Es gab Zeiten, da konnten Computer nur eine einzige Aufgabe gleichzeitig. Wollte man beispielsweise vom Schreibprogramm in die Tabellenkalkulation wechseln, musste man erst das eine Programm schließen, um das andere zu öffnen. Dann kam „Multitasking“, und es wurde zum Schlagwort für ein ganzes Zeitalter. Heutet müssen Arbeiten, Prozesse, Kommunikation und sogar die Freizeitgestaltung gleichzeitig ablaufen, die totale Multitaskisierung des gesellschaftlichen Lebens. Dabei sind wir für Multitasking gar nicht geschaffen, und das kann Folgen haben. Sogar tödliche:
Im Hightech-Krieg sorgt die rapide anwachsende Flut von Information und Kommunikation für Stress. Das ist kein akademisches Problem, wie aktuelle US-Untersuchungen zeigen: In einem konkreten Fall verlor eine Drohnen-Crew den Überblick – und 23 afghanische Zivilisten mussten sterben.
Bei Spiegel Online ist nachzulesen, wie es zu dem Desaster kommen konnte:
Februar 2010, eine Airforce-Base im US-Bundesstaat Nevada: Ein Drohnen-Steuermann und sein Team beobachten eine Menschenansammlung in Afghanistan. Sind es feindliche Kräfte? Oder Zivilisten? Die Mannschaft wertet die Bilder aus, der Stress nimmt zu. Der Mann und sein Team stehen unter kommunikativem Feuer: Neben der Evaluierung der Videobilder arbeiten sie eine Fülle von Instant-Messenger-Nachrichten, Funksprüchen und Anrufen ab – von Vorgesetzten, von Bodentruppen vor Ort, angeblich auch private Nachrichten, möglicherweise sogar von ihren Kindern. Gleichzeitig treffen sie ihre Entscheidung. Nach bisherigem Kenntnisstand ist es eine Fehleinschätzung, die 23 Zivilisten ihr Leben kostete. Der Fall wird noch untersucht und könnte zu einem Militärgerichtsverfahren führen.
In einem bemerkenswerten Artikel der New York Times ist nachzulesen, dass der „data overload“ gerade im militärischen Bereich überaus fatale Entwicklungen genommen hat. Allein die Datenfülle, die durch elektronische Spähtechnik in jedem Augenblick zusammengetragen wird, seei um 1600 Prozent gestiegen. Parallel dazu wachse mit der immer besseren kommunikativen Vernetzung auch das Kommunikationsaufkommen. Problematisch daran: Ausgewertet wird diese Datenfülle am Ende von Menschen, die darauf basierend Entscheidungen zu treffen haben, die Menschenleben kosten können. Und dabei, berichtet die Times, könne es zu fatalen Fehleinschätzungen kommen.
Dass der Mensch und sein Gehirn für Multitasking gar nicht geschaffen sind, darüber ist sich die psychologische Forschung einig. Experimente an der RWTH Aachen haben ergeben, dass Gleichzeitigkeit für das Gehirn ein Fremdwort ist. Der zuständige Wissenschaftler, Prof. Iring Koch sagt dazu in einem Interview der Deutschen Welle:
„Es ist tatsächlich so, dass man eigentlich die Dinge nicht gleichzeitig macht. Wir reden hier über zeitliche Abschnitte von hundert Millisekunden oder noch weniger, so dass man eigentlich immer zwischen den einzelnen Aufgaben, zwischen den kognitiven Prozessen, den Denkprozessen hin und her wechselt. Man kann eigentlich nicht zwei Reaktionen oder zwei Entscheidungen gleichzeitig fällen, sondern erst die eine und dann die andere, nacheinander.“
Auch mit dem Vorurteil, dass Frauen eher zu Multitasking befähigt seien als Männer, muss aufgeräumt werden. Auf Geschlechterstudien.de ist dazu zu lesen:
Die Neurobiologin Kirsten Jordan hat sich mit diesem Thema auseinander gesetzt und festgestellt, dass es für die Behauptung, Frauen seien Multitaskingbegabter, absolut keine Beweise gibt. Entgegen vieler Behauptungen gibt es nämlich tatsächlich keine Studien aus denen eine solche Aussage hervorgeht.
Untersuchungen zeigen, dass wir bei der Ausübung einer vielschichtigen Tätigkeit Routine entwickeln können, so dass uns auch bei Multitasking-Tätigkeiten die Dinge schneller von der Hand gehen.
Bei neuen Aufgaben stehen Männer wie Frauen jedoch gleichermaßen unbeholfen da. Sie müssen erst mit den Abläufen vertraut werden, bevor sie zwischen verschiedenen Tätigkeiten zügig hin und her springen können.
US-Militär: Tod durch Multitasking – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Netzwelt