Je preiser gekrönt, desto durcher gefallen: Dieses unter Journalisten verbreitete Motto kann nun auch der Spiegel-Redakteur René Pfister nachempfinden. Ihm ist der renommierte Egon-Erwin-Kisch-Preis für die beste Reportage kurz nach der Preisverleihung wieder aberkannt worden. Die Süddeutsche weiß zu berichten:
Der Journalist beschreibt darin auf drei Absätzen zum Einstieg, wie der CSU-Vorsitzende im Keller seines Ferienhauses in Oberbayern sein Leben und die Figuren seines Lebens auf einer Spielzeugeisenbahn nachstellt. So dreht zum Beispiel die Bundeskanzlerin in Seehofers Märklin-Welt auf einer Diesellok ihre Runde.
Noch während der Preisverleihung erzählte Pfister, die authentisch wirkende Szene nicht selbst erlebt zu haben. Sie war ihm von Seehofer und Mitarbeitern Seehofers geschildert worden.
Die Jury setzte sich mit einem Panik-P in den Augen (letzteres beruht nicht auf eigener Anschauung) wieder zusammen und befand, der Preis für die beste Reportage könne nicht an einen gehen, der die Regeln der Kunst der Reportage nicht mit der Muttermilch aufgesogen, sondern wie ein Ammenmärchen fortgesponnen habe:
Die Jury hat deswegen am 8. Mai die Reportage Pfisters und die Preisvergabe noch einmal intensiv diskutiert und am Ende mehrheitlich entschieden, ihr Urteil zu revidieren. René Pfister wird der Preis aberkannt. (…) Wenn aber eine Reportage als die beste des Jahres ausgezeichnet und damit als vorbildlich hervorgehoben werden soll, muss sie besondere Anforderungen erfüllen. Pfisters Text erfüllt diese Anforderung nach Ansicht der Jury-Mehrheit nicht.
Der Spiegel, jener Flackfisch des Qualitätsjournalismus, erklärt in einer im Internet publizierten Hausmitteilung (“In eigener Sache”) sein “Unverständnis” über die Entscheidung der Jury und lässt seinerseits hindurchschimmern, wie ansonsten die Usancen im sog. Qualitätsjournalismus sind:
In der Vergangenheit sind bereits öfter Geschichten mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet worden, die szenische Rekonstruktionen enthielten. Jede Reportage besteht nicht nur aus Erlebtem, sondern auch aus Erfragtem und Gelesenem.
Die Süddeutsche Zeitung hinwiederum fragt, warum überhaupt ein Text mit einem Reportagepreis ausgezeichnet werden sollte, der von vornherein gar keine Reportage war:
Die Frage bleibt, warum die Jury mehrheitlich Pfisters Stück, das ein im Wesen analytisches Politikerporträt ist, überhaupt für den Reportagepreis nominierte und dann auswählte.
Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass einem der Kisch-Preis aberkannt wird. “Spiegel-Redakteur entgleist in Seehofers Hobbykeller”, titelt dazu das Hamburger Abendblatt. Ein preiswürdiger Titel.
Henri-Nannen-Preis: Ehrung aberkannt – Die Jury legt nach – Medien – sueddeutsche.de