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Wer sind die Banditen: Politiker oder Journalisten?


02 Okt

Früher hieß es einmal: „Der Geist steht links!“, wenn jemand auf die angeblich vorherrschenden links-liberalen Tendenzen unter deutschen Journalisten abzielen wollte. Heute ist man versucht zu fragen, wieviel Geist überhaupt noch im Journalismus steckt. Zum Beispiel wenn man die vergangenen Wochen der Wahlberichterstattung und die vergangenen Tage der journalistischen Wahlanalysen Revue passieren lässt. Bei den beiden Magazinen Focus und Spiegel jedenfalls scheint, wenn überhaupt Geist im Spiel ist, dann doch derselbe Geist zu herrschen, trotz aller behaupteten Unterschiede in der geistigen Ausrichtung. Wie sonst lässt sich die auffällige Übereinstimmung in den Titelblättern dieser Woche erklären:

Focusspiegelwahl01Kanzlerin und SPD-Vorsitzender als Banditen, die dem armen Bürger das Geld aus der Tasche ziehen wollen? Dass das Steuereintreiben mit Raubrittertum gleichgesetzt wird, ist ein uraltes Vorurteil, das schon im Götz von Berlichingen oder in Kleists Michael Kohlhaas bemüht wird. Das macht es aber natürlich nicht richtiger. Die CDU lehnt Steuererhöhungen nach wie vor ab, während die SPD während des gesamten Wahlkampfs nichts Anderes gesagt hat, als dass sie den Spitzensteuersatz für Gut- und Bestverdiener anheben will. Sie will das übrigens auf gesetzlichem Wege tun und sie hat dafür im Wahlkampf auch einige Argumente gebracht — ob man die gute oder schlecht findet, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Aber sie deswegen als Räuber darzustellen, ist wohl kein Ausdruck von Politikverdrossenheit, sondern könnte umgekehrt zu Journalismusverdrossenheit führen.

In der heißen Phase des Wahlkampfs haben mir Politiker fast leid getan. Mein Eindruck war, dass sie wirklich gerne über Politik gesprochen hätten, dass aber genau das gerade von Journalisten nicht sehr goutiert wurde. Ich war auf verschiedenen Wahlkampfveranstaltungen der unterschiedlichen Parteien, ich habe „meine“ Kandidaten in unserem Stadtteil getroffen und erlebt und ich habe mir die Spitzenkandidaten und ihre Reden bei größeren Veranstaltungen in Köln angehört. Was ich erlebt habe, waren eigentlich durchweg überlegte Leute, die für ihre Positionen recht gute Argumente vorgetragen haben. Ich fand „in den Medien“ aber leider nur wenig davon wieder. Besonders im Fernsehen schien man doch lieber Wahlkampfpannen, Stinkefingerfotos und Allzumenschliches zu bemühen. Nüchterne Fakten und Zahlen waren da Sache der Journalisten nicht, und wenn, hatten sie große Mühe, sie richtig zu interpretieren. Um nur ein kleines Beispiel zu nennen: Angela Merkel hat nicht die Wahl gewonnen. Zur Wahl stehen in der Bundesrepublik Deutschland nämlich nicht Personen, sondern Parteien. Auch die CDU hat nicht „die Wahl gewonnen“, sie hat bislang „nur“ relativ an Stimmen und Sitzen dazugewonnen. Was sie daraus macht und ob Angela Merkel ihre Wahl noch gewinnt, nämlich die im Deutschen Bundestag von der Mehrheit der Abgeordneten, wird sich erst noch zeigen.

Personalisierungen sind vor allem für den Journalismus schön: Denn über Personen erzählt man Geschichten, und Journalisten wollen vor allem Geschichten erzählen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, denn Geschichten sind unterhaltsam, und über die Unterhaltungsfunktion lassen sich dann auch Inhalte und Sachthemen besser an den Mann und an die Frau bringen. Aber wenn man es natürlich bei den personalisierten Geschichten belässt und die Sachverhalte dahinter außen vor lässt, ist das problematisch. Denn der mündige Wahlbürger will zwar vielleicht auch unterhalten werden, er hat aber auch ein deutlich größeres Interesse an den politischen Inhalten, als Journalisten ihm zutrauen. Dass haben beispielsweise die beiden Wahlarena-Sendungen der ARD gezeigt, in der Bürgerinnen und Bürger den Spitzenkandidaten Fragen stellen konnten, und sie haben das ausnahmslos gut getan.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat ein sehr lesenswertes Interview mit dem TV-Zampano Friedrich Küppersbusch geführt. Küppersbuch sieht gerade im Einnehmen einer Haltung das Rettungsboot, mit dem der (TV-)Journalismus sich über Wasser halten könnte. So wie Küppersbusch selbst es in den Wochen vor der Wahl im WDR Fernsehen mit seiner Sendung Tagesschaum vorgeführt hat:

Wir verorten uns in meinem Verständnis nicht zwischen links und rechts, sondern es geht um den Unterschied Haltung / keine Haltung. Und ich glaube, in der Haltung liegt eindeutig das solide aufgepumpte Schlauchboot, in das eines Tages auch die Öffentlich-Rechtlichen hüpfen müssen. Diese ganzen Talkshow-Panels sind doch alle da, damit am Ende der Moderator sagen kann: »Ich gebe Ihnen allen recht.« Da kommst du haltungsfrei durch.

Also, wieder ein bisschen mehr Geist im politischen Journalismus: Das wäre wünschenswert. Auf welcher Seite dieser Geist steht, ist dann fast eher zweitrangig.

P.S.: Ich sehe gerade, dass Stefan Niggemeier auch in seinem Blog sich mit diesen beiden Magazin-Aufmachern beschäftigt und sie zum Teil auch inhaltlich analysiert. Empfehlenswert!

 

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter