Was Schriftliches von Vodafone

17 Jun

Ich bin durch die Vodafone-Hölle gegangen. Am Ende war es ein Pressesprecher, der mich von der schlimmsten Pein im Umgang des Mobilfunkbetreibers mit seinen Kunden befreite. In diesem Zusammenhang erzählte mit dieser Vodafone-Angestellte auch, dass niemals Mitarbeiter eines Vodafone-Shops handschriftlich Informationen herausgeben würden.

Die Probe aufs Exempel kann man allerdings im „Flagship-Store“ von Vodafone in der Kölner Schildergasse machen. Fragt man dort nach neuen Tarifmodellen oder den Möglichkeiten der Vertragsoptimierung und bittet dabei den Mitarbeiter, einem das doch auch schriftlich zu geben, dann erhält man das:

Vodafone_Handschrift02

Auch auf meine Bitte hin, mir eine gedruckte Tarifinformation zu geben, war der Vodafone-Mitarbeiter nicht in der Lage, mir anderes als dieses Schmierpapier in die Hand zu drücken. So viel zum Thema: „Vodafone geben niemals handschriftliche Informationen heraus …“

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Arbeitsverhältnisse im WDR

25 Mai

wdr1Weltweit gibt es immer weniger normale, unbefristete Arbeitsverträge, wie die Internationale Arbeitsorganisation ILO moniert. Der WDR berichtete in der vergangenen Woche gleich mehrfach über diese Kritik (z.B. hier, hier oder hier):

Unbefristet angestellt, mit einem Arbeitsvertrag – das ist weltweit inzwischen eher die Ausnahme. Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten hat keinen Vertrag – vor allem Menschen in Entwicklungsländern. Und selbst von den 40 Prozent mit Arbeitsvertrag haben die allermeisten nur eine befristete Anstellung. Viele andere werden außerdem in eine Pseudo-Selbstständigkeit gedrängt oder müssen unbezahlte Familienarbeit machen, sagt der Chef der ILO. Durch die schlechten Arbeitsverhältnisse werden immer mehr Menschen weltweit in die Armut getrieben.

Was der WDR verschweigt: Der Kölner öffentlich-rechtliche Sender selbst macht als Arbeitgeber genau das, was in der über die eigenen Wellen verbreiteten Nachricht kritisiert wird. Produktions- und Verwaltungsmitarbeiter werden über Leiharbeitsgesellschaften angemietet, Stellen werden nur befristet vergeben und ein Heer von scheinselbständigen Freien Mitarbeitern ist für die Herstellung des journalistischen Programms zuständig. Über 1.700 WDR-MitarbeiterInnen sind sog. Feste Freie, sie haben keine festen Verträge, keine vernünftigen Arbeitsplätze, wenig Rechte, aber sie zeichnen für bald 90% des WDR-Programms verantwortlich. Die festangestellten Redakteure im WDR stellen nur äußerst selten selbst journalistische Beiträge her. Sie sind darum auch eigentlich keine Journalisten, sondern Teil des WDR-Verwaltungsapparats, denn sie verwalten das Programm, das andere, nämlich die freien Mitarbeiter, herstellen.

Sklavenähnliche Verhältnisse

Wie der neue prekäre Arbeitsmarkt aussieht, den die ILO kritisiert, und wie sklavenähnlich auch mitten in Europa, in der Bundesrepublik Deutschland, die Beschäftigungsverhältnisse aussehen können, dafür bietet die Wochenzeitung Die Zeit heftige Belege. Am Beispiel eines Versandzentrums der Weltfirma Adidas in Niedersachsen führt die Wochenzeitung vor, wie der zweitgrößte Sportartikelhersteller der Welt Arbeitsverhältnisse wie im 19.Jahrhundert wieder eingeführt haben soll:

  • Der überwiegende Teil der Mitarbeiter sind laut Zeit Leiharbeiter und nicht Angestellte;
  • Arbeitszeiten sollen willkürlich festgelegt werden;
  • Bereitschaftszeiten sollen nicht als Arbeitszeit entlohnt werden;
  • Zählt man alle Arbeitszeiten zusammen, kommt man laut Zeit nicht mal auf den Mindestlohn;
  • Wegezeiten werden nicht bezahlt;
  • Mitarbeiter werden willkürlich entlassen.

Warum führe ich das hier an? Weil vieles an die Arbeitsverhältnisse erinnert, unter denen die Freien Mitarbeiter des WDR (und d.h. die eigentlich kreativen Köpfe) tagtäglich zu leiden haben:

  • Nacht- und Feiertagsschichten werden nicht als solche bezahlt;
  • Freie werden besonders gerne nachts und am Wochenende eingesetzt, weil „Feste“ Angestellte ja ein Recht auf die Zuschläge hätten;
  • Freie haben keine Arbeitsplätze und dürfen im Prinzip nicht einmal ein Telefon oder einen Computer im WDR benutzen (wohl gemerkt, es handelt sich um die Mitarbeiter, die journalistische Beiträge herstellen und dafür Interviews durchführen und Texte schreiben sollen!);
  • tarifliche Lohnerhöhungen werden über Jahre und Jahrzehnte (!) nicht auf die Honorare der Freien umgeschlagen;
  • Nicht nur Wegezeiten werden häufig vom WDR nicht bezahlt, selbst Reisekosten müssen Freie Journalisten, die für den WDR tätig sind, sich oft erbetteln oder bleiben darauf sitzen;
  • Auf die Einhaltung von Arbeitszeitregeln wird bei Freien Mitarbeitern fast systematisch nicht geachtet, außer wenn auch Angestellte involviert sind;
  • Freie Mitarbeiter können willkürlich vor die Tür gesetzt werden.

Die ILO kritisiert zurecht die weltweite Zunahme des Prekariats, das keine festen Arbeitsverhältnisse mehr hat. Der WDR vermeldet diese Kritik ebenfalls sehr zurecht im eigenen Programm. Aber glaubwürdig wäre der Kölner Sender nur, wenn er auch selbst diese Kritik beherzigen würde. Alles andere ist scheinheilig.

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Wie pressemäßig ist die Tagesschau-App?

05 Mai

In der vergangenen Woche hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein einschneidendes Urteil gesprochen. Geklagt hatten die deutschen Zeitungsverleger schon durch drei Instanzen gegen sie Smartphone-App der ARD-Tagesschau. Das Angebot der Öffentlich-Rechtlichen und damit Gebührenfinanzierten sei zu „pressemäßig“ und würde damit die Wettbewerbschancen der privaten Zeitungsanbieter im schwierigen Onlinemarkt mindern, die nicht nur ihre eigenen Onlineangebote privat, z.B. über Werbung, finanzieren müssten, sondern auch darauf angewiesen seien, damit Geld zu verdienen.

Wie die „pressemäßige“ Ausschlachtung eines Themas durch die Redaktion ARD-Aktuell funktioniert, dafür ist der gegenwärtige Streik der Lokomotivführer ein gutes Beispiel. Neben der umfangreichen Berichterstattung in der 20 Uhr-Ausgabe der Tagesschau verweist Jens Riewa auf das umfangreiche Zusatzmaterial, das die Onlineredaktion tagesschau.de bereithält und das auch über die Smartphone-App verfügbar ist.

tagesschau_de_bahnstreik

Aber wer, der mit dieser kräftigen Portion Eigenwerbung auf die öffentlich-rechtliche Website geht oder die Tagesschau-App benutzt, wird noch die ebenso umfangreichen Hintergrundinformationen auf sueddeutsche.de nutzen oder sich den Bahnstreik-Ticker auf welt.de zu Gemüte führen? Im Falle Google sind hochgradig strafbewehrte Verfahren bei der EU-Kommission anhängig, wie auch Tagesschau.de zu berichten weiß, weil der amerikanische Suchmaschinenbetreiber unter Umständen seine Marktmacht ausnutzt, um eigene Internetangebote durchzusetzen. Aber was macht die Tagesschau-Redaktion mit diesem offensichtlichen Stück Crosspromotion anderes, als die eigene Marktmacht im Fernsehen auszunutzen, um das hauseigene Internetangebot zu promoten? Da kann kein privater Zeitungs- und Onlineanbieter mithalten.

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NoPhone: Das erste Handy, das nichts kann

10 Apr
Foto: NoPhoneStore.com

Foto: NoPhoneStore.com

NoPhone ist das erste wirklich smarte Phone, denn es handelt sich um ein Handy, das schlichtweg nichts kann: Keine Telefonate, keine Apps, keine SMS, kein Internet. Es ist nichts weiter als ein Stück Kunststoff im Design und Gewicht eines Smartphones, aber ohne jede Funktionalität. Das NoPhone soll sich insbesondere an Handysüchtige wenden, die auf das Gefühl eines Smartphones in der Hosen- oder Jackentasche nicht verzichten können. Auf der Website des Herstellers The NoPhone Team ist zu lesen:

With a thin, light and completely wireless design, the NoPhone acts as a surrogate to any smart mobile device, enabling you to always have a rectangle of smooth, cold plastic to clutch without forgoing any potential engagement with your direct environment. Never again experience the unsettling feeling of flesh on flesh when closing your Hand.

Das NoPhone wurde über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter finanziert. Das Projekt hat rund das Dreifache des ursprünglich geplanten Finanzziels von 5.000 US-Dollar ergattern können. Interessierte können das Gerät über einen eigenen Store für 12 US-Dollar bestellen. Das NoPhone kommt in einer sehr wertigen Verpackung und mit einer Gebrauchsanweisung daher, wie ein Unpacking-Video vorführt:

Der Hersteller hat es sich auch nicht nehmen lassen, die technischen Vorzüge des NoPhone mit den Werten des Smartphone-Platzhirschen zu kontrastieren. Der Vergleich führt wirklich drastisch vor Augen, worin die technischen Vorzüge des NoPhone bestehen:

Nophone comparison_large

Es gibt auch bereits ein Update des Produkts, nämlich eine eigene NoPhone-Selfie-Edition:

NoPhone Selfie-Edition (nophonestore.com)

NoPhone Selfie-Edition (nophonestore.com)

Erweiterungen des Produktportfolios des NoPhone-Teams liegen natürlich auf der Hand: Das NoTablet, der NoComputer, das NoTV. Wird das No womöglich zum neuen „I-„?

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Schweiger erklärt Wenders das Drehbuchschreiben

07 Apr
Foto: Mattia Luigi Nappi (Wikimedia)

Foto: Mattia Luigi Nappi (Wikimedia)

Da gibt es dickleibige Bücher über das Drehbuchschreiben, es gibt hypermoderne Ansätze zum (Achtung: Modewort!) Storytelling, man kann heute an jeder VHS Kurse belegen, um das hundertprozentige Blockbuster-Drehbuch zu schreiben. Aber dann kommt ein Meister seines Fachs, der viel geehrte und verehrte Wim Wenders, und erklärt, dass er von all diesen Drehbuchtheorien keine Ahnung hat und trotzdem grandiose Filme macht. So geschehen im Doppelinterview mit Til Schweiger in der neuesten Ausgabe des Nachrichtenmagazins Der Spiegel:

Schweiger: Der Plotpoint nach 70 Minuten – wie in unserem Fall – ist zu spät. Das Mädchen entführt seinen dementen Opa und geht mit ihm auf Reisen. Bei einer Länge von 130 Minuten müsste der erste Plotpoint bei ungefähr 35 Minuten kommen. Doch dann hätte ich nicht die Zeit gehabt, den Verfall des Opas zu zeigen.

Wenders: Ich kann da nicht mitreden. Wie hast du das eben gesagt? Der Plotpoint, der müsste wann gesetzt sein?

Schweiger: Bei 90 Minuten Gesamtlänge bei ungefähr 25 Minuten.

Wenders: Ich habe kein Talent für so etwas. Ich weiß nicht, wann mein Plotpoint kommt. Der Unfall in „Every Thing Will Be Fine“? Der kommt schon nach 15 Minuten. Til, hilf mir.

Schweiger: Der Plotpoint wird dort gesetzt, wo der zweite Akt beginnt. Guck mal, der erste Akt ist die Einführung der Figuren. Danach gehst du in den zweiten Akt.


 

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SZ schafft den Onlinejournalismus ab

25 Mrz
Screenshot: Neuer Webauftritt der SZ

Screenshot: Neuer Webauftritt der SZ

Die Süddeutsche Zeitung hat ihren Onlineauftritt neuerlich relauncht: Gedruckte Zeitung und Internetangebot sollen zusammenwachsen. Damit wird nun auch für die Leser manifest, was sich organisatorisch mit der Aufnahme des Onlineleiters in den Kreis der Chefredaktion im vergangenen Jahr schon abzeichnete. Dabei löste gerade diese Beförderung beinahe einen „Kulturkampf“ in der SZ-Redaktion aus und brachte das schöne Buzzword „Hoodiejournalismus“ mit sich. Das Bemerkenswerte an diesem Relaunch ist, dass die Süddeutsche nicht mehr zwischen Online- und Printjournalismus unterscheiden will: Im neuen Seitenkopf des Onlineauftritts wird das auch dadurch deutlich, dass „sz.de“, „Zeitung“ und „Magazin“ in einer Eintracht nebeneinander stehen, die sich wahrscheinlich redaktionell und personell erst noch beweisen muss. Dem Süddeutschen Magazin wird bei der Gelegenheit gleich ein komplett neuer Auftritt spendiert. In Ankündigungstext zum Relaunch heißt es:

Für eine Zeitung im modern verstandenen Sinne soll es keinen Unterschied mehr machen, wo und wie sie erscheint, ob als ständig aktualisierte Nachrichtenseite oder als tägliche Ausgabe, digital oder auf Papier.

szplus02Zusammen mit dem optischen und redaktionellen Relaunch wird ein neues Pay-System eingeführt, das „SZ plus“ heißt. Für einen Tagespreis von 1,99 Euro hat der Leser Zugriff auf alle Angebote von sz.de bis zur Digitalversion der gedruckten Zeitung, entweder mittels App oder als Epaper. Zum Relaunch gibt es noch ein spezielles Angebot, nämlich einen 2-wöchigen kostenlosen Probezugang.

Der letzte Relaunch von SZ Online ist erst gute zwei Jahre her. Schon damals erwies sich das Team um Stefan Plöchinger als eines der innovativsten im deutschen Onlinejournalismus. Besonders die Schlichtheit der Seite zusammen mit einem großen Maß an Usability wussten da schon zu überzeugen: Dazu zählen kurze Zusammenfassungen der Onlinetexte direkt nach dem Lead mit Bulletpoints oder auch die Rubrik mit den Netzempfehlungen aus anderen Redaktionen, was SZ-intern wohl anfangs nicht nur Befürworter fand, aber „in the long run“ den SZ-Online-Auftritt zu einem kompetenten Lotsen durch die Welt der Onlineinformationsbeschaffung machte.

Am neuen Online-Layout fällt vor allem auf, dass der untere Teil der Webseite fast nur noch aus großformatigen Bildern bzw. bebilderten Beiträgen besteht: In Zeiten des „visual turn“ vermutlich kein Wunder, sondern eine Referenz an den multimedialen Zeitgeist.

Der Onlinejournalismus ist tot — der Printjournalismus aber auch: Es lebe der Journalismus!

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NZZ: Jauch muss entlassen werden

23 Mrz
vaoufakis_stinkefinger

Screenshot: Youtube

„Das Land der Griechen mit der Seele suchend“ — Goethes frommer Wunsch wird im Land der Dichter und Denker auf absehbare Zeit nicht in Erfüllung gehen. Im deutsch-griechischen Verhältnis sind, jedenfalls im Feld des Journalismus, gerade andere Körperteile angesagt. Ein ausgestreckter Mittelfinger spielt dabei eine besondere Rolle: „Muss die Geschichte des Stinkefingers in großen Teilen umgeschrieben werden?“ fragt der Berliner Tagesspiegel.

Das „Stinkefinger“-Video, das den griechischen Finanzminister in der ARD-Talkshow „Günther Jauch“  mit der vulgären Geste zeigte, hat das ein oder andere Nachspiel. Denn selbst wenn das gute Stück Video sich nicht, wie selbst Medienkritiker wie Stefan Niggemeier meinten, als „Fuckfinger-Fake“ des Comedians Jan Böhmermann herausstellte, stellt es doch  auf offenbar boshafte Weise die nonverbale Äußerung des griechischen Politikers in einen Zusammenhang, in den es weder verbal noch nonverbal gehört. „Dass Varoufakis’ Finger echt ist, macht ihn nicht weniger falsch“, bonmotisierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Die Neue Züricher Zeitung fordert nun die Entlassung Jauchs. Sein Umgang mit Varoufakis‘ Finger sei „übelster Kampagnenjournalismus“:

Zwar ist es echt (auch wenn eine Satiresendung im ZDF anderes behauptete). Aber Varoufakis’ obszöne Geste reflektiert nicht seine Meinung über Deutschland. Das kann jeder nachvollziehen, der sich im Internet die komplette Aufnahme ansieht. Auch Starjournalist Jauch hätte das tun können und müssen. Sein Beitrag ist darum kein Coup, sondern übelster Kampagnenjournalismus, der das verkorkste Verhältnis zwischen Berlin und Athen zusätzlich belastet. Die ARD sollte darum Jauch vor die Tür setzen, weil er gegen fundamentale journalistische Standards verstossen hat.

Die Forderung beruht auf zwei Missverständnissen: Zum einen, dass Jauch selbst die Entscheidung getroffen habe, den Finger-Video in genau dieser Weise in seiner Sendung zu präsentieren. Das nämlich überbewertet die Rolle, die ein Moderator gerade in einer öffentlich-rechtlichen Talksendung hat. Hinter dem Gesprächsleiter, der im Zweifel nur ein sprechender Kleiderbügel ist (was seit den Zeiten von Sabine Christiansen als Ahnherrin des Genres als ausgemacht gelten darf), steht eine Armada von Redakteuren, Chefredakteuren, Programmgruppenleitern, Wellenchefs, Programmdirektoren und was der Hierarchiestufen mehr sind, die in Zeiten von lean management nur noch öffentlich-rechtliche Sender sich leisten können. Die Forderung nach dem Abtritt Jauchs kommt damit dem Verlangen nach einer Nacht der langen Messer in den Führungsetagen der ARD gleich, was vielleicht nicht das Schlechteste wäre.

Das andere Missverständnis beruht darin, Jauch überhaupt für einen Journalisten zu halten. In Wahrheit ist er Unterhaltungskünstler, der für die ARD einen Journalisten darstellt. Aber das Primat der Unterhaltsamkeit, das er mit seiner Quizshow auf RTL ja seit Jahren offensiv nach außen trägt, hat auch für seine ARD-Talksendung Geltung. Und so ist auch die Vorführung des Finger-Films zu sehen: Es trägt zur Unterhaltsamkeit einer ansonsten staubtrockenen Sendung bei, und nur darum geht es. Dass die ARD mit einem solchen Konzept im politjournalistischen Zusammenhang sich ihr eigenes „Ground Zero“ bereiten könnte, wurde an gleicher Stelle schon vor geraumer Zeit vorausgesagt.

focus_stinkefingerIm übrigen sollten deutsche Journalisten Zurückhaltung üben, wenn sie griechischen Politikern Vorhaltungen machen möchten. In dieser Auseinandersetzung ist richtig, was bei keiner Schulhofstreiterei falsch ist, nämlich zu fragen, wer angefangen hat. Und angefangen hat eindeutig der deutsche Journalist: Es war schließlich das Magazin Focus, das 2010 den Griechen den „Stinkefinger“ gezeigt hat. Der Kampagnenjournalismus nahm da seinen Anfang und fand seinen Höhepunkt in der wochenlangen Schlammschlacht, die die Bildzeitung für ordnungsgemäße Berichterstattung hält.

Wer muss also nun entlassen werden? Alle deutschen Journalisten? Die Mitarbeiter von Hubert Burda, Axel Springer und der ARD? Oder die Zuschauer und Leser, die sich auf solcherart inkriminierenden Journalismus einlassen? Ähnlich wie, frei nach Brecht, die alte DDR-Regierung sich kein neues Volk wählen konnte, können wir uns keinen anderen Journalismus wählen — wir haben nur den einen. Aber der könnte seinen Job besser machen.

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Korrekturen: ZDF gibt Fehler zu

19 Mrz
Foto: ZDF LKW (Wikimedia)

Foto: ZDF LKW (Wikimedia)

Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) will auf seiner Internetseite heute.de Pannen zugeben und Fehler korrigieren. Auf der neu eingerichteten Webseite ist zu lesen:

Als Journalisten fühlen wir uns den Prinzipien von Faktentreue, Trennung von Bericht und Kommentar, von Vielfalt verpflichtet. Aber wir wissen auch: Wer 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche sendet, analog, digital und online, dem unterlaufen trotz aller Anstrengungen von Redaktion und Korrespondenten auch Fehler. Dazu bekennen wir uns. (…) Auf dieser Seite weisen wir auf Fehler, die wir in der Berichterstattung gemacht haben, hin und korrigieren sie. Das können Fehler oder Unkorrektheiten sein, die wir in selbstkritischer Betrachtung unserer Arbeit selbst erkennen, aber auch solche, auf die uns Betroffene, Experten oder unser Publikum aufmerksam machen. Wir glauben, dass Transparenz das beste Gegenmittel gegen Verschwörungstheorien und Manipulationsvorwürfe ist.

Der Berliner Tagesspiegel mutmaßt, dass es sich dabei um eine Reaktion auf die Kritik an der Ukraine-Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender handle. Laut einer Forss-Umfrage finden viele Bundesbürger die Fernsehberichterstattung immer schlechter:

Danach haben 38 Prozent der Deutschen tatsächlich das Gefühl, dass die TV-Nachrichten in letzter Zeit immer schlimmer werden. Besonders gelte dieser Befund für Ostdeutsche (45 Prozent), für Frauen (41 Prozent) sowie für Zuschauer im Alter von 30 bis 44 Jahren (44 Prozent).

Angefangen hat mit einer regelmäßigen Korrekturen-Rubrik die New York Times. Die älteste Korrektur bezieht sich dabei auf einen Artikel, der im Jahr 1853 in der New Yorker Tageszeitung veröffentlicht worden war. Darin war der Name von Solomon Northup falsch geschrieben worden, auf dessen Autobiographie der Oscar-prämierte Kinofilm 12 Years a Slave beruhte. Die ARD Tagesschau geht im Tagesschau-Blog auf Fehler in der Berichterstattung ein und hat mit meta.tagesschau.de auch eine Seite für Diskussionen mit den Zuschauern eingerichtet. Die „Ständige Publikumskonferenz“ hat eine eigene Forumsseite eingerichtet, auf der vermeintliche Falschdarstellungen der öffentlich-rechtlichen Sender diskutiert werden.

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Süddeutsche: Sportreporter schlägt zurück

12 Mrz

Fußball-WM, Argentinien - DDR 1:1Sportreporter, insonderheit solche, die sich professionell mit Fußball befassen, haben einiges auszuhalten. Die verwöhnten, millionenschweren Fußballstars sind nämlich häufig nicht sehr kritikfähig. ZDF-Reporter Boris Büchler musste diese Erfahrung während der Fußball-WM in Brasilien am eigenen Leib und live auf dem Sender bei seinem Wortgefecht mit Abwehr-Ikone Per Mertesacker machen. Am vergangenen Wochenende hat wiederum der HSV-Spieler Heiko Westermann seine Kritiker als „Idioten“ bezeichnet: „Ich war immer hier und habe meinen Arsch hingehalten und lasse mir von solchen Idioten nicht den Namen kaputtmachen.“ Sein Trainer hat Verständnis: „Ich finde, nach gefühlten fünf Jahren ist es mal an der Zeit gewesen, dass er explodiert“, sagte Zinnbauer. „Heiko hat hier jahrelang den Kopf herhalten müssen. Er hat sich ausgekotzt, das gehört dazu.“

Diese „Explosion“ war offenbar eine zu viel, die Sportjournalisten schlagen zurück: In einer Glosse für die Süddeutsche Zeitung gibt Christof Kneer Kontra:

Die Reden von Trapattoni und Völler waren ja schon ein Tiefpunkt, die von Labbadia, Doll, Lieberknecht, Augenthaler und anderen waren noch mal ein tieferer Tiefpunkt, aber jetzt auch noch dieser Schwachsinn von Heiko Westermann: Wir Kritiker könnten ihn alle mal, hat er gemotzt, er lasse sich von Idioten wie uns nicht den Namen kaputt machen. Ich muss ganz klar sagen: Ich kann den Käse nicht mehr hören.

Der Sportjournalist kombiniert geschickt die berühmt gewordenen Fußballer- und Trainer-Wutreden und setzt aus diesen Versatzstücken einen Text zusammen, der viel über das gestörte Verhältnis von Sportler und Sportreportern ausdrücken kann:

Dauernd werden wir Reporter beschimpft, das ist das Allerletzte. Um es mit Labbadia zu sagen: Wir Reporter sind nicht die Mülleimer von allen Menschen hier! Da ist echt eine totale Grenze erreicht. Als normaler Reporter muss man sich die Frage stellen: Gehe ich einen schweren Weg, den ein Reporter jedes Wochenende gehen muss, mit – oder sage ich: am Arsch geleckt! Wir haben in den Verlagen Etatkürzungen von mehreren Milliarden mitgemacht und sollen uns beleidigen lassen von Spielern mit Gehalt wie Flasche voll?!

Intrikat ist vor allem der Hinweis auf das ökonomische Missverhältnis von Sport und Journalismus. Denn gerade durch die exzessive Berichterstattung (und die entsprechenden Fernsehbilder) konnten ja Etats und Spielergehälter in diese exorbitanten Höhen klettern. Aber auch die journalistischen Arbeitsbedingungen nimmt der SZ-Reporter ironisch aufs Korn:

Ich weiß, dass ihr das wieder persönlich nehmt, aber wisst ihr Profis und Ex-Profis eigentlich, dass unser Job viel härter ist als eurer? Nein? Dann schaut euch mal ein Spiel vom HSV an! Oder versucht mal, im Olympiastadion den Presseraum von Hertha BSC zu finden! Wir halten hier seit Jahren unsre Laptops hin, ständig müssen wir Geschichten aufbauschen, Skandale konstruieren und Zitate erfinden, meint ihr vielleicht, es macht Spaß, ein Zeitungsfritze zu sein, keinen Charakter zu haben, in scheißkalten Stadien zu sitzen und über etwas zu berichten, wovon man keine Ahnung hat? Wir Journalisten sind vielleicht nur ein kleiner Piss-Verein, aber wer es besser kann, der soll herkommen und selber schreiben.

Wir lernen: Die öffentlich zur Schau gestellte Kumpanei von Sportlern und Reportern ist ein fragiles Gebilde. Manchmal bricht die negative Seite dieses Verhältnisses hervor. Was ist die dazugehörige Sportreporterweisheit: Die Wahrheit is‘ immer aufm Platz.

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Top Ten der vernachlässigten Nachrichten 2015

26 Feb

Logo_final_beschnittenBei ihrer heutigen Jahrespressekonferenz hat die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V. in den Räumlichkeiten ihres Medienpartners Deutschlandfunk in Köln die diesjährigen Top Ten der vernachlässigten Nachrichten vorgestellt. Laut INA sind das:

1. Verkaufte Links: Wie Medien ihre Glaubwürdigkeit untergraben
2. Undurchsichtige Finanzen bei politischen Stiftungen
3. Prekäre Verhältnisse in Ausbildungsberufen
4. Fragwürdiger Umgang mit Patientendaten
5. Weißes Papier, schmutziges Geschäft
6. Überwachung in Skigebieten
7. Arbeitsbedingungen von Strafvollzugsbeamten
8. Facebook erforscht Künstliche Intelligenz
9. Millionen-Grab Polizei-Software
10. Moderne Rasterfahndung per Handy

Eine ausführliche Beschreibung aller Themen findet sich auf der Website der INA. Die INA ist eine Nichtregierungsorganisation, die den blinden Flecken in der medialen Berichterstattung auf den Grund gehen will. Studentische Rechercheteams an Hochschulen und Universitäten in Hamburg, Bremen, Köln, Dortmund, Gelsenkirchen, Stuttgart und München haben übers Jahr Sachverhalte und Relevanz geprüft und sind in Medienanalysen der Vernachlässigung der Storys nachgegangen. Eine 20-köpfige Jury aus Journalisten und Fachwissenschaftlern hat in der vergangenen Woche bei ihrem Jahrestreffen an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln das Ranking diskutiert und abgestimmt. Zu den Jurymitgliedern zählen als Journalisten Edith Dietrich (WDR), Hardy Prothmann (Rheinneckarblog), Petra Sorge (Cicero), Rita Vock (Deutschlandfunk) und Günter Wallraff (als er selbst). Zu den Wissenschaftlern zählen Peter Ludes von der Jacobs University Bremen, Horst Pöttker von der TU Dortmund und Jörg-Uwe Nieland von der Sporthochschule Köln. Hektor Haarkötter, Autor des Handbuchs Die Kunst der Recherche, ist geschäftsführender Vorstand der INA e.V.

Eine Multimediapräsentation der Top Ten der vernachlässigten Nachrichten findet sich auf den Onlineseiten des Deutschlandfunk.

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Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter