Am 10.Juni 2016 veranstaltete die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V. zusammen mit dem Deutschlandfunk das 2. Kölner Forum für Journalismuskritik. Hier ein paar Videoimpressionen von dieser Veranstaltung:
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2. Kölner Forum für Journalismuskritik
Schweiz: Verhaftung wegen Kontakt zu Journalisten
23 MitarbeiterInnen der Universität Zürich wurden von der Kantonspolizei einvernommen, zwei Personen wurden inhaftiert. Ihr einziges Vergehen: Sie hatten Email-Kontakt zu Journalisten.
Die Universität Zürich hat einen neuen Rektor. Es ist der bekannte Kommunikationswissenschaftler Ottfried Jarren, und er wird dieses Amt interimsweise ausführen. Und einen Kommunikationsexperten hat die Uni Zürich auch dringend nötig. Der Amtsvorgänger Fischer ist am Donnerstag von seinem Amt zurückgetreten. Der Rücktritt steht in Zusammenhang mit dem Fall Mörgeli, der die akademische und politische Welt der Schweiz seit geraumer Zeit in Atem hält. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen in dieser Sache umfassten offenbar auch die gezielte Auswertung des Email- und Datenverkehrs im Computernetzwerk der Uni Zürich. Kritiker sprechen von Rasterfahndung und auch der Schweizer Datenschutzbeauftragte hat Bedenken angemeldet. Die polizeilichen Vorladungen und Verhaftungen lassen nach Ansicht des Züricher Tagesanzeigers “jede Verhältnismäßigkeit vermissen”.
Christoph Mörgeli ist nicht nur als Professor für Medizingeschichte und als Kurator des Medizinhistorischen Museums Angestellter der Uni Zürich, er ist als bekannter Abgeordneter der rechtspopulistischen SVP durch viele Fernsehauftritte auch über akademische Kreise hinaus in der Schweiz bekannt. Eine Untersuchung hatte allerdings ergeben, dass Mörgeli über sein politisches Mandat seine Hochschulaufgaben offenbar etwas schludern ließ:
Vor allem Museum und Objektsammlung zeigten sich in einem beklagenswerten Zustand: fehlerhaft, veraltet, nicht auf dem Stand der Forschung, seit Jahrzehnten nicht professionell betreut. Nicht einmal die Grundreinigung sei geregelt.
Noch einen weiteren Vorwurf musste Mörgeli sich gefallen lassen: Wie der Schweizer Tagesanzeiger und das Schweizer Fernsehen berichteten, soll Mörgeli Doktorarbeiten durchgewunken haben. Die Affäre führte zur Entlassung Mörgelis im September 2012.
Damit ist der Skandal aber nicht am Ende, sondern fängt erst richtig an. Die Uni Zürich strengt nämlich staatsanwaltliche Ermittlungen gegen das mutmaßliche Informationsleck an, durch das die Informationen der internen Begutachtungen an die Presse lanciert worden sein sollen. Der zuständige Staatsanwalt allerdings ist ein Parteifreund des SVP-Politikers Mörgeli. Der Email- und Datenverkehr der Uni Zürich wird von den Ermittlungsbehörden gescannt und 23 Unimitarbeiter werden von der Polizei vorgeladen einzig aus dem Grund, dass von ihren Email-Accounts aus Nachrichten mit Verlagshäusern und Medienkonzernen getauscht wurden. Dass in den meisten Fällen schlicht Univeranstaltungen an die Veranstaltungsserviceredaktionen gemeldet wurden, spielte dabei keine Rolle.
Zwei Personen wurden gar für eine Nacht inhaftiert, weil sie Emailkontakt zu Journalisten hatten: Professorin Iris Ritzmann und ihr Ehemann, die beide auch am medizinhistorischen Institut arbeiteten. Angeblich soll die Professorin das “Amtsgeheimnis” verletzt haben. Auch ihr wurde von der Uni Zürich gekündigt, und darüber hinaus sollte sie für ein Jahr ihr Gehalt zurückzahlen und ihren Professorinnen-Titel verlieren. Dabei ist die Beweislage Frau Ritzmann ausgesprochen dünn, wie die F.A.Z. feststellt:
Sie selbst räumt ein, im Kontakt mit dem betreffenden Journalisten des „Tagesanzeigers“ gestanden und falsche Informationen, die er hatte, korrigiert zu haben. Dazu habe sie ihm ein Passwort zur Studentenplattform der Universität weitergegeben: 25.000 Studierende haben ein solches, um ihre Kursunterlagen einsehen zu können. Welche Geheimnisse dadurch berührt sind, ist unerfindlich.
200 Wissenschaftler haben gegen die Entlassung der angesehenen Wissenschaftlerin protestiert. Aufgrund des öffentlichen Drucks ist nun der Rektor der Uni Zürich zurückgetreten.
Die F.A.Z., die bislang als einziges bundesdeutsches Medium den Skandal aus dem Nachbarland aufgegriffen hat, fasst einen Teil des Skandalons so zusammen:
Dass eine Universität die Unschuldsvermutung für eines ihrer Mitglieder missachtet, das Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen wurde, ist ein starkes Stück. Dass sie es gegenüber einer Person tut, die nachweislich den Ruf ihres Instituts in Zeiten aufrechterhalten hat, in denen er durch den gefährdet war, der jetzt zum moralischen Nutznießer dieses Vorgehens wird, ist niederträchtig. Dass die Universität Zürich der Staatsanwaltschaft freiwillig einräumte, den gesamten E-Mail-Verkehr der Hochschule auf Pressekontakte hin abzusuchen, nur weil ein Gutachten, das kurz darauf jeder lesen konnte, weitergegeben wurde, ist geeignet, ihren Ruf als Ort freien Austauschs dauerhaft zu beschädigen.
In Gefahr ist aber nicht nur der Ruf einer wissenschaftlichen Einrichtung als “Ort des freien Austauschs”. Es geht in dem Fall auch um die Pressefreiheit in einem Land, das sich bei anderer Gelegenheit als älteste Demokratie Europas bezeichnen lässt. Denn die, offenbar auch politisch motivierten, Ermittlungen dienten nicht nur der Verfolgung eines mehr als fraglichen Delikts, sondern auch der Einschüchterung von Whistleblowern, die einen wirklichen Skandal an die Öffentlichkeit gebracht haben. Professorin Ritzmann, wenn sie denn überhaupt der gesuchte Whistleblower ist, hat das typische Schicksal einer Kassandra-Ruferin erlitten: Bestraft wird die, die den Skandal verkündet. Das ist nicht nur, was den akademischen Betrieb der Uni Zürich, sondern auch, was die staatlichen Stellen und Ermittlungsbehörden angeht, für einen demokratischen Rechtsstaat sehr bedenklich.
Dass die deutschen Medien mit einer einzigen Ausnahme diesen Fall nicht aufgreifen, ist darum unverständlich. Denn die internationale Tragweite ist in Zeiten von Snowden und Wikileaks enorm. Pressefreiheit heißt auch Schutz von Quellen. Und Skandale öffentlich machen darf nirgendwo auf der Welt strafbar sein.