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Gauland-Kolumne: Hinter der FAZ steckt nicht immer ein kluger Kopf


08 Okt

(Foto: Olaf Kosinsky/Skillshare.eu)

Am Wochenende hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in der Rubrik „Fremde Federn“ einen Gastbeitrag des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland veröffentlicht. Das sorgt vor allem deswegen für Irritation, weil nichts an dem Beitrag stimmt, sowohl was die Rubrik als auch was den Inhalt angeht.

Als Kolumnist darf ein Gauland schreiben, was er will, ohne dass die Redaktion in den Text inhaltlich eingreift. Gauland ist schlau genug, gegenüber dem bürgerlichen Publikum der FAZ Kreide zu essen und sich selbst als Vertreter von Mittelstand und Mittelklasse zu gerieren. Dabei bekennt er sich zu seinem „Populismus“, darum auch die Überschrift des Gastbeitrags: „Warum muss es Populismus sein?“ Allerdings geht er dann auf das spezifisch Populistische seiner Politik und der seiner Partei, der rechtsextremen AfD, gar nicht weiter ein. Er behauptet, der Begriff „Populismus“ sei seit 10 Jahren in der Diskussion, was nachweislich falsch ist und durch simpelste Internetrecherche falsifiziert werden kann. Der Begriff stammt aus der Antike und bezieht sich auf die Partei der Popularen, zu der beispielsweise auch Julius Caesar sich zählte. In der Moderne taucht der Begriff spätestens mit der US-amerikanischen Farmerbewegung seit den 1870er-Jahren wieder auf, die denn auch eine „People’s Party“ gründeten.

Feindbild und Verschwörungstheorie

Dann entfaltet Gauland sein heimliches Feindbild und offenbart zugleich sein unheimliches Weltbild, das einer kruden Verschwörungstheorie entstammt. Laut Gauland hat sich nämlich in den vergangenen Jahren angeblich eine neue Funktionselite gebildet, die vor allem aus Medienarbeiter/innen bestehe:

„Im Zuge der Globalisierung hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine neue urbane Elite gebildet, man könnte auch von einer neuen Klasse sprechen. Zu ihr gehören Menschen aus der Wirtschaft, der Politik, dem Unterhaltungs- und Kulturbetrieb – und vor allem die neue Spezies der digitalen Informationsarbeiter“.

Diese abgehobene „globalisierte Klasse“ habe die Bindung an die Heimat verloren und lebe in einer „abgehobenen Parallelgesellschaft“. Dem gegenüber stünden zwei Gruppen von Menschen in Deutschland, nämlich die bürgerliche Mittelschicht (zu der Gauland vor allem den wirtschaftlichen Mittelstand zählt) sowie „sogenannte einfache Menschen“, die „ein Leben lang den Buckel krumm gemacht haben und heute von einer schäbigen Rente leben müssen“.

Irgendwelche empirischen Belege für seine demographischen Behauptungen bleiben bei Gauland und in der FAZ aus. Dass die von ihm so geschmähten Medienleute gerade wesentlicher Teil der bürgerlichen Mittelschicht sind und häufig als Einzelunternehmer zum wirtschaftlichen Mittelstand zählen, lässt Gauland natürlich unerwähnt. Erst recht lässt er unerwähnt, dass er und große Teile der Führungsriege seiner rechtsextremistischen Partei AfD zu genau dieser Klasse von Globalisierungsgewinnern und Medienelite gehören: Seine Kollegin im AfD-Fraktionsvorsitz, Alice Weidel, ist im schweizerischen Biel gemeldet, wo sie mit einer aus Sri Lanka stammenden Schweizer Film- und Fernsehproduzentin in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, wie man ausgerechnet in der FAZ nachlesen kann. Gauland war nicht nur Parteifunktionär der CDU, sondern auch Medienmensch und Publizist, der beispielsweise Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ war. Und während Gauland in der FAZ als Vertreter der Leute mit „schäbigen Renten“ auftreten darf, musste er doch unlängst zugeben, selbst gar kein Rentenkonzept zu haben.

Ein kluger Kopf?

Kommen wir zur FAZ: Schon der Rubrikentitel, unter dem Gauland in der FAZ veröffentlichen darf, ist irreführend. Wer sich „mit fremden Federn schmückt“, der macht sich Texte zu eigen, die nicht von ihm selbst stammen, sprich: er macht ein Plagiat. Will sich die FAZ den Text von Gauland zu eigen machen, sich gar mit ihm schmücken, wie man es mit Federschmuck eben gemeinhin tut? Wohl kaum. Will man sich an jene „bürgerliche Mitte“ anbiedern, die auch Gauland adressiert und die offenbar beide für ihr angestammtes Publikum halten? Da wollen wir hoffen, dass der FAZ-Leser und die FAZ-Leserin klüger sind als Gauland und die Verantwortlichen, die ihm die Spalten der FAZ geöffnet haben.

Dass FAS-Politik-Redakteur Thomas Gutschker auf den frei einsehbaren Onlineseiten der FAZ einen kritischen Kommentar zu der FAZ-Gauland-Kolumne hinterherschiebt (während der Gauland-Text nur im Bezahlbereich konsumierbar ist), macht die Sache nicht besser. Denn warum bietet eine Redaktion dem Vorsitzenden einer rechtsextremistischen Partei erst ihre Seiten und schmückt sich mit diesen „fremden Federn“, um dann eine Erwiderung hinterherzuschicken, um auf diese Weise den Gaulandtext wieder einzufangen und zu relativieren? Dies ist auch kein Beispiel für eine gepflegte Debattenkultur, denn diese Debatte ist ja selbst inszeniert und wäre gar nicht nötig, wenn die FAZ nicht sich mit den schmutzigen Federn eines auch noch selbsterklärten Rechtspopulisten schmücken würde.

Als Vater Daedalus seinem Sohn Ikarus falsche Federn angeklebt hat, hat dieser sich die Flügel verbrannt. Das war nicht sehr klug. Die FAZ kann mit ihrem Werbeslogan „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ künftig nicht mehr antreten. Denn sie war auch nicht klug.

Nachtrag 10.10.2018: Im Tagesspiegel weist der Historiker Wolfgang Benz darauf hin, dass der Gauland-Text recht deutlich die Inhalte einer Hitler-Rede aus dem November 1933 widerspiegelt.

Sternstunden des Onlinejournalismus: Gewichtszunahme bei Schwangerschaft


21 Mrz

by-sassi/pixelio.de

Journalismus kann gewichtig sein, und das nicht nur im übertragenen Sinne, wenn es um pfundschwere Politik, starke Themen und fette Probleme geht. Nein, auch im ganz eigentlichen Sinne, wenn es um das Auf und Ab der Kilos geht, macht der Journalismus sich einen Namen, und sei’s durch Namensgebung bei Abnahmetipps wie der berüchtigten „Brigitte-Diät“.

Ein wunderbares Beispiel für die gewichtsreduzierende Power des Journalismus ist der durchaus leichtgewichtige Beitrag auf Spiegel Online zur Gewichtszunahme eines US-Models namens Chrissy Teigen.

„US-Model Chrissy Teigen erwartet ihr zweites Kind – und hat dementsprechend an Gewicht zugelegt. Nur offenbar nicht an den richtigen Stellen, wie die 32-Jährige nun kundtat“.

Die Polkappen schmelzen, der Nato-Partner Türkei erobert kurdische Städte in Syrien, in einer europäischen Hauptstadt werden zwei Passanten mit einem Nervengift attackiert, eine Regierung wird gewählt, andere Regierungen werden abgewählt, in Mittelamerika bebt die Erde, und Spiegel Online teilt uns mit:

„Das US-Model hat eigener Aussage zufolge in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen – nur nicht an den Körperstellen, an denen sie es sich gewünscht hätte“.

Man stelle sich das vor: Nicht an den Körperstellen, an denen sie es sich gewünscht hätte! Nicht an den Körperstellen, an denen sie es sich gewünscht hätte!! Hier möchte auch der nur minimal an gesellschaftlichen Zusammenhängen Interessierte doch mehr wissen, womöglich sogar O-Ton jener Mrs. Teigen hören. Und siehe da! SpOn scheut Mühen und Zuckerersatzstoffe nicht, uns auch die tieferen Einsichten zu vermitteln:

„’40 Pfund mehr und nicht eine Unze davon hat an meinem Hintern angesetzt‘, schrieb die 32-Jährige. Scherzhaft bat sie ihre Follower dann, sich nicht über Frauen mit kleinem Po lustig zu machen“.

Kommt einem das lustig vor? Natürlich, und SpOn weiß auch den Grund dafür. Mrs. Teigen ist nämlich eine Lustige, und das sollte die Welt schließlich auch in einem qualitätsjournalistischen Medium erfahren:

„Teigen ist bekannt dafür, entspannt und humorvoll mit ihrem Körper umzugehen. Im vergangenen Jahr etwa postete sie ein Foto von Dehnungsstreifen auf ihrem Oberschenkel. Teigen ist mit dem Sänger John Legend liiert, die beiden haben bereits eine gemeinsame Tochter, Luna“.

Carl Jensen, der Gründer des US-amerikanischen Project Censored, hat solcherlei Leichtgewicht-Journalismus als „Junk Food News“ bezeichnet, „sensationalized, personalized, and homogenized inconsequential trivia“. Das wirkt zwar harmlos, im schlimmsten Fall, wie dem hier zitierten von den richtigen Kilos an den falschen Stellen eines amerikanischen Fotomodells, idiotisch, aber es hat doch eine tiefere Bedeutung: Die News-Kanäle werden nämlich geflutet mit solch trivialen, bedeutungs-, hirn- und geschmacklosen Pseudo-Nachrichten. Der Kanal ist dann voll und verstopft für die wesentlichen und relevanten Meldungen, die womöglich tatsächlich Einfluss auf das Leben der Leserinnen und Leser haben könnten. Die Kilos nehmen zu, aber es purzeln nicht die Pfunde, sondern die Nachrichten, die das Leben verändern oder die Welt verbessern könnten.

Es sollte noch dazu gesagt werden, dass die fassungslos dämliche Geschichte von den Kilos dieses unsäglichen Modells nicht auf dem fetten Misthaufen von Spiegel Online gewachsen ist. Nein, die Deutsche Presse-Agentur hat sie verbreitet. So viel zur Relevanz von Nachrichten, die von Presse-Agenturen herausgegeben werden.

INA: Top Ten der Vergessenen Nachrichten 2018


21 Feb

(Foto: Pixabay)

Auch im vergangenen Jahr sind wieder Themenkomplexe und Storys nicht in den Medien erschienen, obwohl sie gesellschaftlich relevant sind. Im Rahmen ihrer Jahrespressekonferenz hat die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V. im Deutschlandfunk (DLF) die Top Ten der vergessenen Nachrichten 2018 vorgestellt.

Den ersten Platz im Ranking dieser vernachlässigten Nachrichten belegt das Thema „Inklusion in der Arbeitswelt“. Inklusion findet vor allem in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit statt: Beschäftigte in den sogenannten „Behindertenwerkstätten“ dienen der Statistik seit 2014 als „sozialversicherungspflichtige Beschäftigte“. In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Menschen in den sogenannten „Behindertenwerkstätten“ kontinuierlich gestiegen. Mit Inklusion hat das nichts zu tun. Dabei trägt auch der demographische Wandel dazu bei, dass das Thema immer virulenter wird. Die Medien sollten sich aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung und fehlender Berührungspunkte im Alltag zur Aufgabe nehmen, Barrieren und Vorurteile durch vermehrte journalistische Berichterstattung auf Augenhöhe zu verringern, anstatt sie wie bisher weiter zu verfestigen.

Auf Platz 2 steht Portugal und seine Anti-Spar-Politik. Nach der Finanzkrise schien es für die betroffenen südeuropäischen Länder, allen voran Portugal, nur eine Wahl zu geben: die von der EU geforderten drastischen Kürzungen umzusetzen. Austeritätspolitik wird das auch genannt. Doch ist Sparen der einzige Weg, um sich zu sanieren? Das Beispiel Portugal ist überraschend. 2015 wurde in Portugal, nach der Regierungsübernahme durch eine breit gefächerte linke Opposition, die Abkehr von der Sparpolitik beschlossen: Mindestlohn und Pensionen wurden angehoben, Lohnkürzungen zurückgenommen und zusätzliche Urlaubstage eingeführt. Interessanterweise fiel das Budgetdefizit auf dem niedrigsten Stand seit 40 Jahren. Portugal konnte einen Kredit von 1,7 Milliarden Euro vorzeitig an den IWF zurückzahlen

„Monsun in Südasien 2017 versus Hurricane in Texas“ steht auf Platz 3. Hierbei geht es darum, dass die humanitäre Katastrophe durch den Monsun 2017 von dem Hurricane in Texas medial überschattet wurde. Es wurde signifikant weniger über den Monsun berichtet, obwohl seine zerstörerischen Ausmaße den Hurricane weit überstiegen. Einigen wenigen Medien ist die Reflektion darüber im vergangenen Sommer gelungen, wünschenswert wäre ein breiteres Bewusstsein.

Weitere Themen auf der Liste der vergessenen Nachrichten 2018 sind die Arbeitsbedingungen auf Containerschiffen, der horrende Anstieg der Kosten von Impfungen in Entwicklungsländern bei gleichzeitigem Gewinnwachstum in der Pharmaindustrie, politische Antworten auf gesundheitliche Gefahren von Schichtarbeit sowie die Zwangssterilisierung von Frauen der Roma in Tschechien und der ehemaligen Tschechoslowakei.

Die komplette Liste jener vergessenen Nachrichten, die bislang nicht oder nur ungenügend ihren Weg in die deutschen Medien gefunden haben, findet sich auf der Website der Initiative Nachrichtenaufklärung.

Die Zeit: Agendasetting zwischen Bundestag und Orgasmustipps


26 Nov

Journalistinnen und Journalisten seien „Agendasetter“, heißt es. Sie würden durch die Auswahl der Nachrichten bzw. die Auswahl der Ereignisse, die überhaupt zu Nachrichten würden, bestimmen, was auf die „Agenda“ komme, also zum Tagesgespräch tauge und die politischen und gesellschaftlichen Diskurse bestimme.

Die Wochenzeitung „Die Zeit“, angeblich eines der Leitmedien Deutschlands, muss wie jedes andere journalistische Medium ständig die Relevanz von Ereignissen und Nachrichten abwägen, um nur die wirklich wichtigen Themen zu bringen, also die, über die es wert ist, einen gesellschaftlichen Diskurs zu entspinnen.

Wenn also „Die Zeit“ die Wahl hat zwischen, sagen wir: Bundestag, EU-Kommission und Orgasmustipps für Männer, was wird „Die Zeit“ wohl wählen. Raten Sie oder schauen Sie einfach selbst:

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50 Jahre Gegenöffentlichkeit


24 Mai

Bildschirmfoto 1In der kommenden Woche jährt sich eines der einschneidenden Ereignisse in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Am 2.Juni 1967, also vor 50 Jahren, besuchte der damalige Schah von Persien Deutschland und West-Berlin. Die Ereignisse dieses Tages — Gegendemonstrationen, Polizeiaktionen und am Ende des Tages der von einem Polizisten erschossene Student Benno Ohnesorg — haben tiefe Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. Eine dieser Spuren verlief auch in der weiteren medialen Organisation von Öffentlichkeit: Ein Konzept von „Gegenöffentlichkeit“ begann – neue kritische Verlage wurden gegründet, alternative Stadtmagazinen und auch eine Tageszeitung, die taz.

Diese taz erinnert jetzt in einer 32-seitigen Sonderausgabe unter dem Titel „Gegen den Strom“ an dieses Datum und die Entstehung neuer Formen, Öffentlichkeit herzustellen:

Dieses Datum markiert den Beginn einer bis heute geführten Debatte über „Gegenöffentlichkeit“, über die Medien, über Wahrheit und Lüge, oder, wie man heute eher formulieren würde, über Fake News und alternative Fakten, über Verschwörungstheorien, über bürgerliche Zeitungen und alternative Blätter, über die „Wahrheit“ und die Deutungshoheit über gesellschaftliche Entwicklungen.

taz-Redakteur Jan Feddersen hat sich in einem Essay Gedanken über aktuelle Formen von Gegenöffentlichkeit gemacht. Dabei geht er von der Beobachtung aus, dass heute womöglich eher politisch rechts und rechtsextrem positionierte Kräfte sich Formen der Gegenöffentlichkeit zunutze machen:

„Gegenöffentlichkeit“ – die braucht es nicht mehr nicht mehr in dem klassisch verstandenen Sinne wie vor 50 Jahren. Empörung als Reaktionsmodus auf alles, was einem in der Welt nicht passt, ist zur Disziplin der Rechten geworden, und sie wird es bleiben: Das können die echt gut. Leider. Linken stünde ein anderer Modus gut an: Coolness. Nicht Chemtrails trauen, keiner Hassbotschaft, keiner aufgeschäumten Erregung, keiner Verschwörungstheorie und auch keinen Botschaften, die die Welt als Verhängnis schildern.

Welt: Kinder mit Philosophie gequält


06 Apr

Das ist nun aber doch unerhört, was die Tageszeitung Die Welt da aus den Bildungsuntiefen des nordrhein-westfälischen Dumping-Schulwesens zu berichten hat: Kinder, Grundschulkinder  gar, sollen zum Philosophie-Unterricht genötigt werden:

Geht es nach den Grünen in NRW, sollen sich schon Grundschulkinder demnächst mit Kant, Platon & Co. beschäftigen. Die Partei verweist auf die vielen konfessionslosen Kinder, die in dieser Zeit Freistunden haben.

Sei’s drum, dass dieser Teaser nahezu unverständlich bleibt, weil der Hinweis an den sonst bei konfessionell besser ausgestatteten Schulkindern verpflichtenden Religionsunterricht erst später im Artikel ausgebreitet wird: Dass die armen Kleinen in so zartem Alter schon mit „Kant, Platon & Co.“ gequält werden sollen, das geht nun wirklich zu weit, meint die Welt.

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Dabei ist der Vorschlag vielleicht gar nicht so schlecht. Selbst die Welt kann da nur zitieren, und so doof klingt es doch gar nicht:

„Es ist wichtig, allen Kindern ein Angebot zu machen, das sich mit Sinn- und Wertefragen beschäftigt“, sagte die schulpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Sigrid Beer. Für das Fach, das den Arbeitstitel „Philosophieren mit Kindern“ trägt, hat der Münsteraner Philosophieprofessor Klaus Blesenkemper einen Lehrplan entworfen.

Auch verschweigt die Welt, dass es auch heute schon an vielen Grundschulen in NRW Ethik-Unterricht als Ersatz für den Religionsunterricht gibt. Und Ethik ist nichts anderes als „praktische Philosophie“.

Für die Welt-Redaktion dagegen rangiert der Vorschlag, mit Kindern zu philosophieren, ungefähr auf einer Ebene mit dem legendären Veggie-Day, den die Grünen vor vier Jahren einführen wollten:

Es ist nicht das erste Mal, dass die Grünen mit einem ungewöhnlichen Vorschlag Aufsehen erregen. Bereits vor vier Jahren wollte die Partei einen verpflichtenden Veggie-Day in öffentlichen NRW-Kantinen einführen …

Dafür habe es damals viel „Hohn und Spott“ gegeben, so die Welt. Offenbar hält die Redaktion aus dem Hause Springer auch den jetzigen Vorschlag für verspottenswert. Wie sagt da der Lateiner: Si tacuisses, philosophus mansisses – Wenn du geschwiegen hättest, wärest du Philosoph geblieben.

Exklusive Probefahrt im neuen BMW?


19 Sep
bmw_5er_test

Foto: BMW

Da hat AutoBILD aber mal wieder so richtig die Nase vorn gehabt. Erst Anfang des neuen Jahres soll der neue 5er-BMW vorgestellt werden, aber die AutoBILD-Reporter haben ihn jetzt schon. In der Einsamkeit walisischer Hügel und Schafherden dürfen sie ihre exklusive Fahrt ins Blaue machen:

„Der neue BMW 5er wird Mitte Oktober vorgestellt. AUTO BILD ist exklusiv mit einem 530d-Prototyp unterwegs gewesen“.

Für so viel Exklusivität bedankt sich Autor Stefan Voswinkel natürlich artig, und neben der Motorjournalismus-typischen Hubraum-Metaphorik und Kardanwellen-Poesie wird ein kleines Fazit spendiert, dass die PR- und Markting-Abteilung des bayerischen Autobauers jubeln lassen wird:

„Am Ende dieser ersten Testfahrt hat der 5er technisch deutlich mehr überrascht als gedacht. So konservativ er gezeichnet ist, so erfrischend lässt er sich durch jede Menge Feinarbeit im Detail bewegen, macht Spaß wie nie zuvor“.

Exklusivität heißt übrigens so viel wie „Ausschließlichkeit“. Journalistisch drückt man damit im allgemeinen aus, dass man eine Geschichte präsentiert, die sonst niemand hat. Ist das denn wirklich so bei der Spritztour von AutoBILD mit dem neuen 5er BMW?

Welt.de: Der neue 5er macht mehr Spaß als die E-Klasse!

Auto Motor und Sport: Erste Testfahrt im BMW 5er

RP Online: BMW 5er – erste Probefahrt noch mit Tarnkleid

MotorTalk: Neuer BMW 5er (G30): Fahrt im Prototypen

Stern.de: Der König der Business-Klasse katapultiert den Fahrspaß in eine neue Dimension

Mit der letztgenannten Schlagzeile von Stern.de wird AutoBILD nicht nur die Exklusivität, sondern auch noch die Auszeichnung für die ranschmeisserischste Werbephrase in einem Pressebericht genommen. Nein, exklusiv war bei der Testfahrt mit dem neuen BMW-Auto gar nichts. Übrigens war auch ein dpa-Kollege dabei, sodass dessen Fahrbericht sich gleich im Aberdutzend im Internet findet. Es handelte sich hier um eine, vermutlich vom Autobauer finanzierte, Pressereise, bei der ein offenbar großer Tross von Autojournalisten in Britanniens Westen geschafft wurde (inkl. Unterbringung im Luxushotel), um im verklebten und abgedeckten Wagen in Begleitung eines BMW-Ingenieurs eine Runde drehen zu dürfen. Der Testwagen war übrigens auch immer derselbe, wie die verschiedenen Fotos der Motormagazine mit einem Wagen mit immer demselben Nummernschild (M-YM 5431) verraten.

Lustig darum auch die Formulierung der „Autozeitung“:

„Zum Kennenlernen an einem geheimen Ort im Westen Großbritanniens stehen noch größtenteils getarnte Vertreter der neuen 5er-Generation in Reih‘ und Glied. Kein Mensch darf hier mit einem Smartphone herumschlichen. Es gilt höchste Foto-Warnstufe. Für uns gibt es eine Ausnahme“.

Eine Ausnahme gab es offenbar nicht nur für die investigativen Reporter der „Autozeitung“, sondern für jeden BWM-Interessierten, der nicht bei 5 auf den Bäumen war, um dem 5er noch aus dem Weg zu gehen.

Umfahren wird neben walisischen Schafherden auch, dass es eigentlich wenig Neues zu schreiben und nahezu nichts zu sehen ist bei dieser „exklusiven“, „geheimen“ Gelegenheit. Denn nicht nur das äußere Chassis, sondern auch das Innenleben ist bei der Probefahrt noch zugedeckt. AutoBILD löst auch dieses Problem prosaisch:

„Viel interessanter sind eh die inneren Werte. Zwar ist noch alles abgedeckt – was aber zu erkennen ist: Das Layout, die weichen Kunststoffe, der riesige Touchscreen und die optionale Gestensteuerung erinnern an den größeren 7er.“

Das wäre doch mal einen Sprachpreis für die gelungenste paradoxe Formulierung wert: „Viel interessanter sind eh die inneren Werte. Zwar ist noch alles abgedeckt …“. Benjamin Bessinger von RP Online hat regelrecht Feuer gefangen für das Gefährt — oder für die schicke Pressereise, zu der er auch beim nächsten Mal wieder eingeladen werden möchte:

„Der neue Fünfer fühlt sich auf den engen Straßen tatsächlich engagierter an als seine Konkurrenten und schürt ein Feuer im Fahrer, als wäre er ein verkappter Sportwagen, den man nur widerwillig in das Gewand einer Limousine gesteckt hat“.

Auch Thomas Geiger von der Tageszeitung Die Welt möchte gerne beim nächsten Mal wieder eingeladen werden und übernimmt entsprechend hörig die PR-Formulierungen aus dem Marketing-Booklet für Journalismus-Autisten:

„Auf den rauen, welligen Pisten in regnerischen Hügellandschaften perfektionieren sie [die BMW-Ingenieure] zwischen Schafsweiden und Moorwiesen eine Tugend, die in Zeiten der Digitalisierung fast ein bisschen in Vergessenheit geraten ist, obwohl BMW sie wie einen Nachnamen sogar im Firmenschriftzug führt: die Freude am Fahren“.

Was die meisten dieser ach so exklusiven Geschichten nicht sagen, ist, dass es über das neue Auto von BMW gar nicht so viel zu sagen gibt, weil es sich vom Vorgänger der gleichen Baureihe kaum unterscheidet. Auto Motor und Sport spricht es im Nebensatz aus, wenn das Blatt feststellt, dass der neue 5er nur „behutsam verändert“ worden ist. Das Resümee von Stefan Miete von der „Autozeitung“ (H.20/2016) wird schon etwas deutlicher, wenn er notiert, dass eine „Designrevolution“ ausgeblieben sei. Immerhin liefert er auch eine Begründung, warum es eigentlich nichts Neues zu erzählen gibt:

„Kunden der Oberklasse schätzen Kontinuität“.

Shakespeare würde an dieser Stelle sagen: Viel Lärm um Nichts.

 

Welt.de: Sternstunden des Online-Journalismus


18 Sep
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Foto: Pixabay (PD)

„Forscher diskutieren: Wird der Buchstabe V etwa abgeschafft?“ So ist es auf welt.de zu lesen. Das ist natürlich ein dicker Hund, da liest man natürlich sofort weiter. Nach dem 13. Schuljahr, der Sendung „Wetten, dass“ sowie der steuervergünstigten Lebensversicherung will man uns jetzt auch noch den Buchstaben „V“ wegnehmen?

Aber schon beim flüchtigen Lesen des Welt-Beitrags kommen einem leise Zweifel. Gibt es wirklich Forscher, die das „V“ abschaffen wollen? Und wer hat eigentlich die Verfügungsgewalt über unser Alphabet?

Ich nehme mal direkt die Pointe vorweg: Niemand will den Buchstaben „V“ abschaffen. Es gibt auch keine „Forscher“, die darüber „diskutieren würden. Das einzige, was es gibt, ist eine kleine Rubrik auf der Webseite der Gesellschaft für Deutsche Sprache e.V., in der Fragen zu sprachlichen Zweifelsfällen gestellt werden können. Und im jüngsten Posting dieser Rubrik wird die Frage gestellt:

Ein koreanischer Freund wollte wissen, was der Unterschied zwischen ‹V› und ‹F› sei. Nun frage ich mich, ob der Buchstabe ‹V› überhaupt eine Berechtigung in der deutschen Sprache hat. Oder gibt es Fälle, in denen er weder durch ein ‹W› noch durch ein ‹F› ersetzt werden kann?

Hierauf gibt tatsächlich ein Mitarbeiter der Gesellschaft für Deutsche Sprache die durchaus richtige Antwort, dass in allen Fällen im Deutschen lautlich der Buchstabe „V“ entweder durch „W“ oder „F“ ersetzt werden könnte. Aber weder lässt sich daraus eine „Diskussion“ ableiten, noch fordert irgendjemand ernsthaft, einen Buchstaben „abzuschaffen“.

Der Autor der Welt-Zeilen schreibt denn auch einfach fleißig dieses Posting der Gesellschaft für Deutsche Sprache e.V. ab. Dort wo er, vermutlich aufgrund nachlässigen Googlens, doch noch etwas selbst hinzufügt, ist es prompt falsch. Zum Beispiel diese Behauptung hier:

Das klassische Latein unterscheidet die Laute U und V nicht.

Das ist schon rechter Schmarrn, denn natürlich unterscheidet der Lateiner von Alters her den „ursus“ (lat. der Bär) von der „victoria“ (lat. der Sieg). Dass in Stein gemeißelt das „U“ bei den Römern häufig wie ein „V“ aussah, hat tatsächlich keine lautlichen Gründe, sondern Meißel-Gründe.

Übrig bleibt, dass Clickbate-Geschichten nicht einmal vor der deutschen Sprache und der dazugehörigen Gesellschaft halt machen. Obwohl hier eigentlich noch nicht mal von einer Geschichte gesprochen werden kann. Es ereignete sich auf der Welt-Webseite, um mal sehr frei mit Robert Gernhard, bewegtes Nichts, und dann kehrte wieder Ruhe ein.

 

Kölner Stadtanzeiger: Trennung von Bericht und Kommentar nicht so wichtig


23 Jul

Die Trennung von Bericht und Kommentar im Journalismus ist in Deutschland erst jüngeren Datums. Schon lange vor der NS-Zeit war Presse hierzulande Meinungspresse, häufig sogar Parteipresse. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sich in (West-)Deutschland dem anglo-amerikanischen Stil der objektiverenden Berichterstattung mit klarer Trennung von berichtenden Darstellungsformen und solchen eher meinungsbildenden (oder: -formulierenden) Typs angepasst. Jedenfalls auf dem Papier. Oder noch nicht mal da?

Jedenfalls ist diese Trennung im Alltag schwer aufrechtzuerhalten. Was ist eine Wertung? Was ist eine Meinung? Und was ist keine? Hinter jeder Vokabel kann eine Wertung stecken, jedes Adjektiv ist die auch subjektive Beimessung von Eigenschaften, die jemand anders eben, naja, anders sehen könnte.

Auch der Kölner Stadtanzeiger gibt vor, Kommentar und Bericht zu trennen. So gibt es eine eigene Seite im ersten Buch, meistens die Seite 4, die explizit „Meinung“ überschrieben ist. Und auch im Sportteil, etwa in der gestrigen Ausgabe, gab es einen Text, der mit „Kommentar“ gekennzeichnet war: Es war eine Stellungnahme von Sportredakteur Frank Nägele zum Wechsel des Fußballers Mario Götze zu Borussia Dortmund. Auf der gleichen Seite des Sportteils gab es aber auch einen Beitrag über die Bezahlung von TV-Experten bei Fußballübertragungen von Cristiane Mitatselis unter der Überschrift „Neues aus der Welt der überbezahlten Experten“.

Als Kommentar ist dieser Beitrag nicht gekennzeichnet. Es soll sich also wohl um einen sachlichen, „objektiven“ Bericht handeln. Schon diese Überschrift macht jedoch stutzig, weil das Adjektiv „überbezahlt“ natürlich eine ziemlich starke Wertung enthält. Und dann findet man im vorletzten Absatz eine ganze Reihe Fragen:

Fußball ist der Sport, den alle sehen wollen. Aber müssen auch die Kosten rundherum so hoch sein? Müssen die Sender Stars um jeden Preis einkaufen? Müssen sie den Gehalts-Irrsinn, der den Profi-Fußball beherrscht, in den TV-Bereich übertragen? Sollten sie nicht vielmehr nachvollziehbare Honorar-Sätze festlegen – und im Zweifelfall auf teure Stars verzichten?

Der Fragesatz ist in journalistischen Texten besonders intrikat: Wer etwas zu berichten hat, der spricht in Aussagesätzen, nicht in Fragesätzen. Was also machen Fragen, außerhalb von Interviews, überhaupt in journalistischen Texten? Haben sie dort etwas zu suchen? Sollte jemand fragen stellen, der nur Tatsachen konstatieren möchte?

Nein. Wer Fragen stellt der wertet, er stellt nämlich etwas in Frage. Die journalistische Frage ist darum ein versteckter Kommentar. Nicht nur implizit, sondern explizit macht die Autorin dann so meinungsschwanger weiter:

Für ARD und ZDF müsste Transparenz verpflichtend sein. Sie sollten erläutern, welche Personalpolitik sie verfolgen. Das beleidigte Schweigen der Sender kann nicht die Antwort sein. So wird es neue Enthüllungen geben, neue schockierende Honorar-Zahlen. Und immer mehr zu recht empörte Zuschauer.

„Müssen“, „sollen“, „schockierend“, „empört“: Die Sachebene neutraler Berichterstattung ist hier längst verlassen. Hier werden nicht Tatsachen dargestellt, sondern Handlungsmaximen formuliert, Empfehlungen gegeben, Normen aufgestellt. Das ist prinzipiell nicht ungehörig, sollte dann aber eben doch als Meinungsbeitrag kenntlich gemacht werden: Das wäre fair dem Leser und der Leserin gegenüber. Geschmäckle bekommt ein solch tendenziöser Beitrag dadurch, dass Zeitungsverlage gegenüber Fernsehsendern ja keine neutralen Beobachter sind, sondern sich häufig als Konkurrenten oder gar Gegner verstehen — Stichwort Tagesschau-App, Verleger-Fernsehen, Lokalberichterstattung etc.

Zeitungen dürfen und sollen Fernsehsender kritisieren, öffentlich-rechtliche zumal. Aber sie sollten ihre Kritik dann auch als solche kenntlich machen. Sonst geht der (Tor-)Schuss nach hinten los.

Postscript: Das an dieser Stelle verwendete Foto von Günter Netzer und Gerhard Delling vor einer ARD-Wand habe ich zwischenzeitlich entfernt. Die „dpa-Picture Alliance“ fand es angemessen, Rechte an diesem Bild zu reklamieren und mich deswegen abzumahnen. Schade, dass die Deutsche Presse-Agentur (dpa) auf diese Weise mit Bloggern umgehen muss, die nicht-kommerzielle Seiten führen, um dem Journalismus qualitativ ein bisschen auf die Sprünge zu helfen.

2. Kölner Forum für Journalismuskritik


21 Jun

Am 10.Juni 2016 veranstaltete die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V. zusammen mit dem Deutschlandfunk das 2. Kölner Forum für Journalismuskritik. Hier ein paar Videoimpressionen von dieser Veranstaltung:

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter