Archive for the ‘Politik’ Category

The german „Angst“


11 Nov
Foto: Victor Bezrukov/Wikimedia

Foto: Victor Bezrukov/Wikimedia

Einer der Topoi, die in der Berichterstattung über die sogenannte Flüchtlingskrise die Runde macht, ist der von den „Ängsten in der Bevölkerung“, die man doch bitteschön „ernst nehmen“ müsse. Bundesinnenminister De Maizière äußerte sich so, SPD-Chef Siegmar Gabriel, der Berliner Bürgermeister Buschkowsky. Aber was heißt das eigentlich, „Ängste ernstnehmen“, und geht das überhaupt?

Ängste gehören in den Affekthaushalt des Menschen. Sie entziehen sich damit gerade rationaler Erörterung. Wer Angst hat, reagiert affektiv, emotional, nicht vernunftgesteuert. Eine Sache ernstnehmen dagegen bedeutet, sie sachlich und rational von allen Seiten zu erörtern, ihr Gewicht geben, ihr eben einen „Ernst“ zuzumessen, der auch hinterfragbar ist und entsprechend auch falsifizierbar.

Wer Angst hat, hat immer recht. Man kann schließlich vernünftigerweise niemandem seine Gefühle absprechen. Wenn Politiker oder Journalisten öffentlich dazu auffordern, „Ängste ernstzunehmen“, sagen sie nichts anderes, als dass die Ängstlichen recht haben, egal welche Argumente sie vortragen oder ob diese stichhaltig, schlüssig oder nachvollziehbar sind. „Ängste ernstnehmen“ heißt Ende der Diskussion. Politik sollte aber das Gegenteil tun, und Journalismus auch: Sollte zur Diskussion ermutigen, Argumente abwägen.

„The german Angst“ ist auch international schon sprichwörtlich geworden. Der Unisys Security Index misst mit den Methoden der Marktforschung alle halbe Jahre das Gefühl der nationalen, finanziellen, Internet- und persönlichen Sicherheit. Je höher der Wert dieses Index, desto ängstlicher. Die Deutschen erreichen auf dieser Skala einen Wert von 146 von 300 erreichbaren Punkten. Zum Vergleich: Großbritannien erreicht auf der Angst-Skala lediglich einen Wert von 103, die Niederlande sogar nur 66. „Die ‚German Angst‘ steckt tief in unseren Genen“, schreibt dazu die Tageszeitung Die Welt. Deutschland ist vorgeblich das Land der Dichter und Denker, doch statt nachzudenken, ängstigt man sich doch lieber.

„German Angst“ ist auch kein neues Phänomen. Schon der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe konstatierte bei einer Deutschlandreise im Jahr 1936 eine tiefsitzende Angststörung:

Ihm wurde klar, dass diese ganze Nation von der Seuche einer ständigen Furcht infiziert war: gleichsam von einer schleichenden Paralyse, die alle menschlichen Beziehungen verzerrte und zugrunde richtete. Der Druck eines ununterbrochenen schändlichen Zwanges hatte dieses ganze Volk in angstvoll-bösartiger Heimlichtuerei verstummen lassen, bis es durch Selbstvergiftung in eine seelische Fäulnis übergegangen war, von der es nicht zu heilen und nicht zu befreien war.

Nein, wir sollten Ängste nicht ernst nehmen. Was wir, gerade auch in der journalistischen Berichterstattung, ernst nehmen sollten, das ist das Reden über Ängste, das Hofieren der vermeintlich Ängstlichen durch gewisse Politikerinnen und Politiker. So äußerte sich etwa Timo Stein im politischen Magazin Cicero, und er sei darum hier zitiert:

Nehmen wir ernst, was ernst zu nehmen ist. Und beäugen wir mit der gebotenen Portion Skepsis das Hofieren wütender Kleinbürger ins demokratische Spektrum durch die politische Klasse.Nehmen wir die hoffentlich nach wie vor große Mehrheit ernst, die sich hinter keinem Akronym versteckt, die sich nicht in Dresden oder Hannover tummelt, keine Angst davor hat, dass der Christstollen seine abendländische Identität verliert, dass die Gesellschaft durch verburkatisierte Mullahs infiltriert wird oder die Genderisierung die deutsche Sprache abschafft. Nehmen wir ernst und wahr, dass offensichtlich notleidende Asylsuchende ausreichen, um dieses Land mit einem Mehltau der Ignoranz zu überziehen. Und das in einer Zeit, in der die Gesellschaft mit den NSU-Morden noch einen riesigen Berg an Aufarbeitung zu bewältigen hat. Anstatt verschwimmenden Ängsten Autorität und Legitimität zu verleihen, sollte man besser das Feuer ernst nehmen, das in drei geplanten Flüchtlingsunterkünften in Bayern brannte. Gleiches gilt für die Hakenkreuzschmierereien und fremdenfeindlichen Parolen, die dort hinterlassen wurden.

Umfrage: Sind wir alle „Lügenpresse“?


05 Nov
Foto: BirgitH/Pixelio

Foto: BirgitH/Pixelio

20 Prozent der Bundesbürger halten laut Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap  den Vorwurf der „Lügenpresse“ gegenüber den deutschen Medien insgesamt für gerechtfertigt. Das hat eine repräsentative Umfrage ergeben, die das Institut im Auftrag des Radiosenders WDR5 angestellt hat. Die Behauptung,  dass in deutschen Medien gelogen, also absichtlich die Unwahrheit gesagt wird, befürworten sogar 39 Prozent der Befragten. Auf die Frage, welchen Medien genau sie diesen Vorwurf machen, nannten 30 Prozent der Befragten das öffentlich-rechtliche Fernsehen.

Das sind deutliche Zahlen, die recht eindrucksvoll den Glaubwürdigkeitsverlust der Medien und des Journalismus widerspiegeln. Umso verwunderlicher, wie der auftraggebende Sender WDR5 diese Zahlen interpretiert:

Mit dem alten Nazi-Kampfbegriff „Lügenpresse“ bringen die Anhänger der „Pegida„-Bewegung gerne ihre Verachtung für die Medien zum Ausdruck. Der überwiegende Teil der Bundesbürger sieht das anders. Das ergab eine Studie des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap.

So kann man die Umfrageergebnisse eigentlich nicht interpretieren, außer man will genau den Vorwurf belegen, es mit der (statistischen) Wahrheit nicht ganz so genau zu nehmen. Denn tatsächlich sind die Werte und der Glaubwürdigkeitsverlust gerade auch der öffentlich-rechtlichen Programme dramatisch. Das sieht der von dem Sender befragte Konfliktforscher Andreas Zick auch so, und glaubt sogar noch, dass die Zahlen noch steigen könnten:

Diese 20 Prozent stellen für den Konfliktforscher Prof. Andreas Zick „einen relativ hohen Wert“ dar. Der Direktor des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung sagte dazu dem WDR: „Die Bezeichnung ‚Lügenpresse‘ ist ein sehr hartes Urteil aus dem rechtspopulistischen Raum. Diese Menschen sind von den etablierten Medien eindeutig nicht mehr zu erreichen und orientieren sich woanders. Sie befinden sich im Zustand der Orientierungslosigkeit – und in diesem Zustand greift Propaganda. Diese 20 Prozent sind für Populisten durchaus noch ausbaufähig.“

42 Prozent der Befragten gehen auch davon aus, dass es Vorgaben der Politik für die Medien gibt. Dieses Problem kennen öffentlich-rechtliche Sender ja gut. Die ganze Umfrage ist im Netz hier zu finden:

„Glaubwürdigkeit der Medien“ (pdf)

 

 

ZDF: Es gibt keine falschen Fragen, es gibt nur dumme Antworten


03 Apr
Screenshot ZDF

Screenshot ZDF

Da regen sich also allen Ernstes Leute (auch Journalisten-Kollegen und sog. Medienexperten) darüber auf, dass ein ZDF-Sportreporter dem Dortmunder Fußballtrainer Jürgen Klopp eine despektierliche Frage gestellt habe. Dabei spielt das wahre journalistische Fiasko des öffentlich-rechtlichen Senders doch woanders. Zum Beispiel im Mittagsmagazin. Dort war eine offenbar unbedarfte Moderatorin nicht in der Lage, dem Autor Akif Pirinçci Paroli zu bieten. Pirinçci hat ein Buch mit dem Titel „Deutschland von Sinnen — Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ verfasst, dessen Grundthesen zuerst im Blog „Die Achse des Guten“ veröffentlicht wurden, um anschließend dort von einem Mitblogger als „samt und sonders Standardrhetorik der NPD und anderer Neonazis“ identifiziert zu werden. Und die Gründer dieses Blogs, Henryk M. BroderDirk Maxeiner und Michael Miersch, stehen nicht gerade im Verdacht, sonderlich weit links im politischen Lager zu stehen. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier hat jetzt das desaströse Gespräch zwischen der ZDF-Moderatorin und dem extremistischen Buchautor dokumentiert und kommentiert. Eine kleine Kostprobe:

Conrad: Was sie hier natürlich machen, das sind ihre Ansichten und Überzeugungen, politisch sehr unkorrekt, ja? Also, da kann ich mir vorstellen, stehen viele jetzt schon auf den Barrikaden und sagen: Wie kann der sowas von sich geben? Insgesamt geht es in ihrem Buch ja jetzt nicht nur um Migranten, sondern überhaupt um diese Gutmenschen und diese Politisch Korrekten. Sind das die Deutschen, die da besonders …

Wirkt, wenn man nicht genau hinhört, als habe Conradi ein Stück journalistischer Distanz bewiesen. In Wahrheit fragt sie ihn aber nicht, warum er so ist, sondern, warum die anderen so sind, diese [sic!] „Gutmenschen“.

Pirinçci: Das ist vor allem, wie gesagt, die grün-rot versiffte Politik, die mittlerweile auch die CDU, die sogenannte konservative Partei, absolut unkenntlich gemacht hat. Sie werden in der CDU keinen einzigen mehr finden, der über diese Abtreibungssache noch ein Wort verliert. Ich glaube, letztens hat mal einer mal aufgemuckt oder so und gesagt, ich bin damit nicht einverstanden, den haben sie sofort wieder zusammengeknüppelt. Und, ja, man kann sagen, die Kindersexpartei, die Grünen, haben dieses Land kaputtgemacht.

Dass FernsehmoderatorInnen an rechtsextremen Interviewpartnern sich verheben, ist allerdings kein ganz neues Phänomen. Legendär sind die Aussetzer, die etwas Thomas Gottschalk (!) im Gespräch mit Republikaner-Gründer Schönhuber hatte. Aber auch Erich Böhme ist am österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider gescheitert. Im aktuellen Fall bleibt verwunderlich, was die ZDF-Redakteure überhaupt dazu bewegt haben könnte, einen so ressentimentgeladenen und hasserfüllten Extremisten in Studio einzuladen. Zu fragen wäre darüber hinaus, ob Fernsehen überhaupt eine aufklärerische, emanzipatorische Funktion im Angesicht rechter Pöbler und Spinner einnehmen kann. Und daran muss gezweifelt werden.

Schweiz: Verhaftung wegen Kontakt zu Journalisten


08 Nov

ZRICH_~223 MitarbeiterInnen der Universität Zürich wurden von der Kantonspolizei einvernommen, zwei Personen wurden inhaftiert. Ihr einziges Vergehen: Sie hatten Email-Kontakt zu Journalisten.

Die Universität Zürich hat einen neuen Rektor. Es ist der bekannte Kommunikationswissenschaftler Ottfried Jarren, und er wird dieses Amt interimsweise ausführen. Und einen Kommunikationsexperten hat die Uni Zürich auch dringend nötig. Der Amtsvorgänger Fischer ist am Donnerstag von seinem Amt zurückgetreten. Der Rücktritt steht in Zusammenhang mit dem Fall Mörgeli, der die akademische und politische Welt der Schweiz seit geraumer Zeit in Atem hält. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen in dieser Sache umfassten offenbar auch die gezielte Auswertung des Email- und Datenverkehrs im Computernetzwerk der Uni Zürich. Kritiker sprechen von Rasterfahndung und auch der Schweizer Datenschutzbeauftragte hat Bedenken angemeldet. Die polizeilichen Vorladungen und Verhaftungen lassen nach Ansicht des Züricher Tagesanzeigers “jede Verhältnismäßigkeit vermissen”.

Christoph Mörgeli ist nicht nur als Professor für Medizingeschichte und als Kurator des Medizinhistorischen Museums Angestellter der Uni Zürich, er ist als bekannter Abgeordneter der rechtspopulistischen SVP durch viele Fernsehauftritte auch über akademische Kreise hinaus in der Schweiz bekannt. Eine Untersuchung hatte allerdings ergeben, dass Mörgeli über sein politisches Mandat seine Hochschulaufgaben offenbar etwas schludern ließ:

Vor allem Museum und Objektsammlung zeigten sich in einem beklagenswerten Zustand: fehlerhaft, veraltet, nicht auf dem Stand der Forschung, seit Jahrzehnten nicht professionell betreut. Nicht einmal die Grundreinigung sei geregelt.

Noch einen weiteren Vorwurf musste Mörgeli sich gefallen lassen: Wie der Schweizer Tagesanzeiger und das Schweizer Fernsehen berichteten, soll Mörgeli Doktorarbeiten durchgewunken haben. Die Affäre führte zur Entlassung Mörgelis im September 2012.

Damit ist der Skandal aber nicht am Ende, sondern fängt erst richtig an. Die Uni Zürich strengt nämlich staatsanwaltliche Ermittlungen gegen das mutmaßliche Informationsleck an, durch das die Informationen der internen Begutachtungen an die Presse lanciert worden sein sollen. Der zuständige Staatsanwalt allerdings ist ein Parteifreund des SVP-Politikers Mörgeli. Der Email- und Datenverkehr der Uni Zürich wird von den Ermittlungsbehörden gescannt und 23 Unimitarbeiter werden von der Polizei vorgeladen einzig aus dem Grund, dass von ihren Email-Accounts aus Nachrichten mit Verlagshäusern und Medienkonzernen getauscht wurden. Dass in den meisten Fällen schlicht Univeranstaltungen an die Veranstaltungsserviceredaktionen gemeldet wurden, spielte dabei keine Rolle.

Zwei Personen wurden gar für eine Nacht inhaftiert, weil sie Emailkontakt zu Journalisten hatten: Professorin Iris Ritzmann und ihr Ehemann, die beide auch am medizinhistorischen Institut arbeiteten. Angeblich soll die Professorin das “Amtsgeheimnis” verletzt haben. Auch ihr wurde von der Uni Zürich gekündigt, und darüber hinaus sollte sie für ein Jahr ihr Gehalt zurückzahlen und ihren Professorinnen-Titel verlieren. Dabei ist die Beweislage Frau Ritzmann ausgesprochen dünn, wie die F.A.Z. feststellt:

Sie selbst räumt ein, im Kontakt mit dem betreffenden Journalisten des „Tagesanzeigers“ gestanden und falsche Informationen, die er hatte, korrigiert zu haben. Dazu habe sie ihm ein Passwort zur Studentenplattform der Universität weitergegeben: 25.000 Studierende haben ein solches, um ihre Kursunterlagen einsehen zu können. Welche Geheimnisse dadurch berührt sind, ist unerfindlich.

200 Wissenschaftler haben gegen die Entlassung der angesehenen Wissenschaftlerin protestiert. Aufgrund des öffentlichen Drucks ist nun der Rektor der Uni Zürich zurückgetreten.

Die F.A.Z., die bislang als einziges bundesdeutsches Medium den Skandal aus dem Nachbarland aufgegriffen hat, fasst einen Teil des Skandalons so zusammen:

Dass eine Universität die Unschuldsvermutung für eines ihrer Mitglieder missachtet, das Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen wurde, ist ein starkes Stück. Dass sie es gegenüber einer Person tut, die nachweislich den Ruf ihres Instituts in Zeiten aufrechterhalten hat, in denen er durch den gefährdet war, der jetzt zum moralischen Nutznießer dieses Vorgehens wird, ist niederträchtig. Dass die Universität Zürich der Staatsanwaltschaft freiwillig einräumte, den gesamten E-Mail-Verkehr der Hochschule auf Pressekontakte hin abzusuchen, nur weil ein Gutachten, das kurz darauf jeder lesen konnte, weitergegeben wurde, ist geeignet, ihren Ruf als Ort freien Austauschs dauerhaft zu beschädigen.

In Gefahr ist aber nicht nur der Ruf einer wissenschaftlichen Einrichtung als “Ort des freien Austauschs”. Es geht in dem Fall auch um die Pressefreiheit in einem Land, das sich bei anderer Gelegenheit als älteste Demokratie Europas bezeichnen lässt. Denn die, offenbar auch politisch motivierten, Ermittlungen dienten nicht nur der Verfolgung eines mehr als fraglichen Delikts, sondern auch der Einschüchterung von Whistleblowern, die einen wirklichen Skandal an die Öffentlichkeit gebracht haben. Professorin Ritzmann, wenn sie denn überhaupt der gesuchte Whistleblower ist, hat das typische Schicksal einer Kassandra-Ruferin erlitten: Bestraft wird die, die den Skandal verkündet. Das ist nicht nur, was den akademischen Betrieb der Uni Zürich, sondern auch, was die staatlichen Stellen und Ermittlungsbehörden angeht, für einen demokratischen Rechtsstaat sehr bedenklich.

Dass die deutschen Medien mit einer einzigen Ausnahme diesen Fall nicht aufgreifen, ist darum unverständlich. Denn die internationale Tragweite ist in Zeiten von Snowden und Wikileaks enorm. Pressefreiheit heißt auch Schutz von Quellen. Und Skandale öffentlich machen darf nirgendwo auf der Welt strafbar sein.

Abhöraffäre: Altbundeskanzler meets Kafka


05 Nov

Bundesarchiv_B_145_Bild-F048646-0033,_Dortmund,_SPD-Parteitag,_Helmut_SchmidtAltbundeskanzler Helmut Schmidt genießt in der Bundesrepublik Deutschland allerhöchstes Ansehen: Eine Universität und ein Journalistenpreis sind nach ihm benannt, er steht im Ruf, auszusprechen, „was andere oft nicht zu denken wagen“. Dafür hat er ein ideales Forum, denn schon seit 1983 ist er Mitherausgeber der Wochenzeitung Die Zeit. In der äußert der Tabakpropagandist Schmidt sich gerne hin und wieder „auf eine Zigarette“ oder gibt mehr oder weniger staatstragende Kommentare von sich.

So auch in der jüngsten Zeit-Ausgabe zur Abhöraffäre. Da gibt der ehemalige Bundesverteidigungsminister, Hamburger Innensenator sowie Bundeskanzler Einschätzungen zum besten, die gerade in Anbetracht der imposanten Ämter, die er in seiner Karriere innehatte, stutzig machen. Er bezeichnet Geheimdienste nämlich insgesamt als „überflüssige Dienste“. Schon als junger MdB habe Schmidt den BND und dessen Gründer Reinhard Gehlen kennengelernt und dabei gewisse Vorurteile gegen die Organisation gebildet:

Später wurde ich in Hamburg Innensenator und damit zugleich Chef des Verfassungsschutzes in der Hansestadt. In dieser Zeit wurde aus meinem Vorurteil gegenüber den Geheimdiensten ein endgültiges Urteil.

Er habe sich auch in seiner Zeit als Bundeskanzler nicht um den Geheimdienst geschert:

Deshalb habe ich mir später als Regierungschef niemals einen Bericht des BND vorlegen lassen.

Doch wenn Helmut Schmidt als Chef der Exekutive und ausführendes Organ der Staatsgewalt die Dienste seiner Zuträger BND nicht goutierte und nicht in Anspruch nahm, warum hat er seine politische Macht dann nicht genutzt und diese offensichtlich völlig nutzlose staatliche Organisationseinheit abgeschafft? Schmidt schreibt in dem Zeit-Artikel noch etwas Bemerkenswertes. Er äußert nämlich den Verdacht, dass die Dossiers seines eigenen Geheimdienstes gar nicht auf objektiven Erkenntnissen, sondern auf den privaten politischen Ansichten von dessen Mitarbeitern beruhe – ein beunruhigender Gedanke:

Ich wusste, die Einschätzung des Geheimdienstes beruhte zum Teil auf dem Abhören von Telefonen, manchmal auf Indizien und oft auf Eindrücken, die stark gefärbt waren durch die politische Präferenz des Berichtenden.

Wes Geistes diese politischen Präferenzen gewesen sein werden, kann jeder erahnen, der weiß, dass der BND-Gründer Gehlen vormals SS-Mann war, seine Mitarbeiter aus seiner ehemaligen Kameradschaft rekrutierte und etwa den Kriegsverbrechern Eichmann und Brunner zur Flucht verhalf und damit der gerechten Strafverfolgung entzog.

Ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat also eine staatliche Organisation erhalten, die offenbar nur l’art pour l’art betrieb, dabei aber illegal vorging („Jedermann weiß, dass die Auslandsgeheimdienste in aller Welt Dinge treiben, die nach dem dort geltenden Gesetz verboten sind“), vermutlich verfassungsfeindlich war und ausschließlich nutzlose Papiere erstellte, die nur der Förderung der eigenen (rechtslastigen) politischen Ansichten diente. Kurzum: Ein deutscher Kanzler hat zugesehen, wie unter seiner Regierung ein kafkaesker „zweiter Staat“ sich bildete, der ja auch im Rahmen der NSU-Ermittlungen vom Ausland sehr kritisch registriert wurde. Wenn Helmut Schmidt diese Bekenntnisse ernst meint, muss er sich fragen lassen, ob er gegen seinen Amtseid verstoßen hat, in dem er gelobte, Schaden von der Bundesrepublik abzuhalten. Und sein Plädoyer für mehr Gelassenheit kann man auch lesen als Bestätigung all derjenigen Leute, die heute die Abschaffung solcher Dienste fordern.

 

 

Nachbetrachtung zur Wahlberichterstattung


09 Okt
Wahlplakat der SPD 1949 (Quelle: Wikimedia)

Wahlplakat der SPD 1949 (Quelle: Wikimedia)

Bundestagswahl und der entsprechende Wahlkampf sind vorbei, auch wenn man bei der aktuellen Presse-Analyse noch nicht so recht den Eindruck hat.  Was gab es Neues? Wie hat sich der Wahlkampf 2013 von den vorherigen unterschieden? Am Online-Wahlkampf jedenfalls hat es nicht gelegen. Denn der ist vor allem eines, nämlich wirkungslos – auch wenn die Netzbeauftragten der politischen Parteien anderes behaupten. Es gibt keine wissenschaftliche Studie, die einen positiven Einfluss politischer Internet-Aktivitäten auf die Wahlentscheidung nahelegt. Fast sogar im Gegenteil: Beispielsweise im kommunalen Bereich können Onlineaktivitäten sogar hinderlich sein, gefragt sind persönliche Ansprache und das „Kümmern“ um die Belange der WählerInnen. ich habe zu dem Thema einen Gastbeitrag in der Zeitschrift „Disput“ veröffentlicht. Der Artikel kann hier als pdf runtergeladen werden:

„Disput“: Wahlkampf und Kommunikation (pdf)

Eines war doch irgendwie neu, obwohl es andererseits eigentlich ein alter Hut in neuem Gewand ist: Der Haustürwahlkampf. „Canvassing“ ist das Zeitgeist-Wort dafür. Vertreter insbesonderer der SPD und der Grünen sind in Kern-Wahlbezirken buchstäblich von Haustür zu Haustür marschiert und haben politische Überzeugungsarbeit geleistet. die KollegInnen von Politik-Digital sind mitmarschiert und haben eine sehr lesenswerte Reportage darüber geschrieben.

 

Wer sind die Banditen: Politiker oder Journalisten?


02 Okt

Früher hieß es einmal: „Der Geist steht links!“, wenn jemand auf die angeblich vorherrschenden links-liberalen Tendenzen unter deutschen Journalisten abzielen wollte. Heute ist man versucht zu fragen, wieviel Geist überhaupt noch im Journalismus steckt. Zum Beispiel wenn man die vergangenen Wochen der Wahlberichterstattung und die vergangenen Tage der journalistischen Wahlanalysen Revue passieren lässt. Bei den beiden Magazinen Focus und Spiegel jedenfalls scheint, wenn überhaupt Geist im Spiel ist, dann doch derselbe Geist zu herrschen, trotz aller behaupteten Unterschiede in der geistigen Ausrichtung. Wie sonst lässt sich die auffällige Übereinstimmung in den Titelblättern dieser Woche erklären:

Focusspiegelwahl01Kanzlerin und SPD-Vorsitzender als Banditen, die dem armen Bürger das Geld aus der Tasche ziehen wollen? Dass das Steuereintreiben mit Raubrittertum gleichgesetzt wird, ist ein uraltes Vorurteil, das schon im Götz von Berlichingen oder in Kleists Michael Kohlhaas bemüht wird. Das macht es aber natürlich nicht richtiger. Die CDU lehnt Steuererhöhungen nach wie vor ab, während die SPD während des gesamten Wahlkampfs nichts Anderes gesagt hat, als dass sie den Spitzensteuersatz für Gut- und Bestverdiener anheben will. Sie will das übrigens auf gesetzlichem Wege tun und sie hat dafür im Wahlkampf auch einige Argumente gebracht — ob man die gute oder schlecht findet, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Aber sie deswegen als Räuber darzustellen, ist wohl kein Ausdruck von Politikverdrossenheit, sondern könnte umgekehrt zu Journalismusverdrossenheit führen.

In der heißen Phase des Wahlkampfs haben mir Politiker fast leid getan. Mein Eindruck war, dass sie wirklich gerne über Politik gesprochen hätten, dass aber genau das gerade von Journalisten nicht sehr goutiert wurde. Ich war auf verschiedenen Wahlkampfveranstaltungen der unterschiedlichen Parteien, ich habe „meine“ Kandidaten in unserem Stadtteil getroffen und erlebt und ich habe mir die Spitzenkandidaten und ihre Reden bei größeren Veranstaltungen in Köln angehört. Was ich erlebt habe, waren eigentlich durchweg überlegte Leute, die für ihre Positionen recht gute Argumente vorgetragen haben. Ich fand „in den Medien“ aber leider nur wenig davon wieder. Besonders im Fernsehen schien man doch lieber Wahlkampfpannen, Stinkefingerfotos und Allzumenschliches zu bemühen. Nüchterne Fakten und Zahlen waren da Sache der Journalisten nicht, und wenn, hatten sie große Mühe, sie richtig zu interpretieren. Um nur ein kleines Beispiel zu nennen: Angela Merkel hat nicht die Wahl gewonnen. Zur Wahl stehen in der Bundesrepublik Deutschland nämlich nicht Personen, sondern Parteien. Auch die CDU hat nicht „die Wahl gewonnen“, sie hat bislang „nur“ relativ an Stimmen und Sitzen dazugewonnen. Was sie daraus macht und ob Angela Merkel ihre Wahl noch gewinnt, nämlich die im Deutschen Bundestag von der Mehrheit der Abgeordneten, wird sich erst noch zeigen.

Personalisierungen sind vor allem für den Journalismus schön: Denn über Personen erzählt man Geschichten, und Journalisten wollen vor allem Geschichten erzählen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, denn Geschichten sind unterhaltsam, und über die Unterhaltungsfunktion lassen sich dann auch Inhalte und Sachthemen besser an den Mann und an die Frau bringen. Aber wenn man es natürlich bei den personalisierten Geschichten belässt und die Sachverhalte dahinter außen vor lässt, ist das problematisch. Denn der mündige Wahlbürger will zwar vielleicht auch unterhalten werden, er hat aber auch ein deutlich größeres Interesse an den politischen Inhalten, als Journalisten ihm zutrauen. Dass haben beispielsweise die beiden Wahlarena-Sendungen der ARD gezeigt, in der Bürgerinnen und Bürger den Spitzenkandidaten Fragen stellen konnten, und sie haben das ausnahmslos gut getan.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat ein sehr lesenswertes Interview mit dem TV-Zampano Friedrich Küppersbusch geführt. Küppersbuch sieht gerade im Einnehmen einer Haltung das Rettungsboot, mit dem der (TV-)Journalismus sich über Wasser halten könnte. So wie Küppersbusch selbst es in den Wochen vor der Wahl im WDR Fernsehen mit seiner Sendung Tagesschaum vorgeführt hat:

Wir verorten uns in meinem Verständnis nicht zwischen links und rechts, sondern es geht um den Unterschied Haltung / keine Haltung. Und ich glaube, in der Haltung liegt eindeutig das solide aufgepumpte Schlauchboot, in das eines Tages auch die Öffentlich-Rechtlichen hüpfen müssen. Diese ganzen Talkshow-Panels sind doch alle da, damit am Ende der Moderator sagen kann: »Ich gebe Ihnen allen recht.« Da kommst du haltungsfrei durch.

Also, wieder ein bisschen mehr Geist im politischen Journalismus: Das wäre wünschenswert. Auf welcher Seite dieser Geist steht, ist dann fast eher zweitrangig.

P.S.: Ich sehe gerade, dass Stefan Niggemeier auch in seinem Blog sich mit diesen beiden Magazin-Aufmachern beschäftigt und sie zum Teil auch inhaltlich analysiert. Empfehlenswert!

 

Verquere Logik nach Wahldesaster


23 Sep

Das Wahldesaster der FDP bei den Bundestagswahlen 2013 ist auch einigen Journalisten nicht gut bekommen. Wie sonst ließe sich die verquere Logik nachvollziehen, die aus dieser Interpretation von Spiegel Online spricht:

Im Laufe des Vormittags hatten sich in der Partei Stimmen gemehrt, die einen personellen Neuanfang an der FDP-Spitze verlangen. So hatte der scheidende FDP-Bundestagsabgeordnete Jürgen Koppelin ein Duo aus Lindner und dem schleswig-holsteinischen Spitzenkandidaten Wolfgang Kubicki als neue Hoffnungsträger ins Spiel gebracht. „Wenn die beiden wollen, auf jeden Fall“, sagte Koppelin am Montag im Deutschlandfunk auf die Frage, ob diese beiden das Tandem der liberalen Partei der Zukunft bilden könnten.

Wer hat hier nun wen ins Spiel gebracht? Offenbar hat doch wohl der Moderator des Deutschlandfunks die FDP-Politiker Lindner und Kubicki ins Spiel gebracht und dem Interviewpartner blieb wenig anderes übrig, als zu bestätigen. So kann man auch als Journalist Politik machen und Einfluss auf demokratische Entscheidungen nehmen. Ganz ohne Wahlen.

Transparency International: Medien gelten als korrupt


10 Jul
Foto: Birgit H./Pixelio

Foto: Birgit H./Pixelio

Alle drei Jahre erhebt die Nicht-Regierungsorganisation Transparency International das „globale Korruptionsbarometer“. Dabei wird in 107 Ländern die Bevölkerung befragt, für wie korrupt sie die gesellschaftlichen Institutionen hält. In Deutschland schneiden auf einer Skala von eins (überhaupt nicht korrupt) bis fünf (höchst korrupt) Justiz (2,6), Polizei (2,7), aber auch das Bildungswesen (2,7) besonders gut ab. Wer nicht gut abschneidet, ist der Medien-Sektor. Medien werden nämlich erstmals als korrupter wahrgenommen als die Öffentliche Verwaltung oder das Parlament. Während Verwaltung und Parlament jeweils die Note 3,4 erhielten, rangieren die Medien auf dieser Skala bei 3,6. Die deutsche Vorsitzende von Transparency International findet das besorgniserregend:

Die kritische Berichterstattung durch die Medien spielt eine wichtige Rolle bei der Korruptionsbekämpfung. Es ist daher ein alarmierendes Zeichen, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien zu sinken scheint. Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie die Unabhängigkeit und Qualität der Medien langfristig gewährt werden kann.

Wichtig ist bei solchen Umfragen, festzuhalten, dass es um das Ansehen und die Meinungen in der Bevölkerung geht. Dass die Befragten Medien für korrupt halten, heißt noch nicht zwangsläufig, dass sie es auch sind.  Beispielsweise rangieren auch Nicht-Regierungsorganisationen nicht über dem Durchschnitt, sondern etwas darunter (3,0). Schlechte Noten haben auch die politischen Parteien (3,8) und die Privatwirtschaft (3,7) erhalten, die beide das Ranking im negativen Sinne anführen.

Für das Globale Korruptionsbarometer 2013 wurden 114.270 Personen in 107 Ländern befragt. Die Befragung wurde von Worldwide Independent Network/Gallup International Association (WIN/GIA), einem weltweiten Netzwerk von Meinungsforschungsunternehmen, im Auftrag von Transparency International durchgeführt. Die Feldstudien wurden von September 2012 bis März 2013 mittels persönlicher Interviews, Telefon- und Onlinebefragungen durchgeführt. In Deutschland wurden tausend Bürgerinnen und Bürger online befragt.

Der „Spiegel“ und die ausgewogene Berichterstattung


11 Mai
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Spiegel-„Opfer“ Trittin (Foto: Wikimedia)

Wer Ausgewogenheit für eine besondere Zierde des Journalismus hält, der sollte sich vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ eines besseren belehren lassen. Dort ist in der aktuellen Ausgabe über den Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin zu lesen:

Wenn es darum geht, andere zu belehren, lässt sich Jürgen Trittin ungern übertreffen. Der grüne Spitzenkandidat weiß immer die richtigen Antworten, auch wenn die Fragen noch gar nicht gestellt werden. So hat er sich in den vergangenen Jahren konsequent den Ruf des unerschütterlichen Besserwissers erarbeitet.

Diese Charakterisierung hat durchaus auch etwas Belehrendes, oder?

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter