Archive for the ‘Medien’ Category

Wie Zeitungen die Konjunktur hochschreiben


16 Sep

Hipp hipp hurra: Alles ist wieder gut! Waren die deutschen Zeitungen das komplette vergangene Jahr im Hauptsacheverfahren damit beschäftigt, eine Wirtschaftskrise herbeizuzitieren, zu verstärken und mit „Krisen-Tickern“ und Horrorszenarien nach Möglichkeit zu verschärfen, so hat nun irgendein Schriftleiter das Kommando zum Zurückrudern gegeben. Vielleicht war es ja der Schriftleiter des Kölner Stadtanzeigers, denn dort ist heute unter der Überschrift „Konjunktur zieht wieder an“ zu lesen:

Die Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI hat seine Konjunkturprognose für das laufende Jahr angehoben. Statt mit einem Minus von 6,4 Prozent rechnen die Forscher nur noch mit einem Minus von 5 Prozent.

Allerdings: Von einer „Besserung“ kann hier wohl nicht die Rede sein.Dass ein Minus von 5 % „besser“ ist als ein solches von 6 %, ist eine Rechnung, die selbst Milchbuben und -mädchen zur Ehre gereichen würde, allein ein Minus bleibt ein Minus und die wirtschaftliche Kennziffer wird darob im laufenden Jahr nach wie vor „schlechter“, und zwar drastisch. Alles andere sind Mätzchen. Das hat auch der kluge Analytiker von Telepolis konstatiert, wo er schrieb:

Man nehme: Statistische Tricks, eine fantasievolle Bilanzführung, schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme und Billionen zur Generierung einer erneuten Spekulationsblase – und schon ist die Weltwirtschaftskrise scheinbar überwunden.

Medien wollen die „Rettung“ oder die „Krise“, nur eines wollen sie nicht: ein ausgewogenes und differenziertes Bild. Mag sein, dass die Konjunktur irgendwann wieder anzieht. Vorerst möge sie sich warm anziehen.

Telepolis: Hurra, der Pseudo-Aufschwung ist da

Konjunktur zieht wieder an – Kölner Stadt-Anzeiger

Sterbende Medien von ihrem Anfang Aus betrachtet


08 Aug

1864_Schreibmaschine_Peter_Mitterhofer Vor 140 Jahren wurde erstmals ein Brief auf einer Schreibmaschine getippt. Am 8. August 1869 verfasste der Südtiroler Tischler  Peter Mitterhofer ein Schreiben an einen adligen Gönner auf einem selbstkonstruierten Modell – aus Holz! Die Schreibmaschine ist ja eines der hoffnungslos vom Erdboden vertilgten früheren Schreibmedien. Wer mehr über die Anfänge dieses Geräts lesen möchte, kann einen Aufsatz von mir beim Online-Dienst Telepolis studieren:

TP: Der Erfinder der Schreibmaschine

Politik-PR statt Journalismus


19 Jul

Parteitage in Nürnberg haben eine gewisse Tradition, an die jetzt die CSU offenbar sich anschließen will, weswegen sie ihr aktuelles Großtreffen ausgerechnet dort abhält. Politikentleert wie diese Art von Schauveranstaltung ist regelmäßig auch die Berichterstattung darüber. Der Journalismus ist gemeinsam mit der Politik ins postpolitische Zeitalter eingetreten. Dient der Politjournalismus in den sogenannt seriösen Medien noch als Ausweis einer nurmehr homoöpathisch vorhandenen Qualität, sieht er seinem häßlichen Geschwisterkind, der Politik-PR, zum Velwechsern ähnlich. Die Polit-Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verhalten sich ja ohnehin wie jede Eva zu ihrem Adam, da beide das gleiche Feigenblatt sich vor die Scham halten: Nur ein Paradies ist das nicht.

Unversehens blitzt eine überkommene Art von Journalismus nur auf, wenn Parteitagsstrategien und durchschaubare Kommunikationstaktiken plötzlich nicht mehr aufgehen: Wird ein Parteivorsitzender vom blökenden Wahl- und Deligiertenvolk abgestraft, kann selbst das mundzahmste Medium nicht anders, als dem Volk aufs Maul zu schauen und der Politprominenz auf ebenselbes zu hauen. So entsteht auf einmal doch noch politischer Journalismus, auch wenn man das unbedingt vermeiden wollte.

Horst Seehofer: Dämpfer dank Verjüngungskur – Bundestagswahl – FOCUS Online

Sterbende Medien: Kodak beerdigt Kodachrome


23 Jun

kodakextColor_210   Das Ende des Medienzeitalters deutet sich auch dadurch an, dass mehr und mehr Medien sterben. Nun trifft es eines der bekanntesten Filmprodukte überhaupt: Die US-Firma Kodak stellt die Produktion des ersten kommerziell vertriebenen Farbfilms der Welt ein. Wie Kodak in einer Pressemitteilung schreibt, seien "modernere Kodakfilme" und Digitalfotografie heute bei Fotografen beliebter. Kodakchrome war 1935 zum ersten Mal auf den Markt gekommen und hat heute nur noch einen Marktanteil von 1 Prozent.

Kodaks Pressemitteilung
Wikipedia über Kodachrome

Wie gierig sind Fernseh-Journalisten?


20 Jun

zapp Was wären Medien ohne Skandal, auch wenn man ihn vielleicht selbst anzetteln muss? Nun hat die Medienwelt wieder einen: Nebenverdienste von öffentlich-rechtlichen Journalisten. “Abgreifen, abkassieren, Gier” – das sind die Vokabeln, mit denen ARD-Moderatoren wie Tom Buhrow oder Anja Kohl oder ZDF-Leute wie Petra Gerster oder Claus Kleber sich abkanzeln lassen müssen. Angefacht hat die Diskussion ausgerechnet ein öffentlich-rechtliches Fernsehmagazin, nämlich die Sendung “zapp” vom NDR. Mutet schon das eigentümlich an, sind auch inhaltlich einige Einschränkungen vorzunehmen, liegt hier doch direkt ein mehrfaches Mißverständnis vor:

1. In einer Medienwelt, in der Sender (auch und gerade öffentlich-rechtliche) sich Moderatoren und “Anchormen und -women” abluchsen, abkaufen und verscherbeln wie sonst nur Fußballsklaven in der Bundesliga, (mehr …)

Verdeckte PR


14 Jun

Wir kennen verdeckte Ermittler, aber was ist verdeckte PR? Darüber gibt Heidi Klein von der Organisation Lobbycontrol dem Medienhandbuch ein Interview. Vor allem durch das Verhalten der Deutschen Bahn ist diese Methode der Öffentlichkeitsarbeit jetzt in den Focus geraten. Die Bahn hat Millionensummen ausgegeben, um während des Eisenbahnerstreiks bessere Presse zu erhalten. Aber es geht nicht nur um die Deutsche Bahn:

In dem Kaliber wie jetzt der Skandal bei der Deutschen Bahn werden sehr wenige Fälle öffentlich, aber die Dunkelziffer ist mit Sicherheit hoch. Wir haben ähnliche Fälle auf unserer Webseite dokumentiert, etwa die Schleichwerbung der Arbeitgeber-Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in der Vorabendsendung Marienhof, die scheinbare Graswurzelinitiative "Campaign4Creativity" (C4C), die u.a. finanziert von Microsoft und SAP für starke Softwarepatente in der EU auftrat oder die "Bürger für Technik", die sich gegen Vorurteile gegen neue Technik einsetzen und eng mit der Atomlobby verstrickt sind.

Lobby Control ist eine Organisation, die sich für eine transparente Demokratie und klare Grenzen von Lobbyismus einsetzt.

Der Auftrag der Bahn für die verdeckte PR-Kampagne hatte ein Volumen von 1,3 Millionen Euro (exklusiv) | medienhandbuch.de

Der will doch bloss werben


03 Jun

Ach, was muss man oft von bösen/Werbern hören oder lesen:

Zum Beispiel von der Leipziger Firma MTS GmbH, die für ihre Auto-Anhänger mit Plakaten unter der Überschrift “Miet mich – Benutz mich!” wirbt. Der deutsche Werberat sieht hier die “Grundregeln zur kommerziellen Kommunikation” ausgehebelt, da halbnackte Frauen in aufreizender Kleidung ohne jeglichen Produktbezug abgebildet waren. Hier würden “Frauen als Sexualobjekte präsentiert”, wie der Werberat feststellte.

Auf die nämliche Klage lief ein Plakat der Allgemeinen Versicherungs- und Finanzvermittlungs GmbH aus Sindelfingen hinaus. Unter der Überschrift “Bei uns müssen Sie nicht  den Hintern zusammenkneifen” waren vier Frauen mit nacktem Po abgelichtet. Die Sindelfinger verstießen damit gegen die Werberegel wegen Herabwürdigung und Diskriminierung von Personen.news-large-16429_jpg

In noch herbere Kerbe schlug ein Computerhersteller: Blut spritzt vom Kopf eines boxenden Mannes, blutig sein Unterhemd, blutgetränkt auch seine bandagierten Fäuste. Und das alles nur für die Überschrift “Unschlagbar”. Auf die Beanstandung durch den Werberat hat die Frankfurter Fa. MSI Technology noch nicht reagiert.

Deutscher Werberat verurteilt "blutrünstige" Computer-Werbung | medienhandbuch.de

Zukunft des Netzes


05 Mai

Heimatlosigkeit einmal anders: 200 Millionen verlassene Blogs soll es im Internet geben, hat die Unternehmensberatung Gartner errechnet. Es sind die Geisterdörfer der Blogosphäre. Dazu passt ein Gedanke, den Helmut Thoma, der ehemalige RTL-Chef, am vergangenen Wochende im Interview des Kölner Stadtanzeigers äußerte:

Irgendwann wird Internet ein Begriff sein wie heute das Morsen. Das war eine Form, Texte und Standbilder auf den Computer zu bekommen. Bald spielt sich alles auf immer größeren Fernsehflächen ab … Vielleicht ersetzt Spracherkennung die Tastatur und ich sage dem Fernseher die Adresse. Was ist dann Internet?

Greysame Werbung


22 Apr

Der Kommunikationskonzern Grey führt gerade öffentlich vor, wie Kommunikation in globalem Maßstab schief gehen kann. Dabei geht es ausgerechnet um Verhütung, sprich: Verhüterli. Ein Entwurf von Grey Deutschland für eine Kondom-Werbung spielte mit Konterfeis von Osama Bin Laden, Hitler und … Mao. Die message von dat janze: Mit Kondomen wären uns die Herrschaften erspart geblieben. Doch, wieder einmal, wurde das Medium selbst zur message: Chinesen waren empört. Und da das chinesische Volk aus über einer Milliarde potentiellen Protestlern besteht, kommen selbst bei nur kleiner Empörung schnell ein paar Millionen Unruhestifter zusammen. Kurzum: Grey sah sich zu einem Coitus Interruptus genötigt und veröffentlichte folgende Stellungnahme:

Wir verstehen, dass diese Anzeige wegen der optischen Bezugnahme auf den Vorsitzenden Mao in China Gefühle verletzt hat. Grey hat sich aufrichtig entschuldigt und der chinesischen Botschaft in Deutschland in aller Form versichert, dass diese nicht autorisierte Anzeige nie erscheinen wird. Wir zollen China, dem chinesischen Volk, seiner Kultur und seinen Institutionen höchsten Respekt.

Die Entschuldigung wurde im übrigen direkt von der Konzernzentrale in den USA lanciert und nicht von der Deutschlandfiliale: So ernst nahm man den Respekt vor dem chinesischen Volk. Gar zu volkstümlich dürfte der Hintergrund für diesen (um im Bilde zu bleiben:) „Rückzieher“ nicht sein: Grey war die erste westliche Werbeagentur, die auf dem chinesischen Markt aktiv wurde. Natürlich setzt man hier auch für die Zukunft eher auf wechselseitige Befruchtung und verhütet nur eins: Die eigene Kampagne. Diese erinnert übrigens an einen alten Spontispruch aus den 80er Jahren, der eine völlig andere Zielrichtung hatte: „Hätt‘ Maria abgetrieben, wär‘ uns viel erspart geblieben“. Aber Gott verhüte, dass das Kardinal Meissner erfährt …

Berichterstattung als Amoklauf


17 Apr

Über 60 Beschwerden hat der Deutsche Presserat nach dem Amoklauf von Winnenden erhalten. Es gehe um „die komplette Breite“ des Themas: von der unmittelbaren Berichterstattung über die Veröffentlichung des Fotos vom Täter bis zum Umgang mit den Opfern und ihren Familien. Die Wochenzeitung Die Zeit hat dargestellt, wie die Recherchemethoden der Journalisten aussahen:

Zwei Stunden nachdem die Familie vom Tod ihrer Tochter erfahren hatte, klingelte es an der Tür. Der Mann von der Presse kam sofort zur Sache: Ob die Familie Fotos ihrer Tochter habe? Ob die Tochter einen Freund habe? Ob sie den Täter gekannt habe? Es klingeln noch drei Reporter an der Tür, dann klingelt das Telefon. Fernsehsender. Ob es Bilder gebe?

Allerdings ist zu vermuten, dass auch den Autoren der Zeit nichts anderes übrig blieb, um diesen Artikel zu schreiben, als … an der Tür zu klingeln. In einem Interview ebenfalls mit der Zeit zieht der Gewaltexperte Joachim Kersten einen Zusammenhang zwischen dem Amoklauf in Alabama und dem in Schaben:

Die Tat in Alabama war vergleichbar. Die Bilder gingen schnell um die Welt und waren auch in einigen deutschen Medien Aufmacherthema. Ich habe gestern früh gesehen, wie Nachrichtenseiten als erstes Bild einer Bilderserie ein Foto einer mehrmals durchschossenen Fensterscheibe aus Alabama gezeigt haben. Ich dachte, hoffentlich sieht keiner dieser potenziellen Täter in Deutschland diese Bilder. Nach eineinhalb Stunden bekam ich dann einen Anruf und erfuhr, was in Winnenden passiert war. Da kann es einen Zusammenhang gegeben haben. Kriminologisch ist diese Theorie wenigstens belegt – anders als vieles andere, was kursiert. Der Nachahmungseffekt ist nachgewiesen.

Was auch immer die Ursachen sind: Die Berichterstattung über Amokläufe gleicht selbst einem.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter