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Der WDR als Verlierer, seine Hörer auch


08 Mrz

Wenn leitende Angestellte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sich öffentlich über das Programm ihres Hauses äußern, dann ist Stolz stets die Tonlage, mit der aufgespielt wird (äußern sich dieselben Personen intern, wird übrigens ein anderer Ton angeschlagen, aber das ist ein anderes Thema). Wie erklärte doch WDR-Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz:

WDR 3 erreicht derzeit täglich 310.000 Hörerinnen und Hörer und damit mehr als in den letzten fünf Jahren, WDR 5 schalten mehr als 680.000 Menschen ein.

Eine Erfolgsgeschichte, müsste man annehmen, wenn dem WDR-Hörfunkdirektor (Jahressalair: 193.000 Euro) geglaubt würde. Doch die neuesten Daten der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (ag.ma) sprechen eine ganz andere Sprache. Die ag.ma ist eine Non-Profit-Organisation, die sich insbesondere durch Umfragen zur Radionutzung hervortut. Und deren neueste Daten sind für den WDR alles andere als rosig, wie in der Süddeutschen Zeitung nachzulesen ist:

Ähnlich unter Druck sind die Kulturwellen der größten ARD-Anstalt: Auch WDR5 hat ein Fünftel und WDR3 ein Viertel seiner Hörer eingebüßt.

Man kann mit diesen schlechten Zahlen argumentieren, dass „jetzt erst recht“ die weitreichenden Reformen im WDR-Kulturprogramm nötig sind, über die seit Wochen heftig diskutiert wird. Man kann aber auch das genaue Gegenteil daraus lesen, nämlich dass schon die vergangenen Reformen, Einschnitte und Kahlschläge offensichtlich vergeblich waren und sich in der Gunst der Hörer gerade nicht niederschlugen, sondern im Gegenteil weite Teile der kulturinteressierten Hörerschaft offenbar vergrault haben. Zumal der größte Verlierer der aktuellen Radio-Umfrage der ag.ma gerade die populärste Welle des WDR ist, nämlich der Jugendkanal 1live. Man kann fragen, ob nicht vielleicht das Führungspersonal dieses öffentlich-rechtlichen Senders, das seine Entscheidungen gerne im Alleingang und in neo-autoritärer Art zu fällen pflegt, daneben liegt oder gar entscheidende Positionen schlicht falsch besetzt sind. Und man kann fragen, ob die einseitige Ausrichtung an Kennzahlen der Medienforschung und Unternehmensberaterkauderwelsch wirklich die richtige Art ist, Programm zu gestalten.

Wie es anders gehen könnte, darüber räsonniert Mathias Greffrath online in der taz:

Wäre es da nicht an der Zeit, statt als Letzter auf die Häckselmaschine zu springen, über „Markenkerne“ ganz neuer Art nachzudenken? Statt immer weiter zu entmischen, eine große Debatte zwischen Machern, Hörern, Künstlern und Wissenschaftlern zu entfachen, „was eigentlich Kultur“ sein könnte in einer Öffentlichkeit, die immer überreizter ist, in einer Gesellschaft, die vor lauter Diversifizierung keine gemeinsame Sprache, keine folgenreichen Debatten hervorbringt, in einer Kultur, die ihren Kanon verloren hat und ihre Gemeinsamkeiten mit Blick auf die Zukunft herstellen muss, in der die Räume für Reflexion immer rarer und teurer werden?

Ja, das wäre eine Freude! Und diese Debatte, sie sollte vor allem von den freien MitarbeiterInnen des WDR geführt werden. Denn sie sind es, die in ganz überwiegender Zahl das Programm herstellen, das die Anstalt in die Welt hinaus sendet. Programmentscheidungen sollten endlich wieder in die Hände von Programmmachern. Es gibt im WDR wunderbare kreative Leute, fähige RegisseurInnen, geniale AutorInnen, talentierte Techniker, grandiose Cutterinnen, erfindungsreiche Kameraleute. Der WDR besitzt fast uferlose Ressourcen, ein beinahe endloses Archiv, Radio- und Fernsehschätze. Der WDR müsste eigentlich die Insel der Seligen sein. Aber stattdessen lässt sein Führungspersonal das Radiomusikprogramm von Computern zusammenstellen und im Kampf um Quoten versenkt es beides, Qualität und Quote. Das Betriebsklima und der Umgangston sind in vielen Bereichen unterirdisch, als wolle man als Ausweis der eigenen Kulturbeflissenheit posthum Jean-Paul Sartres Dictum rechtgeben: „Die Hölle, das sind die anderen“. Gebt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Öffentlichkeit zurück! Lasst die Programm-Macher das Programm machen! Und macht aus dem zahnlosen Tiger Rundfunkrat ein echtes ZuhörerInnen- und ZuschauerInnen-Parlament! Dann könnte der WDR womöglich sogar eine Zukunft haben.

Naja, man wird ja noch träumen dürfen.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter