Die Sache mit dem Wahlversprechen

04 Nov

Zeitungsjournalisten behaupten gerne und recherchieren ungerne. Interessant ist für den Kritiker darum oftmals gar nicht so sehr, was die Zeitungen schreiben, sondern was sie alles nicht schreiben. Ein Beispiel dafür ist die politische Berichterstattung über die Wirren der hessischen Landespolitik. Durchforstet man den Blätterwald, so hat man fast den Eindruck, als ginge es hier um ein Wahlversprechen, das die SPD-Kandidatin Frau Ypsilanti gegeben habe.

„Am Anfang stand das gebrochene Wahlversprechen, mit der Linken nicht zusammenzuarbeiten …“ Heidenheimer Zeitung
„Die Tatsache, dass ein Wahlversprechen gebrochen worden wäre, wenn sich Ypsilanti hätte mit den Stimmen der Linken wählen lassen …“ Gießener Allgmeine
„… haben ihre Chefin Andrea Ypsilanti genauso hinter die Fichte geführt, wie diese es mit ihren Wahlversprechen gegenüber den Bürgern Hessens tat …“ Focus

Dass allerdings das Einhalten von Wahlversprechen im allgemeinen und bei der SPD im besonderen keine Qualität ist, die bei Regierungsbildungen eine herausragende Rolle spielt, wird nicht erwähnt. Dabei müsste man so weit ja gar nicht in die Vergangenheit blicken. Vor der letzten Bundestagswahl haben die SPD und die damals schon von ihr geführten Ministerien gegen die geplante Mehrwertsteuererhöhung der CDU vehement gewettert:

„Finanz- und Wirtschaftsministerium in Berlin haben massiv die von CDU und CSU geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer kritisiert. Jeder zweite Haushalt werde darunter leiden, heißt es in einer Vorlage des Finanzministeriums.“ (Süddeutsche Zeitung vom 16.07.2005)
„Eine Anhebung der Mehrwertsteuer würde angesichts der derzeit schwachen Binnennachfrage in die falsche Richtung weisen und die sich abzeichnende wirtschaftliche Erholung gefährden“ (Wahlmanifest der SPD)

Das Ende vom Lied ist vielleicht noch bekannt: Statt der von der CDU gewünschten Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 18 % einigten sich CDU und SPD auf eine 19-%ige Mehrwertsteuer. Daran erinnert werden möchte die SPD heute nicht mehr. Und die Journalisten der deutschen Medien tun es auch nicht.

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter