Heute zeigt der Kölner Stadtanzeiger Größe: Denn er ist zu groß, um über den eigenen Schatten zu springen. Stattdessen wird der hauseigenen Revolvervblättrigkeit ein weiteres Blatt hinzugefügt. Eine typische Aufmacherseite des Kölner Lokalteils sieht ungefähr so aus:
„Ermittlungen nach tödlichem Arbeitsunfall“
„Prozess um >Mord ohne Leiche<" "Rabiater Räuber in der Kirche"
Wer in Köln wohnt und diese Zeitung aufschlägt, der kriegt es mit der Angst zu tun: Ist Nippes die Bronx? Verslumt die Domstadt und versinkt in Kriminalität und Mord und Totschlag? Gibt es denn so gar keine Kultur, keine Komunalpolitik, kein gesellschaftliches Leben, das irgendwie berichtenswert wäre? Doch das gibt es. Aber im Kölner Stadtanzeiger findet es nur rudimentär oder auf den hinteren Seiten des Blattes statt. Die erste Seite ist fest in der Hand der Pistoleros dieses Revolverblatts. Und wenn es nicht wenigstens irgendwo brennt, dann ist doch die Feuerwehr im Einsatz, auch wenn sie nur mit Ensetzen Scherz treibt:
„In einer aufsehenerregenden Übung haben Feuerwehr und Heilig-Geist-Krankenhaus in Longerich am Dienstag die Rettungsmaßnahmen nach einem Autobahnunfall geprobt“.
Wie bei jedem Blutbad gibt es Opfer. Im Kölner Stadtanzeiger ist es die deutsche Sprache, denn mit der steht man großräumig auf Kriegsfuß.
„… hatten sich die Anwohner gewundert, warum das Gelände nicht großräumiger abgesperrt war“.
Der Großraum, den man sonst von Limousinen kennt, offenbart hier erneut eine Schwäche im Gebrauch des Komparativs, die noch nach Vergleichen sucht. Vielleicht war das Wort „weiträumig“ gedacht, aber auch das benötigt keine Steigerung. Auch in anderen Räuberpistolen des Blattes wird die Sprache weiträumig mit dem Unsinn über einen Kamm geschoren, auf dass selbst eine genaue Spurensicherung nicht den Rest eines Sinns an den Tag bringt:
„Die Spurensicherung fand DNA-Material mit Schmauchspuren von Giovanni Strangio und wohl auch Nirta im gemieteten Fluchtwagen der beiden“.
DNA-Material hat mit Chromosomen und Erbgut zu tun, Schmauchspuren werden hinterlassen bei Revolverschüssen. Das sollte ein Revolverblatt wie der Kölner Stadtanzeiger eigentlich wissen. Beides zusammen ist bestenfalls ein Schuss im Ofen, aber auch ohne das würde kein deutscher Satz daraus. Selbst wenn sie es gut meinen, geht es im Kölner Stadtanzeiger daneben. Da möchte man den Film einer engagierten Journalistin über jüdisches Leben im NS-Staat loben, in dem auch die Überlebenden zu Wort kommen:
„Und sie hat seinen Söhnen und Enkeln, die dem Holocaust entkamen, Gesicht und Stimme gegeben“.
Man würde ja lachen mögen, wenn man nicht zu weinen bräuchte! Wenn sie doch noch am Leben sind, die Überlebenden, dann haben sie offenbar noch ihr eigenes Gesicht und ihre eigene Stimme. Den Verstorbenen, denen mag man, wenn’s denn sein muss, was verleihen, was die Lebenden gottlob noch selber haben. Aber mit Gesichtsverleihungen kennt sich der Kölner Stadtanzeiger nicht so gut aus. Mit Gesichtsverlust schon eher.