Presseagentur schafft „illegale Migranten“ ab

10 Apr

Der angeblichen Objektivität oder Wertneutralität der Medien und des Journalismus steht oft schon ein diskriminierender Sprachgebrauch entgegen. Auch scheinbar sachliche Beschreibungen können Wertungen enthalten, die einen vorgeblich objektiven Beitrag in Wahrheit höchst subjektiv und wertend machen können und bei den LeserInnen ihrerseits Wertungen insinuieren. Die weltgrößte Nachrichtenagentur Associated Press wil nun einen dieser diskriminierenden Termini aus dem Sprachgebrauch tilgen, nämlich den Ausdruck „illegale Migranten“, wie Telepolis berichtet:

Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hat letzte Woche angekündigt, den Terminus „Illegaler Migrant“ nicht mehr zu benutzen. Vorgeschlagen wird stattdessen, mit dem Wort „illegal“ nur noch konkrete Handlungen zu beschreiben, etwa einen Grenzübertritt ohne Papiere. Die handelnde Person wäre dann ein „undokumentierter Migrant“. Die Entscheidung der Agentur wird im regelmäßig überarbeiteten „Stylebook“ veröffentlicht, in dem AP seine journalistischen Richtlinien festlegt. Das Buch erscheint sowohl im Internet als auch gedruckt.

Die Liste diskriminierender Ausdrücke ließe sich mit Sicherheit verlängern. Aber der Schritt der Agentur geht mit Sicherheit in die richtige Richtung.

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Fiktive Shitstormagentur leimt Süddeutsche

08 Apr

Die Süddeutsche Zeitung ist auf eine fiktive Shitstormagentur hereingefallen. Im Feuilleton der Freitagsausgabe wurde ein Oliver Bienkowski interviewt, der vorgeblich eine Agentur betreibe, bei der sich sogenannte Shitstorms in Auftrag geben ließen. Shitstorms heißen die neuartigen Empörungswellen im Internet, bei denen Schauspielerinnen, Politiker und PiratenfunktionärInnen massenhaft mit Mails und Postings oft beleidigenden Inhalts überzogen werden.

Das Problem: Herr Bienkowski, der sogar auf der Titelseite der SZ angekündigt worden war, ist alles andere als professioneller Shitstorm-Vermittler. In einer ausführlichen Berichtigung erklärt Vize-Feuilletonchef Adrian Kreye, hereingefallen zu sein:

Das Projekt gibt es nicht, auch wenn Bienkowski das auf Nachfrage mehrmals behauptete. Auf der Caveman-Webseite wurde nun enthüllt, dass es sich um eine Medienmanipulation handelte, um auf das Schicksal von Obdachlosen aufmerksam zu machen.

Bei gekauften Facebook-Likes ist das Phänomen allerdings bekannt. Tatsächlich werden dabei arbeitslose Menschen vor allem in Osteuropa verdungen, um Marken- und Politikerprofile in der neuen Währung der „gefällt mir“-Klicks in dem sozialen Netzwerk aufzuwerten. Die Tageszeitung „Die Welt“ findet nicht so sehr die Satire, als den Umgang der SZ damit in nachhinein für problematisch:

Eine „Guerilla-Marketingorganisation“ macht auf einer halben Zeitungsseite mit einem erfundenen Geschäftsmodell auf sich aufmerksam, um anschließend die leere Behauptung aufzustellen, sie verfolge einen guten Zweck, was ihr die spürbar erleichterte Zeitung ebenso willenlos abkauft wie das Geschäftsmodell: Wenn ein Shitstorm die Kunst ist, alles noch schlimmer zu machen, indem man darüber redet, dann sind wir hier leider in einen solchen hineingeraten.

Vielleicht wäre hier mal ein, naja: Shitstorm fällig.

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Newsjacking: Wie Journalismus und Werbung verschmelzen

06 Apr

Beim Superbowl, dem Endspiel der US-amerikanischen Football-Profiliga, kam es in diesem Jahr zu einem Zwischenfall in Gestalt völliger Dunkelheit: ein halbstündiger Stromausfall. Ein beliebter amerikanischer Kekshersteller wusste das unerwartete Ereignis zu Werbezwecken zu nutzen. Mitarbeiter der Werbeagentur saßen im Stadion und posteten über den Kurznachrichtendienst Twitter kurze werbliche Botschaften, die direkt Bezug auf das aktuelle Ereignis, also den Stromausfall, nahmen.

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Kaum in die Welt gesetzt, wurde der Tweet schon 14.555 mal geteilt. Bemerkenswert ist das auch deswegen, weil die Werbezeiten im Rahmen der Superbowl-TV-Übetragungen die teuersten der Welt sind. Sofort haben die Marketingexperten auch einen Fachterminus für diese neue Spielart der Schleichwerbung gefunden: Newsjacking, also das Kapern aktueller Nachrichteninhalte zu Werbezwecken. Die Grenzen zwischen Werbung und Wahrheit, zwischen dem realistischen Reportieren von aktuellen Ereignissen und deren Nutzbarmachung zu Werbezwecken wird damit erneut zuungunsten der Wahrheit verschoben. Die Wirklichkeit ist das, was der Werbung nutzt.

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WAZ-Chef: Lieber lokal als Qualitätsjournalismus

02 Apr

Bemerkenswerte Ansichten hat der WAZ-Chef Manfred Braun kürzlich in der Fachzeitschrift “Medienwirtschaft” geäußert. Die WAZ-Mediengruppe (heute: Funke-Mediengruppe) hatte im vergangenen Jahr die “Westfälische Rundschau” dicht gemacht, jetzt Ende März kam heraus, dass weitere 200 Stellen in Nordrhein-Westfalen wegfallen sollen. Braun zog eine interessante Trennlinie und erklärte nun, ihm gehe Lesernähe vor journalistischer Qualität. Viele Zeitungsredakteure würden "immer noch Zeitungen für sich und die Journalistenkollegen" produzieren, dabei aber die Leser vollkommen vergessen, zitiert die "MedienWirtschaft" Braun. Das von allen Journalisten gelebte Denken in Geschichten würde von den Lesern nicht in der Wertigkeit wahrgenommen, wie der KressReport aus dem Interview zitiert, das der Dortmunder Journalistikprofessor Frank Lobigs geführt hatte.

Funke-Chef Braun zum Stellenabbau in NRW: Lesernah und lokal statt journalistisch hochwertig: kress.de

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Spiegel, Kampagnenjournalismus und die Militarisierung der Außenpolitik

29 Mrz

Den großen medialen Erfolg des Anti-Kriegs-Dreiteilers „Unsere Mütter, unsere Väter“ im Zweiten Deutschen Fernsehen hat das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zu einer Titelgeschichte veranlasst, die sich mit der Remilitarisierung der bundesdeutschen Außenpolitik befasst und paradoxerweise Pro-Kriegs-Positionen einnimmt. Darin heißt es:

Ob aus Überzeugung oder aus Angst vor dem Wähler — unter Führung von Angela Merkel und Guido Westerwelle ist die deutsche Außenpolitik zur alten, unmündigen Unsicherheit zurückgekehrt. Die Enthaltung in Libyen, das Minimalprogramm in Mali, die Passivität in Syrien — um jeden Preis geht es darum, ein militärisches Engagement zu vermeiden.

Um Berichterstattung und die wertneutrale Vermittlung der Realität, wie es einem „Nachrichtenmagazin“ ziemen würde, handelt es sich bei diesem Absatz (und dem ganzen Artikel) nicht. Was vorliegt, ist stattdessen eine Aneinanderreihung von wertenden und normatiefen Sätzen. Auch wertende Sätze enthalten natürlich beschreibende und damit empirisch nachprüfbare Bestandteile. Mit dieser Überprüfung allerdings hält der „Spiegel“ sich nicht lange auf. Sonst wäre schließlich zu fragen, wie die militärischen Kampagnen in Afghanistan, in Somalia oder im Kosovo zu Demokratie und Wohlfahrt der dortigen Bevölkerungen beigetragen hätten. Und in praktisch jedem Fall wäre die Antwort wohl negativ. Was übrig bleibt, ist Kampagnenjournalismus der plumperen Sorte. Das bemerken auch die „Nachdenkseiten“ und bemerken:

Der Spiegel macht sich zum Sprachrohr derjenigen, die das im Grundgesetz verankerte Prinzip einer Verteidigungsarmee umdefinieren möchte und die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee machen will. Deutschland müsse seine wirtschaftliche Machtstellung auch militärisch wahrnehmen. Deutschland soll, wie schon einmal in den unheilvollen Kapiteln seiner Geschichte, wieder seinen „Platz an der Sonne“ anstreben und die Machtpolitik, die es wirtschaftspolitisch derzeit in Europa mit der Durchsetzung der Agenda-Politik ausübt auch militärisch einsetzen. Der Spiegel propagiert das alte Weltmachtstreben, das Deutschland schon einmal zum Verhängnis wurde.

Es liegt noch keine kommunikationswissenschaftliche Definition des Begriffs Kampagnenjournalismus vor. Es gibt zu dem intrikaten Begriff aber einige kluge, auch: journalistische Stellungnahmen. Zum Beispiel diese:

Und längst kosten auch andere als das „Drecksblatt“ („SZ“-Preisverächter Hans Leyendecker über „Bild“) die süße Frucht der Bedeutung und das bittere Gift der Anmaßung, die im Kampagnenjournalismus liegen.

Und wer hat es geschrieben? Es war Jakob Augstein in seiner Kolumne für Spiegel Online.

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Google News erreicht die Weltbevölkerung

27 Mrz

Google ist die erfolgreichste Suchmaschine des Internets. Aber was die Google-Entwickler im hauseigenen Produktblog an Erfolgszahlen nennen, geht dann vielleicht doch etwas zu weit:

Wir sind uns sicher, dass diese Verbesserungen Google News noch attraktiver machen und noch mehr Besucher auf Nachrichtenseiten locken werden (sechs Milliarden pro Monat, Tendenz steigend).

Sechs Milliarden Besucher? Das entspräche fast der Gesamtsumme der Weltbevölkerung, die wenigstens einmal im Monat auf die Google News-Website gehen müsste. Und dazu müsste natürlich jedes Mitglied der Weltbevölkerung auch einen Zugang zum Internet, sprich: einen Computer haben. Doch dies ist bei weitem nicht der Fall. Oder sind vielleicht doch nicht einzelne Besucher, sondern z.B. Klickzahlen gemeint? Dann könnte ich auf die Statistik erheblichen Einfluss nehmen, wenn ich schon für mich alleine monatlich eine Milliarde mal Beiträge auf Google News anklicke. Vielleicht soll es aber auch nur ein verfrühtes Osterei, engl. easteregg, sein, dass Google uns hier beschert. „Easter eggs“ heißen unter Programmierern sonst die kleinen Späßchen, die sie sinnwidrig in den Programmcode einbauen. Ein besonders hübsches hat das Googleteam uns auch zu Ostern geschenkt. Dazu muss man nur diesem Link folgen bzw. diese Rechnung ins Google-Suchfeld eingeben:

1.2+(sqrt(1-(sqrt(x^2+y^2))^2) + 1 – x^2-y^2) * (sin (10 * (x*3+y/5+7))+1/4) from -1.6 to 1.6

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ARD: Zaster für Zuschauer bei Maischberger

19 Mrz

Talk-Moderatorin Sandra Maischberger (Foto: ARD)

Bemerkenswertes über den Vertragsinhalt zwischen der Talkshow-Moderatorin Sandra Maischberger und der ARD hat das Nachrichtenmagazin Der Spiegel herausgefunden. Die Höhe des Moderationshonorars für Frau Maischberger soll demnach abhängig von der Einschaltquote der Sendung gewesen sein. Das Nachrichtenmagazin schreibt dazu:

Schon lange ist bekannt und wird kontrovers debattiert, dass sich öffentlich-rechtliche Sender zunehmend nach der Zuschauergunst richten. Die Quote ist für sie, ganz unabhängig vom staatlichen Grundversorgungsauftrag der Sender, zum Kriterium für die Entwicklung, Fortsetzung oder Einstellung von Formaten geworden. Dass selbst die Bezahlung der seriösen Moderatorin Maischberger von der Zahl der Zuschauer abhängig gemacht wird, ist eine Fortentwicklung dieser vermeintlich modernen Art, Fernsehen zu gestalten.

Im „Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk Köln“ sei zwar viel über den Auftrag zur Information, Bildung und Unterhaltung der Zuschauer zu lesen, die Art und Weise der Maischberger-Honorierung lasse sich damit allerdings kaum erklären, so Der Spiegel weiter. Vielleicht erklärt sich mit der quotenabhängigen Bezahlung auch die teilweise abstruse Themensetzung der Maischberger’schen Talksendung, die sich in solchen Titeln widerspiegelt:

Hells Angels & Co.: Wie gefährlich sind die Rockerclubs
Zittern, Jubeln, Weinen: 50 Jahre Bundesliga
Das Comeback der Schwergewichte: Dick macht glücklich!
Horoskope, Handlesen, Tarotkarten: Unsinn, der hilft?

Die Tageszeitung Die Welt schreibt dazu:

Eine quotenabhängige Bezahlung passt zu Informationsprogrammen aber ungefähr so gut wie Dieter Bohlen auf den Stuhl des „Tagesthemen“-Moderators. Doch leider ist das Denken in Marktanteilen bei öffentlich-rechtlichen Managern extrem weit verbreitet. Der Quotenwahn macht längst nicht mehr vor Informationsprogrammen halt. Mitunter werden journalistische Standards grob missachtet.

Gewichtige Werbeikone Witt bei Maischberger (Foto: ARD)

Unter anderem wegen einer Auseinandersetzung um die Maischberger-Sendung ist kürzlich die WDR-Redakteursvertretung zurückgetreten, wie die Süddeutsche berichtet. Von Einschüchterungsversuchen durch die Geschäftsleitung sprächen die Rücktreter in einer Erklärung und hätten betont, dass diese Versuche genau in dem Moment begonnen hätten, als sie sich in einen Programmkonflikt um die Maischberger-Sendung eingemischt hätten. Hintergrund ist die Einladung der ehemaligen Eiskunstlaufprinzessin Kati Witt in eine Maischberger-Sendung rund ums Abnehmen. Ein WDR-Redakteur wollte den Auftritt verhindern, da er das Gebot der Trennung von Werbung und Programm verletzt sah. Kati Witt ist nämlich gleichzeitig Werbeträger des Diätvermarkters Weight Watchers. Die Produktionsfirma von Maischberger setzte sich gegen den verantwortlichen WDR-Redakteur durch und erhielt dafür Rückendeckung vom zuständigen Unterhaltungschef des Senders.

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Sky: Wasser für die Elefanten

01 Mrz

Screenshot: Sky

Regelmäßige Zuschauer des Fernsehbezahlsenders Sky haben sich in letzter Zeit gefragt, warum in den Fußballtalkrunden mit Größen wie Franz Beckenbauer oder Ralf Rangnick neuerdings auffällig knapp bekleidete Damen den Herren Wasser reichen. Die Münchner Boulevardzeitung „tz“ hat nachgefragt. Der Nachweis hartnäckiger journalistischer Fragetechnik klingt in der Sprache der populären Zeitung so:

Wir haben nachgefragt: Warum gibt’s bei Sky so oft frisches Wasser? Dirk Grosse, der Sprecher des Senders, hält sich bedeckt. Seine kurze, aber süffisante Antwort: „Ich vermute Durst.“

Mit diesen dürren Zeilen endet übrigens der tz-Artikel. Was hier journalistisch vorgeführt wird, ist vielleicht die Kunst der Frage, aber mit Sicherheit nicht die Kunst der Nachfrage. Nach-gefragt hat dafür die Wochenzeitung „Freitag“ und dabei herausgefunden, dass es sich um „notdürftig als Wassernachfülloperation getarnte Auftritte junger Damen“ handle, die der Sender als „Hostessen“ bezeichne. Und nachgeschlagen hat der „Freitag“ auch, nämlich im Lexikon:

„Eine Hostess ist eine zur Betreuung von Gästen bei Reise- oder Fluggesellschaften bzw. Großveranstaltungen angestellte Frau, von der adäquate Umgangsformen und in der Regel Fremdsprachenkenntnisse verlangt werden. Gerade bei Automessen sind die Hostessen häufig nur knapp bekleidet, um die Aufmerksamkeit der Besucher auf die jeweiligen Stände zu lenken.“

Die Berliner Wochenzeitung zieht daraus den Schluss, es drehe sich hier eher um „anachronistische Berlusconi-Momente“ im deutschen Fernsehen, und folgert:

Man muss auch keinen Graduiertenkurs in Gender Studies besucht haben oder sonstwie überdurchschnittlich sensibilisiert sein, um zu erkennen, wie die Regie hier mit gaffend-nachschwenkenden Kamerabewegungen jeden Zuschauer in einen Automessebesucher zu verwandeln versucht.

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Die schlechten Bücher des F. Schirrmacher

18 Feb

F.A.Z.-Herausgeber Frank Schirrmacher (Foto: Wikimedia)

Frank Schirrmacher ist nicht nur Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.), sondern auch Bestseller-Autor. Mit populären Sachbüchern wie „Der Methusalem-Komplex“ oder „Payback“ hat Schirrmacher hohe Auflagen und einige Übersetzungen erzielt. Nun schlägt das Geistesimperium zurück. Seinem neuen Titel „Ego“ attestiert der Feuilleton-Chef der „Welt“, Cornelius Tittel, “ Logik-Löcher und Anschlussfehler“ und resümiert:

So schwer es jedem denkenden Menschen fallen dürfte, „Ego“ zu Ende zu lesen – schwerer wiegt nur die Last, sich ernsthaft mit Schirrmachers Thesen auseinandersetzen zu müssen. (…) Wo man auch bohrt, es sind denkbar dünne Bretter, aus denen Schirrmacher sein windschiefes Gedankengebäude zimmert

Ähnlich kritisch geht Joachim Rohloff in einer Rezension von Schirrmachers letztem Buch „Payback“ in der Zeitschrift „Merkur“ mit dem Autor und seinem Verlag ins Gericht.

Hier muss ein Komma, dort ein Wort eingefügt oder gestrichen werden, hier muss man den Numerus, dort das Tempus oder den Modus eines Verbs korrigieren, bis man meint, man habe es nicht mit dem Kulturkopf der FAZ zu tun, sondern mit einem Praktikanten von Kicker online. Viele Sätze muss man zwei- oder dreimal lesen, bevor man den Fehler entdeckt und beheben kann. Dann erst stellt ein Sinn sich ein, von dem man aber nie mit Gewissheit annehmen darf, er treffe das, was der Autor sagen wollte. Das Internet fresse unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit, behauptet Schirrmacher. Bei der Lektüre seines Buches denkt man eher, es sei die Verkommenheit der hiesigen Verlagsbranche.

Man muss dazu sagen, dass der Bereich „populäre Sachbücher“ im Buchmarkt ein schwieriges und umkämpftes Gebiet ist. Ständig hat man mit Lektoren und Buchmanagern zu tun (wobei moderne Lektoren nichts anderes mehr sind als Buchmanager), die es noch etwas plakativer und noch etwas simpler gestrickt haben möchten. Aber gerade deswegen hat ein Autor die Pflicht, im Zweifel sich auch einmal gegen einen Lektor durchzusetzen und ein wenig Qualität im Buch zu belassen. Vor allem, wenn er Frank Schirrmacher heißt. Wie sagt die F.A.Z.-Werbung: „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Es wäre zu wünschen, dass er sich manchmal auch hervortraut, der Kopf.

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Postdemokratie: Raab, Jauch und der Politjournalismus

16 Feb

Raab meets Stoiber, Quelle: Wikimedia (M)

Es war der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der den TV-Entertainer Stefan Raab als (Mit-)Moderator des sog. Kanzlerduells, also des Fernsehinterviews mit den beiden KanzlerkandidatInnen von CDU und SPD, ins Spiel gebracht hat. Schon das hätte einen skeptisch machen müssen. Denn um Partizipation, größere Politikakzeptanz oder einen Rückgang der Politikverdrossenheit kann es ja Edmund Stoiber oder seiner Partei, der CSU, nicht gehen. Im Gegenteil sind es Stoiber und die CSU gewesen, die ganz wesentlich zu Politikverdrossenheit und einem Niedergang von Partizipationsmöglichkeiten beigetragen haben. Der Freistaat Bayern ist das einzige Bundesland, in dem Studierende an Hochschulen keine hochschulpolitische Vertretung haben, Allgemeine Studierendenausschüsse sind per Gesetz verboten. Demokraten gerieren sich hier gerne mal als Quasi-Regenten, die Christsozialen als Staatspartei. Edmund Stoiber selbst hat als Kanzlerkandidat der CDU/CSU vor acht Jahren eine Einladung in Raabs Sendung kategorisch abgelehnt. Nimmt man Stoiber diese Begründung für seinen Vorstoß nicht ab, fragt man sich, was dann dahinter stecken könnte.

Nun, was anderes als das, für das sein Name und der seiner Partei steht: eine Depolitisierung der Politik, oder um es mit dem britischen Politologen Colin Crouch zu sagen: Post-Demokratie. Die Entpolitisierung gerade des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist ja ein Vorgang, der die Zuschauer und Gebührenzahler schon seit Jahrzehnten begleitet und an dem gerade die großen Volksparteien ganz wesentlich beteiligt waren und sind. Jüngstes Beispiel ist die Ersetzung kritischen dokumentarischen Fernsehprogramms durch ein beliebiges Talksshowdurcheinander in der ARD, in dem ausgewiesene Fähigkeiten als Politikjournalist ganz offensichtlich das letzte Qualifikationsmerkmal sind, um Moderator oder Moderatorin dieser Sendungen zu werden: Dort treffen wir eine Sportjournalistin (Will), eine ehemalige Jugendjournalistin (Maischberger), einen Lokaljournalisten (Plasberg) und einen Boulevardjournalisten und Gameshowmoderator (Jauch). Der Politjournalist, der zuletzt wagte, Spitzenkandidaten kritische Fragen zu stellen, war der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, und genau aus diesem Grund ist er der ehemalige.

Mit Raab glaubt nun ein Stoiber, einen gefunden zu haben, der noch willfähriger und unpolitischer fragen wird als die öffentlich-rechtlichen Angestellten, die ihm und seinen Politikerkollegen sonst zunicken. Er könnte die Rechnung allerdings ohne den Metzgerssohn gemacht haben:

„Ich habe mir gestern bei YouTube nochmal Teile des letzten Kanzlerduells angeschaut. Schon in den ersten zehn Minuten gab es den Versuch eines Pointenfeuerwerks seitens der Moderatoren“, wird Raab auf Spiegel Online zitiert. „Wenn, dann kehrt mit mir die Seriosität zurück!“

 

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Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter