Posts Tagged ‘Süddeutsche Zeitung’

ARD will investigativ recherchieren?


19 Feb
Georg Mascolo (Foto: Superbass/Wikimedia)

Georg Mascolo (Foto: Superbass/Wikimedia)

Die Nachricht muss alle irritieren, die mal eine ARD-Sendeanstalt von innen gesehen haben: Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo soll einen „Rechercheverbund“ aus WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung leiten. So erklärt etwa Tom Buhrow, der WDR-Intendant:

„Wir bündeln unsere Kräfte in Hörfunk, Fernsehen und Print und machen den Recherchepool zu einem crossmedialen Vorzeigeprojekt für Qualitätsjournalismus“.

Was an solchen Äußerungen wunder nimmt, ist die Tatsache, dass beispielsweise im WDR bislang praktisch überhaupt niemand recherchiert. Von den ca. 4.900 Angestellten des WDR arbeiten vielleicht etwa die Hälfte im weitesten Sinne im redaktionellen Umfeld. Von diesen redaktionellen angestellten MitarbeiterInnen arbeitet aber nur der kleinste Bruchteil wirklich journalistisch, sprich: recherchiert Themen und verfertigt Beiträge. Mehr als 90 Prozent des Programms werden von freien JournalistInnen recherchiert und hergestellt. Wenn diese eng und regelmäßig mit einer bestimmten Redaktion zusammenarbeiten, heißen sie auch „feste Freie“. Das ändert aber nichts daran, dass diese Freien selbständig unternehmerisch tätig sind, d.h. sie recherchieren ihre Themen auf eigene Rechnung und verdienen dann erst Geld, wenn eine WDR-Redaktion Interesse zeigt und einen TV- oder Radio-Beitrag in Auftrag gibt.

Öffenlich-rechtlich verwalten, privatwirtschaftlich produzieren

Diese Arbeitsweise ist auch nicht neu, sondern gehört im Gegenteil zu den basalen Produktionsbedingungen aller öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Schon seit den 1970er hatte in den Sendern, wie der Fernsehhistoriker Knut Hickethier in seiner Geschichte des Deutschen Fernsehens konstatiert hat, die Produktionsweise sich dergestalt verändert, dass zwar öffentlich-rechtlich verwaltet, aber praktisch rein privatwirtschaftlich produziert wurde. Auf diese Weise ließen sich beispielsweise Mitbestimmungsrechte und auch ein damals unter Fernsehleuten noch verbreiteter kritischer Geist einschränken. Redaktionsstatute, Personalratswahlen und andere Partizipationsformen galten nämlich seit dieser Zeit für genau diejenigen „freien“ MitarbeiterInnen nicht, die seitdem den Großteil des Programms herstellen. Man stelle sich vor: Von Redaktionssitzungen sind diese recherchierenden und produzierenden JournalistInnen etwa im WDR explizit ausgeschlossen! Das bedeutet, wenn Redaktionen zusammensitzen und über Themen, Sendungen und Planungen reden, sind genau diejenigen nicht dabei, die diese Sendungen herstellen. Klingt idiotisch? Stimmt.

Öffentlich-rechtliche Recherchen sind ein Widerspruch

Der Gedanke an öffentlich-rechtliche Recherchen ist darum in mehrfacher Hinsicht ein Widerspruch. Diejenigen, die in diesem System recherchieren, tun das in der Regel als „Freie“ auf eigene Rechnung und im eigenen Interesse. Dabei mit anderen zu kooperieren, ist weder vorgesehen, noch auch für den einzelnen „freien“ Mitarbeiter sinnvoll. Umgekehrt macht auch aus Sicht einer ARD-Anstalt eine innerbetriebliche Rechercherabteilung praktisch keinen Sinn, da sie den gesamten Produktionsprozess des Fernsehmachens auf den Kopf stellen würde. Entsprechend gibt es aus den Reihen der Sender auch „Widerstände“ gegen den von Mascolo geplanten Recherchep0ol. Dabei ist die größte Gefahr für die ARD-Anstalten, dass ein Recherche-Profi wie Georg Mascolo mitbekommen könnte, wie erbärmlich und traurig es um kritische Recherchen in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bestellt ist. Versuche im WDR, analog zu den großen Printhäusern wie Süddeutsche, Handelsblatt oder Stern ein investigatives Rechercheteam zu gründen, scheiterten nach Auskunft von einigen, die in diesen Prozess vor ein, zwei Jahren involviert waren, daran, dass weder Geld, noch Stellen zur Verfügung standen. Wie auch: Stellen für recherchierende JournalistInnen sind öffentlich-rechtlich eben gar nicht vorgesehen.Und wenn der Norddeutsche Rundfunk sich damit brüstet, im Recherchepool zusammen mit der Süddeutschen Zeitung Stories zum „Geheimen Krieg“ ausgegraben zu haben, wäre noch zu fragen, wer genau da „der“ NDR ist, wer für ihn in Wahrheit recherchiert hat und ob man sich nicht vielleicht mit fremden Federn schmückt.

Ist öffentlich-rechtlicher Journalismus noch zu retten?

Natürlich ist er das. Die Frage ist nur, ob es im bestehenden System der checks & balances möglich ist. Kürzlich monierte der PR-Berater Michael Spreng in seinem Blog, die ARD-Anstalten hätten zwar 7,5 Milliarden Euro für ihren öffentlichen Auftrag zur Verfügung, würden aber diesem Auftrag nur noch unzureichend nachkommen:

Medien sollten nicht nur fragen, was die Leute sehen wollen, sondern auch, “was sie sehen sollten”. Das ist die Verantwortung des Journalismus, die immer mehr verloren geht. Das Geld muss raus aus Verwaltung, rein in die Redaktionen.

Mit der letzten Bemerkung irrt Spreng gewaltig. Die Verwaltung beispielsweise des WDR ist eine der wenigen Stellen, die wirklich produktiv arbeitet, wie ich aus eigener langjähriger Erfahrung bestätigen kann. Das Problem sind nicht die Verwaltungen, sondern die Redaktionen. Was man sich als Fernsehmacher wünschen würde, wäre, dass die redaktionellen Etats wirklich für die Fernsehmacher da wären und dass die über das Programm mitbestimmen, die es auch wirklich herstellen. Das etablierte öffentlich-rechtliche System ist eines von Bienendrohnen, die weder fleißig, noch fruchtbar sind, aber dafür teuer. Was hermuss, ist AutorInnenfernsehen und ein effizientes Management, das die Räume für deren Produktionen schafft. Und was aus ZuschauerInnensicht wünschenswert wäre, das wäre mit den Rundfunkräten die Abschaffung eines Pseudo-Kontrollorgans, das sich an der Gesellschaftsschichtung der 1950er Jahre orientiert. Stattdessen muss ein ZuschauerInnen-Parlament her, das für eine echte Mitbestimmung der Gebührenzahler sorgt. Aber ach! vermutlich sind die Zeiten vorbei, in denen das Wünschen noch geholfen hat.

 

Die Schmidtchen-Schleicher-Art im Journalismus


09 Okt

Der Journalismus finanziert sich über Werbung. Dennoch (oder gerade deswegen) müssen redaktioneller Inhalt und Anzeigenteil streng getrennt werden. Werden sie aber nicht immer. Denn Werbung gilt aus verständlichen Gründen bei den LeserInnen nicht als sehr glaubwürdig. Schafft es die Werbeindustrie dagegen, werbende Aussagen im redaktionellen Teil unterzubringen, dann steigt die Glaubwürdigkeit und damit die Amortisation enorm. Und die Werbeindustrie schafft das häufig ganz einfach, nämlich durch Geldzahlungen oder andere gute Geschäfte, zum Beispiel Koppelungsgeschäfte. Dabei wird die Schaltung einer Anzeige daran „gekoppelt“, dass die Redaktion über die Firma oder deren Produkt auch etwas Journalistisches bringt.

schleichwerbung_MDrei krasse Fälle habe ich in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift M – Menschen Machen Medien dargestellt. Dabei verwundert es einen vielleicht gar nicht mehr, dass das Reisemagazin Business Traveller oder das TV-Heftchen rtv auf unbillige Art redaktionellen Inhalt und Werbung vermischen. Aber dass offenbar auch die seriöse Süddeutsche Zeitung in ihrem Magazin recht unverhohlen solche Produkte ins Bild rückt, die gleichzeitig großformatig beworben werden, verwundert schon. Mein Artikel dazu ist online hier einzusehen:

„M“: Schleichpfade. Werbung mit redaktionellem Mäntelchen – drei markante Beispiele

Einige krasse Fälle hat auch der Blog Topfvollgold, der sich vor allem mit der Regenbogenpresse beschäftigt, gesammelt.

Süddeutsche: Kapitol oder Palatin?


03 Dez

Forum Romanum (Foto: Wiki Commons)

Zitronenfalter heißen bekanntlich nicht so, weil sie Zitronen falten. Und der Klugscheißer? Auch da könnte man allerhand spekulieren, warum der zu seinem legendären Namen kam. Klar aber ist, wer mit seiner Bildung hausieren gehen will,  der sollte schon aufpassen, dass er nicht in Fettnäpfchen tritt. Aber es passiert halt doch immer wieder. Zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung. Da gab es in der Wochenendbeilage einen historisch räsonnierenden Beitrag über die Geschichte der Mätresse von den Kaisern des alten Rom bis zum CIA-Chef der USA in unseren Tagen. Und darin heißt es:

Die Ehe gilt dort offiziell als Säule der Gesellschaft, und die Erwartungen an Führungspersönlichkeiten erinnern an jene Dichter Roms, die noch den tumbesten Lustmolch im Kapitol als Herold der Tugend besangen.

Wenn mit dem „Lustmolch im Kapitol“ der ein oder andere römische Kaiser gemeint sein sollte, ist allerdings etwas durcheinander gegangen. Denn die Kaiser im alten Rom saßen nicht auf dem Kapitolhügel, sondern gegenüber auf dem Palatin, von dem sich unser Wort für Palast herleitet. Der Kapitol war der Tempelberg und den Gottheiten Juppiter und Juno geweiht. Und jetzt darf man mich ruhig Klugsch… nennen.

Süddeutsche: Telefonsex per Email


14 Nov

Medienkonvergenz schön und gut. Aber wie kann man denn eigentlich „Telefonsex“ per Email haben? Das muss mir die sueddeutsche.de doch mal erklären:

Kelley soll Hunderte E-Mails mit General Allen gewechselt haben, deren Inhalt zwischen „Flirt“ und „Telefonsex“ liegt.

Was kommt denn dann als nächstes: Erotikfilme im Radio, Miteinanderschlafen im Wachkoma, anzügliches Nacktkuscheln …? Hierüber hält uns die Süddeutsche Zeitung hoffentlich auch auf dem Laufenden.

Wahlprognosen: Auch Serbien muss Sterbien


22 Mai

Nicht nur hierzulande haben Wahlprognosen sowie die Journalisten, die regelmäßig über sie berichten, große Probleme. Auch im Ausland sind die Prognosen nicht wert, was die Prozente versprechen. Anders ist nicht zu verstehen, was die Süddeutsche Zeitung über die jüngsten Wahlen in Serbien zu berichten weiß:

Entgegen allen Umfragen und Prognosen hat Serbiens Oppositionsführer Tomislav Nikolic am Sonntag die Stichwahl um die Präsidentschaft gewonnen. Der 60-Jährige liege klar zwei Prozentpunkte vor dem langjährigen Amtsinhaber Boris Tadic, teilte das Zentrum für freie Wahlen, Cesid, am Abend nach Hochrechnung von 70 Prozent der abgegebenen Stimmen mit. "Die Chancen sind gering, dass sich dieser Trend noch umkehrt", analysierten die Wahlforscher.

Stichwahl – Nikolic neuer Präsident in Serbien – Politik – sueddeutsche.de

Grass-Gedicht: Kein Literatur-, sondern ein Presse-Skandal


09 Apr

Quelle: WikimediaWas hat die Feuilleton-Redaktion der Süddeutschen Zeitung sich eigentlich dabei gedacht, als sie am vergangenen Mittwoch Günter Grass’ Gedicht “Was gesagt werden muss” veröffentlicht hat? Wir werden es nicht erfahren, weil sie es uns nicht mitteilt. Die italienische Tageszeitung La Repubblica, die den Text zeitgleich ebenfalls veröffentlichte, hat ihn mit einer zwei-seitigen kritischen Auseinandersetzung begleitet. In der SZ: Fehlanzeige. Dort erschien das skandalumwitterte Gedicht kommentarlos. Erst am folgenden Tag, nachdem jene “heilige Scheiße” über den deutschen Literaturnobelpreisträger hereingebrochen ist, die im aktuellen Social-Media-Jargon als “shitstorm” bezeichnet wird, sah sich Feuilleton-Chef Thomas Steinfeld veranlasst, sich zu dem Text zu äußern:

In der Sache wird man Günter Grass an vielen Punkten widersprechen. Bis zu einem israelischen „Erstschlag“, also zu einem initialen Angriff der Israelis mit Atomwaffen, reichen bislang selbst die schwärzesten politischen Phantasien nicht, ebenso wenig scheint ein „Auslöschen“ des iranischen Volks (Günter Grass wird dieses Wort gewählt haben, weil darin der Holocaust anklingt) anzustehen.

Wenn der SZ-Mann widersprechen will, warum veröffentlicht er dann? Wenn er für halt- und nutzlos hält, was Grass hier als lyrische Empfindsamkeit tarnt, warum lässt er es dann unkommentiert auf breitem Raum in seiner Zeitung erscheinen? Darauf hätte man gerne Antworten. Solange die ausbleiben, darf man spekulieren: Dass hier eine Redaktion einen “scoop” witterte, dass man die eigenen Auflage- und Verkaufszahlen gerne mit allem fördert, und sei es auch Antisemitismus und Holocaust. Eine Grass’sche Behauptung widerlegt die SZ durch die schlichte Veröffentlichung des Pamphlets: Dass es in Deutschland irgendwelche Sprech- oder Publikationsverbote gäbe. Und schon allein diese Position von Grass (wenn auch sonst keine), sollte einen doch wundern machen: die Inanspruchnahme eines vorgeblichen Denk- und Sprechverbots (O-Ton Grass: “Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes”), insbesondere was Kritik am Staat Israel angeht. Denn ein solches “Verbot” wird doch quer durch die bundesrepublikanische Debatten-Geschichte widerlegt. Im Gegenteil ist Israel-Kritik einer der Allgemeinplätze in der deutschen Öffentlichkeit, und in ihr verbinden sich auf fatale Weise die Positionen der rechts- wie der linksextremen, von der NPD bis zur RAF. Grass’ Behauptung ist also eine rein rhetorische, und diese Rhetorik teilt er traurigerweise mit den Sarrazins und Schönhubers dieses Landes, die regelmäßig vermeintliche Mehrheitsmeinungen mit angeblichen Sprechverboten garnieren (“man wird doch wohl noch sagen dürfen …”).

Ich möchte mich hier ausdrücklich den Worten des geschätzten Schriftstellers Joachim Helfer anschließen, der zur Causa Grass und im besonderen zur veröffentlichten Meinung des Journalisten Jakob Augstein schrieb:

Der Frieden zwischen Israel und dem Iran wird nicht durch Israels Nuklearwaffen bedroht, und zwar einfach deshalb nicht, weil es nie die Waffen sind, die den Frieden bedrohen, sondern die Menschen und ihre Handlungen und Absichten. Nicht dass es Atomwaffen gibt bedroht den Weltfrieden; vielmehr spricht vieles dafür, dass ihre Existenz es ist, die uns in Europa seit 1945 einigermaßen in Frieden hat leben lassen. Den Frieden bedroht, wer Andere bedroht, und wer die legitimen Rechte Anderer in Abrede stellt. Israel stellt keines der Rechte des Iran in Abrede; Iran bestreitet im Gegenzug das Existenzrecht Israels. Das, und nur das, bedroht den Frieden in der Region. Kein Staat der Welt kann es hinnehmen, dass einerseits seine schiere Existenz vernichtet werden soll, und dass andererseits diejenigen, die das verlangen, sich die dafür tauglichen Mittel, nämlich die Atombombe, besorgen. (…) Es geht Ihnen, pünktlich zu Pessach, um die Verhetzung der Juden als Wurzel des Übels in der Welt. Sie ekeln mich an.

SZ-Feuilletonchef Steinfeld kritisiert in seinem Text (der interessanterweise auf der Grass-Themenseite bei SZ-Online nicht zu finden ist) die Grass’sche Durchsichtigkeit und den Rückzug auf ein lyrisches Ich:

Gewiss, der Ton der sich in Gewissensqualen marternden Unschuld, den Günter Grass in seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ anschlägt, der ganze, so sorgfältig inszenierte Schmerzensschrei eines geschundenen Liebhabers des Weltfriedens hat etwas Gekünsteltes.

Er ist ebenso illusorisch wie der Gedanke, man könne in Gestalt von Gedichten – mit oder ohne Mandat – über die Weltpolitik verfügen. Und allzu durchsichtig ist die Funktion, die hier der lyrischen Form übertragen wird: Sie dient dazu, den Schriftsteller der Kritik zu entziehen. Indem er sich – scheinbar – nach innen wendet und sein Innerstes nach außen kehrt, in dem er, vor und anstatt einer politischen Auseinandersetzung, als lyrische Empfindsamkeit auftritt, will er einen Standpunkt über allen anderen einnehmen und sich unangreifbar machen. An der Empfindsamkeit sollen alle Einwände zugrunde gehen.

Man könnte auch sagen: Mehr fällt Steinfeld dazu nicht ein?! Nein, mehr darf ihm nicht einfallen, denn würde er zu dem Grass-Gedicht deutlichere Worte schreiben, würde er die Veröffentlichungspraxis seiner eigenen Redaktion als das diffamieren, was sie ist: Bigotterie. Es handelt sich beim Grass-Gedicht “Was gesagt werden muss” nicht um einen Literatur-, sondern um einen Presseskandal.

Dichten und meinen – Kultur – sueddeutsche.de

Urlaub: Erholung von Medien?


19 Aug

Wer glaubt, auch die Sprachschnitzer des deutschen Journalismus würden einmal Urlaub machen und uns wenigstens in der Ferienzeit ein bisschen Erholung gönnen, der irrt. Ein paar kleine Kostproben:

Sportreporter Edgar Endres auf Bayern 5 aktuell:

„Das 2:0 hätte noch wesentlich höher ausfallen müssen“.

Sportreporter sind ja schon legendär für ihren Quatsch mit Soße. Und hier quarkt es wieder besonders: Ein 2:0 wird auf immer und ewig ein 2:0 bleiben. Denn wenn es höher ausfiele, wäre es definitiv kein 2:0 mehr. Irgendwie logisch. Aber damit haben es Sportreporter ja nicht immer.

*   *   *

Aus der TV-Kritik über eine Adelsschmonzette aus dem Hause Habsburg in der Süddeutschen Zeitung:

„Franz ist ein dynastisch denkender, frustrierter Taktiker, der sich erwehren muss gegen allerlei sozialreformerische und frühdemokratische Ideen seiner Untertanen“.

Es ist schon ein Elend mit der erlesenen Ausdrucksweise. Da wählt man mal, weil es trés chic klingt, ein nicht völlig allgemein gebräuchliches Verb wie „sich erwehren“, und dann patzt man doch wieder. Denn „sich erwehren“ regiert einfach den Genitiv: „… er musste sich allerlei frühdemokratischer Ideen erwehren …“. Das Adverb „allerlei“ jagt einen hier natürlich ein bisschen ins Bockshorn (nicht: „Boxhorn“!), da es nicht mitflektiert wird und darum den korrekten Gebrauch des Genitivs etwas vernebelt.

*  *  *

Gut, dass Journalisten auch in der Ferienzeit zwischen Bericht und Kommentar klar zu unterscheiden wissen. Obwohl, einige, wie zum Beispiel Gustav Seibt in der SZ, lassen auch da an heißen Tagen mal fünfe gerade sein. In einem Bericht über die Autobrandstiftungen in Berlin schreibt er:

„Natürlich sind verbürgerlichte Alternative gegen brennende Autos, aber ein paar Blockwartdienste zum Wohl der Volksgemeinschaft im Kiez dürfen schon sein“.

Dafür muss man diesen wohlfrisierten Autoren von Qualitätszeitungen schon dankbar sein: Wer sonst, wenn nicht die Süddeutsche, würde den passenden Kamm finden, um die neu erstarkten Grünen mit Nazis über einen ebensolchen zu scheren.

Wenn gute Nachrichten schlechte werden


30 Mai

Manchmal sind auch gute Nachrichten eben schlechte (oder: schlecht geschriebene). Zum Beispiel diese Meldung in der Süddeutschen Zeitung:

Deutsche rauchen immer weniger Zigaretten

Was das eigentlich bedeuten soll, kann auch dieser neuerliche Fall von Immermehrismus nicht sagen: Wenn die Deutschen wirklich „immer“ weniger rauchen, werden sie dann irgendwann zu Minus-Rauchern? Oder heißt „immer weniger“ soviel wie „manchmal mehr“ oder „selten alles“? Wir werden es nie erfahren.

P.S.: Ich weiß, „eigentlich“ soll man ja eigentlich auch nicht schreiben. Adorno, „Jargon der Eigentlichkeit“ und so …

Echo auf Eco: Das Internet ist das Universum des Falschen


24 Mai

Umberto Eco

Umberto Eco ist Sprachwissenschaftlern ebenso ein Begriff wie Romanliebhabern: Als Wissenschaftler hat er sich ebenso einen Namen gemacht (in der Semiotik nämlich, die man quasi „seine“ Wissenschaft nennen könnte) wie als Autor von „Der Name der Rose“ und ähnlich eloquenten Erzählwerken (wir lieben ja „Das Foucault’sche Pendel“ meist noch mehr). Nicht alle wissen aber außerhalb des italienischen Sprachraums, dass Eco auch als Journalist ausgewiesen ist. Seit nunmehr Jahrzehnten füllt er die letzte Seite des Nachrichtenmagazins L’Espresso mit seiner Glosse „La busta di Minerva“. In einer der letzten Ausgaben hat er sich (übrigens beileibe nicht zum ersten Mal) mit dem Internet auseinandergesetzt, und zwar kritisch (für Kenner des Italienischen ist hier der Link). In der Zusammenfassung der Süddeutschen Zeitung:

Der Journalist Tommaso Debenedetti, im vergangenen Jahr Mittelpunkt einer Affäre um erfundene Interviews mit Philip Roth, Herta Müller, Gore Vidal und anderen Schriftstellern, hatte offenbar im Namen Umberto Ecos der International Herald Tribune einen Leserbrief geschrieben, in dem er die Nato-Militäraktionen in Libyen scharf kritisierte. Und die Zeitung hatte die Zeilen Anfang April als authentische Wortmeldung Ecos abgedruckt. In denselben Topf warf Eco nun in seiner Kolumne viele andere Internet-Falschmeldungen über ihn und sein Werk. Er habe etwa auf einer katholischen Nachrichtenseite erfahren müssen, dass ein Autor sein Buch mit einem Eco-Vorwort schmücke, das er, Eco, gar nicht verfasst habe.

Quintessenz von Umberto Eco, wiederum in der Übertragung der SZ:

Eco beklagte, dass das Netz ein „anarchisches Territorium“ geworden sei, „wo man alles sagen kann, ohne dementiert werden zu können“.

Eco ist nach Meinung des SZ-Autors viel zu pauschal und oberflächlich in seiner Kritik. Er würde darum in der italienischen Netz-Gemeinde auch mit Hohn und Spott bedacht. Originalton SZ:

Unter italienischen Bloggern sorgte Ecos Lamento für Spott und bissige Reaktionen. In seinem Blog Wittgenstein.it antwortete ihm Adriano Sofris Sohn Luca, der die Online-Zeitung Il Post herausgibt: Die genannten Falschmeldungen hätten ihren Ursprung sämtlich in klassischen Medien. Die Kritik sei zudem Zeichen einer gewissen intellektuellen Oberflächlichkeit.

Die italienischen Netizens als unkritische Apologeten des WWW und einer der bedeutendsten Gelehrten, den Italien im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, ein oberflächlicher und intellektuell minderbemittelter Kritikaster? Da lohnt sich doch, die Italienischkenntnisse zusammenzukramen und mal im Original nachzulesen. Was hat Umberto Eco denn nun wirklich geschrieben? Tatsächlich ist in der Printausgabe der Herald Tribune ein klassischer Leserbrief im Namen von Umberto Eco veröffentlicht worden, mit dem Eco in Wahrheit nichts zu tun hat. So weit, so analog. Autorisieren konnte sich der Fälscher jedoch „usando un mio presunto indirizzo di email aperto da lui stesso con grande facilità“, also indem er mit Leichtigkeit eine (gefälschte) Emailadresse im Namen von Umberto Eco eingerichtet hat, mit der er sich auswies. Auch in Ecos Formulierung über das „anarchistische Territorium“ hat die SZ kurzerhand einen wichtigen Nachsatz weggelassen. Eco schreibt nämlich:

Ormai Internet è divenuto territorio anarchico dove si può dire di tutto senza poter essere smentiti. Però, se è difficile stabilire se una notizia su Internet sia vera, è più prudente supporre che sia falsa.

Inzwischen ist das internet ein anarchistisches Territorium geworden, wo man alles behaupten kann, ohne der Lüge überführt zu werden. Jedoch, wenn es schwierig zu überprüfen ist, ob eine Mitteilung im Internet wahr ist, dann ist es klüger, sie von vornherein für falsch zu halten.

Um Lebensklugheit geht es hier und um einen fast schon Pascal-haften Umgang mit dem Wahrheitswert von Internet-Behauptungen. Auch andernorts setzt die italienische Netzgemeinde sich deutlich differenzierter mit dem neuesten Medium auseinander, als es die SZ-Netzdepeschen-Redaktion wahrhaben möchte. In der Net-Zeitung Linkiesta etwa ist ein Verriß zu lesen, der noch deutlich mehr Verve hat als die medienphilosophischen Betrachtungen von Umberto Eco:

Noi giornalisti capiamo nulla di Internet
(Wir Journalisten verstehen gar nichts vom Internet)

Der Artikel fasst die Ergebnisse einer großangelegten Studie zusammen, die die Columbia School of Journalism kürzlich vorgelegt hat. Sie beschäftigt sich differenziert mit den ökonomischen Möglichkeiten des Journalismus im Internetzeitalter. Differenzierter jedenfalls als die Autoren der Süddeutschen Zeitung.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter