet eine Internetseite zweifelhaften Rufs und Inhalts, die ihren braunen und tendenziös rechtsextremen Anstrich nicht verbergen kann. „Altermedia“ nennen sich diese intellektuell verrotteten Pamphletisten, deren Denkanstöße lediglich in Anstößigkeiten bestehen wie den folgenden:

„Vielleicht findet Salzmann ja in Israel Abnehmer für seine gesammelten Werke. Wir könnten uns gut vorstellen, daß sie eine Zierde für Yad Vashem wären – und vielleicht sogar von praktischem Nutzen, falls dort mal das Gas für die Ewige Flamme alle wird.“

Dass ausgerechnet bei den Deutschesten aller Deutschen die Deutschkenntnisse nur kümmerlich vorhanden sind, ist eine alte Klage. Auch nicht neu, aber sehr angebracht wäre, hier auf Volksverhetzung zu erkennen. Vor allem sollte der Fa. Google geraten werden, solche „Links“, die leider sehr weit rechts sind, aus ihren Trefferlisten zu verbannen, wenn man auf der Internetsuche nach sehr ehrbaren Leuten ist.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter