Archive for the ‘Zeitung’ Category

Wie Zeitungen die Konjunktur hochschreiben


16 Sep

Hipp hipp hurra: Alles ist wieder gut! Waren die deutschen Zeitungen das komplette vergangene Jahr im Hauptsacheverfahren damit beschäftigt, eine Wirtschaftskrise herbeizuzitieren, zu verstärken und mit „Krisen-Tickern“ und Horrorszenarien nach Möglichkeit zu verschärfen, so hat nun irgendein Schriftleiter das Kommando zum Zurückrudern gegeben. Vielleicht war es ja der Schriftleiter des Kölner Stadtanzeigers, denn dort ist heute unter der Überschrift „Konjunktur zieht wieder an“ zu lesen:

Die Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI hat seine Konjunkturprognose für das laufende Jahr angehoben. Statt mit einem Minus von 6,4 Prozent rechnen die Forscher nur noch mit einem Minus von 5 Prozent.

Allerdings: Von einer „Besserung“ kann hier wohl nicht die Rede sein.Dass ein Minus von 5 % „besser“ ist als ein solches von 6 %, ist eine Rechnung, die selbst Milchbuben und -mädchen zur Ehre gereichen würde, allein ein Minus bleibt ein Minus und die wirtschaftliche Kennziffer wird darob im laufenden Jahr nach wie vor „schlechter“, und zwar drastisch. Alles andere sind Mätzchen. Das hat auch der kluge Analytiker von Telepolis konstatiert, wo er schrieb:

Man nehme: Statistische Tricks, eine fantasievolle Bilanzführung, schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme und Billionen zur Generierung einer erneuten Spekulationsblase – und schon ist die Weltwirtschaftskrise scheinbar überwunden.

Medien wollen die „Rettung“ oder die „Krise“, nur eines wollen sie nicht: ein ausgewogenes und differenziertes Bild. Mag sein, dass die Konjunktur irgendwann wieder anzieht. Vorerst möge sie sich warm anziehen.

Telepolis: Hurra, der Pseudo-Aufschwung ist da

Konjunktur zieht wieder an – Kölner Stadt-Anzeiger

Zeitung und Sprache


14 Sep

Muss man eigentlich „gutes Deutsch“ können, um bei einer Zeitung sagen wir wie dem Kölner Stadtanzeiger arbeiten zu dürfen? Nein, selbstredend nicht. Im Fall des Kölner Stadtanzeigers muss man sogar gar kein Deutsch können. Sprache funktioniert bei diesem Blatt einfach anders, vor allem wenn es um Frauen geht:

„Naja, sagen wir so: Frauenfußball ist ein normaler Sport (…) , aber ohne keine emotionale Tiefe“.

Kölner Stadt-Anzeiger ist schneller dran


21 Aug

Heute im Kölner Stadtanzeiger wird über den Auftritt des Bundesfinanzministers Steinbrück vor einem Untersuchungsausschuss raisoniert:

“Die Opposition sucht nach Anhaltspunkten, die beweisen sollen, dass im Fall der HRE-Schieflage (…) die Alarmglocken im Finanzministerium doch schon frühzeitiger hätten läuten müssen …”

“Frühzeitiger”? So früh ist nur der Kölner Stadtanzeiger dran. Alle anderen kennen so ein Wort gar nicht.

Schlagzeilen – Nachrichten – Kölner Stadt-Anzeiger

Gewichtsverlust beim Kölner Stadtanzeiger


12 Aug

Eine Zeitung von Gewicht würde sicherlich anders schreiben. Eine Zeitung wie der Kölner Stadtanzeiger titelt in seinem „Magazin“:

Tägliches Wiegen bringt nichts

um dann nur wenige Zeilen darunter in einer Unterüberschrift festzustellen:

Tägliches Wiegen hilft

Da sage noch einer, der Stadtanzeiger habe nichts von Gewicht mitzuteilen!

TAZ stellt berichterstattung ein


07 Aug

 taz logo_klein Man kann natürlich als Medium seine medienkritische Haltung auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass man die Berichterstattung einfach einstellt. So geschieht es gerade bei der TAZ, die mit viel Tamtam (wiewohl sie doch eigentlich das Revier von TomTom ist …) der Berichterstattung über die Leichtathletik-WM in Berlin eine Absage erteilt hat.

Hintergrund sind die Akkreditierungsmodalitäten für Sportjournalisten:

Um über die WM vom 15. bis 23. August 2009 im Berliner Olympiastadion berichten zu dürfen, müssen sich Journalisten umfassend von den Sicherheitsbehörden durchleuchten lassen. Unterschreiben sie die „Einverständniserklärung zur Zuverlässigkeitsprüfung“, dann werden sie von Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst überprüft. Die Behörden benutzen dafür die bundesweite Staatsschutzdatei Inpol, die Datei „Gewalttäter Sport“ und andere Datensammlungen. „Das ist ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit“, schrieb taz-Chefredakteurin Ines Pohl in der Donnerstagsausgabe der taz. Die Sportredakteure unterschrieben diese Einverständniserklärung nicht oder strichen Passagen darin durch. Daraufhin wurde ihnen die Akkreditierung für das Sportereignis verweigert.

Leichtathletik-WM und die Journalisten: Unterschrift mit Unbehagen – taz.de

Ernährungs-Bolschewismus


04 Aug

Ach, wenn man doch Wörter essen könnte: ich nähme dann ein halbes Hänchen, und zwar von jenem Han, der hinter jedem hanebüchenen Unsinn steckt. Einen solchen hat in der aktuellen Ausgabe die Wochenzeitung Die Zeit verzapft. Es gibt, nach dem Fall der Mauer, dem Tod von Jacques Derrida und dem Ende von Dallas ja praktisch keine Ideologien mehr, deren Verfechtung oder Bestreitung der Rede wert wären. Einzig der Ernährungs-Bolschewismus ist übrig geblieben, der in einer vorgeblich „gesunden Ernährung“ die letztliche Befreiung der Arbeiter- und Verbraucherschaft wähnt, mit starkem Geschütz auf die natürlichen Feinde als da wären gesättigte Fettsäuren, rechtsdrehende Joghurts und Weißmehl jeden Typs feuert und mit Kritik und Selbstkritik auf jeden Rückfall in alte Ernährungsgewohnheiten wie etwa Sattwerden und Genießen reagiert. Was nicht schmeckt, ist gesund, und diese Apothekerweisheit muss auch in der Vollwertküche der Ernährungsbolschewisten gelten. So auch in der Zeit, deren Beitrag zum Ernährungskampf bezeichnenderweise mit „Süße Bomben“ überschrieben ist und die sich mit dem Zuckeranteil in verschiedenen Lebensmitteln auseinandersetzt. Siehe da, Cola hat also einen hohen Zuckeranteil, Kakao, Gummibärchen und Waffelschnitten desgleichen. Wen diese Erkenntnisse überraschen, der darf wenigstens sich glücklich schätzen, das Zeitalter der Ideologien hinter sich gelassen zu haben. Denn Ideologien zeichnet es aus, das stets Altbekannte, die eigenen Glaubensgewissheiten immer wieder herzubeten. Und passt etwas nicht ins Bild, wird es hineingestutzt. Diesesmal das „Milchbrötchen“.

Zeitgrafik

Es enthält nämlich, oh Schreck, praktisch keinen Zucker, jedenfalls viel weniger als z.B. ein Apfel. Da das nicht ins Bild passt, schiebt man den Satz hinterher:

Kein Brotersatz, meist relativ nährstoffarmes Weißmehl

Nährstoffarmes Weißmehl? Man kann von Weißmehl allerhand behaupten, u.a. dass es das gar nicht gibt, weil es ein nur von Ernährungsbolschewiken benutzter Kampfbegriff als Gegensatz zu „Vollkornmehl“ ist (Mehl wird in Deutschland in verschiedenen Typenklassen definiert, und weiß ist im übrigen auch Vollkornweizenmehl, außer es wird Farbstoff oder karamelisierter Zucker hinzugefügt, was in Vollkornbäckereien gerne geschieht) — jedenfalls eines kann man sicher nicht behaupten: Es sei nährstoffarm. Im Gegenteil ist Mehl geradezu die Definition von Nährstoff. 30 Prozent des gesamten Protein-Bedarfs und sogar 64 Prozent des Kohlehydratbedarfs der Bevölkerung wird damit gedeckt. Es enthält übrigens auch deutlich mehr Ballaststoffe als etwa ein Apfel. Anders wären auch die 134 kcal, die auch die Zeit dem Milchbrötchen konzediert, gar nicht zu erreichen. So kommt es auch, dass Kuchen eines der besten Lebensmittel ist, die wir überhaupt herstellen können. Denn in Kuchen kommen nicht nur nach einem alten Kinderlied Eier, Zucker, Butter und Mehl und damit die Hauptbestandteile von dem, was wir überhaupt Ernährung und damit Nährwert nennen: Proteine, Kohlehydrate und Fett. Wie sagte der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, Autor des „Lexikons der populären Ernährungsirrtümer“: „Essen soll satt machen und nicht gesund“. Mögen andere also weiterhin ihrem Klassenmampf fröhnen, ich beiße herzhaft in mein Milchbrötchen. Ach ja, und dazu ein halbes Hänchen.

Wissen in Bildern | Wissen | ZEIT ONLINE

Chefkoch.de: Weißmehl ungesund?

Wochenendschicht beim Stadtanzeiger


03 Aug

Wer am Wochenende arbeiten muss, ist schlecht gelaunt, unwillig oder bei den Kollegen so unbeliebt, dass man ihn während der Woche einfach nicht ertragen kann. So sieht dann auch die Montagsausgabe des Kölner Stadtanzeigers aus. Dabei antwortete schon Karl Kraus auf den Einwand, es handle sich doch bloß um Tippfehler, sinngemäß, wer schludrig im Schreiben sei, der sei auch schludrig im Denken. So ist beispielsweise zu lesen:

Zusatzeinkünften können aber auch Durchschnittsrentner steuerpflichtig werden.

Man sollte Rentner besser behandeln. Dann könnte man auch die richtigen Leute in Rente schicken.

Immermehrismus stirbt aus


30 Jul

Immer mehr Frauen bleiben kinderlos, ist im Onlineauftritt der Zeit zu lesen. Das lässt einen ja hoffnungsfroh werden, dass der Immermehrismus mit seinen Benutzern irgendwann zur Gänze ausstirbt. Denn wenn immer mehr immer weniger Kinder kriegen, dann bleibt auch für den letzten Blödsinn keiner, der ihn mehr machen kann. Immerhin.

Familien: Immer mehr Frauen in Deutschland kinderlos | ZEIT ONLINE

TV14: Werben ohne Werbung


21 Jul

logo_301x155 tv14  Nah am Verbraucher, das heißt für viele Medienunternehmen, nah an den Geldbörsen jener zu sein, die man selbst schon zur Kasse gebeten hat. Der Medienverbraucher ist ein von Medien Verbrauchter, wie ein gewisser Buchautor mal geschrieben hat. Im Falle der Fernsehprogrammzeitschrift TV14 aus dem Hamburger Bauer-Verlag (“Bravo”, “Neue Revue”) ist der Hang zur Geldbörse schon fast klinisch. In der Ausgabe 15/2009 werden Technik-Tipps und Kaufempfehlungen gegeben (Handys, Laptops etc.), garniert mit den Bewertungen von der unabhängigen Stiftung Warentest. Doch schon in der Vorwoche (Heft 14/2009) wurde den Lesern als Kunden gesagt, wo sie die Produkte kaufen sollten. Dort erschien nämlich ein mit keinem Deut als Werbung gekennzeichneter Artikel über die expert AG, eine Vereinigung von Elektrohändlern. O-Ton:

Sie alle vereint Topberatung, perfekter Service (TV-Geräte werden geliefert, angeschlossen und feinjustiert)sowie absolut günstige Preise.

Vielleicht sollte die Bauer Media Group ihre Einstellung zur journalistischen Ethik mal feinjustieren.

TV14.de – Startseite

Intimrasur messerscharf bei der Zeit teil 2


19 Jul

Alte Soße in der Hose: Da hat die Zeit mal ein Thema, das im Biederbereich hanseatischer Verkorkstheit wohl als provokant gelten soll, da löst es sich auch schon wieder in Luft auf: Statistisch ist die in der Zeit kolportierte Zahl, nach der fast 70 Prozent der Männer intimrasiert seien, nicht haltbar.

Selbst der Leipziger Psychologe Brähler wartete noch im vergangenen November mit Zahlen auf, die um einiges spektakulärer geraten waren als sein jetziges Ergebnis. Damals hieß es, unter Studenten enthaarten sich bereits 88 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer die Intimzone. Die Nachricht geht seither durch die Medien. Freilich wurden damals nur rund 300 Studenten an der Uni-Klinik befragt. Die neue Umfrage dagegen lieferte erstmals repräsentative Resultate von 2512 Testpersonen – und prompt sank bei den jungen Männern die Intimrasur-Quote von knapp 70 auf etwas über 20 Prozent. Wie kann das sein? "Das wissen wir nicht", sagt achselzuckend Brähler, ein vielbeschäftigter Mann, der gerade, wie er sagt, "23 Forschungsprojekte zugleich" laufen hat. Gleichwohl bleiben die alten Zahlen in der Welt.

Man fragt sich: Was ist mit den Männern an der Uniklinik Leipzig los? Finanziert werden solche Studien laut Spiegel Online von Firmen wie Gillette, Philips oder Wilkinson, allesamt messerscharfe Rasiererhersteller, die mit der nackten Scham so viel verdienen, dass sie sich nicht groß schämen werden.

Körperkultur – Spiegel Online

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter