Posts Tagged ‘Zahlen’

Express: Radarkontrolle für JournalistInnen


23 Mai
Ausschnitt: Express Online

Ausschnitt: Express Online

Für Alkoholsünder gibt’s Fahrverbote, für Zu-schnell-Fahrer gibt’s Bußgelder. Was aber ist eigentlich mit JournalistInnen, die statt in die Radar-Falle in die Mathe-Falle tappen? Hier herrscht dringender Handlungsbedarf, wie ein Blick auf die Website der Bonner Ausgabe des Express beweist:

Bonn / Meckenheim – Nur zwei Stunden kontrollierte die Polizei am Pfingstmontag-Nachmittag auf der Strecke zwischen Bonn und Meckenheim Autofahrer. Mit schockierendem Ergebnis: Von 80 gemessenen Fahrzeugen war fast jeder dreizehnte zu schnell …

Jeder Dreizehnte aus einer Gesamtzahl von achtzig kontrollierten Fahrzeugen, das ist einfach zu berechnen. Sechs FahrerInnen hätten demnach verwarnt werden müssen. Aber der Express rechnet irgendwie anders:

Zehn Verwarnungsgelder wurden erhoben, drei Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, ein Fahrer wurde aus dem Verkehr gezogen. 70 Stundenkilometer waren an der Messstelle erlaubt.

Zehn Bußgelder plus drei Ordnungswidrigkeiten macht in ganzen Zahlen zwar 13, aber eben nicht „fast jeder dreizehnte“ — dass an dieser Stelle der „Dreizehnte“ hätte groß geschrieben werden müssen, darüber wollen wir mal geflissentlich hinwegsehen. Aber was heißt hier „fast 100 km/h zu schnell“? Bei erlaubten 70 Stundenkilometern müsste also jemand mit 170 km/h innerorts geblitzt worden sein. Lesen wir im Express:

Deutlich flotter fuhr ein Mann (53): Fast 90 km/h zeigte sein Tacho an, als der Blitz kam. Zudem hatte er auch noch eine Promille Alkohol im Blut. Führerschein futsch. Noch fixer war ein Fahrer (35) unterwegs: Mit knapp 100 km/h raste er die Strecke entlang. Bußgeld von 80 Euro, 3 Punkte.

Jemand ist also mit 100 km/h geblitzt worden. Damit ist er aber nicht „100 km/h zu schnell“, sondern er ist 30 km/h zu schnell gefahren. Aber wie sagt man im Rheinland: Mit solchen Fisimatenten können wir uns nicht aufhalten … Es wird Zeit für eine Radarkontrolle für JournalistInnen, bei denen Verstöße gegen das Mathe-Limit und Übertretungen der Arithmetik schon im Promillebereich erfasst und geahndet werden.

(Dank an Basti Rose für den Hinweis!)

Angelina Jolies Brüste als statistisches Problem


14 Mai
Angelina Jolie - vor der OP (Foto: Wikimedia)

Angelina Jolie – vor der OP (Foto: Wikimedia)

Die einmal zur „schönsten Frau der Welt“ gekürte US-Schauspielerin Angelina Jolie hat sich aus Angst vor Brustkrebs beide Brüste amputieren lassen. Diese, von der seriösen New York Times in Form einer Tagebuchaufzeichnung verbreitete, Nachricht hat zu den erwartbaren Kapriolen auch in der deutschen Presse geführt. „Angelina in ihrer mutigsten Rolle“, dichtet Die Welt. Die Berner Zeitung weiß in etwas eigenartiger Grammatik: „Jolie fühlt sich nach der Brustamputation ’nicht weniger Frau‘ als vorher“. Und Spiegel Online hat direkt den Servicebeitrag zum Eingriff: „So funktioniert die Brustamputation“.

Angelina hat also keinen Busen mehr. Und deutsche Journalisten haben offenbar keinen Taschenrechner mehr.  Sonst könnten sie nämlich die Brustkrebswahrscheinlichkeiten richtig berechnen. Eigenartig ist nämlich, was die Journalistenkollegen da unisono (hat da wohl jemand vom anderen abgeschrieben) über die statistischen Aussagen in Sachen Brustkrebsrisiko zu sagen haben. Hier in der Version des Mediendienstes Meedia (Überschrift: „Angelina Jolie jenseits der Klatschspalten“):

In der New York Times schreibt sie, dass sie wegen eines Gen-Defekts mit 87 prozentiger Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs erkrankt wäre. Ihre Mutter starb im Alter von 56 Jahren an der Krankheit. Nur bei einer kleinen Minderheit ist dieser spezielle Gen-Defekt die Ursache für Brustkrebs. In diesen Fällen aber besteht eine im Durchschnitt 65-prozentige Wahrscheinlichkeit der Erkrankung …

Journalisten lieben bekanntlich Zahlen. Prozentangaben lieben sie besonders. Nur mit dem Rechnen haben sie es nicht immer so. Wenn Frau Jolie „wegen eines Gen-Defekts mit 87 prozentiger (sic!) Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs erkrankt“, dann bedeutet das eine 87-prozentige Wahrscheinlichkeit der Erkrankung. Und keineswegs eine „65-prozentige Wahrscheinlichkeit der Erkrankung“!

Wie kann es zu diesem Fehler kommen? Sehen wir uns das englischsprachige Original aus der New York Times an. Dort heißt es:

My doctors estimated that I had an 87 percent risk of breast cancer and a 50 percent risk of ovarian cancer, although the risk is different in the case of each woman. Only a fraction of breast cancers result from an inherited gene mutation. Those with a defect in BRCA1 have a 65 percent risk of getting it, on average.

Hier wird anders gerechnet: Es ist von einer 65-prozentigen Wahrscheinlichkeit die Rede, wegen des Genfehlers in BRCA1 an Krebs zu erkranken. Wie alle Frauen (auch die ohne diesen Genfehler) gibt es für Angelina Jolie natürlich noch andere Gründe, an Brustkrebs zu erkranken (etwa weil sie Raucherin ist, wegen ihres Alters etc.). Dies summiert ergibt dann die Endwahrscheinlichkeit von 87 Prozent für eine Brustkrebs-Erkrankung. Ob es deswegen angeraten ist, sich vorauseilend die Brüste entfernen zu lassen und wie sich dadurch das allgemeine Krebsrisiko verändert, wird nicht thematisiert.

Hier liegt also ein nahezu 100-prozentiges Beispiel für Statistik-Schwäche vor, das sich durch Kolportage und eine 80-prozentige Copy-and-paste-Neigung im deutschen Journalismus in Windeseile massenhaft verbreitet hat. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgend jemand das im nachhinein korrigieren wird? Vermutlich null Prozent.

Kölner Stadtanzeiger rottet deutsche Männer aus


04 Dez

männliche Anatomie (Grafik: Wiki Commons)

Zeitungssterben ist das eine, Sterben in der Zeitung ist das andere: Wenn beides zusammen kommt, dürfte der Untergang des Abendlandes nicht mehr lange auf sich warten lassen. Der Kölner Stadtanzeiger jedenfalls hat eine regelrechte Sterblichkeitsepedemie ausgemacht und schickt sich an, Deutschlands Männer auszurotten. Und das ausgerechnet in der heutigen Ausgabe des „Magazins“, zwischen Themen wie „Kratzen im Hals bei Kerzenschein, „Anleitung zum Mitsingen“ und dem Horoskop. Dort geht es, weil mit der Weihnachtszeit ja auch das Jahr zu Ende geht, um die Sterblichkeit bei Prostatakrebs. Konkret, so der Stadtanzeiger:

„…drei von hundert Männern bundesweit sterben jährlich an Prostata-Krebs, so die Statistik.“

Wirklich? Kurz nachgerechnet: Drei Prozent der männlichen Bundesbürger, das wären bei ca. 40 Mio. Männern in Deutschland gute 1,2 Millionen Sterbefälle nur mit der Diagnose Prostatakrebs. Jährlich! Diese Zahl ist schon dann absurd, wenn man sich ansieht, wieviele Menschen überhaupt jährlich in Deutschland sterben:

Im Jahr 2008 starben 446.788 Frauen und 397.651 Männer das waren rund 1% der Bevölkerung.

Der Kölner Stadtanzeiger will also buchstäblich ein Massaker an der männlichen deutschen Bevölkerung veranstalten. Aber auch wenn man solche statistischen Nickeligkeiten außen vorlässt, und sich nur die Statistiken zu Prostataerkrankungen ansieht, ist die Rechnung im Magazin der Kölner Tageszeitung nicht nachvollziehbar:

Unter den bei Männern zum Tode führenden Krebserkrankungen lag das Prostatakarzinom 2008 mit 10,4% (etwa 11.900 Fälle) nur an dritter Stelle, nach Lungenkrebs (25,4%, ca. 29.000 Fälle) und Dickdarmkrebs (12,5%, ca. 14.200 Fälle). Die Sterberate (Mortalität, standardisiert) betrug etwa 20 je 100.000 Männer.

Wie kann die Journalistin dann nur auf diese sehr unsinnige Prozentangabe gekommen sein? Vielleicht durch statistische Aussagen wie diese:

Das Sterberisiko im Laufe des Lebens beträgt insgesamt nur 3,3%.

Dies ist aber nur die Angabe einer Wahrscheinlichkeit und nicht der tatsächlichen Sterbefälle, und sie bezieht sich auch nur auf diejenigen Männer, die schon an Prostatakrebs erkrankt sind. Andernfalls würde sich die Nachfrage an einen Kölner Chefarzt auch erübrigen, die da lautete:

Steigt die Zahl der Prostata-Krebsfälle?

Legt man die Rechenkünste des Kölner Stadtanzeigers zugrunde, muss logischerweise die Krebsrate sinken: Denn alle potentiellen Patienten würden über kurz oder lang ausgerottet sein. Damit sterben allerdings auch die Leser des Kölner Stadtanzeigers aus: Sterben in der Zeitung = Zeitungssterben. Was zu beweisen war.

Yahoo: Wer wird Billionär?


28 Nov

Der Umgang von Journalisten mit Zahlen ist ja schon beinahe legendär schlecht. Wolf Schneider, ehemaliger Leiter der Hamburger Henri Nannen-Schule stellt fest, „drei von vier Zahlen (…) sind entweder falsch oder irreführend oder fragwürdig oder unzulässig oder läppisch“. Dabei ließen sich die gröbsten Schnitzer schon durch einfache Plausibilitätsprüfung vermeiden. Zum Beispiel der hanebüchene Blödsinn, den das Internet-Portal Yahoo verbreitet:

Screenshot: Yahoo.de

3,5 Billionen soll die US-Schauspielerin Natalie Portman also „in die Kinokassen gespielt“ haben? Gehen wir mal davon aus –wozu sich Yahoo allerdings ausschweigt –, dass es sich bei dieser Summe um Euro oder Dollar handelt, und nicht etwa um alte italienische Lire oder indische Rupien.  Nun geht es im Kinobusiness häufig um fantastische Summen, hier wurde aber wohl doch fantasiert. 3,5 Billionen US-Dollar, das ist das komplette Haushaltsbudget der Vereinigten Staaten von Amerika für das kommende Jahr, und die USA führen immerhin eine stattliche Anzahl von Kriegen und kriegerischen Konflikten, die finanziert werden wollen. Natalie Portman mag die Geheimwaffe Hollywoods sein, aber weder in puncto Grazilität noch in puncto Kosten muss sie sich mit einem Flugzeugträger oder einer Panzerkolonne vergleichen lassen. Auch in anderer Hinsicht ist die von Yahoo publizierte Zahl nicht plausibel: Der Film „Star Wars Episode I: Die dunkle Bedrohung“, mit dem Portman zum Star wurde, spielte an den Kinokassen gut 1 Milliarde Dollar ein und ist damit der elft-erfolgreichste Film der Kinogeschichte. Um auf die genannte Einspielsumme zu kommen, hätte Portman aber in 3.500 weiteren Star Wars-Episoden mitspielen müssen. Da hätte auch der größte Fan der Star Wars-Saga vermutlich keinen müden Cent mehr für eine Kinokarte ausgeben mögen.

Bleibt zu vermuten, dass hier ein altbekannter und darum umso peinlicherer Rechenfehler vorliegt: die amerikanischen „billions“ sind im Deutschen die „Milliarden“. Auch hierbei handelt es sich um große Summen, aber eben nicht um Fantastillionen. Die verdient nur Dagobert Duck in Entenhausen, aber keine Hollywoodschauspielerin.

In 80 Fehlern um die “Welt”


20 Apr

Wenn JournalistInnen Zahlen verwenden, ist stets größte Vorsicht angebracht: In den allermeisten Fällen, in denen in Zeitungen und Fernsehnachrichten mit Zahlen jongliert wird, sind die Angaben falsch, missverständlich oder unvollständig. Das gilt im übrigen auch für sogenannte Qualitätsmedien. Überraschend war aber doch die Anzahl an Fehlern, die mir begegneten, als mir eine nette Bahn-Bedienstete im ICE eine Ausgabe von “Die Welt aktuell” in die Hand drückte. Da fand ich beispielsweise folgendes:

Welt-Statistik02

Nichts lieben Zeitungsjournalisten mehr als Zahlen. Wahlergebnisse, Statistiken, Meinungsumfragen, der Prozentsatz der Ostdeutschen mit krummen Füßen, Gewichte und Maße insbesondere von Frauenleibern, die Länge männlicher Geschlechtsteile, die jährlichen Durchschnittszahlen von Geschlechtsverkehren, Mordtaten oder dem Verzehr von Sacherschnittchen außerhalb Wiens und die kommagenaue Bezifferung des Elends der Welt, all das entnehmen wir täglich der Zeitung.

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Spiegel: Beim Übertreiben geblitzt worden!


28 Sep

Unter der Überschrift „Blitzende Mülleimer“ hat sich das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ des populären Themas Geschwindigkeitskontrollen angenommen. Kommunen, die Blitzer aufstellen (so die nicht gerade taufrische These des Magazins), wollen nicht nur den Verkehr regulieren, sondern auch Geld verdienen. Um dies möglichst drastisch zu schildern, heißt es in dem Blatt:

Als er (sc. der Blitzer an der A2) scharfgestellt wurde, dachte Staude, das Gerät werde pro Jahr „vielleicht 15.000-mal“ auslösen (…) Doch schon am vierten Tag saßen seine Leute vor 15.000 Fotos.

Und etwas weiter unten heißt es dann:

Sechs von Staudes Leuten kümmern sich um die etwas 6.500 Digitalfotos, die jede Woche hereinkommen.

Die beiden Zahlenangaben passen natürlich nicht zusammen: Wenn nach vier Tagen schon 15.000 Fotos beisammen sind, können es nicht an sieben Tagen nur noch 6.500 Fotos sein. Oder ist das eine der Spitzen- und das andere der Durchschnittswert? Man weiß es nicht.

Münchener Boulevard: Zahlenakrobatik


16 Jun

Verblüffendes bringen die Boulevard-Journalisten der bayerischen Landeshauptstadt München zustande: Von ein und derselben Pressekonferenz berichten und völlig unterschiedliche Zahlen veröffentlichen. Und das auch noch auf den Titelseiten. In unserem Fall geht es darum, dass die Münchener Polizei es für berichtenswert hielt, wieviele Knöllchen sie an Fahrradfahrer allein in den vergangenen 3 Wochen ausgeteilt hat. Die einzige Zahl, die in der tatsächlichen Berichterstattung Münchner Journalisten zu stimmen scheint, ist aber just die Anzahl der Wochen. Den Rest werden wir wohl nie so ganz erfahren, wie man umstandslos verstehen wird, wenn man dieses Bild sieht:

Waren es nun 2.308 Strafzettel, wie die Münchner Abendzeitung meint, oder waren es doch 5.045 Tickets, wie die tz berichtet? Fragen bleiben.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter