Soll man nun eine Lanze für ZDF-Moderator Markus Lanz brechen? „Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr“ fordert eine Online-Petition, über die schon allerhand im Internet und in der Presse zu lesen war. Um was geht es: Markus Lanz hat in der nach ihm benannten Sendung die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht zu Gast und sich ihr in offenbar unbotmäßiger Form verbal genähert. Nun müsste doch eigentlich der sonst für seinen ranschmeisserischen und völlig unkritischen Moderationsstil bekannte Lanz belobigt werden (und das hatte er vermutlich auch im Sinn), aber das Gegenteil ist der Fall: Über 200.000 Unterzeichner fordern offen den Rausschmiss des vom Kompromiss- zum Kommiss-Moderator gewandelten Lanz. Ist zu dieser Affäre schon alles gesagt? Ja, aber nicht von mir. Denn neben dem konkreten Anlass verweist die Diskussion auf drei wichtige Ebenen, auf denen die Mediengesellschaft gerade in einem massiven Transformationsprozess steht: Das betrifft erstens die Rolle des Journalisten, zweitens das Internet als Forum der “Mitmach-Demokratie” und drittens die Frage, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit noch zu tun hat.
Die Rolle der Journalisten
Dass zwei Journalisten (nämlich neben Markus Lanz auch der miteingeladene Stern-Redakteur Hans-Ulrich Jörges) hier ihre Rolle verlassen, deutlich politisch Partei nehmen und Stellung beziehen und mit offen insinuativen Fragen und Stellungnahmen versuchen, eine Frau, deren gutes Aussehen selbstredend in der gleichen Sendung auch thematisiert wurde, in die Ecke zu drängen, ist der eine bemerkenswerte Umstand. Hier muss einem Sahra Wagenknecht, die Berufspolitikerin ist und damit Gegenfeuer von der anderen Seite gewohnt sein müsste, weder leidtun, noch muss nun eine mediale Schutzzone um sie gezogen werden. Immerhin durfte der Zuschauer dank der schein-investigativen Fragerei des Moderators Lanz erfahren, was so eine Abgeordnete wie Sahra Wagenknecht verdient – die genannte Summe sollte als Schmerzensgeld ausreichen. Rhetorisch und professionell war die Strategie von Lanz und seinem Adlatus Jörges (oder war es umgekehrt?) allerdings unklug und hat entsprechend schlecht funktioniert: Der Eindruck, dass hier zwei Männer sich gegen eine Frau verbünden, erweckt wahrscheinlich den gegenteiligen Eindruck von dem, was die ZDF-Redakteure bei dieser Planung gedacht haben. Ein ähnlicher Fehler passierte dem ZDF bereits bei der Kerner-Sendung, in der die Ex-Tagesschau-Frau Eva Herrmann vorgeführt werden sollte: Das “Alle-gegen-Eine”-Syndrom weckt automatisch Solidarisierungseffekte. Diese Solidarisierung erfolgt im Medienzeitalter nach der Erregung-2.0-Manier in Form von Onlinepetitionen: Wem Sahra Wagenknecht nach der Lanz-Sendung schon leidtat, dem müssen angesichts solcher Solidarisierungskampagnen die Tränen kommen – wer solche Online-Freunde hat, braucht keine Feinde!
Im übrigen muss die sonst jede mediale Aufmerksamkeit heischende Politikerkaste auch allgemein nicht bemitleidet werden, wenn es mal nicht so läuft, wie sie es braucht und von Jauch, Maischberger, Will & Co. ja auch oft genug gefällig besorgt bekommt. Etwas anderes ist da bemerkenswerter, nämlich dass ganz offensichtlich Markus Lanz gar nicht interessiert an Antworten auf seine Fragen war. Und dass er die Euro-Kritik, die Sahra Wagenknecht formulierte, nur mit ziemlich billiger Münze kontern konnte und darum den Beifall seines (!) Publikums für Wagenknecht’sche Aussagen nur sehr gequält kommentieren wollte. Wie schon in einigen anderen Fällen der Vergangenheit (erinnert sei an das misslungene Interview von ZDF-Marietta Slomka mit SPD-Chef Sigmar Gabriel oder eben, wie schon zitiert, einst den gespielten Rauswurf der Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Herman aus der ZDF-Talkshow von Johannes “B.” Kerner) gewinnt man den Eindruck, dass das Fernsehen selbst im “Tal der Ahnungslosen” steckengeblieben ist, und mit der Wochenzeitung Die Zeit möchte man fragen: Wer hat sich mehr blamiert? Dass Journalisten die Rollen wechseln und nicht mehr ergebnisoffene Fragen stellen, sondern stattdessen ihre eigenen Statements bestätigen wollen, kann wiederum zwei Gründe haben: Dass sie gar keine Journalisten sind (den Eindruck erweckt vor allem Markus Lanz) oder den Journalismus instrumentalisieren wollen (den Eindruck hat Hans-Ulrich Jörges erweckt). Aber wie in den vorgenannten Fällen der deutschen TV-Historie gewinnt der Zuschauer auch im aktuellen Fall das Gefühl, dass die Journalisten zwar ihre angestammte Rolle verlassen, ohne aber passend in eine neue gefunden zu haben. Und das ist es, was den Zuschauer so quält bei diesen öffentlichen Vorführungen.
Der Journalist als “Gatekeeper”, also als Schleusenwärter, konnte den Informationsfluss noch so kanalisieren, dass eine öffentliche Meinung sich aus dem Hin und Her der unterschiedlichen Informationsströme herausmendeln konnte. Heute steht der Journalist nicht mehr als Kanalisator über der Schleuse, sondern als Beobachter neben dem Wehr und damit neben sich: Das kann, wie im Lanz’schen und Jörges’schen Fall dazu führen, dass man die Meinungsbildung nicht mehr dem Publikum überlassen, sondern selbst in die Hand nehmen will. Aber mal ganz ehrlich: Wen interessiert die politische Meinung von Markus Lanz? Zumal wenn sie sich, wie in der aktuellen Sendung, aus dem speist, was Lanz oder dessen Redaktion für die herrschende Mehrheitsmeinung halten (was schon der Applaus seines Publikums eindrucksvoll widerlegt hat)?
Vielleicht ist diese Analyse aber auch schon viel zu intellektuell und die Wahrheit ist viel simpler: Dass Fernsehleute gewohnt sind, gesagt zu bekommen, was sie hören möchten. Dann müssen sie die Antwort nämlich nicht abwarten. Und genau das hat Markus Lanz getan: Fragen stellen und keine Antworten hören wollen. Doch die Lehre, die daraus gezogen werden kann, ist nur die eine schmalbrüstige: dass es eben manchmal schwer ist, miteinander ins Gespräch zu kommen. Warum dann allerdings ausgerechnet eine Gesprächs-Sendung machen?
Das Internet als Medium der “Mitmach-Demokratie”?
Sind Online-Petitionen der Ausdruck des freien Volkswillens? Ja und nein. Ja, denn tatsächlich lassen sich heute übers Internet Stimmungen und Einstellungen in einer Weise abfragen, wie es vor einigen Jahren oder Jahrzehnten noch undenkbar war. Was Zeitungen und audiovisuellen Medien schon zu Beginn der Nuller Jahre widerfahren ist, geschieht jetzt offenbar auch den Meinungsforschungsinstituten: Früher hatten sie das Monopol auf die Erhebung der Vox Popoli und haben es gerne missbraucht. Heute kann buchstäblich jeder eine Umfrage aufsetzen, ob wissenschaftlich mit Unipark oder GoogleDocs, engagiert mit MoveOn.org (Motto: “Democrazy in Action”) oder campact.de (Motto: “Demokratie in Aktion”) oder demagogisch mit Onlinepetition.org. Das Stichwort heißt “Grassroot-Campaigning”. Aber wie aussagekräftig sind solche Umfragen? Die Grünen wollten für die Wahlen zum Europaparlament ihre europäischen SpitzenkandidatInnen per Onlineumfrage “voten” lassen. Nicht nur Grünen-Mitglieder, sondern alle WählerInnen waren aufgerufen teilzunehmen. Der Erfolg war mehr als bescheiden: Statt der erhofften 100.000 Teilnehmer am Voting haben sich nur 20.000 Interessierte beteiligt. Auch das vielgerühmte “Liquid Democracy”-Verfahren der Piratenpartei trägt nicht unbedingt zur innerparteilichen Demokratie bei: Nur jedes zehnte Parteimitglied hat schon einmal teilgenommen, die zugrundeliegende Software “Liquid Feedback” beschert der Protestpartei nicht nur technische, sondern auch inhaltliche Probleme. Auch andere Formen der Bürgerbeteiligung an der politischen Willensbildung leiden an mangelndem Zuspruch: Der Bonner “Bürgerdialog zum Haushalt”, der mit 12.000 TeilnehmerInnen rechnete, hatte am Ende gerade mal 1.740 interessierte BürgerInnen zu verzeichnen: und das in einer Stadt mit über 300.000 EinwohnerInnen. Die Gefahr, die einige hier heraufziehen sehen, ist die, dass eine neue Info-Elite das politische Geschick in die Hand nimmt: Technisch versiert genug, um all die verschiedenen Online-Platformen und Programme zu überblicken, und mit genug Freizeit ausgestattet, um viel Zeit vor dem Computermonitor zu verbringen. Das ist weder repräsentativ, noch demokratisch. Für alle anderen wird gelebte Demokratie zu einer lustigen Spielwiese, für die offenbar tatsächlich wiederum eher die medialen Realitäten von Deutschland sucht den Superstar oder BigBrother zum Vorbild taugen: Voting um des Votings willen. Dann doch lieber Sahra Wagenknecht.
Öffenlich-rechtliche Misere
Damit kommen wir zum dritten Punkt: Es ist vielleicht kein Zufall, dass der Zusammenprall gelebter Demokratie (Sahra Wagenknecht als gewählte Abgeordnete), Online-Demokratie (die Petitionsbefürworter) und Mediokratie (Lanz und Jörges) im öffentlich-rechtlichen Raum stattfand. Nirgends zeigen sich die Defizite des demokratischen Systems deutlicher als in jenem (Rechts-)Raum, der doch eigentlich zur Wahrung der Demokratie geschaffen worden war. Auch diese Medaille hat zwei Seiten: Die eine Seite ist die zunehmende Entfernung des (journalistischen) Programms aus der Politik, die andere Seite ist die Demokratieferne der Sendeanstalten selbst.
Was die Entfernung aus der Politik angeht, ist das ZDF und sein Moderator Lanz mehr als nur ein Symptom: Gerade das ZDF beweist verzweifelt und öffentlich, dass es eigentlich kein öffentlich-rechtlicher Sender mehr sein möchte. Wie sonst kann es sein, dass die programmprägenden Köpfe des Mainzer Senders fast ausnahmslos vom Privatfernsehen eingekauft wurden? Mit Johannes “B.” Kerner und seinem Nachfolger Markus Lanz hat das ZDF zwei Köpfe zu moderativen Allzweckwaffen gekürt, die beide nicht nur genuin dem Privatfernsehen entstammen, sondern dort in besonderer Weise für jene Programm-Entblödungen stehen, die etwas despektierlich als “Unterschichten-Fernsehen” bezeichnet werden: Kerner als Moderator einer Nachmittags-Talksendung und Lanz als Redaktionsleiter der Sendung “Explosiv”, die man instinktiv als Ausbund des niederen-Instinkt-Journalismus’ identifizieren wird. Die aktuellen Einkäufe des ZDF sind TV-Koch Christian Rach und Landwirtschaftsqueen Inka Bause, und damit zwei weitere Aushängeschilder privater Programmtorheiten. Wenn das ZDF damit beweisen will, wie wenig es programmlich in der Lage ist, eigene Akzente zu setzen und eigenen telegenen Nachwuchs zu rekrutieren, muss man diesen Versuch als gut gelungen bezeichnen. Aber der Gebührendiskussion (die nunmehr eine Rundfunkbeitrags-Diskussion ist) leistet man damit erheblichen Vorschub.
Das könnte natürlich mit der inneren Verfasstheit der öffentlich-rechtlichen Sender zusammenhängen. Hier ist ein Beitrag von Hans-Peter Siebenhaar im Handelsblatt-Blog interessant. Siebenhaar ist einer der profilierten Kritiker des öffentlich-rechtlichen Systems. Sein Blog-Beitrag ist deswegen so interessant, weil er zeigt, dass man sehr viel Falsches und Halbgares schreiben kann und doch die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Worauf Siebenhaar nämlich verweist, ist, dass die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Sender demokratisch nur unzureichend legitimiert sind und womöglich deswegen ihre Aufsichtspflichten nicht ausreichend wahrnehmen können. Die Zusammensetzung eines Rundfunksrats entspricht ungefähr einem Abbild der gesellschaftlichen Realität der 1950er Jahre: Damals war das soziale Leben davon geprägt, dass man Mitglied eines Sportvereins und einer Kirche war, außerdem in der Gewerkschaft und womöglich in einer Partei. Tarifparteien kungelten nicht nur aus, was in die Lohntüte kam, sondern auch, was in der Flimmerkiste läuft. Denn genau diese gesellschaftlichen Gruppen wurden in den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Sender repräsentiert. Das Problem ist nur: Sie repräsentieren nicht mehr die Gesellschaft. Die soziale Realität der heutigen Multi-Optionsgesellschaft hat sich von diesem Bild weit entfernt. Warum also nicht die Rundfunkräte in Zuschauerparlamente verwandeln und vom Zuschauer und Beitragzahler selbst wählen lassen? Das allein wird das Programm nicht besser machen, aber es wird ein bisschen Demokratie ins öffentlich-rechtliche System bringen. Vielleicht sollte mal jemand dazu eine Online-Petition starten …
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