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Exklusive Probefahrt im neuen BMW?


19 Sep
bmw_5er_test

Foto: BMW

Da hat AutoBILD aber mal wieder so richtig die Nase vorn gehabt. Erst Anfang des neuen Jahres soll der neue 5er-BMW vorgestellt werden, aber die AutoBILD-Reporter haben ihn jetzt schon. In der Einsamkeit walisischer Hügel und Schafherden dürfen sie ihre exklusive Fahrt ins Blaue machen:

„Der neue BMW 5er wird Mitte Oktober vorgestellt. AUTO BILD ist exklusiv mit einem 530d-Prototyp unterwegs gewesen“.

Für so viel Exklusivität bedankt sich Autor Stefan Voswinkel natürlich artig, und neben der Motorjournalismus-typischen Hubraum-Metaphorik und Kardanwellen-Poesie wird ein kleines Fazit spendiert, dass die PR- und Markting-Abteilung des bayerischen Autobauers jubeln lassen wird:

„Am Ende dieser ersten Testfahrt hat der 5er technisch deutlich mehr überrascht als gedacht. So konservativ er gezeichnet ist, so erfrischend lässt er sich durch jede Menge Feinarbeit im Detail bewegen, macht Spaß wie nie zuvor“.

Exklusivität heißt übrigens so viel wie „Ausschließlichkeit“. Journalistisch drückt man damit im allgemeinen aus, dass man eine Geschichte präsentiert, die sonst niemand hat. Ist das denn wirklich so bei der Spritztour von AutoBILD mit dem neuen 5er BMW?

Welt.de: Der neue 5er macht mehr Spaß als die E-Klasse!

Auto Motor und Sport: Erste Testfahrt im BMW 5er

RP Online: BMW 5er – erste Probefahrt noch mit Tarnkleid

MotorTalk: Neuer BMW 5er (G30): Fahrt im Prototypen

Stern.de: Der König der Business-Klasse katapultiert den Fahrspaß in eine neue Dimension

Mit der letztgenannten Schlagzeile von Stern.de wird AutoBILD nicht nur die Exklusivität, sondern auch noch die Auszeichnung für die ranschmeisserischste Werbephrase in einem Pressebericht genommen. Nein, exklusiv war bei der Testfahrt mit dem neuen BMW-Auto gar nichts. Übrigens war auch ein dpa-Kollege dabei, sodass dessen Fahrbericht sich gleich im Aberdutzend im Internet findet. Es handelte sich hier um eine, vermutlich vom Autobauer finanzierte, Pressereise, bei der ein offenbar großer Tross von Autojournalisten in Britanniens Westen geschafft wurde (inkl. Unterbringung im Luxushotel), um im verklebten und abgedeckten Wagen in Begleitung eines BMW-Ingenieurs eine Runde drehen zu dürfen. Der Testwagen war übrigens auch immer derselbe, wie die verschiedenen Fotos der Motormagazine mit einem Wagen mit immer demselben Nummernschild (M-YM 5431) verraten.

Lustig darum auch die Formulierung der „Autozeitung“:

„Zum Kennenlernen an einem geheimen Ort im Westen Großbritanniens stehen noch größtenteils getarnte Vertreter der neuen 5er-Generation in Reih‘ und Glied. Kein Mensch darf hier mit einem Smartphone herumschlichen. Es gilt höchste Foto-Warnstufe. Für uns gibt es eine Ausnahme“.

Eine Ausnahme gab es offenbar nicht nur für die investigativen Reporter der „Autozeitung“, sondern für jeden BWM-Interessierten, der nicht bei 5 auf den Bäumen war, um dem 5er noch aus dem Weg zu gehen.

Umfahren wird neben walisischen Schafherden auch, dass es eigentlich wenig Neues zu schreiben und nahezu nichts zu sehen ist bei dieser „exklusiven“, „geheimen“ Gelegenheit. Denn nicht nur das äußere Chassis, sondern auch das Innenleben ist bei der Probefahrt noch zugedeckt. AutoBILD löst auch dieses Problem prosaisch:

„Viel interessanter sind eh die inneren Werte. Zwar ist noch alles abgedeckt – was aber zu erkennen ist: Das Layout, die weichen Kunststoffe, der riesige Touchscreen und die optionale Gestensteuerung erinnern an den größeren 7er.“

Das wäre doch mal einen Sprachpreis für die gelungenste paradoxe Formulierung wert: „Viel interessanter sind eh die inneren Werte. Zwar ist noch alles abgedeckt …“. Benjamin Bessinger von RP Online hat regelrecht Feuer gefangen für das Gefährt — oder für die schicke Pressereise, zu der er auch beim nächsten Mal wieder eingeladen werden möchte:

„Der neue Fünfer fühlt sich auf den engen Straßen tatsächlich engagierter an als seine Konkurrenten und schürt ein Feuer im Fahrer, als wäre er ein verkappter Sportwagen, den man nur widerwillig in das Gewand einer Limousine gesteckt hat“.

Auch Thomas Geiger von der Tageszeitung Die Welt möchte gerne beim nächsten Mal wieder eingeladen werden und übernimmt entsprechend hörig die PR-Formulierungen aus dem Marketing-Booklet für Journalismus-Autisten:

„Auf den rauen, welligen Pisten in regnerischen Hügellandschaften perfektionieren sie [die BMW-Ingenieure] zwischen Schafsweiden und Moorwiesen eine Tugend, die in Zeiten der Digitalisierung fast ein bisschen in Vergessenheit geraten ist, obwohl BMW sie wie einen Nachnamen sogar im Firmenschriftzug führt: die Freude am Fahren“.

Was die meisten dieser ach so exklusiven Geschichten nicht sagen, ist, dass es über das neue Auto von BMW gar nicht so viel zu sagen gibt, weil es sich vom Vorgänger der gleichen Baureihe kaum unterscheidet. Auto Motor und Sport spricht es im Nebensatz aus, wenn das Blatt feststellt, dass der neue 5er nur „behutsam verändert“ worden ist. Das Resümee von Stefan Miete von der „Autozeitung“ (H.20/2016) wird schon etwas deutlicher, wenn er notiert, dass eine „Designrevolution“ ausgeblieben sei. Immerhin liefert er auch eine Begründung, warum es eigentlich nichts Neues zu erzählen gibt:

„Kunden der Oberklasse schätzen Kontinuität“.

Shakespeare würde an dieser Stelle sagen: Viel Lärm um Nichts.

 

„Cinema“: Interstellarer Fehltritt


11 Nov
Aktuelles Titelblatt von "Cinema"

Aktuelles Titelblatt von „Cinema“

Kann man eine Filmkritik schreiben, ohne den entsprechenden Film überhaupt gesehen zu haben? Geht nicht, auf keinen Fall, werden Leute sagen, die wahlweise etwas von Journalismus oder von Kino oder von beidem verstehen. Kann man einen Beitrag über einen Film, den man nicht gesehen hat, sogar auf das Titelblatt einer Zeitschrift nehmen, die sich mit nichts anderem als mit Kinofilmen beschäftigt? Keineswegs, niemals, ausgeschlossen: So werden alle Freundinnen und Freunde seriöser Berichterstattung und das treue Scherflein Cineastinnen und Cineasten rufen.

Doch, die Zeitschrift „Cinema“ kann!

„Wir lieben Filme“ steht als Claim über dem Titel der Burda-Zeitschrift. So sehr lieben sie sie aber wohl doch nicht, dass sie alle Filme ansehen, über die sie schreiben. Die aktuelle Ausgabe (11/14) macht mit dem Christopher Nolan-Streifen „Interstellar“ auf. Das Plakatmotiv des Films prangt auch auf der Titelseite des Hefts. Die Seiten 14 bis 30 des Magazins beschäftigen sich mit dem Film, der in der vergangenen Woche in den deutschen Kinos angelaufen ist. Dort liest man beispielsweise:

Der dreifache Batman-Regisseur Christopher Nolan beschreibt in seinem neuen Film eine dramatische Aufbruchsutopie mit gegenwärtigen Bezügen.

Man fragt sich, woher die Redaktion das weiß. Denn im Kleingedruckten unter „Fazit“ ist zu lesen:

Der Film wurde vorab nicht gezeigt. Lesen Sie unsere Kritik zum Kinostart auf www.cinema.de

Nicht schlecht: 16 Seiten füllt die Cinema-Redaktion also (inkl. Werbung) mit Informationen über einen Film, den sie nicht kennt! Da müssen die Autorinnen und Autoren dieser Redaktion entweder sehr erfindungsreich sein und dem Science-fiction-Film aus Hollywood noch ein bisschen journalism-fiction aus Hamburg, wo die Redaktion sitzt, anfügen. Oder sie übernehmen einfach mal die PR-Texte der Agenturen, die sich um die internationale Vermarktung von „Interstellar“ kümmern.

Und ungefähr so liest sich auch der Beitrag. „Dieser Film ist das bislang ehrgeizigste Projekt von Christopher Nolan“, lässt man den Hauptdarsteller Matthew McConaughley sagen. Hat man mit dem Schauspieler selbst gesprochen? Unwahrscheinlich. Denn dann hätte man doch wohl das Ganze als Interview ins Blatt gerückt, um noch mehr Seiten zu schinden. So wie man es mit einem Interview mit dem Regisseur Nolan gemacht hat. Dieses Interview führte übrigens Scott Orlin. Der US-Amerikaner ist freier Korrespondent und arbeitet allein in Deutschland neben Cinema auch für TV Spielfilm, Pro7 und eine Reihe weiterer Medien, wie man im Internet erfahren kann. Ein exklusives Interview sieht anders aus. Und es stellt auch andere Fragen, und nicht solche, wie Scott Orlin es für „Europas größte Filmzeitschrift“ tut. Orlin erkundigt sich etwa bei Nolan: „Gibt es Filme, die Sie sich vor dem ‚Interstellar‘-Dreh noch einmal genau angesehen haben, um daraus Inspirationen zu beziehen?“ Kritisch geht anders.

Da mutet es schon fast wie postmoderne Ironie an, wenn die Cinema-Redaktion statt einer Bewertung eine „Prognose“ über die Qualität des Films abgibt: Vier von fünf Punkten für einen Film, den man nicht kennt!

Ausschnitt aus aktuellem Cinema-Heft

Ausschnitt aus aktuellem Cinema-Heft

Vielleicht werde ich mir den Film demnächst mal ansehen. Die Zeitschrift „Cinema“ werde ich mir in nächster Zeit wohl nicht mehr zulegen.

 

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter