Archive for the ‘öffentlich-rechtlicher Rundfunk’ Category

Korrekturen: ZDF gibt Fehler zu


19 Mrz
Foto: ZDF LKW (Wikimedia)

Foto: ZDF LKW (Wikimedia)

Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) will auf seiner Internetseite heute.de Pannen zugeben und Fehler korrigieren. Auf der neu eingerichteten Webseite ist zu lesen:

Als Journalisten fühlen wir uns den Prinzipien von Faktentreue, Trennung von Bericht und Kommentar, von Vielfalt verpflichtet. Aber wir wissen auch: Wer 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche sendet, analog, digital und online, dem unterlaufen trotz aller Anstrengungen von Redaktion und Korrespondenten auch Fehler. Dazu bekennen wir uns. (…) Auf dieser Seite weisen wir auf Fehler, die wir in der Berichterstattung gemacht haben, hin und korrigieren sie. Das können Fehler oder Unkorrektheiten sein, die wir in selbstkritischer Betrachtung unserer Arbeit selbst erkennen, aber auch solche, auf die uns Betroffene, Experten oder unser Publikum aufmerksam machen. Wir glauben, dass Transparenz das beste Gegenmittel gegen Verschwörungstheorien und Manipulationsvorwürfe ist.

Der Berliner Tagesspiegel mutmaßt, dass es sich dabei um eine Reaktion auf die Kritik an der Ukraine-Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender handle. Laut einer Forss-Umfrage finden viele Bundesbürger die Fernsehberichterstattung immer schlechter:

Danach haben 38 Prozent der Deutschen tatsächlich das Gefühl, dass die TV-Nachrichten in letzter Zeit immer schlimmer werden. Besonders gelte dieser Befund für Ostdeutsche (45 Prozent), für Frauen (41 Prozent) sowie für Zuschauer im Alter von 30 bis 44 Jahren (44 Prozent).

Angefangen hat mit einer regelmäßigen Korrekturen-Rubrik die New York Times. Die älteste Korrektur bezieht sich dabei auf einen Artikel, der im Jahr 1853 in der New Yorker Tageszeitung veröffentlicht worden war. Darin war der Name von Solomon Northup falsch geschrieben worden, auf dessen Autobiographie der Oscar-prämierte Kinofilm 12 Years a Slave beruhte. Die ARD Tagesschau geht im Tagesschau-Blog auf Fehler in der Berichterstattung ein und hat mit meta.tagesschau.de auch eine Seite für Diskussionen mit den Zuschauern eingerichtet. Die „Ständige Publikumskonferenz“ hat eine eigene Forumsseite eingerichtet, auf der vermeintliche Falschdarstellungen der öffentlich-rechtlichen Sender diskutiert werden.

WDR: Stumpf in der Flugverbotzone


10 Okt

Liebe LeserInnen, liebe MitdiskutiererInnen, liebe Mitleidende!

Ich habe mich nach langem Nachdenken, vielen Gesprächen und einer für meine Verhältnisse unfassbar großen Zahl an Emails, die ich zu diesem Thema erhalten habe, entschlossen, den Blogeintrag zur Auseinandersetzung um eine ARD-„Story“ von Tim van Beveren und zu seinem Streit mit dem veranstaltenden Sender WDR und einiger seiner festangestellten Redakteure hier herunterzunehmen. Wer die Hintergründe dieser Auseinandersetzung nachlesen will, wird in diesem taz-Artikel und dieser Darstellung des Mediendienstes dwdl.de fündig. Es liegt dazu auch eine Darstellung des WDR vor. Die neueren Entwicklungen lassen sich auch in diesem dwdl-Artikel nachlesen.

Meine Entscheidung hat zwei Hintergründe: Der eine ist eine Abmahnung und die Aufforderung zu einer Unterlassungserklärung durch die Anwaltskanzlei von Dr. Roman Stumpf, einem der in die Geschichte verwickelten WDR-Redakteure. Ich kann dem Folge leisten, weil es mir nicht darum ging, eine einzelne Person womöglich zu „pathologisieren“ (was mir fachlich nicht zusteht, wie ich auch explizit geschrieben habe), sondern darum aufzuzeigen, dass der WDR sich zu einem System entwickelt hat, dass in seiner Grundanlage „krank“ ist. In einem solchen System sind alle, die sich darin befinden, „Opfer“, auch wenn sie womöglich auf der anderen Seite als festangestellte Redakteure „Täter“ sind, die eine Mitverantwortung dafür tragen, wie das System konkret ausgestaltet ist. Das nennt man dann wohl Dialektik. Die „freien“ MitarbeiterInnen des WDR, die mehr als 90 % des Programms herstellen, sind in diesem System immer das schwächste Glied, obwohl sie die größte Last des Programmauftrags tragen müssen. Dass der WDR als öffentliche Anstalt, die mit öffentlichem  Geld finanziert wird (und das sind jährlich Milliardenbeträge), einer besonderen öffentlichen Kontrolle und Kritik unterzogen werden darf und muss, scheint mir auf der Hand zu liegen.

Der andere Grund ist, dass dies hier nicht meine Geschichte ist, sondern die des Kollegen Tim van Beveren. Hier ein neues Fass aufzumachen, scheint mir durchaus unangebracht und auch kontraproduktiv. Zumal die Geschichte jetzt ohnehin die juristische Dimension erreicht hat und keinen Nebenkriegsschauplatz mehr braucht. Tim van Beveren gehört dabei meine volle Solidarität, weil ich nur zu gut nachfühlen kann, was ihm widerfahren ist. Mir ist Ähnliches in mehr als einem Fall im WDR und mit seinen festangestellten RedakteurInnen geschehen. Und ich werde auch in Zukunft allen, die davon nichts hören wollen, weiter erzählen.

Der WDR hat, wie alle öffentlich-rechtlichen Sender, einen gesetzlichen Programmauftrag. Wer mit seinen eigenen Programmmachern so umspringt, entzieht sich selbst die Existenzberechtigung. Das wäre schade: nicht um Stumpf und seinen Sender, aber um all die exzellenten AutorInnen und JournalistInnen, die einfach nur ihre Arbeit machen wollen. Ein öffentliches Programm in der Hand der Programmmacher, das wäre eine ganz große Sache. Der WDR ist davon weit entfernt.

Trau, schau, Ernst-Schneider-Preis


06 Okt
In der Mitte Intendantin Wille (MDR), links neben ihr Peter Frey (ZDF)(Foto: IHK)

In der Mitte Intendantin Wille (MDR), links neben ihr Peter Frey (ZDF)(Foto: IHK)

Was für ein unfassbarer journalistischer Zufall: Heute Abend wurden die Ernst-Schneider-Preise vergeben. Der Ernst-Schneider-Preis bezeichnet sich laut Selbstbekundung als „größten deutschen Wettbewerb für Wirtschaftspublizistik“ und wird von den deutschen Industrie- und Handelskammern vergeben. Preise, die mit einigen tausend Euro Preisgeld ausgestattet sind, werden in den Kategorien Print, Internet, Hörfunk und Fernsehen vergeben.

Der Jury in der Kategorie Fernsehen gehörten unter anderem Dr. Peter Frey, Chefredakteur des ZDF, sowie die Intendantin des MDR, Prof. Dr. Karola Wille, an. Im Bereich Fernsehen vergibt der Ernst-Schneider-Preis zwei Auszeichnungen, nämlich für den „Kurzbeitrag“ und die „große Wirtschaftssendung“.

Und nun stelle man sich vor, wer die Preise eingeheimst hat? Den Preis für den Kurzbeitrag hat doch tatsächlich zufällig ein Beitrag des MDR erhalten. Und wer war bei der großen Wirtschaftssendung erfolgreich? Man kann sich diesen Zufall kaum vorstellen, aber es war tatsächlich das ZDF!

Man kann sich natürlich grundsätzlich dem alten Journalistenwort anschließen,  „je preiser gekrönt, desto durcher gefallen“. Aber es grenzt doch an ein kaum machbares Wunder, mit einer einzigen Preisverleihung den Nimbus der Unabhängigkeit von gleich drei Institutionen nachhaltig zu diskreditieren. Wenn schon das Mieder der journalistischen Unschuld gelockert ist, so werden es sich die beteiligten öffentlich-rechtlichen Doktores und Professoressen gedacht haben, dann können wir doch auch gleich ganz die Hosen runterlassen und uns das Preisgeld selbst in die nun tiefsitzenden Taschen derselbigen gleiten lassen. Was uns noch etwas anderes lehrt, nämlich dass man die Hosen des Qualitätsjournalismus nur dann baggy tragen sollte, wenn man auch einen Arsch in der Hose hat. Der Arsch ist übrigens die Verlängerung des Rückrats, und das ist den öffentlich-rechtlichen Anstalten ja schon vor geraumer Weile abhanden gekommen. Anders lässt sich dieses schnöde Beispiel moralischer Korumpiertheit kaum erklären. Motto der diesjährigen Preisverleihung war übrigens: „Nicht lange reden, sondern machen!“ Man kann dem Chefredakteur des ZDF und der Intendantin des MDR nicht nachsagen, dass sie sich nicht daran gehalten hätten.

P.S.: Ich erlaube mir noch eine letzte Prophezeiung in Sachen öffentlich-rechtlicher Abgeschmacktheit — nämlich dass die Sender die Kaltblütigkeit besitzen werden und morgigen Tages Pressemitteilungen ins Lande schicken, in denen sie sich der Preise rühmen, die sie sich selbst zugeschustert haben. Die alten Römer riefen einst: Wehe den Besiegten! Hier wäre zu rufen: Wehe den Siegern!

 

 

Unwetter ohne WDR: Kachelmann fordert Intendanten zum Rücktritt auf


10 Jun
Wetter-Moderator Jörg Kachelmann (Foto: René Mettke/Wikimedia)

Wetter-Moderator Jörg Kachelmann (Foto: René Mettke/Wikimedia)

Ein verheerendes Unwetter zog gestern über Nordrhein-Westfalen, verursachte immensen Schaden und kostete mindestens fünf Menschen das Leben. Der Wetter-Experte und ehemalige ARD-Wettermoderator Jörg Kachelmann schreibt nun in seinem Blog, dass dieser schwere Sturm schon frühzeitig vorhersehbar war, ohne dass der Westdeutsche Rundfunk mit deutlichen Warnungen darauf reagiert habe:

Was mögen Sie gestern getan haben, als Sie erfahren haben, dass es in dem Bundesland, dass Ihnen anvertraut wurde, schwere Gewitter geben wird? Sind Sie in den Sender gefahren, um zu besprechen, wie man Warnungen in das Fernsehprogramm integrieren kann? Haben Sie mit Meteorologen Kontakt aufgenommen um zu erfahren, wann die wahrscheinlichste Eintreffenszeit der Unwetter ist? Ich weiss es nicht. Ich war nicht in Nordrhein-Westfalen, um zu sehen, was Sie vorgekehrt haben, um Menschenleben zu retten. Betrachtet man den Twitteraccount von WDR2, liegt die Vermutung nahe, dass Sie den Pfingstmontag so verbracht haben, wie es wohl vorgesehen ist, wenn man de facto unkündbar ist: mit Nichtstun.

Kachelmann weist auch darauf hin, dass zu dem Zeitpunkt, als am frühen Abend Orkanböen bereits Aachen und das westliche Rheinland erreicht hätten, der WDR anderes zu berichten hatte, anstatt die Zuschauer und Zuhörer zu warnen:

WDR Tweet entenhausen

Selbst als der Sturm schon Köln erreicht habe, habe der WDR, so Kachelmann, so getan, als handle es sich um ein noch bevorstehendes Ereignis, und habe seinen Zuschauern und Zuhörern via Twitter gewünscht: „Kommt sicher nach Hause“. Der Schweizer Wettermoderator folgert daraus, dass der WDR und sein Intendant Tom Buhrow Mitverantwortung für die Opfer des Sturms trage:

Sie “erwarten” etwas, was schon seit über einer halben Stunde da war. Sie lassen Ihre Zuschauer und Zuhörer erst alleine und lügen Sie am Ende auch noch an. Durch Ihr Nichtstun sind Sie mitverantwortlich, dass Menschen verletzt und getötet wurden. Wäre der WDR in den USA tätig, würden jährlich Tausende Menschen in Hurricanes und Tornados sterben. Sie und Ihr Sender hatten und haben keinen Plan, wie Sie etwas Wichtiges tun können, tun müssen, wenn es um Leib und Leben Ihrer Gebührenzahler geht. Ich zweifle nicht, dass Sie heute tolle Sondersendungen machen werden, womöglich einen peinlichen ARD-Brennpunkt produzieren, in dem Sie die Orte zeigen, an denen Menschen gestorben sind.

Diese Menschen hätten nicht sterben müssen, hätten alle mitgeholfen, die Zuschauer in NRW live erreichen zu können und rechtzeitig zu warnen. Sie sind gemeint. Sie und Ihr Sender waren gestern entweder faul, inkompetent, ignorant oder alles zusammen. In staatstragenden Tagesthemen-Kommentaren wird bei solchem Fehlverhalten durch Politiker gerne ein Rücktritt gefordert.

Eine Reaktion von Seiten des WDR steht noch aus.

Nachtrag 11.06.2014: Mittlerweile hat der WDR auf die Vorwürfe reagiert. „Der WDR hat am Pfingstmontag ab 6 Uhr morgens durchgehend Unwetterwarnungen und Schlechtwetterprognosen gemeldet“, so Sprecherin Kristina Bausch auf DerWesten.de. Auch über Twitter, Teletext und in den Sendungen habe der WDR berichtet. „Wie nach jedem Katastrophen- oder Kriseneinsatz werden wir auch in diesem Fall nacharbeiten, was wir künftig gegebenenfalls noch besser machen können.“

Tagesschau im Wetterloch


03 Jun
Screenshot: Tagesschau 01.07.2014

Screenshot: Tagesschau 01.07.2014

Nun hat also auch die ARD Tagesschau ihr Wettergate: Am Sonntag in der Hauptausgabe um 20:00 Uhr hat die ARD-Nachrichtensendung den Wetterbericht vergessen und stattdessen ein schwarzes Loch gezeigt. Während das die ARD-Zuschauer wie die Medienjournalisten offenbar hochgradig irritiert, ist doch zu sagen, dass eine solche Fehlschaltung beim Fernsehen nicht Ungewöhnliches ist und früher viel häufiger vorkam. Es reichte schließlich eine übermüdete studentische Hilfskraft am Bildmischer oder ein AV-Techniker, der die Beta-Kassetten vertauscht hatte.

Was an der Tagesschau-Panne vom vergangenen Sonntag viel auffälliger war, das war die Reaktion des Tagesschau-Sprechers Jan Hofer. Völlig ungerührt nämlich setzte er die Sendung fort, als wäre alles mit rechten Dingen zugegangen. Hier fragt sich doch, ob die Tagesschau wirklich live auf Sendung geht, oder ob die einzelnen Elemente inklusive der Sprecheraufnahmen vorkonfektioniert sind und nur noch zur, hoffentlich, richtigen Zeit abgespult werden. So jedenfalls wären sowohl die Panne als auch die ungerührte Fortsetzung der Sendung zu erklären. Echtzeitjournalismus ist etwas Anderes.

Medienrummel um Hoeneß-Knast


13 Mai

Die Justizvollzugsanstalt Landsberg in Oberbayern ließ sich nicht lumpen und ließ eine ganze Meute von Journalisten die künftige Behausung von Ex-Bayern-München-Präsident Uli Hoeneß besichtigen. Mit dabei ein Kamerateam des NDR-Satiremagazins Extra3:

Am besten gefiel mir eigentlich der Schlusssatz der Extra3-Reporterin: „Wenn man nichts zu sagen hat, einfach mal die Presse halten“…

ZDF: Es gibt keine falschen Fragen, es gibt nur dumme Antworten


03 Apr
Screenshot ZDF

Screenshot ZDF

Da regen sich also allen Ernstes Leute (auch Journalisten-Kollegen und sog. Medienexperten) darüber auf, dass ein ZDF-Sportreporter dem Dortmunder Fußballtrainer Jürgen Klopp eine despektierliche Frage gestellt habe. Dabei spielt das wahre journalistische Fiasko des öffentlich-rechtlichen Senders doch woanders. Zum Beispiel im Mittagsmagazin. Dort war eine offenbar unbedarfte Moderatorin nicht in der Lage, dem Autor Akif Pirinçci Paroli zu bieten. Pirinçci hat ein Buch mit dem Titel „Deutschland von Sinnen — Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ verfasst, dessen Grundthesen zuerst im Blog „Die Achse des Guten“ veröffentlicht wurden, um anschließend dort von einem Mitblogger als „samt und sonders Standardrhetorik der NPD und anderer Neonazis“ identifiziert zu werden. Und die Gründer dieses Blogs, Henryk M. BroderDirk Maxeiner und Michael Miersch, stehen nicht gerade im Verdacht, sonderlich weit links im politischen Lager zu stehen. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier hat jetzt das desaströse Gespräch zwischen der ZDF-Moderatorin und dem extremistischen Buchautor dokumentiert und kommentiert. Eine kleine Kostprobe:

Conrad: Was sie hier natürlich machen, das sind ihre Ansichten und Überzeugungen, politisch sehr unkorrekt, ja? Also, da kann ich mir vorstellen, stehen viele jetzt schon auf den Barrikaden und sagen: Wie kann der sowas von sich geben? Insgesamt geht es in ihrem Buch ja jetzt nicht nur um Migranten, sondern überhaupt um diese Gutmenschen und diese Politisch Korrekten. Sind das die Deutschen, die da besonders …

Wirkt, wenn man nicht genau hinhört, als habe Conradi ein Stück journalistischer Distanz bewiesen. In Wahrheit fragt sie ihn aber nicht, warum er so ist, sondern, warum die anderen so sind, diese [sic!] „Gutmenschen“.

Pirinçci: Das ist vor allem, wie gesagt, die grün-rot versiffte Politik, die mittlerweile auch die CDU, die sogenannte konservative Partei, absolut unkenntlich gemacht hat. Sie werden in der CDU keinen einzigen mehr finden, der über diese Abtreibungssache noch ein Wort verliert. Ich glaube, letztens hat mal einer mal aufgemuckt oder so und gesagt, ich bin damit nicht einverstanden, den haben sie sofort wieder zusammengeknüppelt. Und, ja, man kann sagen, die Kindersexpartei, die Grünen, haben dieses Land kaputtgemacht.

Dass FernsehmoderatorInnen an rechtsextremen Interviewpartnern sich verheben, ist allerdings kein ganz neues Phänomen. Legendär sind die Aussetzer, die etwas Thomas Gottschalk (!) im Gespräch mit Republikaner-Gründer Schönhuber hatte. Aber auch Erich Böhme ist am österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider gescheitert. Im aktuellen Fall bleibt verwunderlich, was die ZDF-Redakteure überhaupt dazu bewegt haben könnte, einen so ressentimentgeladenen und hasserfüllten Extremisten in Studio einzuladen. Zu fragen wäre darüber hinaus, ob Fernsehen überhaupt eine aufklärerische, emanzipatorische Funktion im Angesicht rechter Pöbler und Spinner einnehmen kann. Und daran muss gezweifelt werden.

Journalismus trifft auf Wanze


02 Apr
Foto onated by the World Health Organization, Geneva, CH

Foto donated by the World Health Organization, Geneva, CH

Gestern traf ich am hellichten Tag in einem Kölner Straßencafé einen alten Bekannten. Er ist Hörfunkjournalist von Beruf. „Nanu“, sagte ich zu ihm, „am helllichten Tag nicht bei der Arbeit?“

Er setzte sich zu mir an den Tisch und bestellte seinerseits einen Kaffee. „Ach weißt du, ich hatte mehrere aktuelle Themenvorschläge“, erklärte er mir. „Aber alle sind abgelehnt worden, weil die Redaktion ein wichtigeres Thema hatte“. Der Kollege arbeitet übrigens, das sollte noch dazu erwähnt werden, seit vielen Jahren für die Regionalredaktion des WDR. Er besucht Ratssitzungen, er geht zu Parteitagen, er kennt sich aus.

„Was gab es denn Wichtigeres?“ erkundigte ich mich und nippte an meinem Cappuccino.

„Sie haben Wanzen gefunden“, erzählte der Radiomann mir. „Seitdem wird rauf und runter in den WDR Regionalnachrichten nur noch über Wanzen berichtet“.

„Wanzen?“ rief ich aufgeregt und hätte beinahe meinen Kaffee verschüttet. Ich witterte NSA und Spione, neueste Abhörschweinereien und den endgültigen Verrat der Privatsphäre. Aber weit gefehlt. „Bettwanzen …“ stöhnte der Kollege verzweifelt. „Sie berichten den ganzen Tag über Bettwanzen in Hotelzimmern!“ Verzweifelt schüttelte sich der arme Kollege. Der Ekel war ihm anzumerken. Aber es handelte sich nicht um den Ekel vor den tierischen Parasiten.

Was macht die Bettwanze so wichtig, dass sie aktuelle Themen aus den WDR Regionalnachrichten verdrängt? Welche Chitin-harte Recherche steckt hinter dem parasitären Befall, die Lokalpolitik, Parteienclinch und Wirtschaftsfakten aus dem Programm verdrängen kann? Sehen wir uns an, was der WDR auf seiner Onlineseite zu bieten hat:

Immer mehr Hotels und Hostels kämpfen laut Schädlingsbekämpfern gegen Bettwanzen. Vor Jahren gab es bundesweit wenige Fälle im Monat, mittlerweile liegt die Zahl nach Meinung eines Experten im zweistelligen Bereich – und zwar pro Tag. Betroffen sind vor allem Messestädte wie Köln.

Statt knallharter Fakten oder überprüfbarer Zahlen also doch nur wieder ein weiteres Beispiel für den „Immermehrismus„. Aber vermutlich hat der WDR einen Kronzeugen, der die eigentümliche Hypothese untermauern kann:

Der Kölner Schädlingsbekämpfer Achim Reinold weiß zu berichten, dass die winzigen Schädlinge sich inzwischen wieder verbreitet haben: „Vor zehn Jahren hatten wir bundesweit einen Auftrag pro Monat, jetzt sind es täglich zweistellige Zahlen.“

Das klingt zwar vorderhand überzeugend, aber man muss natürlich bedenken, dass der zitierte Fachmann ein wirtschaftliches Eigeninteresse hat, die für ihn profitable Situation eines angeblich zunehmenden Schädlingsbefalls zu dramatisieren. Ein unabhängiger Experte ist etwas anderes.

Auch die Aktualität dieses „Nachrichten-Themas“ lässt sich mit etwas Googlen stark relativieren. In zyklischen Abständen tauchen in der Presse immer wieder dieselben Berichte über Krabbeltiere, Nager und anderes Ungeziefer auf, die wahlweise aus exotischen Ländern, aus Industrieverpackungen oder wegen des Klimawandels die hiesigen Breiten überfallen sollen. So berichtete „brandaktuell“ über die angebliche Bettwanzen-Epidemie RTL im vergangenen Herbst, die Apothekenumschau vor einem Jahr im Frühling, die Badische Zeitung im Jahr 2012, der Spiegel im Jahr 2011, die Tageszeitung Die Welt desgleichen, das Wochenblatt Die Zeit anno 2010, das Bild der Wissenschaft 2009 usw. usf.

Nicht die „Zahl der Bettwanzen in Deutschland steigt rasant“, wie die WAZ dichtete, sondern nur die Berichterstattung darüber. Wie es sich tatsächlich mit den Steigerungszahlen des Wanzenbefalls verhält, ist auch online in einem journalistischen Medium nachzulesen, nämlich bei news.de. Dort erfährt man:

Beim Berliner Hotel- und Gaststättenverband spricht Geschäftsführer Thomas Lengfelder in Sachen Bettwanzen von «vereinzelten Fällen» in Hauptstadt-Herbergen. Der bundesweite Hotelverband führt keine Bettwanzen-Statistik. Das Problem nehme aber nicht zu, versichert Sprecher Christoph Lück.

Kurioserweise findet sich dieser Beitrag unter der Überschrift „Eklig! Bettwanzen sind wieder auf dem Vormarsch!“

Mein Kollege hat sich in der Zwischenzeit zu seinem Kaffee noch einen Cognac bestellt und stürzt ihn in einem Schluck hinunter. „Ob das gegen Wanzen hilft?“ frage ich ihn mitleidig. „Nein“, antwortet aber, „aber gegen Qualitätsjournalismus“.

ARD will investigativ recherchieren?


19 Feb
Georg Mascolo (Foto: Superbass/Wikimedia)

Georg Mascolo (Foto: Superbass/Wikimedia)

Die Nachricht muss alle irritieren, die mal eine ARD-Sendeanstalt von innen gesehen haben: Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo soll einen „Rechercheverbund“ aus WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung leiten. So erklärt etwa Tom Buhrow, der WDR-Intendant:

„Wir bündeln unsere Kräfte in Hörfunk, Fernsehen und Print und machen den Recherchepool zu einem crossmedialen Vorzeigeprojekt für Qualitätsjournalismus“.

Was an solchen Äußerungen wunder nimmt, ist die Tatsache, dass beispielsweise im WDR bislang praktisch überhaupt niemand recherchiert. Von den ca. 4.900 Angestellten des WDR arbeiten vielleicht etwa die Hälfte im weitesten Sinne im redaktionellen Umfeld. Von diesen redaktionellen angestellten MitarbeiterInnen arbeitet aber nur der kleinste Bruchteil wirklich journalistisch, sprich: recherchiert Themen und verfertigt Beiträge. Mehr als 90 Prozent des Programms werden von freien JournalistInnen recherchiert und hergestellt. Wenn diese eng und regelmäßig mit einer bestimmten Redaktion zusammenarbeiten, heißen sie auch „feste Freie“. Das ändert aber nichts daran, dass diese Freien selbständig unternehmerisch tätig sind, d.h. sie recherchieren ihre Themen auf eigene Rechnung und verdienen dann erst Geld, wenn eine WDR-Redaktion Interesse zeigt und einen TV- oder Radio-Beitrag in Auftrag gibt.

Öffenlich-rechtlich verwalten, privatwirtschaftlich produzieren

Diese Arbeitsweise ist auch nicht neu, sondern gehört im Gegenteil zu den basalen Produktionsbedingungen aller öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Schon seit den 1970er hatte in den Sendern, wie der Fernsehhistoriker Knut Hickethier in seiner Geschichte des Deutschen Fernsehens konstatiert hat, die Produktionsweise sich dergestalt verändert, dass zwar öffentlich-rechtlich verwaltet, aber praktisch rein privatwirtschaftlich produziert wurde. Auf diese Weise ließen sich beispielsweise Mitbestimmungsrechte und auch ein damals unter Fernsehleuten noch verbreiteter kritischer Geist einschränken. Redaktionsstatute, Personalratswahlen und andere Partizipationsformen galten nämlich seit dieser Zeit für genau diejenigen „freien“ MitarbeiterInnen nicht, die seitdem den Großteil des Programms herstellen. Man stelle sich vor: Von Redaktionssitzungen sind diese recherchierenden und produzierenden JournalistInnen etwa im WDR explizit ausgeschlossen! Das bedeutet, wenn Redaktionen zusammensitzen und über Themen, Sendungen und Planungen reden, sind genau diejenigen nicht dabei, die diese Sendungen herstellen. Klingt idiotisch? Stimmt.

Öffentlich-rechtliche Recherchen sind ein Widerspruch

Der Gedanke an öffentlich-rechtliche Recherchen ist darum in mehrfacher Hinsicht ein Widerspruch. Diejenigen, die in diesem System recherchieren, tun das in der Regel als „Freie“ auf eigene Rechnung und im eigenen Interesse. Dabei mit anderen zu kooperieren, ist weder vorgesehen, noch auch für den einzelnen „freien“ Mitarbeiter sinnvoll. Umgekehrt macht auch aus Sicht einer ARD-Anstalt eine innerbetriebliche Rechercherabteilung praktisch keinen Sinn, da sie den gesamten Produktionsprozess des Fernsehmachens auf den Kopf stellen würde. Entsprechend gibt es aus den Reihen der Sender auch „Widerstände“ gegen den von Mascolo geplanten Recherchep0ol. Dabei ist die größte Gefahr für die ARD-Anstalten, dass ein Recherche-Profi wie Georg Mascolo mitbekommen könnte, wie erbärmlich und traurig es um kritische Recherchen in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bestellt ist. Versuche im WDR, analog zu den großen Printhäusern wie Süddeutsche, Handelsblatt oder Stern ein investigatives Rechercheteam zu gründen, scheiterten nach Auskunft von einigen, die in diesen Prozess vor ein, zwei Jahren involviert waren, daran, dass weder Geld, noch Stellen zur Verfügung standen. Wie auch: Stellen für recherchierende JournalistInnen sind öffentlich-rechtlich eben gar nicht vorgesehen.Und wenn der Norddeutsche Rundfunk sich damit brüstet, im Recherchepool zusammen mit der Süddeutschen Zeitung Stories zum „Geheimen Krieg“ ausgegraben zu haben, wäre noch zu fragen, wer genau da „der“ NDR ist, wer für ihn in Wahrheit recherchiert hat und ob man sich nicht vielleicht mit fremden Federn schmückt.

Ist öffentlich-rechtlicher Journalismus noch zu retten?

Natürlich ist er das. Die Frage ist nur, ob es im bestehenden System der checks & balances möglich ist. Kürzlich monierte der PR-Berater Michael Spreng in seinem Blog, die ARD-Anstalten hätten zwar 7,5 Milliarden Euro für ihren öffentlichen Auftrag zur Verfügung, würden aber diesem Auftrag nur noch unzureichend nachkommen:

Medien sollten nicht nur fragen, was die Leute sehen wollen, sondern auch, “was sie sehen sollten”. Das ist die Verantwortung des Journalismus, die immer mehr verloren geht. Das Geld muss raus aus Verwaltung, rein in die Redaktionen.

Mit der letzten Bemerkung irrt Spreng gewaltig. Die Verwaltung beispielsweise des WDR ist eine der wenigen Stellen, die wirklich produktiv arbeitet, wie ich aus eigener langjähriger Erfahrung bestätigen kann. Das Problem sind nicht die Verwaltungen, sondern die Redaktionen. Was man sich als Fernsehmacher wünschen würde, wäre, dass die redaktionellen Etats wirklich für die Fernsehmacher da wären und dass die über das Programm mitbestimmen, die es auch wirklich herstellen. Das etablierte öffentlich-rechtliche System ist eines von Bienendrohnen, die weder fleißig, noch fruchtbar sind, aber dafür teuer. Was hermuss, ist AutorInnenfernsehen und ein effizientes Management, das die Räume für deren Produktionen schafft. Und was aus ZuschauerInnensicht wünschenswert wäre, das wäre mit den Rundfunkräten die Abschaffung eines Pseudo-Kontrollorgans, das sich an der Gesellschaftsschichtung der 1950er Jahre orientiert. Stattdessen muss ein ZuschauerInnen-Parlament her, das für eine echte Mitbestimmung der Gebührenzahler sorgt. Aber ach! vermutlich sind die Zeiten vorbei, in denen das Wünschen noch geholfen hat.

 

Eine Lanze für Markus Lanz?


31 Jan
Markus_Lanz WikiCommons

Markus Lanz, Foto: WikiCommons

Soll man nun eine Lanze für ZDF-Moderator Markus Lanz brechen? „Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr“ fordert eine Online-Petition, über die schon allerhand im Internet und in der Presse zu lesen war. Um was geht es: Markus Lanz hat in der nach ihm benannten Sendung die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht zu Gast und sich ihr in offenbar unbotmäßiger Form verbal genähert. Nun müsste doch eigentlich der sonst für seinen ranschmeisserischen und völlig unkritischen Moderationsstil bekannte Lanz belobigt werden (und das hatte er vermutlich auch im Sinn), aber das Gegenteil ist der Fall: Über 200.000 Unterzeichner fordern offen den Rausschmiss des vom Kompromiss- zum Kommiss-Moderator gewandelten Lanz. Ist zu dieser Affäre schon alles gesagt? Ja, aber nicht von mir. Denn neben dem konkreten Anlass verweist die Diskussion auf drei wichtige Ebenen, auf denen die Mediengesellschaft gerade in einem massiven Transformationsprozess steht: Das betrifft erstens die Rolle des Journalisten, zweitens das Internet als Forum der “Mitmach-Demokratie” und drittens die Frage, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit noch zu tun hat. (mehr …)

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter