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Kölner Silvesternacht: Polizei und Medien sind auf den Hund gekommen


09 Jan
Kölner Polizei ist auf den Hunde gekommen? (Foto: Haarkötter)

Ist die Kölner Polizei auf den Hund gekommen? (Foto: Haarkötter)

Irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Übergriffe und Geschehnisse einer Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof gerade zur rechten Zeit passierten. Diejenigen, die ohnehin schon immer der Meinung waren, dass die arabischen Flüchtlinge, die vermehrt seit letztem Jahr nach Deutschland gekommen sind, frauenfeindliche und gesetzesbrecherische Subjekte seien, dürfen jetzt ihre Urteile und vor allem ihre Vorurteile bestätigt fühlen. Andere bilden diese Vorurteile jetzt vielleicht allmählich aus.

Was mich aber verwundert, ist das gewaltige Medienecho, dass die Ereignisse mit extremer Zeitverzögerung hervorrufen. Es scheint doch fast, nicht nur die Kölner Polizei und ihr mittlerweile beurlaubter Polizeipräsident Albers, sondern auch größere Teile der Medien seien auf den Hund gekommen. Schließlich ist die Informationslage nach wie vor spärlich: Offenbar waren in der Kölner Silvesternacht nicht nur keine (oder kaum) Polizisten in der Millionenstadt am Rhein unterwegs, sondern auch keine Journalisten — obwohl gefühlt doch jeder Zweite in dieser Stadt „irgendwas mit Medien“ macht.

Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) meinte sogar, sich entschuldigen zu müssen, weil sie „zu spät“ über das Geschehene berichtet haben:
ZDF_Entschuldigung_FB2016Eigentümlich auch die Berichterstattung des Kölner Stadtanzeigers. Immerhin hat er (anders als das ZDF) schon in seiner Montagsausgabe berichtet, und dabei sogar bereits das Verhalten der Polizisten thematisiert. Doch der Aufmacher der folgenden Freitagsausgabe ließ mich doch die Stirn kratzen. „Herkunft von Verdächtigen in Köln vertuscht“ behauptet die Schlagzeile. In der Zeile darunter heißt es dann aber: „Interne Polizeimeldung wurde bewusst entschärft“. Aber ist denn „vertuschen“ dasselbe wie „entschärfen“?

 

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Immerhin kann es ja gute Gründe geben, Meldungen zu entschärfen. Etwa um rechten Scharfmachern nicht noch mehr Zunder zu geben. Oder um bestimmte gesellschaftliche Konflikte nicht weiter eskalieren zu lassen. Oder womöglich schlicht, weil etwa die Herkunft von Straftätern schlicht irrelevant für die Straftat ist.

Bei sexuellen Belästigungen könnte es sich immerhin so verhalten. Bemüht man die Statistik (bspw. die des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), so haben über 58% aller Frauen in Deutschland bereits Situationen sexueller Belästigung erlebt. In den seltensten Fällen waren die Belästiger ausländischer Herkunft. Soll man denn nun Männer deutscher Herkunft, die Frauen sexuell belästigen, auch in sichere oder unsichere Drittstaaten abschieben? Das könnte zu einer erheblichen Dezimierung der männlichen Bevölkerung Deutschlands führen — und ich mutmaße, in den Reihen von Pegida, AFD & Art- sowie Parteigenossen, naja, auch.

Petra Sorge vom Magazin Cicero weist darauf hin, dass die schlechte Informationslage zu gewagten, vor allem aber zu Falschinterpretationen der Medien geführt hat:

Gegen 21 Uhr fielen nach Polizeiangaben etwa 400 Männer auf dem Bahnhofsvorplatz auf, weil sie stark alkoholisiert waren und mit Feuerwerkskörpern auf Passanten schossen. Die Gruppe wuchs bis 23 Uhr auf 1000 Personen an. In keiner der drei bislang veröffentlichten Pressemitteilungen ging die Polizei auf diese große Zahl ein; die Aussage fiel lediglich mündlich auf der Pressekonferenz.Dass diese Zahlen bislang nicht bestätigt sind, darauf wiesen nur wenige Medien hin. Vielerorts wurde die Aussage indes verkürzt. Bei Stern.de heißt es in einer Meldung: „Etwa 1000 Männer versammelten sich in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof. In Gruppen haben sie Frauen umzingelt, sexuell belästigt und ausgeraubt.“

Nein, es waren nicht alle Männer an allen Straftaten beteiligt, wie das diese Nachricht suggeriert, oder wie es die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten direkt behaupteten: „Etwa 1.000 Männer haben Frauen belästigt.“ Es sind gefährliche Falschmeldungen, die sich ins öffentliche Gedächtnis fräsen.

Aber gerade das enorme internationale Medienecho ist, so steht zu vermuten, auch durch diese scheinbar großen Zahlen aufgekommen. Etwas mediale Zurückhaltung hätte hier gut getan. Man kommt ja heutzutage so schnell auf den Hund.

Kölner Polizei beim G8-Gipfel (Foto: Haarkötter)

Kölner Polizei beim G8-Gipfel (Foto: Haarkötter)

Wenn "Aktenzeichen XY … ungelöst" Realität wird


24 Apr

Aktenzeichen_XY_Log_svgVon wegen “augmented reality”: Die vorgespielte Handlung im Fernsehen kann zur bösen Wirklichkeit werden. So erging es einem Schauspieler, der in der ZDF-Kriminalreihe “Aktenzeichen xy … ungelöst” einen Bösewicht gespielt hatte. Er wurde nun in Stuttgart von einem Passanten für einen echten Kriminellen gehalten und von der Polizei festgehalten.

Aaron Defant, Jahrgang 1983, spielte bei “Marienhof” und in Filmen wie “Blond bringt nix” mit. In Stuttgart wollte Defant im Theater die Dramatisierung von Kafkas “Die Verwandlung” ansehen. Doch er selbst hatte sich wohl nicht genug verwandelt. Im März nämlich hatte er einen Juwelendieb für die ZDF-Reihe “Aktenzeichen XY … ungelöst” verkörpert, und dies wurde ihm nun zum Verhängnis. Ein ZDF-Zuschauer erkannte Defant, hielt ihn aber für den echten Juwelenräuber und verständigte die Polizei:

Gegen 20.30 Uhr standen zwei Polizisten hinter ihm, hielten ihn fest, verlangten seinen Ausweis. „Im ersten Moment dachte ich, es hätte was mit Stuttgart 21 zu tun, weil ich direkt am Bauzaun stand“, sagt der 29-Jährige. Aber dem umstrittenen Bahnhofsumbau galt das Interesse der Polizei nicht, sondern seinem Job.

Nach der Feststellung der Personalien war dieser Fall “gelöst”. Der echte Juwelendieb hingegen ist immer noch nicht gefasst, wiewohl die Polizei “derzeit noch Dutzenden Hinweisen aus dem gesamten Bundesgebiet” nachgehe.

Verwechslung nach „Aktenzeichen XY … ungelöst“: So gut wie echt – SPIEGEL ONLINE

Münchener Boulevard: Zahlenakrobatik


16 Jun

Verblüffendes bringen die Boulevard-Journalisten der bayerischen Landeshauptstadt München zustande: Von ein und derselben Pressekonferenz berichten und völlig unterschiedliche Zahlen veröffentlichen. Und das auch noch auf den Titelseiten. In unserem Fall geht es darum, dass die Münchener Polizei es für berichtenswert hielt, wieviele Knöllchen sie an Fahrradfahrer allein in den vergangenen 3 Wochen ausgeteilt hat. Die einzige Zahl, die in der tatsächlichen Berichterstattung Münchner Journalisten zu stimmen scheint, ist aber just die Anzahl der Wochen. Den Rest werden wir wohl nie so ganz erfahren, wie man umstandslos verstehen wird, wenn man dieses Bild sieht:

Waren es nun 2.308 Strafzettel, wie die Münchner Abendzeitung meint, oder waren es doch 5.045 Tickets, wie die tz berichtet? Fragen bleiben.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter