Irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Übergriffe und Geschehnisse einer Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof gerade zur rechten Zeit passierten. Diejenigen, die ohnehin schon immer der Meinung waren, dass die arabischen Flüchtlinge, die vermehrt seit letztem Jahr nach Deutschland gekommen sind, frauenfeindliche und gesetzesbrecherische Subjekte seien, dürfen jetzt ihre Urteile und vor allem ihre Vorurteile bestätigt fühlen. Andere bilden diese Vorurteile jetzt vielleicht allmählich aus.
Was mich aber verwundert, ist das gewaltige Medienecho, dass die Ereignisse mit extremer Zeitverzögerung hervorrufen. Es scheint doch fast, nicht nur die Kölner Polizei und ihr mittlerweile beurlaubter Polizeipräsident Albers, sondern auch größere Teile der Medien seien auf den Hund gekommen. Schließlich ist die Informationslage nach wie vor spärlich: Offenbar waren in der Kölner Silvesternacht nicht nur keine (oder kaum) Polizisten in der Millionenstadt am Rhein unterwegs, sondern auch keine Journalisten — obwohl gefühlt doch jeder Zweite in dieser Stadt „irgendwas mit Medien“ macht.
Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) meinte sogar, sich entschuldigen zu müssen, weil sie „zu spät“ über das Geschehene berichtet haben:
Eigentümlich auch die Berichterstattung des Kölner Stadtanzeigers. Immerhin hat er (anders als das ZDF) schon in seiner Montagsausgabe berichtet, und dabei sogar bereits das Verhalten der Polizisten thematisiert. Doch der Aufmacher der folgenden Freitagsausgabe ließ mich doch die Stirn kratzen. „Herkunft von Verdächtigen in Köln vertuscht“ behauptet die Schlagzeile. In der Zeile darunter heißt es dann aber: „Interne Polizeimeldung wurde bewusst entschärft“. Aber ist denn „vertuschen“ dasselbe wie „entschärfen“?
Immerhin kann es ja gute Gründe geben, Meldungen zu entschärfen. Etwa um rechten Scharfmachern nicht noch mehr Zunder zu geben. Oder um bestimmte gesellschaftliche Konflikte nicht weiter eskalieren zu lassen. Oder womöglich schlicht, weil etwa die Herkunft von Straftätern schlicht irrelevant für die Straftat ist.
Bei sexuellen Belästigungen könnte es sich immerhin so verhalten. Bemüht man die Statistik (bspw. die des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), so haben über 58% aller Frauen in Deutschland bereits Situationen sexueller Belästigung erlebt. In den seltensten Fällen waren die Belästiger ausländischer Herkunft. Soll man denn nun Männer deutscher Herkunft, die Frauen sexuell belästigen, auch in sichere oder unsichere Drittstaaten abschieben? Das könnte zu einer erheblichen Dezimierung der männlichen Bevölkerung Deutschlands führen — und ich mutmaße, in den Reihen von Pegida, AFD & Art- sowie Parteigenossen, naja, auch.
Petra Sorge vom Magazin Cicero weist darauf hin, dass die schlechte Informationslage zu gewagten, vor allem aber zu Falschinterpretationen der Medien geführt hat:
Gegen 21 Uhr fielen nach Polizeiangaben etwa 400 Männer auf dem Bahnhofsvorplatz auf, weil sie stark alkoholisiert waren und mit Feuerwerkskörpern auf Passanten schossen. Die Gruppe wuchs bis 23 Uhr auf 1000 Personen an. In keiner der drei bislang veröffentlichten Pressemitteilungen ging die Polizei auf diese große Zahl ein; die Aussage fiel lediglich mündlich auf der Pressekonferenz.Dass diese Zahlen bislang nicht bestätigt sind, darauf wiesen nur wenige Medien hin. Vielerorts wurde die Aussage indes verkürzt. Bei Stern.de heißt es in einer Meldung: „Etwa 1000 Männer versammelten sich in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof. In Gruppen haben sie Frauen umzingelt, sexuell belästigt und ausgeraubt.“
Nein, es waren nicht alle Männer an allen Straftaten beteiligt, wie das diese Nachricht suggeriert, oder wie es die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten direkt behaupteten: „Etwa 1.000 Männer haben Frauen belästigt.“ Es sind gefährliche Falschmeldungen, die sich ins öffentliche Gedächtnis fräsen.
Aber gerade das enorme internationale Medienecho ist, so steht zu vermuten, auch durch diese scheinbar großen Zahlen aufgekommen. Etwas mediale Zurückhaltung hätte hier gut getan. Man kommt ja heutzutage so schnell auf den Hund.
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