Bemerkenswerte Ansichten hat der WAZ-Chef Manfred Braun kürzlich in der Fachzeitschrift “Medienwirtschaft” geäußert. Die WAZ-Mediengruppe (heute: Funke-Mediengruppe) hatte im vergangenen Jahr die “Westfälische Rundschau” dicht gemacht, jetzt Ende März kam heraus, dass weitere 200 Stellen in Nordrhein-Westfalen wegfallen sollen. Braun zog eine interessante Trennlinie und erklärte nun, ihm gehe Lesernähe vor journalistischer Qualität. Viele Zeitungsredakteure würden "immer noch Zeitungen für sich und die Journalistenkollegen" produzieren, dabei aber die Leser vollkommen vergessen, zitiert die "MedienWirtschaft" Braun. Das von allen Journalisten gelebte Denken in Geschichten würde von den Lesern nicht in der Wertigkeit wahrgenommen, wie der KressReport aus dem Interview zitiert, das der Dortmunder Journalistikprofessor Frank Lobigs geführt hatte.
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Zeitungen: Weglassen als Qualitätskriterium
Manchmal zeigt sich die Qualität einer Zeitung – oder eben auch die fehlende – darin, worüber sie nicht berichtet. So ist heute in der Kölnischen Rundschau folgender Artikel zu lesen:
Die neue Haltestelle in der Kölner Südstadt kostet also 447.000 Euro mehr. Das ist sicherlich eine Menge Geld und deswegen von öffentlichem Interesse. Noch interessanter ist allerdings, worüber die Kölnische Rundschau nicht berichtet. Im Kölner Stadtanzeiger ist nämlich am gleichen Tag zu lesen:
Nächste Kostenexplosion im Zusammenhang mit der Nord-Süd-Stadtbahn: Der Fahrstuhl am Alter Markt soll nach der Umplanung 2,2 Millionen Euro mehr kosten. Im Gegenzug wird der in ein Gebäude integrierte Lift auch den Rathausplatz bedienen.
Dass also eine Haltestelle 2,2 Mio. Euro mehr kosten soll, hält die Kölnische Rundschau für nicht so berichtenswert wie die Tatsache, dass eine andere Haltestelle 447 Tsd. Euro mehr kosten wird. Schon eigenartig, was für Qualitätskriterien Zeitungen haben können.
Stilkritik: Die Süddeutsche als Quality Paper
“Quality paper”, das ist in der Medienwissenschaft der noble, sprich: denglische Ausdruck für “Qualitätszeitung”. Konterpart dazu ist “popular paper”, was deutlich eleganter klingt als Boulevardpresse, Klatschzeitung oder Gossenblatt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Münchner “Süddeutsche Zeitung” ein solches “quality paper” ist, dann wäre dieser Artikel unter der Überschrift “Stilkritik” über die Beinkleidung eines ehemaligen Spitzensportlers sicherlich dazu angetan:
So tollkühn er im Tor war, so mutig ist Oliver Kahn in Sachen Mode: Souverän trägt er sein weißes Beinkleid zur Schau, obwohl Selbiges um das Ex-Sportler-Bäuchlein spannt – und so eine helle Hose ja auch gelegentlich mal den Blick freigibt auf das Darunter. Unerschütterlich, der Titan!
Der Blick auf die Gesellschaft, die kritische Einstellung gegenüber den Mächtigen, überhaupt die Gatekeeper-Funktion der Presse, all das verbunden mit profunder Recherche und verpackt in ein Deutsch, das die Eleganzgrenzen nach oben erweitert, das macht der Süddeutschen so schnell keiner nach:
Dummerweise scheint stets die Unterhose durch den dünnen Stoff, dann wird einem die der weißen Hose innewohnende Peinlichkeit männlicher Modeabenteuer sofort wieder bewusst.
Auch die intellektuelle Verwurzlung dieser Qualitätszeitung im linken juste milieu wird überdeutlich, wenn beißender Hohn über die Überflussgesellschaft gepaart mit kühlem Spott über das Wohlstandsgefälle sich vereint zu einer ideologie- und globalisierungskritischen Volte, die ihresgleichen sucht:
Um die Hüften ist der Torhüter-Titan etwas fülliger geworden, das ist der Lauf der Welt bei früheren Spitzensportlern. Olli hat jetzt ungefähr die gleiche Figur wie Boris Becker, ein echtes Mannsbild eben. Frauen finden diesen Typus immens attraktiv, weil er so eine Sinnlichkeit und einen großen Appetit aufs Leben ausstrahlt.
Ja, diese Qualitätsblätter sollten wir uns unbedingt erhalten, um Schaden von der Demokratie abzuwenden.
Stilkritik: Die Sommerhose – Der Weißheit letzter Schluss – Leben & Stil – sueddeutsche.de