Am heutigen 11. im 11. beginnt in Köln der Karneval und die närrische Zeit. Manche meinen, in diesem Jahr hätte die närrische Zeit zwei Tage früher und nicht in Köln, sondern in den Vereinigten Staaten von Amerika begonnen. “Die Welt steht Kopf”, titelte, passend, die Tageszeitung Die Welt kompakt. Und das Boulevardblatt aus dem gleichen Hause, Bild, sprach vom “Trump-Schock”.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt mit sorgenvollem Gesichtsausdruck, Deutschland und Amerika seien durch Werte verbunden, “Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung”.
Westliche Werte?
Hier muss man einmal einhaken: Natürlich würde man als “Die Welt zu Gast bei Freunden”-Deutscher den Merkel’schen Wertekanon gerne unterschreiben und ein Gutteil der deutschen Presse hat das auch prompt getan. Der Berliner Politologe Herfried Münkler gibt im Schweizer Tagesspiegel sogar zu Protokoll, “den Westen” würde es unter Trump gar nicht mehr geben. Indes wäre zu fragen, ob die Werte-Aufzählung eigentlich vollständig ist, ob dies wirklich Werte sind, für die genuin “der Westen” steht und ob wirklich die Vereinigten Staaten von Amerika der oberste Verweser dieser Werte ist oder war.
In der Zeit der “Re-Education” in den 1940er- und 50er-Jahren, an die völlig zurecht in diesem Zusammenhang erinnert wird, wurden auf Betreiben der Siegermächte in Deutschland die Plaketten “Nicht für Juden” von den Parkbänken geschraubt. Die wenigen Juden, die die Nazi-Herrschaft in Europa übrig gelassen hat, dürfen seitdem wieder auf Parkbänken Platz nehmen. In der gleichen Zeit hingen die gleichen Plaketten aber in den USA nach wie vor an den Parkbänken, allerdings waren es hier die Afro-Amerikaner, die kein Recht auf einen Sitzplatz in öffentlichen Parks hatten (“Whites only”). In Bussen mussten sie sich ganz hinten anstellen, die schwarze Rosa Parks tat es nicht und wurde dafür verhaftet. Der Jazztrompeter Miles Davis wurde nach einem Konzert von einem weißen Polizisten verprügelt, weil er rauchend auf dem Gehsteig vor dem berühmten Birdland Club stand.
Donald Trump steht für die “westlichen Werte”
Die sogenannten westlichen Werte sind eine, um ein altmodisches Wort zu verwenden, dialektische Angelegenheit: Sie haben ein schreckliches Doppelgesicht. Das haben sie übrigens mit den christlichen Werten gemein, da man auf jedes “Gleichheit vor Gott” ein “Hexenverfolgung” und auf jedes “Nächstenliebe” ein “sexueller Missbrauch” entgegenhalten kann. Donald Trump steht original für die westlichen Werte, aber es sind nicht die Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, sondern die westlichen Werte von Apartheid, Ausgrenzung und Chauvinismus. Die Brüderlichkeit, die Trump kennt, ist die, die im Ku-Klux-Klan herrscht. Dass “der Westen” (oder wenigstens einige seiner Intellektuellen) meint, er stünde vorbehaltlos für Toleranz und Antidiskriminierung, ist selbst ein chauvinistisches Vorurteil. Man frage nur mal in den Trikontstaaten nach, die einst vom “Westen” zu “Kolonien” erklärt wurden, was man dort von den “westlichen Werten” hält. Obwohl, so weit muss man gar nicht gehen – ein bayerisches Wirtshaus oder die Parteizentrale der CSU in München reichen schon aus, um die angeblichen westlichen Werte zerbröseln zu sehen.
Gemeinsamkeiten von Trump und Obama
Der Erfolg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen kam nicht von ungefähr, und er basierte auch nicht (nur) auf den individuellen Fähigkeiten des New Yorker Egomanen. Vielmehr war Trumps Wahlerfolg hochgradig medien-induziert: Trump war 12 Jahre lang Moderator der Sendung “The Apprentice”. Seine Popularität, die er in großen Teilen der US-amerikanischen (TV-)Bevölkerung genießt, ist eine, die auf Mattscheibenpräsenz beruht. Insofern ist sein Wahlerfolg ein Fortschreiten in der Entwicklung der Mediokratie.
Trump überlässt diesen medialen Einfluss nicht dem Zufall: Sein Schwiegersohn Jared Kushner ist Eigentümer der Zeitung New York Observer. Trump steht nicht nur dem konservativen TV-Sender Fox News Channel nahe, sondern auch der im Internet stark verbreiteten Plattform Breitbart News, die gerade im US-Präsidentschaftwahlkampf laut New York Times häufig im Zentrum von Auseinandersetzungen rund um frauenfeindliche, fremdenfeindliche und rassistisches Äußerungen stand und deren Chefredakteur Stephen Bannon im August als Vorsitzender in Trumps Wahlkampfteam wechselte.
Im Sinne der Mediokratisierung der Politik passt Donald Trump deutlich besser zu Barack Obama, als es manchen Trump-Kritikern (und Obama-Freunden) recht sein wird. Denn auch Obama spielte die Klaviatur von Medien und Entertainment souverän, war vor allem ein TV-Star, beherrschte die Diskurse in den Sozialen Netzwerken, ein Tänzchen in der Talkshow hier, ein geträllertes Liedchen da. Dass gerade US-amerikanische Wähler eine Präferenz für Medienclowns haben, ist keine Neuigkeit: Präsident Ronald Reagan war B-Movie-Darsteller in Hollywood und Arnold Schwarzeneggers politische Karriere als kalifornischer Gouverneur war auch weniger seiner Muskelkraft, als seiner medialen Power geschuldet. Es handelt sich hier aber auch nicht um eine US-Spezialität. Der spezifische Mix aus medialer und Finanzpower wie bei Trump eignete zum Beispiel auch Silvio Berlusconi in Italien, der immerhin knapp 20 Jahre die dortige Politik bestimmte – und auch Berlusconi sang gerne mal ein Liedchen.
Obama war (zu) seriös, Trump macht sich selbst zum Narren
Barack Obama schien in seinen beiden Amtszeiten, bei aller Mediokratie, auch noch eine Message gehabt zu haben. Einige seiner Anliegen hat er sehr seriös durchgebracht (Gesundheitsversicherung), andere nicht (Guantanamo). Trump hat vor allem eine Ich-Botschaft: Er wird das neue Amt vor allem zu seinem eigenen Nutzen ausbauen. Auch hier kann er sich den Italiener Silvio Berlusconi zum Vorbild nehmen. Die Unterprivilegierten unter Trumps Wählern werden darum auch die ersten sein, die ihr Enttäuschungserlebnis haben werden: Noch nie ist jemand zum Milliardär geworden, weil er dafür sorgte, dass andere genug im Portemonnaie haben. Würde Donald Trump sich gerne für Minderbemittelte einsetzen, hätte er es mit seinem Vermögen schließlich längst machen können. So wird auch Milliardär Trump vor allem die Löcher in seinen eigenen Versace-Socken stopfen, er kann auch gar nicht anders. Dass er für den zu erwartenden Gewinn auch in Kauf nimmt, sich zum Narren zu machen, erträgt er gelassen wie je ein Reicher. Humor ist immer auch eine Geldfrage, und davon hat der künftige US-Präsident reichlich.
Trump und der Karnevalismus
Deswegen passt Trumps Wahl auch so gut in die närrische Zeit: Der russische Literaturwissenschaftler Michail Bachtin beschrieb das Phänomen des Karnevalismus als spontane Selbstinszenierung und Theatralisierung des Lebens, mit der absolute Wahrheits- und Machtansprüche verlacht werden. Besser lässt Trumps Gehabe sich eigentlich nicht charakterisieren: Macht und Wahrheit interessieren ihn gar nicht, erstere besitzt er längst, zweitere hilft ihm nicht weiter. Den Besitzern der tiefen Sorgenfalten sei zum Trost ins Narrenbuch geschrieben: Auch das Narrenschiff fährt und geht nicht unter. Vielleicht schlingert es, aber tun dies die anderen Schiffe nicht auch? Wer zuletzt lachen wird, ist immerhin noch nicht ausgemacht. Bestätigt fühlen darf sich allenthalben nur das Leipziger Gewandhaus-Orchester. Dessen Wahlspruch lautet nämlich: “Res severa verum gaudium” – wahre Freude ist eine ernste Sache. In diesem Sinne: Alaaf!